Sprung nur ein Jahr später mit ihrem nächsten Buch : In Komet - jakten ( Komet im Mumintal ) , dem ersten „ richtigen“ Muminbuch , harmonieren ihr grafisches und erzählerisches Talent erstmalig vollkommen , und es ist ein Vergnügen mitzuerleben , wie sie sich von den traditionellen Fesseln des moralisierenden Schreibens freit hat , und ihre Figuren den Anklängen von Absurdität mit mor , Toleranz und dem gegenseitigen Zugeständnis cher Freiheit begegnen : Unheimliche Vorzeichen deuten auf einen Kometen mit einem langen Schweif hin , der auf die Erde fallen wird . Um Genaueres zu erfahren , macht sich Mumin mit den auf eine gefährliche Reise zur großen Sternwarte in den samen Bergen . Gerade noch rechtzeitig kehren sie zurück , um die anderen zu warnen ; die Katastrophe jedoch bleibt aus , der Komet verfehlt die Erde nur knapp .
Auch die nachfolgenden Bücher haben eine abenteuerliche Rahmenhandlung , bei der Mumin ( oder der Muminvater in jungen Jahren ) auszieht auf der Suche nach sich selbst , um schließlich nach der Konfrontation mit den Gefahren der Welt gereifter ins heimatliche Mumintal zurückzukehren . Allein die Originaltitel künden von spannenden Erlebnissen : ln Trollkarlens halt ( Eine drollige Gesellschaft , 1948 ) findet die Familie den Zylinder eines Zauberers . Muminpappans bravader ( Muminvaters wildbewegte Jugend , 1950 ) wirft ein Licht auf die Erziehung des Vaters . In Far - lig midsommar ( Sturm im Mumintal , 1954 ) überschwemmt eine große Flutkatastrophe das Mumintal , die die Familie reißt und die Kinder auf sich selbst stellt , während die Eltern auf einem vorbeischwimmenden Theater Zuflucht suchen .
Nicht zuletzt die betulichen Übersetzungen führten in land zu voreiligen Interpretationen der Muminbücher als reine Abenteuermärchen in einer heilen Fantasiewelt , in der die Realität gemieden wird , und das Gute siegt . Das Gegenteil ist der Fall : Die scheinbar zeitlosen Geschichten sind in Wahrheit höchst aktuelle soziologische Psychogramme in Zeiten von Weltkrieg , be und der noch nie gekannten Gefahr universeller Zerstörung . Sowohl die lebensbedrohenden Kometen und Flutkatastrophen , als auch der Drang der Muminfamilie , der allzu friedlichen Idylle des Tals durch Abenteuer zu entkommen , sind Metaphern für die durch äußere Umstände bedingte Existenzangst und den len Wahnsinn der Welt gleichermaßen : Durch eine moderne thologie wird der Wirklichkeit durch die Hintertür begegnet .
Die kindlich - naive Muminwelt verändert sich sowohl mit Toves eigener Entwicklung , als auch mit der literarischen Strömung der Postmoderne . Zunehmend findet die Einsicht des Erwachsenen Eingang in ihr Werk , Intuition macht geläuterter Realität Platz . Beim Lesen gewinnt man den Eindruck , sie würde am liebsten , wenn sie es könnte , vor ihrer eigenen Erkenntnis in die Kindheit zurückflüchten . Das Leben , so wird hart und ohne Umschweife eingestanden , ist nur in der Wirklichkeit möglich ; wie sich in Sprache und Bild offenbart , ist beim Übergang von der einen in die andere Welt der Verlust des intuitiven Lebenszaubers meidlich .
Geht es in den ersten Muminbüchern zumeist um den Umgang mit äußeren Bedrohungen , fokussiert sich Trollvinter ( Winter im Mumintal , 1957 ) fast ausschließlich auf die Gefühle und logischen Strukturen eines pubertierenden Jugendlichen in einer durch und durch realen Welt . Als einziger aus dem Winterschlaf aufgewacht , reißen die Ängste der Dunkelheit Mumin aus der Vertrautheit des Tals heraus , in der das allesbeherrschende Weiß
die gewohnten lebendigen Geräusche erstickt . Zum ersten Mal erfährt er die Kälte und die existentielle Furcht vor dem kannten , die er auf sich allein gestellt zu überwinden hat . Nicht alles löst sich ins Gute auf , er muß lernen , mit seinen Ängsten und Unsicherheiten zu leben . Die Reise in sein Unbewußtes reift ihn zum Erwachsenen . Das Ende der Geschichte ist tisch : Als er einen vorwitzigen Krokus unter dem Schnee macht und ihn das Snokfräulein mit einem Glas vor der Kälte der Nacht schützen will , sagt er : „ Laß ihn wachsen wie er will . Ich glaube , es bekommt ihm besser , wenn er ein bißchen Schwierigkeiten hat . “
Unzufrieden mit seinem Leben und auf der Suche nach einer universellen Weltordnung , flieht der Muminvater in Pappan och havet ( völlig falsch übersetzt als Mumins Inselabenteuer , 1965 ) in
dem Irrglauben , das „ eigentliche Leben“ finde außerhalb des Mu - mintals statt , mit seiner Familie auf eine einsame Insel , um dort neu anzufangen . Die Muminmutter , losgelöst von ihrer vertrauten Umgebung , entdeckt ihre künstlerische Seite und verliert sich kommen in der Fantasiewelt ihrer an die Küchenwände gemalten Bilder . Sie hat ihr Glück gefunden . Der Muminvater jedoch muß ernüchtert feststellen , daß man seine Identität nicht durch wechsel oder Abenteuer abzuschütteln und ihr somit zu men vermag , denn sie definiert sich gerade durch die äußeren stände . Selbstfindung ist zugleich Ziel und Mittel und nur dann möglich , wenn man sich in jeder Konsequenz auf das Leben läßt . Die vom Muminvater aufgeworfene Frage nach einer nung der Welt erweist sich als überlebensgroß ; stattdessen ziert er sie auf sein unmittelbares individuelles Leben . Die Erleuchtung darüber , daß die Reise um ebendieser existentialisti - schen Erfahrung willen unternommen wurde , wird im letzten Satz dokumentiert , als der in häufigen vergeblichen Versuchen nicht zu entflammende Leuchtturm schließlich bezwungen wird : „ Das Leuchtfeuer brannte . “
Mit dem letzten Band , Sent i november ( Herbst im Mumintal ) von 1970 verabschiedet sich Tove endgültig vom Mumintal . Da die Familie in diesem Buch nur noch am Rande vorkommt , scheint ihre Referenz wie ein Vorwand , das Buch überhaupt zu schreiben . Ohne die Mumins wirkt das Tal kalt und leer , die schichten sind schlußendlich erwachsen geworden .
Nr . 1 , 1995
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