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III. Die Hauptgottheiten als Gesamterscheinung.
lüberirdischen nur mit Furcht nahen dürfe, und daß ihre Hand—
lungen, Gaben, Gesinnungen den Menschen unfaßbar seien und
oft ins Gegenteil umschlügen, zu den Merkmalen der vorchrist—
lichen Religion überhaupt zu gehören scheint. Sicherlich aber
hat die neue Religion mit ihrer Lehre von der Vaterliebe Gottes
diefen Gegensatz zwischen jetzt und ehemals noch mehr verschärft.
Ein stellenweise vertrauter Umgang mit den alten Göttern
ist gar nicht in Abrede zu stellen. Man speiste und tränkte sie im
Opfer und begrüßte sie als Gäste. Ein Isländer Hrafnkel
hatte sein Roß Freyfaxi zur Hälfte dem Freyr geschenkt;
er teilte sich asso mit dem Gott in des Tieres Besitz. Besonders
schön und rührend aber ist ein Zug, den wir zwar nur in mo—
derner Zeit nachweisen können, der jedoch entschieden heidnisch
ist. Ein im Walde zurückgelassenes Kind wird — so berichtet ein
Grimmsches Märchen — von dem Engel des Herrn getränkt.
Man stelle sich einen Engel vor, einen Säugling an seine Brust
legend! Von der heiligen Maria, der Kinderfreundin des Volks—
glaubens, wird ähnliches berichtet. Auch die Schlüsseljungfrau
von Tegernfelden stillt verlassene Kinder. Üüberall liegt eine
alte Heidengöttin zugrunde, deren mütterlich-liebevolles Wal—
ten man zu erkennen glaubte. Wie beklagenswert mag in jener
Zeit des einsamen Waldlebens das Los der Waise gewesen sein;
wie erhebend der Glaube, daß — vielleicht nicht fern von der
Stätte der Not, in dem undurchdringlichen Waldgebüsch, in der
Tiefe des Brunnens — die hilfreiche Göttin wohne! Erst das
Germanentum hat die Paradoxie von der Jungfrau-Mutter in
Maria zur Harmonie mütterlicher Reinheit aufgelöst. — Viel—
fach berichten Märchen und Sage von kleinen Liebesdiensten,
die gütige Genien dem einzelnen in Haus und Hof, in Küche
und Keller leisten. Frau Harke hütet Schweine und Wild, die
Weiße Frau füttert und melkt das Vieh, die Trollen putzen
ihre Lieblingspferde. Solche Ideen gehören bereits in den Kreis
der später zu besprechenden Berufssagen. Die Viehmagd, der
Schneider, der Pferdeknecht — sie alle haben eigene kleine Götter,
deren Gunst man sich zu erwerben strebte. —
Das so rekonstruierte Charakterbild der Götter hat in der Edda
eine bedeutsame Wandlung gegenüber einem älteren, vorauszu—
setzenden Zustande erfahren. Die altnordischen Sänger haben Lust
und Muße gehabt, der Erde einen analogen Himmel, wohl nach
alten Vorbildern, gegenüberzustellen. Das müßige Leben, das