212 Die Blumen der kleinen Ida.
„Es weiß eigentlich Niemand so recht darum,“ sagte der Stu—
dent. „Zuweilen kommt freilich in der Nacht der alte Schloßver—
walter, welcher dort draußen aufpassen soll; er hat ein großes Bund
Schlüssel bei sich; aber sobald die Blumen die Schlüssel rasseln hören,
sind sie ganz stille, verstecken sich hinter den langen Gardinen und
stecken den Kopf hervor. „„Ich rieche, daß Blumen hier sind,““
sagt der alte Schloßverwalter, aber er kann sie nicht sehen.“
„Das ist herrlich!“ sagte die kleine Ida und klatschte in die
Hände. „Aber würde ich die Blumen auch nicht sehen können?“
„Ja,“ sagte der Student, „denke nur daran, wenn Du wieder
hinauskommst, daß Du in das Fenster siehst: so wirst Du sie schon
gewahr werden. Das that ich heute; da lag eine lange gelbe Lilie
auf dem Sopha und streckte sich: das war eine Hofdame.“
„Können auch die Blumen aus dem botanischen Garten dahin
kommen? Können sie den weiten Weg machen?“
„Ja gewiß,“ sagte der Student; „wenn sie wollen, so können
sie fliegen. Hast Du nicht die schönen Schmetterlinge gesehen, die
rothen, gelben und weißen. Sie sehen fast aus wie Blumen:
das sind sie auch gewesen. Sie sind vom Stengel ab hoch in die
Luft geflogen und haben da mit den Blättern geschlagen, als wenn
es kleine Flügel wären, und da flogen sie. Und da sie sich gut auf—
führten, bekamen sie die Erlaubniß, auch bei Tage herumzufliegen
und brauchten nicht zu Hause und still auf dem Stiel zu sitzen; und
so wurden die Blätter am Ende zu wirklichen Flügeln. Das hast
Du ja selbst gesehen. Es kann übrigens sein, daß die Blumen im
botanischen Garten noch nie im Schlosse des Königs gewesen sind
oder nicht wissen, daß es dort des Nachts so munter hergeht. Des—
halb will ich Dir etwas sagen: er wird recht erstaunen, der botanische
Professor, der hier nebenan wohnt, Du kennst ihn ja wohl? Wenn
Du in seinen Garten kommst, mußt Du einer der Blumen erzählen,
daß draußen auf dem Schlosse großer Ball sei, dann sagt sie es allen