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Italienische Reiseskizzen .
Von Oberlehrer Albert Maier .
I .
Frühlingsstimmungen in Venedig .
Der FrUhling wagte sich in der österreichischen Kaiserstadt eben hervor , schwach und mild , als ich sie verließ , um nach dem Süden zu gehen .
Das Ziel war Venedig . Die Dampfmaschine bohrte sich in die Alpen ein . Schneestürme lösten sich von den Hängen und Bergen los , und die Rader sangen einsam und eintönig .
Am folgenden Tage war das Massiv der Alpen durchbrochen , es ging abwärts der Adria zu . Schon hob sich das Gemüt und suchte das Dumpfe und Schwere des Nordens von sich abzuschütteln ; erfrischend wehte die Hoffnung vom blauen Meer herauf , und ich spürte den erlösenden Hauch Italiens , des Großen und Ewigen .
Endlich am Ziele ! Ich höre den Namen , der fast Symbol ist und durch die Narkose seines Klanges ahnungsvollen Schauer loslöst — Venedig !
Die Braut der Adria hatte sich in den Schleier der Nacht gehüllt , und die Sterne , die von ihrem dunkeln Gewände aufleuchteten , ließen eine Schönheit ahnen , die nur im Lande der Wunder geschaut wird Wie ein Abenteurer , der nächtlich iiuf verbotenen Liebespfaden wandelt , glitt ich auf einsamer Gondel durch die stillen , mondbeglänzten Kanäle , mitten zwischen finster aufragenden Palästen , von denen die ganze aristokratische Vergangenheit der Stadt mit ihrem Ernst und ihrer Würde auf mich herabschaute . Selbst das Wasser hatte einen Zug vergangener Größe ; in stummer Ehrfurcht sank es von den Schaufeln der Ruder ins Meer zurück . — Es schlug 11 Uhr auf dem Turme von San Marco , als ich am Landungssteg meines Hotels ankam .
Es war ein eigenartiges Ding , das mich in seine Obhut nahm : ein Stück eines alten grandiosen Palastes , der in eine Reihe moderner Geschäfte alltäglichsten Bedürfnisses aufgeteilt war . Es war so das Kleine neben das Große , das Krämerhafte neben das Vornehme getreten Die Schlafkammer mit einer Aussicht auf einen engen , schmutzigen Kanal war dumpf und niedrig , der Boden mit Steinfliesen bedeckt , die Möbel waren abgenützt wie in einer Gesindestube . Als ich aber am Morgen in das Frühstückszimmer trat , stand ich überrascht in dem Thronsaal eines Fürsten und hatte den unmittelbaren vollen Blick auf den imposanten Platz von San Marco .
Die Sonne war in königlicher Pracht Uber Venedig aufgegangen . Ich folgte dem verführerischen Zug des lichterfüllten Morgens und trat hinaus auf den weiten Platz und fühlte das Freie dieser Stunde . Es war das erste volle Frühlingslicht , das mich traf . So empfand ich das Wohlig - Frische dieses Eindrucks doppelt stark . Aber ich sah auch , wie unter den Strahlen der Sonne der Glanz der alten Tage sich neu belebte und auferstand und sich mit dem frohen Flimmern des Himmels unmittelbar vor meinem Horizonte vermählte , wie das Heiter - Graziöse der Frühlingslandschaft sich hier mit dem hoheitsvollen Zug großer Geschichte , der tigen Tragik Desdemonas zu einer unnennbaren Harmonie vermischte , zum Rhythmus eines Chorals , der mit den Dissonanzen an sich hält und nachdenklich und doch beruhigend an uns vorübergeht . Und hatten sich nicht ebendieselben Töne im gegenüberliegenden San Marco in Stein und Erz umgewandelt ? Klangen sie nicht wie ein Märchen aus den bunten Steinen und den unendlichen Stilformen wider , die die gewandten Venezianer aus aller Welt hierhergetragen und kühn vorwärts dringend zu einer wunderbaren Einheit verschmolzen hatten , aus den Karfreitagshymnen der Priester und — den blitzenden Lichtern , die von den Zinnen des Daches ein misches Allegro in die neue Welt hinaussangen ?
Und als ich am Palazzo ducale vorbei zum Canale grande ging , begann die Melodie des Einfach - Schönen von neuem ; bloß die Tonlage war geändert , die Spannkraft der Fugen war vergrößert , Meister Frühling griff höher und tiefer : wie lustig , kurzlebig - hell und intim lachten die Wellen im blinkenden Himmelslicht , als ob sie Nixen und Fischer zum Stelldichein bäten , und wie ernst und gedankentief schauten die greisen , bedeckten Häupter der Alpen in dieses Treiben hinab ! Da überkam mich eine jähe Lust , dem beweglichen Elemente mich anzuvertrauen , mich von ihm ins Weite hinaustragen , von seinem schönen Leichtsinn mich führen zu lassen .