Full text: (1994)

ESSAY 
Verstopfung - und ein frischer Wind 
Die norwegische Literatur leidet an chronischer Verdauungsstörung durch eine Ideologie , die inzwischen beinahe weltweit auf der Mülldeponie der Geschichte gelandet ist - nur eben in Norwegen nicht . Aber es gibt einen Lichtschimmer am Ende des ( Darm - ) Tunnels , 
meint ebenso bissig wie begeistert 
Carsten Jensen 
Lassen Sie mich mit einem nis beginnen : Es gibt etwas am turellen Leben Norwegens , das mich ärgert . Es ist dasselbe , was mich am kulturellen Leben Dänemarks ärgert . Mit anderen Worten , es ist die barkeit , die meinen Ärger schürt . In wegen werden die Dinge einfach so deutlich . In Dänemark ist es hin und wieder möglich , in glücklicher heit darüber zu leben , daß man rechnet dort wohnt . Ich kann mir nicht vorstellen , daß man solche Augenblicke in Norwegen erlebt . 
In Norwegen führt beispielweise alles zu Verstopfung . Was einmal kommen ist , kommt nicht wieder heraus . Aus diesem Grund erscheint die sche Literaturlandschaft so markant , überschaubar und anachronistisch . 
Wohl nirgendwo auf der Welt , China inklusive , hat der Maoismus einen solch großen Eindruck auf die Intellektuellen gemacht wie in Norwegen . Er wurde tisches Credo und existentielle Qual , de Drill und Seelenlamento , und doch war er nichts anderes als ein langatmiger Witz , eine skurrile historische Bagatelle , ohne die geringste Bedeutung , war er nicht mehr als der angestrengte Versuch von Provinzstudenten , der Anpassung an die moderne Großstadt zu entgehen und eine dahinvegetierende Geisteskultur am Leben zu erhalten , deren Wurzeln nur all - 
Carsten Jensen ist Schriftsteller und tiker . Sein Beitrag erschien im Original unter dem Titel „ Forstoppelse og forny - else " in Nordisk Litteratur 1994 . 
zu drollig - offensichtlich in der diffusen ligiösen Vorstellungswelt ihrer ter und - mütter lagen . Damit ist es vorbei , aber in den Generationsromanen , die man in Norwegen mit einer digkeit schreibt , als gelte es , den dienst abzuleisten , wird der ganze Unsinn für alle Zeiten einen monumentalen Platz haben , und der sakrosankte Dag Solstad wird für alle Zeiten sein unzweifelhaftes Talent an immer weitere hochgestochene , schwermütig - selbstironische und noch immer nur halb ehrlichgemeinte Selbstanklagen verschwenden . 
Der Maoismus kam hinein . Aber er kam nie wieder heraus . Er steckt immer noch irgendwo tief im norwegischen tellektuellen Gedärm . 
Und dann die Avantgarde . Nirgendwo sonst auf der Welt - es müßte schon im dänischen Arhus sein - wird jeder noch so winzige Gedankenkrümel eines der vielen geistigen Verführer der nalen Universitätswelt mit so großer und absoluter Voraussagbarkeit in gewehrbehängte Sekten und militärisch befestigte Mittelalterkirchen verwandelt , vollständig ausgestattet mit ten und Kesseln voll siedenden Pechs . Man braucht bloß den Hofberichterstatter aufzuschlagen , die so hoffnungslos stu - dentöse Zeitschrift Vagant , um sogleich dieses Heulen mondsüchtiger Hunde zu hören , die am längst versiegelten Grab rer verblichenen Herrchen wachen , all diese ruhelosen Töne getragen von rie und Verfolgungswahn , die so typisch sind für eine selbsternannte Avantgarde , die insgeheim ahnt , daß sie längst 
holt ist . Das Geräusch von Verstopfung , mit anderen Worten . 
Ende der siebziger Jahre und ein gutes Stück die achtziger hinein war ich der Überzeugung , daß Kjartan Flogstad der Mann mit dem besten Verdauungssystem in der norwegischen Literatur sei . Seine schlechten Witze und sein schelmenhafter Gebrauch des Romans waren ebenso freiend wie sein Gespür dafür , daß gement in Wirklichkeit keinen Fahneneid auf eine bestimmte theoretische Richtung bedeutet , sondern Offenheit für das ganz gewöhnliche Allotria des Lebens . Dann setzte er sich hin und schrieb Kniven pä strupen ( Das Messer an der Kehle ) , voller Galle und knochentrockener lichkeit darüber , daß das Dasein sich nicht nach den Schemata interpretieren läßt , die nun einmal da sind , und ich mußte mit einem Seufzen feststellen , daß ein weiterer Schriftsteller von der gischen Verstopfung befallen war . 
Die norwegische Krankheit par lence ist natürlich , daß existentielle gen immer zu nationalen werden . Die großen Fragen „ Wo kommen wir her ? Wer sind wir ? Wo gehen wir hin ? " den in der norwegischen Literatur zu „ Wo kommen wir Norweger her ? Wer sind wir Norweger ? Wo gehen wir Norweger hin ? " 
Es scheint eine unabänderliche che zu sein , daß ein Norweger nicht auf die Toilette gehen , eine gute Mahlzeit ( eine Rarität in Norwegen ) zu sich men oder mit seiner Frau schlafen kann , ohne daß diese elementaren Handlungen ihn zu weitschweifigen und oft schmerz - 
B 
NORDEUROPA 
forum
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.