BERICHTE &
JUDEN IN SCHLESWIG - HOLSTEIN :
Neues Leben blüht aus den Ruinen
Die Nachricht vom Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge im Frühjahr dieses Jahres ging um die Welt . Fast fünfzig Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Verfolgung ist jüdisches Leben in Schleswig - Holstein heute erst wieder im Werden begriffen .
Gerd Stolz
Obgleich Schleswig - Holstein heute keine eigenen jüdischen schaften mehr hat , beginnt sich jüdisches religiöses und kulturelles Leben auch im nördlichsten Bundesland wieder verstärkt zu regen . Noch ist die Lübecker Synagoge , das einzige jüdische haus in Schleswig - Holstein in dieser Funktion , nicht wieder zum lebendigen Zentrum einer jüdischen Gemeinde worden . In den zwölf Jahren der sozialistischen Gewaltherrschaft wurde auch in Schleswig - Holstein - nach über 250jähriger Geschichte - das jüdische ben nahezu restlos ausgelöscht .
Nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung bekennt sich heute nur eine verschwindend kleine Zahl von schen in Schleswig - Holstein zum schen Glauben . Diese Personen wohnen überwiegend in den an den Stadtstaat Hamburg angrenzenden Randgemeinden und sind Mitglieder der Jüdischen meinde in Hamburg , der einzigen im norddeutschen Raum . In den letzten naten konnte diese auch für Schleswig - Holstein einen Zugewinn verzeichnen - durch jüdische Emigranten aus den GUS - Staaten , vornehmlich aus Rußland , rußland und der Ukraine . Nach dem genannten Königsteiner Schlüssel werden die in Deutschland ankommenden Perso -
Gerd Stolz schreibt zu schleswig - steinischen Themen . Er betreut jüdische Besuchergruppen und lebt in Kiel .
nen auf die einzelnen Bundesländer teilt ; so gelangten bisher auch etwa 550 jüdische Menschen aus Osteuropa nach Schleswig - Holstein .
Nach der einzigen freien Volkszählung zwischen den beiden Weltkriegen lebten 1925 in der damaligen preußischen vinz Schleswig - Holstein einschließlich Lübeck , Altona und Wandsbek 4 . 781 Bürger jüdischen Glaubens . Eigene meinden befanden sich in ( Hamburg - ) tona , Lübeck , Kiel , ( Hamburg - ) bek , Elmshorn , Friedrichstadt , ( Bad ) Segeberg , Rendsburg und Ahrensburg .
Erste jüdische Ansiedlungen und meinden gab es in Schleswig - Holstein gen Ende des sechzehnten , Anfang des siebzehnten Jahrhunderts . In dem ben , dem Land und den Städten den schluß an die wirtschaftliche Entwicklung im übrigen Europa zu verschaffen , ben die dänischen Könige und die gottorf - schen Herzöge um die Juden , gewährten ihnen Privilegien und stellten ihnen „ Schutzbriefe " aus . Sie boten ihnen ben dem Recht auf Niederlassung weitere Vergünstigungen an ; so wurden nach und nach mehr Juden ins Land geholt .
Im Jahre 1630 erhielten portugiesische Juden das Recht auf Ansiedlung in stadt , seit etwa 1640 gibt es Juden in drichstadt , um 1656 fanden mehrere von Kosaken aus Rußland und Polen bene Juden in ( Lübeck - ) Moisling eine Zuflucht , und seit 1692 ist den Juden auch die Ansiedlung in Rendsburg - Neuwerk
stattet . Die Zulassung einzelner milien in mehreren anderen Städten der Herzogtümer Holstein und Schleswig te , doch blieb dem überwiegenden Anteil von ihnen das Bürgerrecht bis in die Mitte des 19 . Jahrhunderts hinein verwehrt - und auch dort , wo sie es erworben hatten , waren sie von der kommunalen kung und Mitbestimmung ausgeschlossen . Zudem gab es zahlreiche gen in bezug auf Handels - und Gewerbe - tätigkeiten : Die Juden waren in den zogtümern Holstein und Schleswig bis in das 19 . Jahrhundert hinein eine heit geringeren Rechts mit zahlreichen kriminierenden Sonderregelungen .
Im Zuge der Aufklärung vollzog sich gegen Mitte des 18 . Jahrhunderts züglich jedoch ein Wandel , und zwar wohl innerhalb der jüdischen schaften selbst als auch innerhalb der christlichen Mehrheitsbevölkerung . Die Juden bemühten sich , ihr „ Anderssein " abzulegen und die Gemeinschaften nach außen zu öffnen . Die rung zeigte sich integrationsbereiter und gestand gleiche Rechte zu .
Der Durchbruch in dieser Entwicklung wurde Mitte des 19 . Jahrhunderts erzielt . 1854 erhielt die jüdische Bevölkerung des Herzogtums Schleswig und 1863 die des Herzogtums Holstein die volle che Gleichberechtigung - und damit auch die Berufs - und Niederlassungsfreiheit . Der Streit in der „ Judenfrage " ließ jedoch auch in jenen Tagen nicht nach .
Mit der Emanzipation und der bung der Niederlassungsverbote setzte eine Landflucht ein . Schon sehr bald verließen zahlreiche Juden ihre bisherigen den und wanderten in Gegenden ab , die im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs - insbesondere nach der Gründung des schen Reiches 1871 - verstärkte Bedeutung erhielten ; verbunden war damit die nung auf sozialen Aufstieg . Von dieser wicklung in Schleswig - Holstein profitierten in ganz besonderem Maße die Städte ( burg - ) Altona , Kiel und Lübeck .
Aber auch das Berufsbild der Juden wandelte sich . Aus den Kleinhändlern und Trödlern des 18 . und 19 . derts wurden größere Kaufleute . Es gab Rechtsanwälte , Ärzte , Dozenten und Bankleute . Die wirtschaftlich ten Gemeinden in Kiel und Lübeck ten ärmere und ältere unbemittelte schen mitversorgen .
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