Full text: Sämmtliche Märchen

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die arabischen Pferde auf den Hinterbeinen steht und wiehert auf der Straße 
und in der Stube sagt: „Hier sind Leute von der Straße gewesen!“ wenn 
ein Bürgerlicher dort war, — da ist der Adel in der Verwesung begriffen, 
zur Maske geworden, und zwar der Art, wie Thespis sie schuf, und man 
belustigt sich, wenn die Person der Satyre anheimfällt!“ 
Das war die Rede des Predigersohns; dieselbe war ein wenig lang, 
aber unterdessen war denn auch die Flöte geschnitten. 
Auf dem Hofe war große Gesellschaft; viele Gäste aus der Umgegend 
und der Hauptstadt; viele Damen geschmackvoll und geschmacklos gekleidet; 
der große Saal war ganz voll von Menschen. Die Prediger aus der Um— 
gegend standen ehrerbietigst aneinander gedrückt in einer Ecke, es sah aus, 
als sei hier ein Begräbniß, es war aber ein Freudenfest, nur daß die Freude 
noch nicht im Gange war. 
Ein großes Concert sollte aufgeführt werden, und deshalb hatte der 
kleine Baron auch seine Weidenflöte mit hereingebracht, aber er konnte 
keinen Ton hervorbringen, und Papa auch nicht, und darum taugte die 
Flöte nichts. 
Es gab Musik und Gesang von der Art, welche Diejenigen am meisten 
erfreut, die sie ausführen; sonst ganz allerliebst! 
„Sie sind ein Virtuos?“ sagte ein Cavalier, der Sohn seines Va⸗— 
ters; „Sie blasen die Flöte, Sie verfertigen sie selbst; das ist das Genie, 
das herrscht — dem gebührt der Ehrenplatz!“ — „Gott bewahre! Ich 
schreite immer mit der Zeit fort, das muß man schon!“ „Nicht wahr, Sie 
werden uns Alle durch das kleine Instrument entzücken?“ Und mit diesen 
Worten reichte er dem Predigersohne die Flöte, die aus dem Weidenbaume, 
der unten an dem Tümpel wuchs, geschnitten war, und verkündete laut, 
daß der Hauslehrer ein Solo auf dieser Flöte vortragen wolle. 
Man wollte ihn zum Besten haben, das war leicht einzusehen, und der 
Hauslehrer wollte darum auch nicht blasen, obgleich er es wohl konnte 
doch man drang in ihn, man bestürmte ihn. und endlich nahm er die Flöte 
und setzte sie an die Lippen. 
Das war eine wunderbare“ Flöte; ein Ton, so anhaltend, wie er von 
der Dampflocomotive klingt, ja weit stärker, ertönte und erscholl über Hof, 
Garten und Wald, meilenweit ins Land hinaus, und gleichzeitig mit dem 
Tone kam ein Sturmwind heran, der da brauste: „Alles am rechten 
Platze!“ — und dabei flog Papa wie vom Winde getragen aus dem Saale
	        
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