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VII. Tierkult.
ihre Tötung — die Ermordung des noch heute in slawischen Ge—
genden gehüteten Hausgeistes — galt als schweres Unrecht.
Später trat die Kröte an die Stelle der Schlange. Beide tragen
eine Krone als Zeichen ihrer königlichen Würde. Das gefürch—
tete Reptil lebte, so glaubte man, in einem geordneten Staats—
verbande. Die indische Sage hat uns die Namen einer ganzen
Reihe von Schlangenkönigen aufbewahrt. In hohem Grade zeich—
net der Aberglaube das gefürchtete Tier mit Weisheit aus. Die
Erzählung von dem Sündenfall ist ein deutlicher Beleg dafür.
Aber auch die deutsche Sage läßt Schlangen die Zukunft pro—
phezeien und den Genuß der weißen Abart mit magischer Gabe
belohnt werden. Wie alle das Erdreich bewohnenden Tiere, galt
auch dies Reptil als Besitzer ungeheuerer Schätze, auf denen es
sich lagert, die es behütet. Am eigenartigsten aber ist das brü—
derliche Verhältnis, in das der Mensch sich zu jenem Tiere,
wenigstens zu seinen ungiftigen Arten, setzen zu lernen verstan—
den hat. Noch heute sollen, wie man sagt, Schlangen oder Un—
ken zu einsamen Kindern in Häuser kommen und mit ihnen aus
einer Schüssel Milch trinken. Die Kinder in der Wiege werden
von Schlangen bewacht. Die Hauskröte, das alte Substitut der
Schlange, wird Muhme d. h. Mütterchen genannt, wohnt im
Hauskeller und hält, ganz wie ein gütiger Hauskobold, durch
ihren Einfluß die hier verwahrten Lebensmittel in einem ge—
deihlichen Zustande. Dadurch kommt Wohlstand in das Haus,
und das Tier heißt dann Schatzkröte. Sie soll ihre Farbe
verändern, so oft der Familie eine Veränderung bevorsteht. Be—
sonders markant ist es, daß der Geruch von sauerer Milch Fylg⸗
jen geruch heißt, d. h. ein Geruch, der die kylgjur, die Haus—
schlange, anzieht; wenn sich ein solcher im Hause verbreitet, so
erwartet man einen Gast, oder es bedeutet, daß sich unter dem
Hause eine Schlange aufhält, oder man nennt ihn Teufels—
geruch. Schließlich sei noch eines Märchens gedacht, das deshalb
besonders interessant ist, weil die in ihm erscheinende Schlange
ein deutliches Bild der menschlichen Seele ist, die sich in dem
Leibe der werdenden Mutter ihre Wohnung sucht und erst mit
dem Verfall des Leibes diesen verläßt. Das Märchen berichtet
nämlich von einer jungen Frau, in deren offenen Mund eine
Schlange kroch. Als die Frau des Kindes genas, lag diesem die
Schlange fest um den Hals. Sie wich nicht von des Kindes
Seite, blieb bei ihm im Bette und fraß aus seiner Schüssel, ohne