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der Friede und die Stille können uns nicht
täuschen — der Krieg ist im Lande.
Hin und wieder hören wir Mutter
verstohlen aufseufzen, und dann blicken
wir in ihr ernstes, sorgenvolles Antlitz;
wir wissen, woran sie denkt; zwei Söhne
in der schleswig-holsteinischen Armee, die
vielleicht an diesem Tage, oben im blut
getränkten Sundewitt oder an der jütischen
Grenze die erste Schlacht schlug. Schon
im vorigen Frühling beim Beginn des
Kampfes hat sie selbst ihre beiden einzigen
— ein dritter ist seit Jahren auf der See
verschollen — in die Heimat zurückgeru
fen, um in die Reihen der Freiwilligen
einzutreten, aber das Mutterherz kann sich
doch nicht verleugnen und von der bestän
digen bangen Sorge frei machen.
Bumm — jäh erklirren die Fenster.
Ein Alarmschuß von der Nordschanze!
Vorbei ist mit einem Schlage die Feier-
abendruhe und -Stille. Ueberall gehen die
Haustüren, überall eilen die Bürger be-
slürzt auf die Straße, durch die schon die
in der Stadt einquartierten jungen Ar
tilleristen nach den Schanzen eilen, wäh
rend die Schuljugend mit lautem Holz
pantoffelgeklapper und dem Rufe: „De
Dän kummt!" nach dem Strand hinunter
strömt. Ja, es ist wahr: eine dänische
Flottille ist eben draußen an der Krüm
mung aufgetaucht, der Feind will landen!
Und wenige Minuten später rasselt
und rattert es durch die Straßen; das
Musikkorps der „Validen Kinner", der
armen Soldatenkinder und -Waisen aus
dem „Christians-Pflegehause" in seinen
altwälschen Frackuuiformen und Tschakos
marschiert, Generalmarsch schlagend,
durchs aufgeregte Städtchen.
„De Dän kummt, de Dän kummt!"
Etwas später find wir Schwestern mit
ein paar Freundinnen auf dem hohen
Boden des alten Dehnschen Hauses in der
Kielerstraße, um Ausguck nach der feind
lichen Flotte zu halten. Draußen auf der
Förde, wo die gelben Sandhänge von
Stör und Aschau schimmern, liegt sie;
sechs Segelschiffe und drei Dampfer, aus
deren Schornsteinen noch der Rauch steigt.
Drohend starren die langen schwarz
weißen Reihen von Stückpforten über die
Flut, drohend ragt Mast an Mast empor.
und matt hebt sich das Gewebe der Take
lagen vom Abendhimmel ab. Und von dort
schweift unser Blick nach den beiden
kleinen, vor der Stadt liegenden Schanzen,
die unsere Ufer schützen sollen. Leise wehen
im Abendwind die schwarz-rot-goldenen
Fahnen darüber — wer weiß, wie lange
noch?
Was will die Handvoll Rekruten niit
ihrem halben Dutzend Geschützen gegen die
stolze dänische Flotte mit ihren Hunderten
von Feuerschlünden ausrichten! Klopfen
den Herzens blicken wir wieder auf die
wogende Förde hinaus, wo die dänischen
Schiffe jetzt mehr und mehr in Dämme-
rung versinken, bis der volle Mond roten
Scheines aus der Flut emporsteigt. —
Eine lauge schlaflose Nacht liegt da
zwischen.
Im ersten Morgenlicht bereits sind wir
Schwestern am Jungfernstieg, der von
Linden umfriedeten Straße zwischen der
letzten Reihe von Häusern und dem von
Netzen und Fischerbooten bedeckten sandi
gen Förde-Ufer. Ueberall stehen hier
schon Gruppen von Menschen, die gespannt
auf die^ Förde hinausblicken, wo die däni
schen Schiffe noch immer regungslos vor
Anker liegen.
Jetzt schießen helle Strahlen übers
Wasser — die Sonne geht auf und über
gießt eine Weile später die Flotte da
draußen mit brennend rotem Licht. „Paß
op, paß op," hören wir einen alten Fischer
zu seinem Nachbar sagen, „dat bedüt wat,
denk man mal werrer doran," und selt
sames, unheimliches Gefühl will uns be
schleichen.
Doch höher und heller steigt die Sonne
schnell empor, die Förde mit frischem,
duftigem Glanz übergießend, und bald
haben wir die Worte des Alten ver
gessen. —
Jetzt wird es auf den feindlichen
Schiffen lebendig. Der Rauch steigt aus
den Schornsteinen, die Matrosen eilen auf
den Verdecken hin und her und klettern in
Masten und Raaen. Und nun winken
Flaggensignale von Schiff zu Schiff, die
Segel steigen,, von der frischen Brise ge
bläht, an den Masten empor, die Anker
werden gewunden, und die Flotte setzt sich
in Bewegung. In den ersten Augenblicken
macht der vorauffahrende mächtige Segler