INTERVIEW
Die Rätsel des Bösen
Interview mit Lars Gustafsson
NORDEUROPAforum : In Ihren kürzlich erschienenen Memoiren schreiben Sie von Ihrer „ deutschen Seele“ und haupten , Sie würden sich in land besser fühlen als anderswo .
Gustafsson : Vor allem in land . Das klingt schmeichelhaft , es ist aber so . Übrigens hatte ich in Kiel meine erste Lesung , 1964 oder 65 . Damals setzte Hans Magnus Enzensberger mein Gedicht Die Maschinen ins Deutsche und sie wurden in der Reihe Ein Gedicht und sein Autor vorgestellt . Ich meine Deutschland recht gut zu kennen . dem lerne ich immer wieder neue Dinge . Man könnte es als eine Lebensaufgabe betrachten , Deutschland zu studieren . Im Oktober war ich in Leipzig und ich finde , daß es ein völlig anderes Deutschland ist . Nicht deshalb , weil es Ostdeutschland ist . Aber diese ganze Gegend um Leipzig mit den kleinen Dörfern , die sich gegen den Ostwind lehnen ! Wenn man umherreist , merkt man , daß Deutschland unheimlich heterogen ist . Die Idee von einer schen Nation ist eine propagandistische Erfindung . Es gibt keine deutsche Nation . Es besteht ein riesiger Unterschied schen den Leuten am Bodensee und in Schleswig - Holstein .
NORDEUROPAforum : Aber auf Ihrer Reise lesen Sie aus Ihren Roman Die che mit dem Hund . Es geht ja um schiedene Probleme in diesem Buch , die Rezensenten haben auf die lichsten Aspekte reagiert .
Gustafsson : Eigentlich geht es um ein einziges Problem : nämlich um die stenz des Bösen . Aber sicher kann man dies in unterschiedliche Teilprobleme gliedern .
NORDEUROPAforum : Und die person des Romans , Erwin Caldwell , ist Jude .
Gustafsson : Ja , das ist er . Aber ich weiß nicht , ob das so wichtig ist . Warum wollte ich , daß er Jude ist ? Er sollte stark ren , als er entdeckte , daß sein alter Lehrer Jan van de Rouwers , der übrigens stark Paul de Man ähnelt , in seiner Jugend semitische Artikel geschrieben hatte . dem weiß ich nicht , ob die Behandlung des Bösen im Roman besonders jüdisch ist .
NORDEUROPAforum : Genau darum geht es . Caldwells Grübeleien wirken manchmal sehr polytheistisch , die Idee , daß es unterschiedliche Götter gibt , die unterschiedliche moralische Lehren schaffen haben . In Ihren Memoiren schreiben Sie aber : „ Gott ist unteilbar“ .
Gustafsson : Ja , das ist fundamental .
NORDEUROPAforum : Besteht da nicht eine Differenz zwischen dem Juden win Caldwell und dem Juden Lars Gustafsson ?
Gustafsson : Ja sicher , wir sind etwas schieden . Ich bin ja auch kein richter . Nein , Caldwell probiert dene gnostische Alternativen aus , alle möglichen Perspektiven im Hinblick auf das Gute und das Böse . Es gibt ein Buch des englischen Philosophen G . E . Moure , das mich stark beeinflußt hat . Ethics heißt es . Dort wird behauptet , das Gute sei eine objektive Qualität - genauso wie das Böse - und man braucht keinen Gott dafür . Es ist da , und es ist ein objektives Faktum , daß es verwerflich ist , kleine Kinder zu verbrennen . Aber ich wollte natürlich keine philosophische lung schreiben . Ich wollte diese Probleme von einem intelligenten , aber ganz wöhnlichen Menschen diskutieren lassen . Er entdeckt natürlich destruktive Impulse in sich , und darüber grübelt er .
NORDEUROPAforum : 1982 sind Sie zum Judentum konvertiert . Welche
sequenzen hatte dieser Schritt für Ihr persönliches Leben ? Ich denke da an eine Rezension zu Rüdiger Safranskis Heidegger - Biographie . Sie scheinen recht kritisch gegenüber Heidegger zu sein . Hat das vielleicht mit dem schen Glauben zu tun ?
Gustafsson : Nein . Ich finde , man muß nicht Jude sein , um Antisemiten nicht zu mögen . Aber es ist ohnehin eine sehr komplizierte Frage , was zum Teufel es gentlich mit Heidegger auf sich hat . Es ist ganz offensichtlich , daß er vom Nazismus und seinem Amt als Rektor völlig verwirrt war . Aber es gab ja auch Nazis , die schockiert waren . Rosenberg ist ein ches Beispiel . Es gab immer welche , die eine gewisse Distanz bewahrt haben , und das wird bei Safranski sehr deutlich . degger hatte ja auch jüdische Freunde . Ja , daß Juden Antisemiten nicht besonders gern mögen , ist klar . Übrigens glaube ich , daß es sehr unglücklich ist , wenn Juden anfangen , sich negativ zu definieren , als Verfolgte . Jude zu sein ist etwas , auf das man stolz sein soll .
NORDEUROPAforum : Ein anderer
Aspekt in Die Sache mit dem Hund ist die Science Fiction . In einem Gespräch mit Erwin Caldwell sagt die lerin Theresa , daß sich Science - Fiction - Literatur heutzutage nicht mehr so gut verkaufe . Mich interessiert , was Sie über die Genreentwicklung der Science tion denken , zumal Sie ja selbst Science Fiction geschrieben haben . Gibt es eine Zukunft für die Science Fiction ?
Gustafsson : Ja , das glaube ich . Sie ist eine Art Gedankenexperiment , eigentlich die Literaturform , die sich für Philosophie am besten eignet . Sie baut ja auf andere pen als gewöhnliche Literatur . Wells te sich sehr einsam , als er 1901 Die ersten Menschen auf dem Mond herausgab , weil er der erste Science - Fiction - Autor
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