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Endlich waren Martensen wie auch die mittelalterlichen Theologen
mit der Behauptung aufgetreten, die T heologie sei Königin unter den
Wissenschaften. Und ihr muß man am ehesten eine Ausnahmestellung
zugestehen, denn sie beschäftigt sich mit dem Höchsten, was der Mensch
kennt. Sie kann absolut richtige Aussagen über Gott und die trans—
zendenten Dinge machen, weil sie ihr durch die Offenbarung gegeben
sind. Von vorne herein hat sie das in vollem Besitz, wonach die andern
Wissenschaften streben und sich sehnen, ohne es jemals voll zu erreichen:
nämlich die einheitliche Auffassiung der Welt aus einem Prinzip.
Wäre die Theologie eine Wissenschaft, so wäre sie die Zentralwissen⸗
schaft. Wir haben aber soeben gesehen, daß sie überhaupt keine
Wissenschaft ist.
Also hat keine Wissenschaft einen Vorrang vor einer andern, und
dennoch nimmt die Philosophie eine besondere Stellung ein. Das hat
der Kantianismus übersehen. N. läßt in der Philos. Prop. pg. 85f
einen Kantianer Apelt, nach seinem Buch „Die Theorie der Induktion“
zu Worte kommen. Hier wird jeder Wissenschaft schematisch ihr Gebiet
abgesteckt. Es gibt empirische, mathematische und philosophische Wissen⸗
schaften, streng von einander geschieden. Die Erkenntnig in den empi⸗
rischen Wissenschaften ist zufällig und anschaulich, in den mathematischen
anschaulich und notwendig, in den philosophischen notwendig aber nicht.
anschaulich. „Die abgrenzende Kritik will die Philosophie auf eine
eigene Rubrik einschränken und meint im ganzen durch Schemata und
Rubriken zu helfen.“ Kant hat Hegel gegenüber darin Recht, daß er
die Selbständigkeit der Einzelwissenschaften betont. Aber er kommt
nicht zu einer Gesamtauffassung wie Hegel und Martensen.
Diese Gesamtauffassung zu geben, ist die Aufgabe der
Philosophie. Doch kann sie nicht die Objekte hervorbringen, wie
Degel meint, sondern sie sind ihr gegeben durch die Erfahrung und
zwar in den Fachwissenschaften. Die Philosophie greift die Resultate
der Fachwissenschaften auf und sucht sie in dialektische Strömung zu
bringen und so die Einheit der Fachwissenschaften darzustellen.
Sie ist darum die „Wissenschaft der Wissenschaften“. Aber man wird
einwenden: Hat die Philosophie nicht dennoch einen Vorrang? Ist
nicht doch Gefahr vorhanden, daß sie, um eine Einheit zu finden, die
Tatsachen, mit denen sie nicht fertig werden kann, als nebensächlich
beiseite schiebt? N. antwortet darauf, daß die Philosophie freilich
den ihr von den Wissenschaften gegebenen Stoff „kritisch“ aufnehmen
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