Full text: (3/5.1878)

lüften zu dürsen. Annunziata's Leben war in Ge⸗ 
fahr gewesen; heimlich hatte sie sich nach Italien ge— 
flüchtet, wo sie bei ihrem alten Pflegevater in Roms 
Judenquartier sich sicher glaubte. — Es war jetzt 
anderthalb Jahre her; in dieser Zeit mußte sie also 
Bernardo gesehen und ihm den Wein dargeboten 
haben, von dem er so viel sprach. — Wie unvor⸗ 
sichtig schien sie mir doch gewesen zu sein, sich einem 
Fremden zu zeigen, da ein jeder solcher ein erkaufter 
Mörder sein konnte; doch sie wußte ja, daß Bernardo 
kein solcher war, sie hatte ja nur Lobreden seiner 
Kühnheit, seines edeln Betragens gehört. Kurz darauf 
erfuhr sie, daß ihr Verfolger gestorben war; sie flog 
daher, für ihre heilige Kunst begeistert, wieder aus 
ihrem Versteck hervor, und entzückte das Volk durch 
sie und ihre Schönheit. Die alte Dame folgte ihr 
nach Neapel, war Zeuge, wie sie die ersten Lorbern 
einerntete, und hatte sie seit dieser Zeit nicht ver— 
lassen. „Ja! sie ist auch ein Engel Gottes,“ fuhr die 
beredte Alte fort; „fromm in ihrem Glauben, wie ein 
Weib sein soll, und Verstand hat sie so viel, als man 
dem besten Herzen wünschen kann.“ 
Als ich das Haus verließ, erschollen so eben die 
Freudenschüsse. In allen Straßen, von Altanen und 
Fenstern wurde mit kleinen Böllern und Pistolen ge⸗ 
schossen, zum Zeichen, daß die Fastenzeit nun zu Ende 
sei. In demselben Augenblicke fielen in Kirchen und 
Capellen die schwarzen Teppiche, womit die Gemälde 
fünf lange Wochen hindurch bedeckt gewesen waren. 
210 Der Improvisator. 
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