haften Grübeleien über seine nale Eigenart verleiten . Literatur scheint in Norwegen ganz einfach eine besondere Sprache zu sein , die entwickelt wurde , um sich mit dem undurchdringlichen Mysterium zu befassen , das da heißt : Wie ist es , ein Norweger zu sein ? Und dringlichkeit ist - rein physiologisch - ein anderes Wort für Verstopfung .
Es ist vielleicht kein Zufall , daß Norwegen , wenn man es auf der Landkarte betrachtet , einem lang ausgestreckten Darm gleicht , der ten zugeschnürt ist , so daß sich hier Abfallstoffe anhäufen , die nicht ter vorwärts kommen , ungefähr wie in einer zu fest gestopften Wurst .
Schon seit längerem halte ich Jan Kjaerstad für einen der wenigen wachsenen Männer in der schen Literatur , zumindest für einen von denjenigen mit dem am besten funktionierenden Verdauungssystem . Sein vorletzter Roman Rand ( Rand ) , eine equilibristische Studie einer sellschaft im postmodernen gangsstadium , war eine durchaus überzeugende Demonstration , daß es in ihm einen norwegischen steller gibt , der dasselbe mit Oslo tigbringt wie hundert Jahre zuvor Knut Hamsun mit Kristiania in dem Klassiker Suit ( Hunger ) : aus Klein - kleckersdorf eine Weltstadt zu chen , und ein Sinnbild für etwas deres und etwas mehr als das kümmerliche intellektuelle Dasein hinter der Ofenbank .
verhängnisvoller Ursachen abzublocken . Es ist der Kern unseres nisses , daß uns in der Vergangenheit was Schicksalhaftes und ches widerfahren ist , für das später gebüßt werden muß . Das Resultat : dumpfes Brüten , Melancholie , anklagen , Schuldgefühle , langwieriges Aufarbeiten und krampfhaftes gehren , oder ewige Flucht nach vorn , weg von der verhängnisvollen genheit . Durch uns Skandinavier und spät säkularisierte Protestanten geht das Leben nicht hindurch . Es häuft sich an . Zu Verstopfung und unverdaulichen Klumpen .
Jan Kjaerstad hat seinen Roman Forfa - reren in Form einer Hypothese geschrie -
Mit seinem jüngsten Roman Forfo - reren ( Der Verführer ) wiederholt stad dieses Kunststück , nur in noch größerem , noch überzeugenderem mat . Ich will diesen Roman gar nicht als unnorwegisch oder antinorwegisch zeichnen . Eher möchte ich ihn antiskandinavisch nennen - oder leicht antiprotestantisch . Nicht nur , daß er ein völlig neues Menschenbild entwirft , er hat auch eine Komposition gefunden , die dem gerecht wird - und die ganz ohne avantgardistische Geisterbeschwörung oder narzißtische Spiegelung auskommt .
Es ist , als habe Jan Kjaerstad in Forfo - reren die ganze protestantische weise gepackt und auf den Kopf gestellt , so daß jedweder Krimskrams aus ihren Taschen purzelte . Aber was ist nun diese
Denkweise - in ihrer weltlichen be , in der sie uns in der letzten Hälfte des 20 . Jahrhunderts begegnet ? Die siker würden sie kausal nennen . ter steht die Vorstellung , daß alles , was geschieht , Resultat einer Ursache ist und daß diese Ursache immer in weit zurückliegender Vergangenheit zu chen ist . In eine politische Sprache übertragen , die wir verstehen , ist es die Vorstellung , daß die Menschen zumeist Opfer von Kräften in der Vergangenheit sind , die mächtiger als sie selbst und voller Zusammenhänge sind , die sie nicht durchschauen . Das ist der Grund , weshalb wir Wohlfahrtsstaaten schaffen oder Revolutionen anzetteln , wenn es unmöglich scheint , die Auswirkungen
Nr . 4 , 1994
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