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Der Improvifator.
aber erzeugt Philosophie. Der kecke Kopf, den Mord—
gedanken beschäftigten, der kühne Adler der Gebirge
war jetzt ein schweigsamer, gefangener Vogel geworden,
saß still und vernünftig wie andere abgerichtete Vögel
in seinem Bauer; ich trat ganz nahe hin. Gewiß
waren sie erst in den letzten Tagen hingerichtet worden;
jeder Zug war noch zu erkennen. Aber sowie ich den
mittleren (einen weiblichen) Kopf anschaute, schlugen
meine Pulse stärker; es war der Kopf eines alten
Weibes. Die Haut war gelbbraun, die Augen halb
offen; langes, silberweißes Haar hing aus dem Gitter
heraus und flatterte im Winde. Meine Augen fielen
auf die steinerne Tafel in der Mauer, wo nach alter
Sitte die Namen und Verbrechen der Hingerichteten
eingegraben waren. „Fulvia“ stand da. Ich las auch
den Namen ihres Geburtsortes: Frascati, und bis
in's Innerste der Seele erschüttert trat ich einige
Schritte zurück.
Fulvia, die seltsame Alte, die einmal mein Leben
gerettet, sie, die mir Mittel verschafft hatte, nach
Neapel zu kommen, sie, den räthselhaften Schutzgeist
meines Lebens, mußte ich so wiedersehen! Diese blaß—
blauen Lippen hatte sie einmal an meine Stirn ge⸗
drückt, diese Lippen, die zu der Volksmenge prophe—
tische Worte gesprochen, Leben und Tod gebracht hatten,
waren nun verstummt, hauchten durch ihr Schweigen
Entsetzen aus. Mein Glück hast Tu geweissagt! Dein
kühner Adler liegt mit zerschmetterten Flügeln da
und erreichte nie die Sonne. Im Kampfe mit seinem
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