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schlag der Männer, und die zerkratzten Ge
sichter und die abgebissenen Nasen der Weiber
selbst weiter auszumalen; ich aber will nicht
ablassen, das Familienleben in unserem
Kaiserhause unserm Volk als ein Musterbild
anzupreisen und meine Kinder und Kindes
kinder das Wort zu lehren: Ein gut Haus-
gemach geht über alle Sach.
Wenn ich Rundschau halte, dann richten
sich meine Blicke immer wieder aus der weiten
Welt da draußen hinein in die enge Welt
des Hauses. Wer die Zeitung liest, muß
wohl fast täglich Selbstmordgeschichteu lesen,
und vielfach sind's Selbstmorde von zwanzig-
jährigen, ja sogar von achtzehnjährigen Liebes
paaren, oder vielleicht gar von Schulbuben,
die sitzen geblieben sind. Im deutschen Reich
kommen alljährlich fast 14000 Selbst-
morde vor. Nach Verhältnis der Ein
wohnerzahl stehts am schlimmsten in Bremen
und Hamburg, dann folgen Reuß j. L.,
Anhalt, Koburg-Golha, Meiningen und
Schleswig-Holstein. Das ist ein trauriger
Ruhm, den wir biederen Leute der nieerum-
schlungenen Lande uns erworben haben, und
wenn wir nicht anfangen bei unserer Jugend,
bei unseren Kindern zu arbeiten, dann iverden
wir immer tiefer in den Sumpf kommen.
Da kann die allerbeste Schule nicht helfen,
wenn das Elternhaus den Lehrer im Stich
läßt, oder ihm gar entgegenarbeitet; und die
Mahnungen des treuesten Seelsorgers an die
Kinder, Jünglinge und Jungfrauen wirken
wie Wasser, welches auf die Gans gegossen
wird, wenn Vater und Mutter stets auf
dem Standpunkt stehen: Unsere Kinder
müssen's mitmachen, wenn >vas los ist, sie
müssen jeden Tag mittanzen, wenn irgendwo
die Fiedel gespielt wird, denn man ist nur
einmal in der Welt und muß mit der Welt
vorwärts, sie müssen sich nach der Mode
kleiden, denn sie sollen nur an den Mann
gebracht werden. „Was kostet's?", pflegte
Jan Klüver zu fragen, und ich meine, das
ist eine gute Frage. Wenn nian in Kiel
durch die Holsteiistraße geht, dann sieht man
viele schöne Dinge- aber ich wollte dem Leser
nicht raten, daß er in den ersten besten Laden
geht und sich da mir nichts dir nichts das
Feinste einpacken läßt für seine Frau oder
seine Tochter, sondern das er Jan Klüvers
Vorsicht gebraucht und erst fragt: „Was
kostet's?" Sonst könnte es ihm mit seinen
Markstücken in der Tasche so ergehen, wie
Toni Feldmann mit den Kvhlköpsen, die er
zu Markt fuhr nach dem Städtchen jenseits
des Berges. Er hatte vergessen, die Hinter-
wand des Wagens einzusetzen, und als er
nun nach einer schnellen Fahrt über die Höhe
auf dem Marktplatz angelangt war, und
sich umschaute, war nur noch ein Kopf auf
dem Wagen, nämlich derjenige, den er auf
seinem eigenen Rumps hatte. „Aber Herzens
toni", sagte seine Frau bei der Heimkehr zu
ihm, „cs war nur gut, daß ich dir heute
morgen das Halstuch so fest umgebunden
hatten, sonst hättest du am Ende den Kopf
noch dazu verloren". Der Toni aber hat
es sich gemerkt, daß ein Wagen ohne Rück-
wand mit kugeliger Ware aus holperiger
Straße ein großes Loch hat und hat das
selbe später stets sorgsam verstopft gehalten.
Das Geld ist auch runde Ware, und • der
Beutel braucht gerade keine» besonderen Leck
zu haben, sondern das Loch, wo es hinein
gekommen ist, ist schon groß und gefährlich
genug, um die runden Dinger auf der Holsten
straße in Kiel ins Rollen zu bringen. Darum
ist Jan Klüver so dumm nicht, der den
Knopf auf den Beutel hält und erst fragt:
Was kostet's? Manche Sachen mögen ganz
gut sein, aber sie mögen doch allzuteucr
bezahlt werden. Wenn du. deine Töchter in
Kleider steckst, die über den Hüften und über
den Knöcheln die Weite eines Halskragens
haben, daß das menschliche Gebein, welches
darin steckt, wie eine schlanke Gurke aussieht,
so denkt man ivohl, solch Kleid ist ein gut
Ding, denn es hindert diejenige, welche
darinsteckt, daran, große Sprünge zu machen;
aber was kostets? Wenn ein Stück zarter
Keuschheit, bürgerlicher Einfachheit, guter
alter deutscher Sitte dafür hingegeben wird,
wenn damit ein Stück Frieden und Zu
friedenheit aus dem Herzen genommen wird,
wenn damit eine der Säulen, welche das
Haus tragen, einen Riß empfangen sollte;
wenn ich beim Einkauf solcher Roben an die
10000 Ehescheidungen oder an die 14000
Selbstmorde denken niüßte, dann besinne ich