Full text: Sämmtliche Märchen

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Sie blieb acht Nächte und Tage am Graben und hatte keinen Mangel 
an Eßwaaren. Am neunten Tage dachte sie: „vorwärts, weiter!“ — 
Aber was könnte sie Herrlicheres und Schöneres finden? Vielleicht eine 
kleine Kröte oder einige grüne Frösche. Es hatte die letzte Nacht grade 
so im Winde gelautet, als seien „Vettern“ in der Nähe. 
„Es ist herrlich zu leben! Herrlich aus dem Brunnen heraus zu 
lommen, in Brennnesseln zu liegen, auf dem staubigen Wege zu kriechen! 
Aber weiter, vorwärts! um Frösche oder eine kleine Kröte zu finden, das 
ist nicht gut zu entbehren, die Natur ist Einem nicht genug!“ Damit ging 
sie wieder auf die Wanderung. 
Sie gelangte auf's Feld an einen großen Teich, der mit Schilf um— 
wachsen war; sie spazierte hinein. 
„Hier wird's Ihnen wohl zu naß sein!“ sagten die Frösche; „aber 
Sie sind sehr willlommen! Sind Sie ein Er oder eine Sie? Es thut 
nichts zur Sache, Sie sind gleich willkommen!“ 
Und nun wurde sie Abends zum Concert, zum Familienconcert ein— 
geladen: große Begeisterung und dünne Stimmen; das kennen wir. Be— 
wirthung fand nicht statt, nur freies Getränk gab es, den ganzen Teich. 
„Jetzt reise ich weiter!“ sagte die kleine Kröte; sie fühlte immer einen 
Drang zu etwas Besserem. 
Sie sah die Sterne blitzen, so groß, so hell, sah den Neumond leuchten, 
sah die Sonne aufgehen, immer höher und höher steigen. 
„Ich bin am Ende noch im Brunnen, in einem größeren Brunnen, 
ich muß höher hinauf! Ich habe eine große Unruhe und Sehnsucht!“ 
Und als der Mond voll und rund wurde, dachte das arme Thier: „Ob 
das wohl der Eimer ist, der herabgelassen wird, und in den ich hinein— 
springen muß, um höher hinauf zu gelangen? Oder ist die Sonne der 
große Eimer? Wie der groß ist, wie der strahlend ist, der kann uns 
Alle aufnehmen! Ich muß aufpassen, daß ich die Gelegenheit nicht ver— 
säume! O, wie es in meinem Kopfe leuchtet! Ich glaube, der Edelstein 
kann nicht besser leuchten! Aber den habe ich nicht, und darum weine ich 
auch nicht, nein, höher hinauf in Glanz und Freude! Ich habe eine 
Zuversicht, und doch eine Angst, — es ist ein schwerer Schritt zu thun, 
aber man muß ihn thun! Vorwärts! Immer gerade aus!“ 
Sie that einige Schritte, wie sie ein Kriechthier eben schreiten kann, 
und befand sich bald auf einem Wege, an welchem Menschen wohnten;
	        
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