Full text: (1995)

Sprung nur ein Jahr später mit ihrem nächsten Buch : In Komet - jakten ( Komet im Mumintal ) , dem ersten „ richtigen“ Muminbuch , harmonieren ihr grafisches und erzählerisches Talent erstmalig vollkommen , und es ist ein Vergnügen mitzuerleben , wie sie sich von den traditionellen Fesseln des moralisierenden Schreibens freit hat , und ihre Figuren den Anklängen von Absurdität mit mor , Toleranz und dem gegenseitigen Zugeständnis cher Freiheit begegnen : Unheimliche Vorzeichen deuten auf einen Kometen mit einem langen Schweif hin , der auf die Erde fallen wird . Um Genaueres zu erfahren , macht sich Mumin mit den auf eine gefährliche Reise zur großen Sternwarte in den samen Bergen . Gerade noch rechtzeitig kehren sie zurück , um die anderen zu warnen ; die Katastrophe jedoch bleibt aus , der Komet verfehlt die Erde nur knapp . 
Auch die nachfolgenden Bücher haben eine abenteuerliche Rahmenhandlung , bei der Mumin ( oder der Muminvater in jungen Jahren ) auszieht auf der Suche nach sich selbst , um schließlich nach der Konfrontation mit den Gefahren der Welt gereifter ins heimatliche Mumintal zurückzukehren . Allein die Originaltitel künden von spannenden Erlebnissen : ln Trollkarlens halt ( Eine drollige Gesellschaft , 1948 ) findet die Familie den Zylinder eines Zauberers . Muminpappans bravader ( Muminvaters wildbewegte Jugend , 1950 ) wirft ein Licht auf die Erziehung des Vaters . In Far - lig midsommar ( Sturm im Mumintal , 1954 ) überschwemmt eine große Flutkatastrophe das Mumintal , die die Familie reißt und die Kinder auf sich selbst stellt , während die Eltern auf einem vorbeischwimmenden Theater Zuflucht suchen . 
Nicht zuletzt die betulichen Übersetzungen führten in land zu voreiligen Interpretationen der Muminbücher als reine Abenteuermärchen in einer heilen Fantasiewelt , in der die Realität gemieden wird , und das Gute siegt . Das Gegenteil ist der Fall : Die scheinbar zeitlosen Geschichten sind in Wahrheit höchst aktuelle soziologische Psychogramme in Zeiten von Weltkrieg , be und der noch nie gekannten Gefahr universeller Zerstörung . Sowohl die lebensbedrohenden Kometen und Flutkatastrophen , als auch der Drang der Muminfamilie , der allzu friedlichen Idylle des Tals durch Abenteuer zu entkommen , sind Metaphern für die durch äußere Umstände bedingte Existenzangst und den len Wahnsinn der Welt gleichermaßen : Durch eine moderne thologie wird der Wirklichkeit durch die Hintertür begegnet . 
Die kindlich - naive Muminwelt verändert sich sowohl mit Toves eigener Entwicklung , als auch mit der literarischen Strömung der Postmoderne . Zunehmend findet die Einsicht des Erwachsenen Eingang in ihr Werk , Intuition macht geläuterter Realität Platz . Beim Lesen gewinnt man den Eindruck , sie würde am liebsten , wenn sie es könnte , vor ihrer eigenen Erkenntnis in die Kindheit zurückflüchten . Das Leben , so wird hart und ohne Umschweife eingestanden , ist nur in der Wirklichkeit möglich ; wie sich in Sprache und Bild offenbart , ist beim Übergang von der einen in die andere Welt der Verlust des intuitiven Lebenszaubers meidlich . 
Geht es in den ersten Muminbüchern zumeist um den Umgang mit äußeren Bedrohungen , fokussiert sich Trollvinter ( Winter im Mumintal , 1957 ) fast ausschließlich auf die Gefühle und logischen Strukturen eines pubertierenden Jugendlichen in einer durch und durch realen Welt . Als einziger aus dem Winterschlaf aufgewacht , reißen die Ängste der Dunkelheit Mumin aus der Vertrautheit des Tals heraus , in der das allesbeherrschende Weiß 
die gewohnten lebendigen Geräusche erstickt . Zum ersten Mal erfährt er die Kälte und die existentielle Furcht vor dem kannten , die er auf sich allein gestellt zu überwinden hat . Nicht alles löst sich ins Gute auf , er muß lernen , mit seinen Ängsten und Unsicherheiten zu leben . Die Reise in sein Unbewußtes reift ihn zum Erwachsenen . Das Ende der Geschichte ist tisch : Als er einen vorwitzigen Krokus unter dem Schnee macht und ihn das Snokfräulein mit einem Glas vor der Kälte der Nacht schützen will , sagt er : „ Laß ihn wachsen wie er will . Ich glaube , es bekommt ihm besser , wenn er ein bißchen Schwierigkeiten hat . “ 
Unzufrieden mit seinem Leben und auf der Suche nach einer universellen Weltordnung , flieht der Muminvater in Pappan och havet ( völlig falsch übersetzt als Mumins Inselabenteuer , 1965 ) in 
dem Irrglauben , das „ eigentliche Leben“ finde außerhalb des Mu - mintals statt , mit seiner Familie auf eine einsame Insel , um dort neu anzufangen . Die Muminmutter , losgelöst von ihrer vertrauten Umgebung , entdeckt ihre künstlerische Seite und verliert sich kommen in der Fantasiewelt ihrer an die Küchenwände gemalten Bilder . Sie hat ihr Glück gefunden . Der Muminvater jedoch muß ernüchtert feststellen , daß man seine Identität nicht durch wechsel oder Abenteuer abzuschütteln und ihr somit zu men vermag , denn sie definiert sich gerade durch die äußeren stände . Selbstfindung ist zugleich Ziel und Mittel und nur dann möglich , wenn man sich in jeder Konsequenz auf das Leben läßt . Die vom Muminvater aufgeworfene Frage nach einer nung der Welt erweist sich als überlebensgroß ; stattdessen ziert er sie auf sein unmittelbares individuelles Leben . Die Erleuchtung darüber , daß die Reise um ebendieser existentialisti - schen Erfahrung willen unternommen wurde , wird im letzten Satz dokumentiert , als der in häufigen vergeblichen Versuchen nicht zu entflammende Leuchtturm schließlich bezwungen wird : „ Das Leuchtfeuer brannte . “ 
Mit dem letzten Band , Sent i november ( Herbst im Mumintal ) von 1970 verabschiedet sich Tove endgültig vom Mumintal . Da die Familie in diesem Buch nur noch am Rande vorkommt , scheint ihre Referenz wie ein Vorwand , das Buch überhaupt zu schreiben . Ohne die Mumins wirkt das Tal kalt und leer , die schichten sind schlußendlich erwachsen geworden . 
Nr . 1 , 1995 
29
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.