Full text: Sämmtliche Märchen

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Thür hinaus und legte mich hier an die Kette. Ich hatte den jüngsten 
Junker ins Bein gebissen, weil er mir den Knochen wegstieß, an dem ich 
nagte; Knochen um Knochen, so denke ich! Das nahm man mir aber fehr 
übel, und von dieser Zeit an bin ich an die Kette gelegt und habe meine 
Stimme verloren, hörst Du nicht, daß ich heiser bin; Weg! Weg! Ich 
kann nicht mehr so sprechen wie die andern Hunde. Weg! Weg! Das war 
das Ende vom Liede!“ 
Der Schneemann hörte ihm aber nicht mehr zu; er fah immerfort 
mm die Kellerwohnung der Haushälterin, in ihre Stube hinein, wo der 
Ofen auf seinen vier eisernen Beinen stand und sich in derselben Größe 
zeigte wie der Schneemann. 
„Wie das sonderbar in mir knackt!“ sagte er. „Werde ich nie dort 
hinein kommen? Es ist doch ein unschuldiger Wunsch, und unsere un⸗ 
schuldigen Wünsche werden gewiß in Erfüllung gehen. Ich muß dort 
hinein, ich muß mich an sie anlehnen, und wenn ich auch das Fenster ein⸗ 
drücken sollte!“ 
„Dort hinein wirst Du nie gelangen,“ sagte der Kettenhund, „und 
kommst Du an den Ofen hinan, so vergehst Du. Weg! Weg!“ 
„Ich bin schon so gut wie weg!“ erwiderte der Schneemann, „ich 
breche zusammen, glaube ich.“ 
Den ganzen Tag guckte der Schneemann durch's Fenster hinein; in 
der Dämmerstunde wurde die Stube noch einladender; vom Ofen her 
leuchtete es mild, gar nicht wie der Mond, nicht wie die Sonne; nein, 
wie nur der Ofen leuchten kann, wenn er etwas zu verspeisen hat. Wenn 
die Stubenthüre aufging, stand ihm die Flamme zum Munde heraus — 
diese Gewohnheit hatte der Ofen; es flammte deutlich roth auf um das 
weiße Gesicht des Schneemannes, es leuchtete roth seine ganze Brust herauf. 
„Ich halte es nicht mehr aus!“ sagte er. „Wie schön es ihm steht, 
die Zunge so herauszustrecken!“ 
Die Nacht war lang; dem Schneemanne wurde sie aber nicht lang, 
er stand da in seine eigenen, schönen Gedanken vertieft, und die froren, 
daß es knackte. 
Am Morgen waren die Fensterscheiben der Kellerwohnung mit Eis 
bedeckt; sie trugen die schönsten Eisblumen, die nur ein Schneemann ver— 
— verbargen den Ofen. Die Fensterscheiben wollten 
nicht aufthauen; er konnte den Ofen nicht sehen, den er sich als ein so 
liebliches weibliches Wesen dachte. Es knackte und knickte in ihm und rings
	        
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