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zu Gott, bleibt durch die Jahrhunderte sich stets gleich, das Leben
jedoch oder die Lebensweise andert sich. — Wie man nicht mit Kierke⸗
gaard das Kulturleben mit dem Leben der Christen in Widerspruch
bringen darf, so darf man auch Vernunft und Glauben nicht als un⸗
versöhnliche Gegensätze hinstellen. Darum ist das Kierkegaardsche
Parador zu verwerfen, weil es verlangt, daß man das Unmögliche
glauben solle. N. mildert nun die Lehre vom Parador dahin, daß
wir Menschen nicht das Unmögliche, wohl aber das Unwahr—
scheinliche glauben. Die Glaubensgegenstände sind nicht paradorx,
sondern mirakulös. An die Stelle des Parador tritt für ihn das Mir a—
kel. Wir kommen in den Schlußbemerkungen auf diese Abschwächung zurück.
Endlich noch einige Worte über die Schriften, die N. in
den letzten Jahren herausgegeben hat. 1878 erschien sein letztes
größeres Werk, die Natur philosophiie. N. machte sich nun an die Aus⸗
arbeitung der Psychologie, die er in drei Teile teilen wollte, in die
physiologische, rationelle und religiöse Psychologie. Den ersten Teil
und die erste Hälfte des zweiten Teils stellte er fertig und schickte sie
an seinen Verleger. Dieser antwortete aber: Es sei nun einmal Tat—
sache, daß solche großen wissenschaftlichen Werke in Dänemark nicht
gekauft würden. Er wolle darum das Buch nicht in Verlag nehmen,
wohl aber seine populären Vorträge gut honorieren. Die Psychologie
wurde auch nicht gedruckt und blieb unvollendet. Der Anfang des
Manuskripts liegt bei N.s ungedruckten Papieren in der Kgl. Biblio⸗
thek zu Kopenhagen. Ebenso unterblieb die Ausarbeitung der Ethik,
Aesthetik und Geschichtsphilosophie. Er hielt aber jedes Jahr gut besuchte
und gut bezahlte populäre Vorträge, die auch im Druck erschienen.
Sie bringen im ganzen nicht viel neue Gedanken, sind jedoch in ihrer
Art sehr interessant.
N.s Schüler haben es lebhaft bedauert, daß ihr Lehrer aufhörte,
sein Gedankengebäude weiter auszubauen, und dafür seine Hauptkraft
auf die populären Vorträge verwendete. Doch haben jene Vorträge
den Vorteil gebracht, daß N. sich gewöhnte, einfacher zu schreiben.
Die letzten Schriften sind viel leichter verständlich als die Bücher der
früheren Zeit, besonders als die schwer geschriebene Logik der Grund⸗
ideen. N. arbeitete seine Gedanken in den letzten Jahren immer schär⸗
fer heraus. Am klarsten treten sie in der „Wissenschafts—
lehre“ 1880 hervor und vor allem in den schon erwähnten
„Philosophischen Grundproblemen“ 1879, zu denen
wir jetzt im zweiten Teil unserer Arbeit übergehen