156 IL. Materia mediea und Toxikologie.
Stellt man diese verschiedenen Wirkungen zusammen, so erhält
man demnach folgende Haupteigenschaften des Stechapfels :
A. Primäre Wirkungen: 1) Er vermindert die Reizbarkeit des
Nervensystems im Allgemeinen. 2) Er wirkt besonders auf das
Sensorium commune, vermindert die Thätigkeit desselben und
stumpft so die psychischen, im Gehirn ihren , Sitz habenden
Thätigkeiten direct herab. 3) Als Folge der ersten Wirkung ist
er a) krampfstillend; b) schmerzstillend oder mindernd. .B. Se-
cundäre Wirkungen: 1) er stimmt. die Thätigkeit des Biutsystems
herab, vermindert die Action des Herzens und die activen Con-
gestionen des, Blutes nach dem Kopfe. 2) Er wirkt auflösend
auf das Blut und begünstigt seine Zersetzung. Was die Verän-
derungen in den Thätigkeiten der verschiedenen Organe nach
seiner Anwendung anlangt, so ist die zunächst hemerkhare Wir-
kung, die bald dem innern Gebrauche kleiner Gaben folgt, auf-
fallende Trockenheit im Munde und Halse, die hänfiges Räus-
pern und öfteres Trinken oder Anfeuchten des Mundes nöthig
macht. Die Stimme wird etwas heiser, und man bemerkt nach
der Grösse der Gabe stärkere oder schwächere Eingenommen-
heit des Kopfes, Schwere des Denkvermögens und eine mehr
oder weniger bedeutende Abspannung der Glieder ohne auffal-
lendes Schwächegefühl. Insofern der Stechapfel auf Blut- und
Nervensystem beruhigend wirkt, vermehrt er die Neigung‘: zum
Schlaf, ohne, wie das Opium, hervorstechende Wirkung dahin
zu äussern. Doch hat er, dem Opium ähnlich, heitere Träume
zur Folge. Der Appetit wird bei mässigen Gaben nicht beein-
trächtigt, stärkere dagegen beeinträchtigen ihn. Bei langem Ge-
brauche in mässigen Gaben wurden bisweilen die Verdauung und
die Assimilation so wenig gestört, dass die Kranken vielmehr
gunahmen und blühend wurden. Deshalb bewirkt er wohl auch
bei Geisteszerrüttung, die auf habitueller Plethora beruht, keine
dauernde Besserung. Wenigstens müssen hier blutentleerende und
abführende Mittel vorausgeschickt, oder zwischendurch genom-
men werden. An der Zunge wird nach Gebrauch des Stech-
apfels keine merkliche Veränderung wahrgenommen. Die Leibes-
öffnung wird nicht gestört, was ein grosser Vorzug vor dem
Opium ist. Wo er Besserung bewirkt, vermehren sich meist
die Stühle, doch hängt dies nicht unmittelbar von ihm, sondern
von der Besserung überhaupt ab. Dagegen scheint er die Se-
|cretion der Nieren zu vermehren, und mit dieser Vermehrung
‘wird der Urin heller, wässeriger. ı Eben so wird auch die Spei-
chelsecretion vermehrt, und der Speichel bekommt eine dünne,
‚schaumige Beschaffenheit, Eine andere, meist sehr bemerkbare
‘Wirkung ist Verminderung des Pulsschlages. ‘ Bei Vollblütigkeit
und im gesunden Znstande äussern mässige Gaben keine auffal-
lende Wirkung auf den Puls. Dagegen wird bei vorstechend er-
höhter Reizbarkeit des Nervensystems und secundär erhöhter
Reizbarkeit des Blutsystems der kleine, frequente Puls lang-