Full text: (1992)

BERICHTE & ANALYSEN 
Nordisches Institut ctor Universität Kiel 
FINNLAND - 75 JAHRE HÄNGIG 
Gedanken zum 6 . Dezember 1917 
Der finnische Unabhängigkeitstag ist ein leises Jubiläum ; das fällt immer wieder auf , wenn eine runde Zahl des Gedenktages ansteht . 
Robert Schweitzer 
n der Tat : dem 6 . 12 . 1917 fehlt die gleitmusik in der Staatssymbolik Finnlands . Jede Hauptstadt hat ihre Helden , aber die Helden Helsinkis sind nicht die Helden des Unabhängigkeitstages . Auf dem Sockel des Denkmals vor der Domkirche ist nicht 1917 , sondern 1863 eingemeißelt ; obenauf prangt die Statue des russischen Zaren Alexander II . - er hat mit dem keitstag nichts zu tun . Eine Seite des Platzes begrenzt die lange Achse der Unioninkatu , die von der 1809 begründeten Verbindung mit dem russischen Zarenreich ihren men hat - einen Unabhängigkeitsplatz , eine Straße des 6 . Dezember sucht man bens . Wer eine bildliche Darstellung der Unabhängigkeitserklärung sehen will , muß im Museum von Alajärvi nach Nelimarkkas Gemälde suchen . Aber wie in einer bibel in einer mittelalterlichen Kirche kann man auf dem monumentalen Fries des alten Ständehauses die Heiligen des Landtags von Porvoo im März 1809 betrachten . Warum beherrscht nicht das entscheidende Datum die Szene - oder tut es das doch ? 
Ablösung von Rußland 
Rufen wir uns kurz die Fakten in rung , so wird die Frage schnell deutlicher . Anfang 1917 war das Croßfürstentum land ein Teil des Kaiserreichs Rußland . Es hatte eigene Verwaltungsorgane , deren oberstes der Senat war und die unter der Aufsicht eines russischen neurs standen . Es wurde nach besonders für Finnland erlassenen Gesetzen verwaltet ; ein spezieller Finnlandminister trug die genheiten des Landes dem Zaren vor , die russischen Fachministerien waren für lands Angelegenheiten nur befaßt , soweit 
Interessen des Gesamtreiches oder lands betroffen waren . Mit diesem ment des Gesamtreichsinteresses hatte land 1899 - 1905 und wieder ab 1910 die Selbstverwaltung des Landes an die kurze Leine genommen , sogenannte ge Gesetze ohne Zustimmung des schen Landtags durch die russische Duma gebracht und Russen zu Senatoren in land gemacht . Die finnische Seite hatte dies für verfassungswidrig gehalten und die Rückkehr zu dem bis 1910 mit kurzen terbrechungen ein Jahrhundert lang bräuchlichen System gefordert , daß ze für Finnland nur vom Zaren gemeinsam mit finnischen Stellen zu verabschieden en und daß die finnischen Beamten bis auf zu den Senatoren sowie der staatssekretär in St . Petersburg geborene Finnen sein müßten . Nach der lution 191 7 erkannte die russische sche Regierung diese Forderungen an . Bald jedoch trat der Zar zurück und Rußland wurde Republik . In dieser Situation ten die Sozialisten , die im finnischen tag die Mehrheit hatten , daß sich das ment souverän erklären und die höchste Gewalt im Lande in die Hand nehmen te . Die provisorische Regierung konterte mit dem Hinweis , einer solch weitreichenden Entscheidung könne nur die russische fassungsgebende Versammlung zustimmen , und beschloß die Auflösung des finnischen Landtags . Im Senat stimmte die bürgerliche Fraktion für die Veröffentlichung dieses schlusses und bediente sich des russischen Generalgouverneurs als Mehrheitsbeschaf - fer . Sie erreichte mit russischer Hilfe ihr Ziel , durch Neuwahlen wieder eine bürgerliche Parlamentsmehrheit zu erhalten . Dieser aber stand nun nach der sozialistischen toberrevolution in Rußland eine rung als Partner in Petrograd gegenüber . Jetzt waren es die Bürgerlichen , die die lösung von Rußland vollzogen . Mit einer recht knappen Mehrheit von 100 : 88 te der Landtag am 6 . Dezember der ge zu , und die Regierung unter Pehr Evind Svinhufvud erreichte die Anerkennung der Unabhängigkeit nicht nur von den mächten und Deutschland , sondern auch - schon Silvester 1917 - von Lenins gierung . Einen Monat später stand das Land im Bürgerkrieg , und die Bolschewiki in Petrograd unterstützten die Roten in ki , die die Unabhängigkeitsfrage nehmlich mit ihnen hatten klären wollen . Deshalb hat man sie als Gegner der 
hängigkeit bezeichnet und den Bürgerkrieg jahrzehntelang als Freiheitskampf Finnlands ausgegeben . 
Wahrlich ein Hin und Her , viel Taktik und Tauziehen , kein leuchtendes Aufstehen nes einigen Volkes für seine Souveränität . . . Es gibt auch keine positive literarische staltung dieser Ereignisse von bleibendem Wert - das patriotische Epos der Finnen sind weiter „ Fähnrichs Stahls Erzählungen " von Runeberg , und wieder werden wir auf das ominöse Jahr 1809 geführt ! 
Die Verfassung von 1772 
Form und Begründung der keitserklärung führen auf ein noch viel res Datum : Die Regierung stellte fest , daß der Fall des § 38 der schwedischen rungsform von 1772 eingetreten sei . Man staune : Weil die Verfassung Schwedens von 1 772 vorschrieb , daß ein Regentschaftsrat zu bilden sei , wenn der König an der bung der Herrschaft gehindert wäre , mußte für Finnland eine Regentschaft gebildet werden , wenn der Zar und die sche Regierung Rußlands abgesetzt waren ! Es müssen wahrlich schon eine Menge nahmen gemacht werden , damit dies nicht völlig widersinnig ist : 
1 . Schwedens Verfassung von 1 772 galt 191 7 für Finnland noch . 
2 . Der Zar hatte in Finnland nur die Rechte des Königs von Schweden , und auch nur als Zar , so daß jede andere Regierung Rußlands in diese Rechte nicht eintreten konnte . 
3 . Er hatte aber andererseits die Rechte des Königs so , als ob Finnland Schweden wäre - sonst hätte ja die Regentschaft in Petrograd oder in Stockholm gebildet werden müssen . 
4 . Finnland hatte ein Recht darauf , daß die schwedische Verfassung in ihrem ganzen Umfang , wie für einen souveränen Staat , aber nur auf das Großfürstentum schränkt , galt , denn sonst hätte Finnland ja Schweden zurückgegeben werden müssen . 
Wenn das aber alles zutraf , dann taten die Landtagsmänner von 1917 überhaupt nichts Revolutionäres , sondern sie erfüllten nur ein Verfassungsgebot . Finnland war ein Staat , dem der verfassungsmäßige scher verlorengegangen war , und der nun aus eigenem Recht das vollzog , was für sen Fall vorgesehen war . Unser Jubiläum ist 
Nr . 4 , 1992 
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