Full text: Ein Bilderbuch ohne Bilder

meine alte Jungfer stets am Fenster geschaͤftig, vor 
welchem waͤhrend des ganzen Sommers huͤbsche Blumen 
standen und im Winter herrliche Kresse, auf einen Hut⸗ 
filz gesaͤet. In dem letztvergangenen Monat sah ich 
sie nicht mehr am Fenster, aber sie lebt noch, das wußte 
ich, denn ich hatte sie noch nicht die große Reise an⸗ 
treten sehen, von der sie mit ihrer Freundin so oft 
sprach. „Jal“ pflegte sie dann zu sagen, „wenn ich 
einmal sterbe, werde ich eine weitere Reise zu machen 
haben als waͤhrend meines ganzen Lebens; sechs Meilen 
von hier ist unser Familienbegraͤbnis, dorthin werde ich 
gebracht, dort werde ich schlafen bei den andern von 
meiner Verwandtschaft.“ Gestern nacht hielt ein Wagen 
vor dem Hause, man trug einen Sarg heraus: nun 
wußte ich, daß sie gestorben sei. Man legte Stroh 
um den Sarg und fuhr davon. Da schlief die stille 
alte Jungfer, die in den letzten Jahren das Haus nicht 
verlassen hatte. Der Wagen rollte zum Tore hinaus, 
schnell, als gelte es einer Spazierfahrt. Auf der Land⸗ 
straße ging es noch schneller. Der Kutscher blickte mit⸗ 
unter verstohlen hinter sich: ich glaube, er fuͤrchtete, 
sie in ihrem gelben Atlasrocke auf dem Sarge sitzen zu 
sehen. Deshalb peitschte er die Pferde unvernuͤnftig und 
hielt dabei die Zuͤgel so straff angezogen, daß die Pferde 
schaͤumten. Sie waren jung und mutig; ein Hase sprang 
uͤber den Weg, sie gingen durch. Die alte, stille Jung⸗ 
fer, die Jahr aus Jahr ein sich zu Hause nur in lang⸗ 
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