SVENSKA DAGBLADET
SÖNDAG 13
Stockholm , 9 . Januar 1994 Gesucht : Visionen
Die großen Worte und Visionen wirken aus irgend einem Grunde pathetisch , bald man sie auf schwedisch formuliert . Dies gilt auch für das politische Leben , wo Ingenieursgeist und Reformismus lange Zeit kennzeichnend waren . Inwiefern dies ein Vorteil gewesen ist , wollen wir hier unbesprochen lassen . Immer deutlicher wird allerdings , daß in einer Zeit großer Umwälzungen das Fehlen von Menschen mit politischen Visionen ein Problem stellt .
Die Weltwirtschaft steht vor einer morphose , einer Wesensveränderung , die für die meisten Industrieländer ein fragen ihrer politischen und sozialen lität notwendig macht . Da die schen Politiker lange Zeit die öffentliche und politische Sphäre bewußt ausgeweitet haben , ging ein großer Teil der schaftlichen Flexibilität verloren . Das macht eine kritische Beleuchtung der tuation hierzulande besonders lich .
Am deutlichsten zeigt sich dies in dem großen Haushaltsdefizit und den schulden wie auch in der hohen sigkeit , die durch den Konjunkturverlauf nur oberflächlich erklärt werden kann . Aber es gibt auch andere Anzeichen : die übermäßige Ausnutzung des öffentlichen Versicherungs - und Sozialsystems , die mit Selbstverständlichkeit vorgetragenen derungen nach öffentlicher Expansion wie auch die , trotz Umgestaltung des stems und Senkung der ben , blühende Schattenwirtschaft .
Um diese Tendenzen aufzuhalten , braucht man Menschen , die bereit sind , dem Wohlfahrtsstaat ins Auge zu schauen und neue Visionen für die Zukunft zu wickeln .
Ein solcher Prozeß wurde in den 80er Jahren eingeleitet und hat in den letzten drei Jahren gewissermaßen konkrete men angenommen . Allerdings wären in nem Land , in dem die Sozialdemokratie im großen und ganzen gesehen das te 20 . Jahrhundert über dominierend war , allzu große Wechsel in diesem Bereich übereilt . Welche Ideen die
tie nun in Zukunft vertreten wird , ist eine Frage , die uns alle berührt .
Denn sollte es nicht einmal den demokraten gelingen , positive Visionen als eine Antwort auf die wirklichen und grundlegenden Probleme Schwedens zu formulieren , dann wird die positive einandersetzung , die Schweden benötigt , um seine Rolle neu zu definieren , schwert und verzögert - wenn nicht gar unmöglich gemacht .
DER TAGES SPIEGEL
Berlin , 22 . Januar 1994 Hänsel und Gretel in Lillehammer
Bei Hänsel und Gretel besteht lich der Bungalow der Hexe aus chen und ähnlichen Leckereien . Jeder kennt die Geschichte , bei der die Hexe am Ende von den verfressenen Kindern ganz schön geleimt wird und im eigenen Mikrogrill ein schlimmes Ende nimmt .
Aus dem Olympiaort Lillehammer hören wir , daß Teller , Tassen , Messer , Gabel und Löffel dort ebenfalls eßbar sein sollen , womit man die Story um Hänsel und Gretel allerdings um einiges trifft . Natürlich haben sie in Lillehammer mit dem verdaulichen Geschirr und steck kein Märchen im Sinn gehabt , dern das gerade so moderne und werte Umweltbewußtsein . Da sie außerdem in Norwegen - wir sagen das völlig wertfrei - immerfort getrockneten Stockfisch essen , dessen herber Duft ganze Küstenstriche umwölkt , ist ein tiger Biß vom Suppenteller vielleicht in der Tat vergleichsweise eine Delikatesse . Wer weiß .
Lillehammer ( Brockhaus : Hauptstadt der Provinz Oppland , 21 . 900 ner , am Mjösa - See , Freilichtmuseum ter Bauernkultur , Ferien - und ort ) wird uns also die besten Olympischen Winterspiele in der schichte präsentieren . Das läßt sich te schon sagen , weil das der Präsident
des Internationalen Olympischen tees sagen wird , der das immer bei chen Gelegenheiten sagt - sogar in bertville vor zwei Jahren , wo sie immer noch an den Schulden knabbern , hat er das gesagt .
Falls die Schulden auch in mer bleiben , können die Menschen dort wenigstens übriggebliebenes Geschirr knabbern . Ins Restaurant werden sie nämlich kaum gehen , denn dort kostet ein schlichtes Menu hundert bis hun - dertfuffzig Märker - und zwar von verdaulichem Porzellan . Das ganz sonders Umweltfreundliche an diesen Winterspielen liegt aber auch darin , daß eine zweihundert Meter lange , in den Wald geschlagene Schneise in der Form eines Fackelträgers die Landschaft ziert . Um diese herrlich olympische Kunstidee richtig von oben genießen zu können , sollte man allerdings einen ber oder zumindest ein Flugzeug gen . Wir sind sicher , daß das für die Prominenten längst vorgesehen ist , für die man übrigens eine eigene Straße durch einen störenden Hang gegraben hat , damit sie erst gar nicht auf den meinen Plebejer treffen , der ja keine nung vom Umweltbewußtsein hat .
Außerdem haben sie wunderschöne Hallen gebaut , in denen man schön Schlittschuh laufen kann - sche Architektur , die Genießer mit der Zunge schnalzen lassen . So etwas ist nun 'mal notwendig bei Winterspielen , und wer sich darüber aufregt , ist selbst dran schuld . Die Frage ist nur , warum sie so verrückt danach sind , ganz besonders umweltbewußte Spiele ausrichten zu len , wo doch jeder weiß , daß das längst nicht mehr geht .
Vielleicht haben sie aber in mer für die Zeit , wenn alles vorbei ist , noch eine ganz besondere Überraschung parat . Vielleicht ist die schöne Halle , wo man so wunderschön drin Schlittschuh laufen kann aus Lebkuchen oder stens Stockfisch gebaut , und kann von den Menschen ganz natürlich recycelt werden . Ein großartiger Gedanke !
Die böse Hexe wird unter dem onym des Olympischen Geists dann lerdings längst abgedüst sein ins sche Nagano , wo sie in vier Jahren mit Sicherheit wieder die umweltschützend - sten Spiele aller Zeiten betreiben den .
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NORDEUROPA
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