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Diese überfällige Würdigung der Stockholmer U - Bahn ist zusammen mit anderen Beobachtungen des Alltagsabenteuers I . S . in Lennart Hagerfors Buch „ Livet är det som pâgâr medan vi sysslar med annat " ( Das Leben ist das , was geschieht , während wir uns mit anderem beschäftigen ) im Verlag Norstedts , Stockholm , erschienen .
Lennart Hagerfors
Die Stockholmer U - Bahn wird häufig verkannt . Tristheit , dränge , Verwahrlosung , sozialer Abstieg und Gewalt schrecken die schen ab . Vor allem ist es wohl Trägheit , eine Art bleiche und ansteckende schöpfung , aufgrund derer viele lieber durch gelbliche Schadstoffnebelbänke deln oder mit Fahrzeugen , die für schwindigkeiten über 150 meter gebaut sind , im Stau sitzen . Die U - Bahnfahrt ist für viele ein stand , ein notwendiges Übel , etwas bensfernes . Sie ist nicht nur eine routine , sondern verglichen mit der Zugfahrt auch ein Provisorium , eher bewegungsart als Reise . Die dung wird nicht abgelegt , man braucht nicht persönlich zu werden . Der S - Bahn , dieser Zwitterform zwischen Zug und U - Bahn , ist es gelungen , die Essenz des bens in den Vororten , die Welt des So - wohl - als - auch , einzufangen . I . S . kann sich dort nie entscheiden , ob er den tel ausziehen soll oder nicht . Die U - Bahn dagegen hat die Seele der Großstadt , auch wenn sie sich gelegentlich bis zwischen Kornfelder und dichten Forst erstreckt . Sie zeigt ungern ihr Gesicht .
Die U - Bahn ist ein Ort , wo man in Ruhe gelassen wird - oder zumindest den sollte . Deshalb ist ihre Tristheit und Kontaktlosigkeit etwas Positives und kein Mangel . I . S . empfindet dort , umgeben von stillsitzenden Reisenden , die sich nicht nennenswert um ihn kümmern , daß er den Menschen auf respektvolle Weise näher kommt . Er sieht sie , wie sie sind , jenseits der Rollen , die ihnen Heim oder Arbeit zugeschrieben haben . Er gibt nen , und erhält , Augenblicke , kurz bevor
soziale Rollen und innere Gefühlsstürme wieder Besitz von ihnen ergreifen . Nur die Meidung und die Hautfarbe verraten das Leben außerhalb des Wagens . Hier wird paradoxerweise deutlich , daß leute , Einwanderer , Gestrandete , che und Rentner gerade deshalb Individuen sind , weil sie nichts als ihre nung vorzuweisen haben .
In bestimmten Wagen kann Friede schen , wie ihn nicht einmal Kirchen ten . Niemand muß fröhlich sein , niemand muß ein frommes meditatives Gesicht setzen oder überhaupt eine Miene . Das Verhältnis zwischen den Reisenden ist bis auf die Knochen entsorgt . Zudem fehlt eine äußere Landschaft , auf der der Blick ruhen könnte , wie beispielsweise während einer Bus - oder Zugreise . Wer nicht ein Buch oder eine Zeitung liest , ist gen , den Blick auf eine glatte Wandfläche , ein schwarzflimmerndes Fenster oder auf die Kleidung der anderen Passagiere zu heften . Es ist eine Todsünde , jemandem in die Augen zu starren . Das onssystem der U - Bahn hat sich zu einem wunderbar spielartenreichen Muster ger Blicke und scheuen Anschielens wickelt . I . S . bevorzugt persönlich den langsam gleitenden Blick , der das achtete noch eine Sekunde im fen festhält .
Auf der Straße oder in einem Geschäft ist I . S . freudig überrascht , wenn er auf nen Bekannten trifft . Ganz anders in der U - Bahn . Er würde in den Wagen gerne Schilder sehen mit der Aufschrift " Während der Fahrt sind Gespräche mit Mitreisenden strengstens verboten " . Die Wortwechsel in der U - Bahn sind lich , zurechtgestutzt für eine „ breite
fentlichkeit " , und deshalb fast immer interessant . Am schlimmsten sind gen , die um die Aufmerksamkeit der deren buhlen und auf ihre Nachbarn schielen , während sie sich unterhalten .
Die Stille und der provisorische ter der Reise können andererseits dazu führen , daß ein hastiges Lächeln unendlich viel mehr bedeutet als in anderen menhängen . Am Arbeitsplatz , in der pe , auf Festen , beim Tanz , während einer geschäftlichen Unterredung und sogar beim vertraulichen Umgang zwischen Freunden ist das Lächeln voller Berechnung , chenkontexte und Wünsche . In der U - Bahn ist das selten so . Dort lächelt man , weil man einen Schimmer Einvernehmen verspürt , eine augenblickliche Fühlung ohne Vergangenheit oder Zukunft . Aus gleichem Grund kann das plötzliche brüllen eines Mannes so erschreckend ken , so aus gähnendem Nichts gen . Es ist auch nichts so ergreifend wie die leisen Tränen eines Mädchens , nichts so rührend , wie das Geplapper eines Kindes . All dies scheinen I . S . Gefühle und gen zu sein , die , nur aus sich selbst sprungen , gänzlich frei von einem pierenden Zusammenhang sind .
Aber gewiß hat die U - Bahn ihre zeiten , ihre Wetterumschläge und selnden Gesichter . Laut I . S . sollte eine Fahrt am besten wochentags gegen 10 . 30 Uhr genossen werden . Zusammen mit gutmütigen Rentnern , die mit der Fahrt weder Ziel noch Zweck zu verbinden scheinen , und lässigen Gymnasiasten , nen es Wurst ist , zu spät zu kommen , hält die Reise Züge eines sen Erwartens und einer zerstreuten
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