Full text: Germanische Mythologie

—18 VI. Naturdienst. Depossedierte Gottheiten. 
VI. Naturdienst. Depossedierte Gottheiten. 
Die Eberesche ist der höchste Laubbaum des Nordens, die ein— 
zige Pflanze, die selbst in Island beträchtliche Höhe erreicht. Ein 
Baum, der berufen war, die ganze, dreigeteilte Welt zu umfassen, 
konnte nach nordischer Vorstellung deshalb keiner anderen Gat— 
tung angehören. So steht die Weltesche vor uns da (s. oben S. 13f.). 
Wenn wir eine Erklärung dieses merkwürdigen mythischen Ge— 
bildes versuchen wollen, so müssen wir zunächst, unseren Vorgän— 
gern folgend, darauf hinweisen, daß der von uns berührte Baum— 
kultus des germanischen Nordens bisweilen eine Form annahm, 
die zu der Vorstellung der Yggdrasil-Esche führen konnte. Schon 
im 9. Jahrhundert kann man eine heilige Esche als Grenzzeichen 
nachweisen. Die berühmte Irmensul war ein von den heidnischen 
Sachsen verehrter, hoher Baumstamm. Dem Tempel zu Upsala 
gehörte ein immergrüner, über einem Quell ragender Baum an. 
Immergrün, heilig, unermeßlich groß ist ja auch der Welten— 
baum. Die Baumverehrung ist seit ältester Zeit z. B. dei den Lon— 
gobarden bezeugt. Die Anbetung von Teufeln und Dämonen an 
Bäumen und in Hainen wird schon bei Karl dem Großen ver— 
boten, und dies Verbot später wiederholt. überall, wo man 
Bäume schmückt, ziert, mit Gaben behängt, spielt der Baumkul— 
tus eine Rolle dabei. Bäume, neben Häusern gepflanzt, wurden 
als Paralleldinge zu der anwohnenden Familie Blühen, Wachsen 
und Dahinsterben gehegt. Die Heiligkeit der Eberesche als be— 
borzugten Baumes erhellt aus vielen Gebräuchen bis in die mo— 
dernste Zeit. Mit einem Zweige dieses Baumes schlägt man den 
Teufel der Kurischen Nehrung, um ihn sofort zu verjagen. Als 
die große Pest über jene Gegenden schritt, trug man einen früchte— 
geschmückten Zweig desselben Baumes dreimal um die gefährde— 
ten Dörfer, um sie vor Krankheit zu bewahren. Die Sage vom 
Weltbaum kann aber ihrem Kern nach auch einer anderen Idee 
entsprossen sein: sie soll die Frage beantworten, auf welschem 
Grunde die dreigeteilte Welt ruht. Dahingehende Spekulati— 
onen finden sich bei allen Völkern. Wo hohe Gebirge den Hori— 
zont umschlossen, schienen sie das Himmelsgewölbe zu tragen; 
viele Stämme übertrugen Riesen die gleiche Aufgabe. Nur 
diejenigen Länder, deren Kultur bis zur Anwendung der Säule 
am Hause fortgeschritten war, ließen diese das Firmament
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.