Full text: (1913)

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Kampfes zu sehen. Den ganze,: Tag hö 
ren wir unser „Schleswig-Holstein meer 
umschlungen" durch die Gassen hallen, den 
ganzen Tag sehen wir eine freudestrah 
lende, aufgeregte Menschenmenge nach 
dem Hafen wallen. Doch auch Bilder voll 
Schrecken und Jammer bietet dieser Tag. 
Die „Gefion" wird im Hafen von aus 
Kiel kommandierten schleswig-holsteini 
schen Matrosen gesäubert. Gesäubert, sage 
ich, denn das ganze Schiff ist mit Blut 
und Gehirn und zerschmetterten Glied 
maßen bespritzt und besudelt. — 
Langsam zieht sich eine lange Wagen 
reihe den Weg nach dem Kirchhof hinauf, 
ihre Last ist in Segeltücher gehüllt, doch 
eine Blutspur bezeichnet ihren Weg und 
hier und da ragt ein Bein oder eine 
krampfhaft geballte Faust aus dem Segel 
tuch über das Seitenbrett. — 
Doch mit einem freundlicheren Bild 
will ich meine Erinnerungen schließen. 
Ich stehe an: Fenster und sehe, wie die 
Gefangenen von der „Gefion", von den 
schleswig-holsteinischen Matrosen eskor 
tiert, vorbeigeführt werden. Müde, abge 
stumpft und traurig sehen sie aus. Män 
ner mit grauen Bärten sowohl wie ganz 
junge Kadetten, Knaben noch, sind unter 
ihnen. Unsere Matrosen kaufen im be 
nachbarten Bäckerladen mancherlei Brot, 
das sie den Knaben geben, die heißhung 
rig hineinbeißen. Unter den Gefangenen 
sticht ein dürftig gekleideter, traurig drein 
blickender Hüne hervor. Er lahmt — 
wahrscheinlich infolge einer Verwundung. 
Unterm Arm trägt er seine geretteten, in 
ein buntes Taschentuch geschlagenen Hab 
seligkeiten. Einer unserer Matrosen tritt 
auf ihn zu und ergreift sein Bündel. 
Aengstlich, forschend und fragend richtet 
der Däne seine blauen Augen auf den 
Schleswig-Holsteiner. Aber freundlich er- 
wider dieser, den Dänen aus die Schulter 
klopfend: „Ne, min Jung, wes man jo 
nich bang, ick will Di Din Pack man blots 
en beten drägen!" 
Unsere braven Leute; schlichter, nieder 
deutscher Heldenmut im Kampfe, Edelmut 
im Siege! 
Das silberne Schaf. 
Erzählung von Alfred Huggenberger. 
Das stattliche Bauernhaus „Zum sil 
bernen Schaf" oberhalb Rottannen heißt 
im Volksmund noch heute „Der Gulden- 
hof". Seinen neuen Namen hat das Heim 
wesen von einem Lamm bekommen, dessen 
Weißes Wollkleid über den Rücken hin wie 
Silber glänzt und das auf dem Hofe bei 
alt und jung in großem Ansehen steht, 
ja fast wie ein Hausgenosse gehalten wird. 
Vom frühen Frühling bis in den Herbst 
hinein, wo der Rauhreif den Wiesen ihr 
liebes Grün wegnimmt, darf das weiße 
Schaf im eingefriedeten Grasgarten spa- 
zierengehen und sich letzen und nähren 
nach Herzenslust. Und im Winter hat es 
seinen warmen, sauberen Platz im Stalle; 
der alte Guldenbauer läßt es sich nicht 
nehmen, es eigenhändig mit Futte-r und 
Streu zu versorgen. • Denn das weiße 
Schaf hat bei ihm einen besonders großen 
Stein im Brett, obschon er das vor den 
Leuten nicht merken lassen will. Oft blickt 
er ihm verstohlen vom Scheunentor aus 
zu, wie es mit wohligem Behagen von 
Kräutern und Blumen nascht. Wenn just 
niemand um die Wege ist, tritt er wohl 
an den Zaun hinüber; immer hat er ein 
Stückchen Brot oder sonst einen Lecker 
bissen für seinen Liebling in der Tasche. 
Mancher Fremde, der am Hof vorbei 
geht, steht verwilndert still und lächelt bei 
sich selber darüber, daß da ein simples 
Schaf den besten Weideplatz bekommt; 
ein Schaf, das man zur Not ganz gut aus 
das Stoppelfeld oder auf die mageren 
Mooswiesen treiben könnte. Wenn aber 
einer so etwas den: Bauern gegenüber 
laut werden läßt, gibt ihm der trocken 
zur Antwort: Der Garten ist mein, und 
das Schaf ist auch mein; somit kann ich 
es in dieser Sache halten nach meinem 
Belieben." 
Die Leute von Rottannen freilich wis 
sen ganz gut, was es mit dem weißen 
Schaf für eine Bewandtnis hat. Sie sa 
gen, der Goldbauer dürfe ihm schon das 
Gnadenbrot geben, denn diesem unver- 
niinftigen Tier habe er es eigentlich zu 
verdanken, daß er kein Armenhäusler ge 
worden und daß seine Kinder jetzt nicht
	        
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