Auftritts der Gruppe 47 vor genau 30 ren in Sigtuna . Ob es ebenfalls wirkungen haben wird , ist noch zu früh zu sagen .
Nichts Böllsches in Sicht ?
Schriftsteller wie Kästner , Boll und Wallraff haben ihr treues Publikum in Schweden . Kästner wird geliebt und ist ein Klassiker . Wie sehr man einen rich Boll im neuen Deutschland vermißt , seine Güte , seinen Humor , seinen spruch , seine so undeutsch wirkende beholfenheit , höre ich in Schweden immer wieder . Den frühen Boll , den Satiriker , hat man ins Herz geschlossen , der Boll der Katharina Blum formte ein landbild , das noch heute nachwirkt . Nach Wallraff wird manchmal gefragt : Wann endlich kommt wieder etwas von ihm , der in den siebziger Jahren den größten saal der Stockholmer Universität „ weit über das hinaus füllte , was die lichen Sicherheitsvorschriften zulassen " ( Helmut Müssener ) . Doch , so etwas wie Neugier auch auf deutsche Texte ist schon zuweilen zu spüren , allerdings ist es eine Neugier , in der fast wie ein stummer wurf die Frage mitschwingt : So was Käst - nersches , so was Böllsches ist wohl nicht in Sicht ? Und „ gewallrafft " wird in Deutschland wohl auch nicht mehr ? sen deutsche Schriftsteller heute nach Schweden und sprechen vor digem Publikum , sind auch heute kleine bis mittelgroße Hörsäle voll , gefragt aber ist der Autoren Meinung zu Deutschland und weniger Literarisches . So erlebt mit Peter Schneider , Herta Müller und Jurek Becker . Gerade ersterer ist in Schweden ein geachteter Kommentator deutscher Zustände , wie auch Enzensberger wird ihm in der Presse gern das Wort erteilt .
Von Hoffnungen war die Rede . Es macht Mut , und es überrascht , welche sonanz Per Landins neuestes Buch Münchhausens äventyrligheter och drà otidsenliga utflykter i det nyligen för - flutna ( Münchhausens ten und andere unzeitgemäße Ausflüge in das gerade Vergangene ) in Schweden zielt . Denn wer weiß hier schon mit ren wie Börries von Münchhausen , nes R . Becher , Arnoldt Bronnen und Werner Bräunig etwas anzufangen , die auch manch einem Leser in Deutschland nur ein Schulterzucken entlocken .
dins Essays über diese und andere sche Autoren aber trafen einen Nerv : preisende Rezensenten , mehrmals obere Plätze in der Kritiker - Bestenliste , und , vor allem : Das Buch verkauft sich gut !
Man mag über Gründe für den Erfolg ge grübeln . Liegt es daran , daß hier „ der Meister der literarischen Reportage " , wie er in Schweden inzwischen genannt wird , am Werk ist ? Oder liegt es an Landins wöhnlichem Maß an Einfühlung in schenschicksale , besonders dann , wenn es sich um Außenseiter handelt , um , wie es Tomas Tranströmers Worte eingangs des Buches suggerieren , „ Menschen der ten , die Ungespielten , die Halbvergessenen , die unsterblich Unbekannten " ? Hier men sie zu Wort : Münchhausen , der von den Nazis hofierte Balladendichter , der schließlich nur noch vor einem Dutzend Parteigenossen , die ihn nicht kennen , aus seinen Werken liest ; Becher , der sche Kulturminister und Dichter der nalhymne , dem sein Sohn sagen muß , daß man ihn als Werkzeug benutzt ; Bronnen , der Romancier und Rundfunkmann , der sammen mit seinem Freund Goebbels mas Mann zum Schweigen bringt und den besagter Goebbels mit Schreibverbot belegt ; Bräunig , Arbeitersohn aus Chemnitz , sen Roman „ Rummelplatz " Ulbricht auf dem 11 . SED - Plenum 1965 als spiel für die „ schädlichen Tendenzen in der Literatur " brandmarkt und der sich , von milienmitgliedern und Freunden verlassen , zu Tode säuft . Und am Ende die de Schilderung der letzten Lebensjahre von Uwe Johnson in Sheerness - On - Sea auf der Insel Scheppey , nun selbst eine der tengleichen Figuren , die sein Epos kern .
Es mag viele Gründe geben für die kung dieses Buches . Einer jedoch scheint mir stärker als alle anderen zu wiegen : Hier nähert sich jemand Menschen , ohne sichten , Standpunkte , Etiketten ten . Er kommt , läßt sie und ihre Bücher den , hört zu und versucht zu verstehen . Landins Bemühen um die deutsche tur hat etwas sehr Schwedisches .
Schließlich und endlich : Martin Luther .
Zum Manuskript eines in den 90er Jahren ( dieses Jahrhunderts ! ) entstandenen dischen Deutschlehrbuches befand ein achter allen Ernstes , es entbehre scher Moral . Im Verlag war man bestürzt : Was nun ? Der Vorschlag der Verfasser , den gutachterlichen Satz „ Dieses Buch entbehrt
Lutherscher Moral " für Schüler und lehrer werbewirksam ins Vorwort men , wird höflich aber bestimmt abgelehnt . Denn wie würde wohl Fröken Andersson , die seit mehr als 30 Jahren Deutsch richtet , auf solche Boshaftigkeit reagieren ?
Dabei wäre es höchste Zeit , das schräge schwedische Lutherbild , das sich laut der Sprachwissenschaftlerin und zialistin Birgit Stolt besonders während der letzten 60 Jahre verfestigt hat , einer gründlichen Revision zu unterziehen . ther gilt in Schweden als der „ Freudentö - ter " , der immer dann zur Stelle ist und warnend seinen Zeigefinger hebt , wenn man mal alle fünfe gerade sein lassen will . Selbst für den Alkohol , den manch einer braucht , um die allzu hohe le zum Vergnügen zu überwinden , muß Luther noch herhalten . Seine gestrenge Moral soll schuld sein am sen , weil hemmungslösenden Schnaps - und Bierkonsum ? ! Den Teufel auch ! War es nicht Luther , der da einst fragte , warum der erste Schluck aus der Kanne immer am besten schmeckt ? Fragen darf man doch mal , denn er ist gar zu arm dran in Schweden , der gute Martin . Anno Domini 1993 berichtet eine Frau in Dagens Nyhe - ter , wie sie sich nach der Nachtschicht um 7 Uhr morgens zur Ruhe betten will , an sie ohrenbetäubender Lärm des barn hindert , dem Handwerker die nung renovieren . Bevor sie noch ihrem Zorn freien Lauf lassen könne , sitze schon das schlechte Gewissen in Gestalt des „ kleinen Luther " auf ihrer Schulter und flüstere ihr zu , was die Leute wohl von ihr denken sollen . Zudem kenne sie den nen Luther - schon wenn sie nur mal ge frühstücke , erscheine er ihr .
Verdüstert Luther also ein ohnehin nicht sehr farbenfrohes Deutschlandbild ? Ja und nein . Es gibt da Hoffnung ganz anderer Art . Bei einem Test der fast 300 zukünftigen Deutschstudierenden am Germanistischen Institut der Universität Stockholm wußten 57 Prozent mit dem Namen Luther nichts oder nur sehr Merkwürdiges anzufangen . „ Südafrikanischer Bischof " und „ sche Negerlieder " ( eine Schreibweise , die Hoffnung auf baldige Studienerfolge macht ) lauteten zwei der geradezu kabarettistisch anmutenden Antworten , im Feuilleton von Dagens Nyheter gewürdigt unter der schrift „ Luther als Ami " .
Sage noch einer , mit deutschen tern und Denkern sei nicht zu spaßen . ■
Nr . 4 , 1994
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