KOLUMNE
Karl - Ludwig Wetzig :
Islands Bücherscheune
Endlich ist es vollbracht : Nach nicht weniger als 37 Jahren wurde am 1 . Dezember 1994 der seit den fünfziger Jahren gehegte Traum der Isländer verwirklicht , eine eigene Nationalbibliothek zu ten . Der unübersehbare rote Gebäudequader in der Nähe vom Nationalmuseum und Hotel Saga , Islandbe - suchem seit mindestens einem Jahrzehnt ein vertrauter Anblick , wurde endlich seiner Bestimmung übergeben .
Bereits 1957 hatte das isländische Althing den chen Beschluß gefaßt , dermal einst Landes - und Universitätsbibliothek zu einer einzigen bliothek zusammenzulegen . Doch zunächst geschah nichts weiter als was solchen Beschlüssen immer zu folgen scheint : man gründete einen Ausschuß . ser stellte zu Beginn der siebziger Jahre fest , daß sonst noch nichts geschehen war , und so abschiedete das Parlament erneut , was es schon einmal beschlossen hatte ; diesmal mit dem Planziel der feier 1974 .
1978 erfolgte der erste stich , und 1981 goß man die Außenwände . Zehn Jahre später trat eine neue koalition mit dem Versprechen an , das noch immer leerstehende Gebäude innerhalb dreier Jahre in Betrieb zu nehmen . Unter satz aller verfügbaren finanziellen und personellen Mittel des telmillionenvolks konnte sie jetzt zum letztmöglichen Zeitpunkt dieses Versprechen lösen . Zuletzt hatten die Studenten noch eine große Sammel - und Spendenaktion durchgeführt , deln verkauft und Bücherbasare veranstaltet und so noch einmal eine Summe von 700 . 000 Islandkronen ( rund 17 . 000 DM ) für weitere Neuanschaffungen steuert . Hinter vorgehaltener Hand wird natürlich auch von manchem bürokratischen Schildbürgerstreich zählt : So soll ein großzügiger Amerikaner eine spende im Gegenwert eines sechsstelligen Dollarbetrags angeboten haben , doch den Bibliothekaren haben nicht genügend Geldmittel zur Verfügung gestanden , heißt es ,
um die vom Zoll unerbittlich geforderte Mehrwertsteuer bezahlen zu können . Die Spende mußte dankend lehnt werden .
Doch seit dem 1 . Dezember ist das alles vergessen . Die Nation ist stolz und wird ihrem Ruf eines Volkes von Bücherwürmern in so großem Umfang gerecht , daß in Spitzenzeiten schon Besucher zurückgewiesen den mußten , weil keiner der 750 Leseplätze mehr setzt war . Zu weniger stark besuchten Tageszeiten tet die bökhlada ( wörtl . : „ Bücherscheune“ ) ten wirklich ein modernes , angenehmes und vielfältig nutzbares Arbeitsumfeld . Auf 13 . 000 m2 fläche sind die meisten der nun 900 . 000 Bände frei zugänglich aufgestellt . Das Gebäude ist neswegs labyrinthisch , sondern setzt im Innern die klare Gliederung des Äußeren fort , so daß man sich ( auch dank des landeseinheitlichen naturensystems ) auf allen vier benen rasch zurechtfinden kann . Es gibt nicht nur Leseplätze , sondern sogar eine Reihe von Arbeits - und Lesezimmern für zer , die neben diversen zerprogrammen beispielsweise zur Textverarbeitung und dem theksprogramm Liberias ( isl . Geg - nir ) auch über CD - ROM - Stationen und Internet - Anschlüsse verfügen . Eine Mediothek mit lung , Microfichegeräten und pierstelle befindet sich im Aufbau , Gruppenarbeitszimmer , Seminar - und räume geben Gelegenheit zu vielfältiger Nutzung . Eine Cafeteria , in der internationale Tageszeitungen gen , samt anschließender Ausstellungsgalerie runden die Annehmlichkeiten ab . Mit anderen Worten : in der neuen bökhlada kann Arbeiten zum Vergnügen den .
Die Frage ist nur , wie lange das uneingeschränkte Vergnügen anhält . Schon jetzt ist bekannt , daß der willigte Etat im nächsten Jahr nicht ausreichen wird , alle Dienstleistungen im jetzt eingeführten Umfang rechtzuerhalten .
Nr . 1 , 1995
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