Full text: Andersens Märchen

307 
ihm noch so sehr verschließe, mir doch in das Herz hineinstrahlt! Aber 
ich werde dich nicht in deinem Grabe kränken, Mutter, ich werde nicht 
dem Gelübde des Vaters untreu werden, ich will die christliche Bibel 
nicht lesen! — Hab' ich doch den Gott meiner Väter, zu ihm will ich 
halten!“ 
Jahre verstrichen von neuem. 
Der Dienstherr starb. Die Witwe geriet in dürftige Umstände. Das 
Dienstmädchen sollte entlassen werden. Aber Sarah verließ das Haus 
nicht, sie ward die Stütze in der Not, sie hielt das Ganze zusammen, 
arbeitete bis in die Nacht hinein, schaffte das tägliche Brot durch ihrer 
Hände Fleiß; denn kein Anverwandter stand der Familie zur Seite, und 
die Witwe wurde von Tage zu Tage schwächer, blieb monatelang ans 
Krankonlager gefesselt. Sarah arbeitete, saß auch pflegend und wachend 
an der Kranken Bette; sie war mild und fromm, ein Engel des Segens 
in dem ärmlichen Hause. 
„Dort auf dem Tische liegt die Bibel“, sprach die Kranke zu Sarah, 
„lies mir ein wenig daraus vor, die Vacht wird mir so lang, so lang, 
mein Herz dürstet nach dem Worte Gottes!“ 
Und Sarah beugte ihr Haupt. Sie griff nach dem Buche, sie faltete 
beide Hände um die Bibel der Christen, schlug sie auf und las der 
Kranken vor; Thränen traten ihr dabei oft in die Augen, aber diese 
leuchteten und strahlten, und in ihrem Herzen wurde es Licht. „Mutter“, 
sprach sie leise, „dein Kind darf nicht die Taufe der Christen empfangen, 
nicht in der Gemeinde aufgenommen werden, — du hast es so gewollt 
und ich werde deinen Willen ehren, wir sind darüber einig hier auf 
Erden; aber über diese Erde hinaus, jenseits ist die Einigkeit eine höhere, 
in Gott: er geleitet und führt uns über den Tod hinaus! Er steigt zur 
Erde herab, und wenn er sie hat schmachten lassen, überschüttet er sie 
mit Fruchtbarkeit, ich verstehe es! — Ich weiß selbst nicht, wie ich ver⸗ 
stehen lernte! — doch, es ist durch ihn, durch Christus!“ 20*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.