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Kampfes zu sehen. Den ganze,: Tag hö
ren wir unser „Schleswig-Holstein meer
umschlungen" durch die Gassen hallen, den
ganzen Tag sehen wir eine freudestrah
lende, aufgeregte Menschenmenge nach
dem Hafen wallen. Doch auch Bilder voll
Schrecken und Jammer bietet dieser Tag.
Die „Gefion" wird im Hafen von aus
Kiel kommandierten schleswig-holsteini
schen Matrosen gesäubert. Gesäubert, sage
ich, denn das ganze Schiff ist mit Blut
und Gehirn und zerschmetterten Glied
maßen bespritzt und besudelt. —
Langsam zieht sich eine lange Wagen
reihe den Weg nach dem Kirchhof hinauf,
ihre Last ist in Segeltücher gehüllt, doch
eine Blutspur bezeichnet ihren Weg und
hier und da ragt ein Bein oder eine
krampfhaft geballte Faust aus dem Segel
tuch über das Seitenbrett. —
Doch mit einem freundlicheren Bild
will ich meine Erinnerungen schließen.
Ich stehe an: Fenster und sehe, wie die
Gefangenen von der „Gefion", von den
schleswig-holsteinischen Matrosen eskor
tiert, vorbeigeführt werden. Müde, abge
stumpft und traurig sehen sie aus. Män
ner mit grauen Bärten sowohl wie ganz
junge Kadetten, Knaben noch, sind unter
ihnen. Unsere Matrosen kaufen im be
nachbarten Bäckerladen mancherlei Brot,
das sie den Knaben geben, die heißhung
rig hineinbeißen. Unter den Gefangenen
sticht ein dürftig gekleideter, traurig drein
blickender Hüne hervor. Er lahmt —
wahrscheinlich infolge einer Verwundung.
Unterm Arm trägt er seine geretteten, in
ein buntes Taschentuch geschlagenen Hab
seligkeiten. Einer unserer Matrosen tritt
auf ihn zu und ergreift sein Bündel.
Aengstlich, forschend und fragend richtet
der Däne seine blauen Augen auf den
Schleswig-Holsteiner. Aber freundlich er-
wider dieser, den Dänen aus die Schulter
klopfend: „Ne, min Jung, wes man jo
nich bang, ick will Di Din Pack man blots
en beten drägen!"
Unsere braven Leute; schlichter, nieder
deutscher Heldenmut im Kampfe, Edelmut
im Siege!
Das silberne Schaf.
Erzählung von Alfred Huggenberger.
Das stattliche Bauernhaus „Zum sil
bernen Schaf" oberhalb Rottannen heißt
im Volksmund noch heute „Der Gulden-
hof". Seinen neuen Namen hat das Heim
wesen von einem Lamm bekommen, dessen
Weißes Wollkleid über den Rücken hin wie
Silber glänzt und das auf dem Hofe bei
alt und jung in großem Ansehen steht,
ja fast wie ein Hausgenosse gehalten wird.
Vom frühen Frühling bis in den Herbst
hinein, wo der Rauhreif den Wiesen ihr
liebes Grün wegnimmt, darf das weiße
Schaf im eingefriedeten Grasgarten spa-
zierengehen und sich letzen und nähren
nach Herzenslust. Und im Winter hat es
seinen warmen, sauberen Platz im Stalle;
der alte Guldenbauer läßt es sich nicht
nehmen, es eigenhändig mit Futte-r und
Streu zu versorgen. • Denn das weiße
Schaf hat bei ihm einen besonders großen
Stein im Brett, obschon er das vor den
Leuten nicht merken lassen will. Oft blickt
er ihm verstohlen vom Scheunentor aus
zu, wie es mit wohligem Behagen von
Kräutern und Blumen nascht. Wenn just
niemand um die Wege ist, tritt er wohl
an den Zaun hinüber; immer hat er ein
Stückchen Brot oder sonst einen Lecker
bissen für seinen Liebling in der Tasche.
Mancher Fremde, der am Hof vorbei
geht, steht verwilndert still und lächelt bei
sich selber darüber, daß da ein simples
Schaf den besten Weideplatz bekommt;
ein Schaf, das man zur Not ganz gut aus
das Stoppelfeld oder auf die mageren
Mooswiesen treiben könnte. Wenn aber
einer so etwas den: Bauern gegenüber
laut werden läßt, gibt ihm der trocken
zur Antwort: Der Garten ist mein, und
das Schaf ist auch mein; somit kann ich
es in dieser Sache halten nach meinem
Belieben."
Die Leute von Rottannen freilich wis
sen ganz gut, was es mit dem weißen
Schaf für eine Bewandtnis hat. Sie sa
gen, der Goldbauer dürfe ihm schon das
Gnadenbrot geben, denn diesem unver-
niinftigen Tier habe er es eigentlich zu
verdanken, daß er kein Armenhäusler ge
worden und daß seine Kinder jetzt nicht