Full text: (1913)

73 
der Friede und die Stille können uns nicht 
täuschen — der Krieg ist im Lande. 
Hin und wieder hören wir Mutter 
verstohlen aufseufzen, und dann blicken 
wir in ihr ernstes, sorgenvolles Antlitz; 
wir wissen, woran sie denkt; zwei Söhne 
in der schleswig-holsteinischen Armee, die 
vielleicht an diesem Tage, oben im blut 
getränkten Sundewitt oder an der jütischen 
Grenze die erste Schlacht schlug. Schon 
im vorigen Frühling beim Beginn des 
Kampfes hat sie selbst ihre beiden einzigen 
— ein dritter ist seit Jahren auf der See 
verschollen — in die Heimat zurückgeru 
fen, um in die Reihen der Freiwilligen 
einzutreten, aber das Mutterherz kann sich 
doch nicht verleugnen und von der bestän 
digen bangen Sorge frei machen. 
Bumm — jäh erklirren die Fenster. 
Ein Alarmschuß von der Nordschanze! 
Vorbei ist mit einem Schlage die Feier- 
abendruhe und -Stille. Ueberall gehen die 
Haustüren, überall eilen die Bürger be- 
slürzt auf die Straße, durch die schon die 
in der Stadt einquartierten jungen Ar 
tilleristen nach den Schanzen eilen, wäh 
rend die Schuljugend mit lautem Holz 
pantoffelgeklapper und dem Rufe: „De 
Dän kummt!" nach dem Strand hinunter 
strömt. Ja, es ist wahr: eine dänische 
Flottille ist eben draußen an der Krüm 
mung aufgetaucht, der Feind will landen! 
Und wenige Minuten später rasselt 
und rattert es durch die Straßen; das 
Musikkorps der „Validen Kinner", der 
armen Soldatenkinder und -Waisen aus 
dem „Christians-Pflegehause" in seinen 
altwälschen Frackuuiformen und Tschakos 
marschiert, Generalmarsch schlagend, 
durchs aufgeregte Städtchen. 
„De Dän kummt, de Dän kummt!" 
Etwas später find wir Schwestern mit 
ein paar Freundinnen auf dem hohen 
Boden des alten Dehnschen Hauses in der 
Kielerstraße, um Ausguck nach der feind 
lichen Flotte zu halten. Draußen auf der 
Förde, wo die gelben Sandhänge von 
Stör und Aschau schimmern, liegt sie; 
sechs Segelschiffe und drei Dampfer, aus 
deren Schornsteinen noch der Rauch steigt. 
Drohend starren die langen schwarz 
weißen Reihen von Stückpforten über die 
Flut, drohend ragt Mast an Mast empor. 
und matt hebt sich das Gewebe der Take 
lagen vom Abendhimmel ab. Und von dort 
schweift unser Blick nach den beiden 
kleinen, vor der Stadt liegenden Schanzen, 
die unsere Ufer schützen sollen. Leise wehen 
im Abendwind die schwarz-rot-goldenen 
Fahnen darüber — wer weiß, wie lange 
noch? 
Was will die Handvoll Rekruten niit 
ihrem halben Dutzend Geschützen gegen die 
stolze dänische Flotte mit ihren Hunderten 
von Feuerschlünden ausrichten! Klopfen 
den Herzens blicken wir wieder auf die 
wogende Förde hinaus, wo die dänischen 
Schiffe jetzt mehr und mehr in Dämme- 
rung versinken, bis der volle Mond roten 
Scheines aus der Flut emporsteigt. — 
Eine lauge schlaflose Nacht liegt da 
zwischen. 
Im ersten Morgenlicht bereits sind wir 
Schwestern am Jungfernstieg, der von 
Linden umfriedeten Straße zwischen der 
letzten Reihe von Häusern und dem von 
Netzen und Fischerbooten bedeckten sandi 
gen Förde-Ufer. Ueberall stehen hier 
schon Gruppen von Menschen, die gespannt 
auf die^ Förde hinausblicken, wo die däni 
schen Schiffe noch immer regungslos vor 
Anker liegen. 
Jetzt schießen helle Strahlen übers 
Wasser — die Sonne geht auf und über 
gießt eine Weile später die Flotte da 
draußen mit brennend rotem Licht. „Paß 
op, paß op," hören wir einen alten Fischer 
zu seinem Nachbar sagen, „dat bedüt wat, 
denk man mal werrer doran," und selt 
sames, unheimliches Gefühl will uns be 
schleichen. 
Doch höher und heller steigt die Sonne 
schnell empor, die Förde mit frischem, 
duftigem Glanz übergießend, und bald 
haben wir die Worte des Alten ver 
gessen. — 
Jetzt wird es auf den feindlichen 
Schiffen lebendig. Der Rauch steigt aus 
den Schornsteinen, die Matrosen eilen auf 
den Verdecken hin und her und klettern in 
Masten und Raaen. Und nun winken 
Flaggensignale von Schiff zu Schiff, die 
Segel steigen,, von der frischen Brise ge 
bläht, an den Masten empor, die Anker 
werden gewunden, und die Flotte setzt sich 
in Bewegung. In den ersten Augenblicken 
macht der vorauffahrende mächtige Segler
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.