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der Straße, die er suchte; sie blickte ihn aber schüchtern an und weinte
heftig. Nun fragte er sie, was ihr fehle, sie gab jedoch eine ihm
unverständliche Antwort; aber indem sie die Straße entlang schritten
und sich beide unter einer Laterne befanden, deren Schein dem Mädchen
gerade ins Gesicht fiel, wurde ihm wunderbar zu Mute, denn es war
leibhaftig Christinchen, welches vor ihm stand, ganz wie er sich ihrer
aus der Kindheit erinnerte.
Er trat mit dem kleinen Mädchen in das ärmliche Haus, stieg
die enge, wacklige Treppe hinauf, welche zu einer kleinen schrägen
Kammer hoch oben unter dem Dache führte. Drinnen war die Cuft
schwer und fast erstickend, kein Licht brannte, in einem Winkel seufzte
und atmete es schwer auf. Ib machte Licht mit Hilfe eines Streich⸗
hölzchens. Es war die Mutter des Kindes, welche seufzend auf dem
ärmlichen Lager ruhte.
„Kann ich euch mit etwas unterstützen?“ fragte Ib. „Die Kleine
hat mich heraufgeführt, allein ich bin fremd in der Stadt. Sind hier
keine Nachbarn oder sonst jemand, den ich rufen könnte?“ Er richtete
den Kopf der Kranken auf und schob ihr das Kissen zurecht.
Es war Christinchen von der Heide.
Seit Jahren war drüben ihr Name nicht genannt, das würde
den stillen Sinn unseres Ib gestört haben, und was das Gerücht und
die Wahrheit erzählte, war auch nichts Gutes: das viele Geld, welches
ihr Mann von seinen Eltern geerbt, hatte ihn beirrt und übermütig
gemacht; er hatte seine feste Stellung aufgegeben, war ein halbes
Jahr in fremden Ländern umhergereist und hatte, zurückgekehrt,
Schulden gemacht und doch auf großem Fuße gelebt; der Wagen
neigte sich immer mehr und mehr, und zuletzt schlug er um. Die
vielen lustigen Freunde und Tischgenossen sagten von ihm, er habe es
so verdient, er habe ja wie ein Toller gewirtschaftet! — Eines Morgens
habe man seine Leiche im Ranal gefunden.
Christinchen trug schon den Tod im Herzen; ihr jüngstes Kind,
nur wenige Wochen alt, in Wohlstand getragen, in Elend geboren,
lag bereits im Grabe, und jetzt war es so weit mit Christinchen selbst
gekommen, daß sie totkrank, verlassen in einer elenden Kammer lag,
so dürftig, wie sie es in ihren jüngern Jahren wohl hätte verschmerzen
können, jetzt aber, besser gewöhnt, recht schmerzlich empfand. Es war