Full text: (1992)

SCHÖNER ESSEN : 
Strapazen und Streicheleinheiten auf Island 
Maria Bonner 
Mein Telefon klingelt : „ Hier ist die Post . " Pause . „ Tjaa . . . Du hast ein Päckchen gekriegt . " lerweise kommt in solchen Fällen eine schriftliche Benachrichtigung . Ich werde mißtrauisch über diesen Sonderservice . „ In dem Päckchen ist Käse , " sagt es am anderen Ende nachdrücklich . Ich kann nen freudigen Ausruf gerade noch drücken , bevor die Stimme vorwurfsvoll fortfährt : „ Der riecht . " Ich möge das Päckchen doch bitte bald abholen . Wenig später bin ich auf dem Postamt . In der Tat , ein dezenter Duft nach Käse hängt im Raum . Für zwei , drei Wochen kann ich nun in meinem privaten Schlaraffenland schwelgen , dann muß ich wieder mit heimischen Produkten Vorlieb nehmen , denn französischer Käse ist in Island auch für Geld nicht zu haben . Meine tin ist darüber sicher nicht unglücklich . Um mir nämlich mein heißersehntes Päckchen aushändigen zu können , war eine Klettertour nötig : Das anrüchige pus delicti baumelte in zwei Plastiktüten gewickelt draußen vorm Oberlicht . nauso verwahrte meine Mutter einst ein Päckchen Trockenfisch , das ich ihr schickt hatte . 
Die echten Spezialitäten eines Landes scheinen sich fern der Heimat in cher Gier nach vertrauten , unerreichbaren Genüssen zu offenbaren . Isländer / innen lassen sich zu Weihnachten gern hangi - kjöt , geräuchertes Lamm , ins Ausland nachschicken , das mild und lich gut sein kann oder auch streng beraubend , je nachdem ob und wieviel 
Hammelmist beim Räuchern im Spiel war . Nicht nur zur Weihnachtszeit men und absolutes Muß zur Cola ist Prince . Ein in Goldpapier gewickelter Quader , der in der Sprache der industrie wohl Waffelspezialität heißt . Diesem aus Polen stammenden Produkt , das nach der Aufhebung des bots für Süßigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg einen Siegeszug durch Island antrat , scheint auch heute noch der sche , fast frivole Beigeschmack der ersten Jahre anzuhaften , denn aufgrund des tatsächlichen Geschmacks allein läßt sich seine Beliebtheit kaum erklären . Prince , mit vollem Namen Prince Polo , ist kein Nahrungs - und erst recht kein tel , sondern Ausdruck eines isländischen Zusammengehörigkeitsgefühls . 
Kein Wunder , daß die Waffel es zu terarischem Ruhm gebracht hat . In Halldór Laxness' „ Seelsorge am scher " nannte der VeBi sie sogar das Wohlstandssymbol der Isländer von heute . Das Island unserer Tage bekennt sich zu den Wohlstandssymbolen der westlichen Industriegesellschaft : Videoläden , Autote - lefon und protzige Prestigebauten . Nur die Edelfreßwelle läßt noch auf sich warten . Es mag ja sein , daß der VeBi recht hat , wenn er behauptet , daß kulinarische scheidenheit der Moral einer Nation ein rühmliches Zeugnis ablege . Aber es ten ja nicht gleich werktags Braten und sonntags gepfefferte Pfauen sein , auch Würzwein wäre nicht unbedingt nötig . Daß aber nach der gesäuerten Blutwurst und dem Walfleisch vieler Jahrhunderte die polnische Schokowaffel bis in die 
tige Zeit der einzige Leckerbissen bleiben sollte , den sich die Nation gönnt , ist schwer verständlich . 
Es wäre sicher falsch zu behaupten , daß man in Island nicht gut essen kann , es wäre ebenso verkehrt zu sagen , daß man in Island gut ißt . Island ist kulinarisches Entwicklungsland . Vorbei sind die Zeiten , wo es winters nur Rüben und Kartoffeln gab , wo man Eier fürs Weihnachtsgebäck hamstern mußte . Man bekommt schen vieles , aber die Geschäfte tun sich schwer mit der rechten Auswahl und sentation frischer Ware . Wen locken schon zwei streichholzdünne gen , die - fein im Plastiktütchen verpackt - so aussehen , als hätten sie seit Wochen auf diese Chance warten müssen , und obendrein noch so viel kosten wie ein Pfund vom nobelsten im deutschen kostladen . 
Die neue isländische Gastronomie ist noch im Experimentierstadium und biniert unbeschwert von klassischen stellungen . Essen im Restaurant bedeutet deshalb nicht selten Strapazen und cheleinheiten für die Geschmacksnerven in raschem Wechsel . Daß Wein kein Betäubungsmittel ist , lernt man langsam . Nicht mehr in allen staatlichen polläden für Alkohol sind die Flaschen wie in Apotheken hinter der Theke vor Käufern sicher . Vielleicht ist das Personal deshalb so wenig in Beratung versiert , weil es seither vor allem darauf aufpassen muß , daß die teure Ware nicht gestohlen wird . Mir erklärte ein Verkäufer , der schied zwischen Sekt und Champagner sei nur der Preis . Sicher vollkommen korrekt aus der Sicht des Geschäftsführers , der laut Gesetz ein Abstinenzler sein muß . 
Schöner essen in Island ? Es wird wohl schon stimmen , was Tumi Jonsen bei ness vermutet : Vielleicht haben gen , die in den Zeitungen schreiben , keine Prinz - Polo - Kekse . . . oder mögen sie nicht , so wie ich . ■ 
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