Full text: Andersens Märchen

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Die Schildwache, die von ihrem Posten abgelöst wird, kennt doch 
wenigstens ihren Nachfolger und darf ihm einige Worte zuflüstern: 
die Laterne kannte den ihrigen nicht, und sie hätte ihm doch einige 
nützliche Winke in Bezug auf Regen und Nebel geben, ihn in Kenntnis 
setzen können, wie weit die Strahlen des Mondes das Trottoir berührten, 
von welcher Seite der Wind gewöhnlich blase und anderes mehr. 
Auf der Rinnsteinbrücke standen drei Personen, die sich der CLaterne 
vorstellen wollten, weil sie glaubten, daß diese selbst das Amt zu ver— 
geben habe. Die erste Person war ein Heringskopf, der im Finstern 
auch leuchten konnte. Er meinte, es sei eine große Olersparnis, wenn 
er auf den Pfahl gesteckt würde. Nummer Zwei war ein Stück faules 
Holz, welches auch schimmert. Es sei, meinte es, aus einem alten 
Stamm, einst die Zierde des Waldes, entsprossen. Die dritte Person 
war ein Johanniswürmchen; woher dieses gekommen sei, begriff die 
Caterne nicht, da war es aber, und leuchten konnte es auch. Das 
faule Holz und der Heringskopf schwuren jedoch bei allem, was ihnen 
heilig, daß das Johanniswürmchen nur zu bestimmten Seiten leuchte 
und daher nicht in Betracht kommen könne. 
Die alte LCaterne erklärte, daß keins von ihnen genügend leuchte, 
um den Posten einer Straßenlaterne zu bekleiden; das glaubte aber 
keines von ihnen. Als sie daher hörten, daß die Laterne nicht selbst 
das Amt zu vergeben habe, meinten sie, daß dies sehr erfreulich sei; 
sie wäre auch viel zu hinfällig, um diese Wahl treffen zu können. 
In demselben Augenblicke kam der Wind von der Straßenecke 
daher gesaust und fuhr durch die Cuftlöcher der alten Laterne. „Was 
muß ich hören!“ fragte er. „Du willst morgen fort? Ich treffe dich 
heute zum letztenmale? Da muß ich dir noch etwas zum Abschied 
bescheren; ich blase jetzt so in deinen Hirnkasten hinein, daß du künftig 
dich nicht allein alles Geschehenen und Gehörten wirst entsinnen können, 
sondern so hell soll es in deinem Innern werden, daß du alles, wo⸗ 
von in deiner Gegenwart gelesen oder erzählt wird, sehen kannst.“ 
„Ach, das ist wahrlich viel, sehr viel!“ sagte die alte Laterne. 
„Ich danke dir herzlichl Wenn ich nur nicht umgegossen werde!“ 
„Das geschieht sobald nicht!“ sagte der Wind. „Jetzt blase ich 
dir das Gedächtnis ein; wenn du mehrere derartige Geschenke erhältst, 
da kannst du immer noch deine alten Tage recht vergnügt zubringen.“
	        
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