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— Christian VIII." — eine Wendung,
als ob er die Förde verlassen wolle, doch
wenige Minuten später wendet er von
neuem, und nun segelt die ganze Flotte,
vom frischen Ost getrieben, der Stadt und
den Schanzen entgegen!
Noch fühle ich das Pochen meines
Herzens, noch fühle ich die unbeschreibliche,
atemlose Spannung der ganzen Menschen-
inenge. Plötzlich fliegen die Blicke aller,
nach der Nordschanze. Ein Blitz zuckt dort
über die Brustwehr, ein scharfer, lauter
Knall ertönt, eine Rauchwolke erhebt sich,
und die erste Kugel tanzt auf dem Meeres
spiegel, einem von Knaben geschleuderten
Kiesel gleich, das Wasser hoch empor
spritzend, „Christian VIII." entgegen.
Noch ist das Echo ringsum an den
Uferhängen nicht verhallt, als auch schon
die erste dänische Salve erkracht; wir
sehen den dänischen Kugelhagel, über die
Flut hinsausend, in die Brustwehr der
Nordschanze einschlagen, die im nächsten
Augenblick von einer aufwirbelnden Wolke
von Sand und Staub verhüllt wird. Und
als sich wenige Augenblicke später die
Schiffe im Halbkreis um die Schanze ge
legt haben, erhebt sich ein Getöse, als ob
Himmel und Erde vergehen sollten.
Sämtliche Schiffe feuern gleichzeitig ihre
ganzen Breitseiten ab, Förde und Ufer in
dichten Rauch hüllend, doch in den kaum
minutenlangen Zwischenpausen hört man
regelmäßig die vier schleswig-holsteini
schen Geschütze der Nordschanze kurz und
scharf in den Nachhall des hundertfachen
Getöses hineinknallen. Und sie treffen,
denn deutlich Vernehmen wir jedesmal das
Aufschlagen der deutschen Kugeln auf die
dänischen Schiffsplanken. —
Es ist ungefähr 10 Uhr morgens, als
ich wieder unter der Menschenmenge am
südlichen Ende des Jungfernstiegs stehe.
Die Dampfer und die kleineren Schiffe
liegen unschädlich außerhalb der Feuer
linie — die wohlgezielten Schüsse der
Schanzen haben ihnen den Aufenthalt
dort unmöglich gemacht, und einer der
Dampfer ist, in den Radkasten getroffen,
wie eine lahme Ente auf der Seite liegend,
schwerfällig hinausgedampft. Fürchterlich
tobt dagegen das Feuer der 140 Geschütze
der „Gefion" und „Christian VIII." gegen
die winzigen 4 Geschütze der Nord- und
Südschanze — auch diese ist, nachdem die
Schiffe etwas weiter westwärts getrieben
sind, vollständig in den Kampf hineinge
zogen, und auf ihr sind, ebenso wie auf
der Nordschanze, bereits zwei Geschütze
von den Dänen zusammengeschossen. Das
ist ein Blitzen und Qualmen, ein Donnern
und Tosen! Wieder stehen einige Fischer
neben mir, ruhig und gelassen prauderno
und ihre Pfeifen rauchend, als ob da
daußen auf der Föhrde etwas Alltägliches
vor sich gehe. „Du," sagt einer zu seinem
Nachbar, mit seiner Pfeife auf die Rauch-
und Dampfwolken hinauszeigend, in denen
die Schiffe liegen, „dat grote Schipp
brennt!"
„Wo meens dat?" •
„Kann's nies) sehn? Um dat lüttjere
vertreckt sich de Rok, wenn de Salven
affüert sind, awers uni dat annere blivvt
immerlos de dicke Qualm stahn. Tor
brennt dat!" Und das Schiff brennt wirk
lich! Eine glühende Kugel der Nord
schanze muß in die Werkfüllung zwischen
den doppelten Schiffsplanken gedrungen
sein. —
❖
Etwas später sind wir Schwestern in
einem hohen alten Speicher hinten im
alten, engen „Rosengang". Da haben wir
aus den offenen Luken des obersten Bo
dens hinweg über ein Gewirr von ver
räucherten Dächern und Giebeln, von
engen Höfen, in denen Fischerstiefel und
Netze zum trocknen hängen, über Klein
bürgergärten, in denen Spatzen lärmen
und Schneeglöckchen ihre weißen Köpfchen
aus der schwarzen Erde strecken, ein
wunderbares Panorama des Kampfes auf
Strand und Förde da draußen. Doch
nicht lange sollen wir uns dieser Aussicht
freuen, denn jäh wird das Stilleben, das
zwischen uns und dem Kampfe liegt, ver
nichtet: mit scharfem, unheimlichem Sau
fen fährt eine Kugel dicht an uns vorbei
in das Haus des Kaufmanns Rathgen,
und Hals über Kopf eilen wir die Treppen
hinunter und davon.—
Dann sind wir unten in der Kieler-
straße, in der Nähe der alten „Stadt
Hamburg". Ein schleswig-holsteinischer
Artillerist aus der Südschanze, dessen Ge
sicht vom Pulverdampf und geronnenen:
Blut vollständig unkenntlich gemacht ist,