Full text: Sämmtliche Märchen

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denn die wirkliche Nachtigall sang auf ihre Weise und der Kunstvogel ging 
auf Walzen. „Der hat keine Schuld,“ sagte der Spielmeister; „der ist 
besonders taktfest und ganz nach meiner Schule!“ Nun sollte der Kunst— 
vogel allein singen. Er machte eben so viel Glück, als der wirkliche, und 
dann war er ja viel niedlicher anzusehen: er glänzte wie Armbänder und 
Busennadeln. 
Dreiunddreißig Mal sang er ein und dasselbe Stück und war doch 
nicht müde. Die Leute hätten ihn gern wieder aufs Neue gehört, aber der 
Kaiser meinte, daß nun auch die lebendige Nachtigall etwas singen solle. 
— — Aber wo war die? Niemand hatte bemerkt, daß sie aus dem offenen 
Fenster zu ihren grünen Wäldern fort geflogen war. 
„Aber was ist denn das!“ sagte der Kaiser. Und alle Hofleute schalten 
und meinten, daß die Nachtigall ein höchst undankbares Thier sei. „Den 
besten Vogel haben wir doch!“ sagten sie; und so mußte denn der Kunstvogel 
wieder singen, und das war das vierunddreißigste Mal, daß sie dasselbe 
Stück zu hören bekamen. Sie konnten es dessenungeachtet doch nicht aus— 
wendig; es war gar zu schwer. Und der Spielmeister lobte den Vogel 
außerordentlich; ja, er versicherte, daß er besser als eine Nachtigall sei, nicht 
nur was die Kleider und die vielen herrlichen Diamanten beträfe, sondern 
auch innerlich. 
„Denn sehen Sie, meine Herrschaften, der Kaiser vor Allen! bei der 
wirtlichen Nachtigall kaun man nie berechnen, was da kommen wird; aber 
bei dem Kunstvogel ist Alles bestimmt! Man kann es erklären, man kann 
ihn öffnen und dem Menschen begreiflich machen, wie die Walzen liegen. 
wie sie gehen, und wie das Eine aus dem Andern folgt!“ 
„Das sind auch unsere Gedanken!“ sagten Alle, und der Spielmeister 
erhielt die Erlaubniß, am nächsten Sonntage den Vogel dem Volke vor— 
zuzeigen. Es sollte ihn auch singen hören, befahl der Kaiser. Und es 
hörte ihn; und es wurde so vergnügt, als ob es sich in Thee berauscht 
hätte, denn das ist chinesisch; da sagten Alle: „Oh!“ und hielten den Zeige⸗ 
finger in die Höhe und nickten dazu. Die armen Fischer jedoch, welche die 
wirkliche Nachtigall gehört hatten, sagten: „Das klingt hübsch genug; die 
Melodien gleichen sich auch; aber es fehlt Etwas, ich weiß nicht was!“ 
Die wirkliche Nachtigall wurde aus dem Laude und Reiche verwiesen. 
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem Seidenkissen dicht bei des 
Kaisers Bette; alle die Geschenke, welche er erhalten, Gold und Edelsteine, 
lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem „Hochkaiserlichen 
Andersen, Märchen 
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