Full text: Newspaper volume (1934, Bd. 4)

Der Sonntaysfreun- 
127. Jahrgang - Nr. 303 
Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Sonnabend, den 29. Dezember 193^ 
Mņsikŗrşe-mktag« im Jahre 1-Z5. 
Das Jahr 1933 steht musikalisch ganz unter 
dem Eindruck des 259. Geburtstages des 
großen Leipziger Thomaskantors und Alt 
meisters deutscher Kirchenmusik Johann 
Sebastian Vach (21.3.1685), dessen Werke heute 
immer noch die große innere Kraft verspüren 
lassen, die diesen Genius zum größten Meister- 
deutscher geistlicher Musik werden ließ, ja zu 
einem der größten Meister der Musik über 
haupt. Seine Musik zieht gerade heute immer 
mehr Volkskreise in ihren Bann und läßt sie 
die Größe dieses deutschen Charakters <bnen. 
Doch nicht nur dieser einen großen Musiker 
persönlichkeit gedenken wir. Auch der Geburts 
tag seines gleichaltrigen Landsmannes Georg 
Friedrich Händel jährt sich am 23. Februar 
zum 250. Male; Händel, ein Musiker, der 
verdiente, daß seine volkstümlich gehal 
tenen Werke mehr Allgemeingut würden. 
An der würdigen Ausgestaltung der Gedenk 
tage dieser beiden Altmeister würden die 
Musikstädte schon große Arbeit zu leisten 
haben. Aber es tritt noch ein ganz großer 
Altmeister deutscher Musik in den Kreis öer 
Jubilare. Am 8. 10. 1933 ist der 350. Geburts 
tag von Heinrich Schütz. Gerade in unserem 
nordischen Heimatgau, in der Nachbarstadt 
Flensburg, hat seit einigen Jahren eine große 
Werbung für diesen deutschen Meister ein 
gesetzt. Das weit über die Grenzen unserer 
Heimat hinaus gewürdigte große Heinrich- 
Schütz-Fest (Februar 1932) unter Johannes 
Röder — das eine große Zahl herrlichster 
Werke von Schütz als Uraufführungen (!) 
brachte — und die sonntäglichen Schütz-Feier 
stunden im Nordfunk durch die Flensburger 
haben nicht wenig dazu beigetragen, daß weite 
Kreise — die sonst dem Schaffen dieses 
Meisters fernstanden — auf das große Werk 
Heinrich Schütz' aufmerksam geworden sind. 
Diese drei großen Meister deutscher Musik 
werden im Mittelpunkt der Reihe der großen 
Gedenktage des neuen Jahres stehen. Das 
Jahr 1935 bringt aber der Mnsikwelt eine 
stattliche Reihe von Gedenktagen größerer und 
kleinerer Meister der Musik, wie sie uns nicht 
häufig in so großer Zahl geboten werden. Es 
würde den Rahmen dieses Aussatzes über 
schreiten, die große Menge der Daten auch nur 
aufzuzählen — wie sie Dr. Wilhelm Sirneisel- 
Dresöen in der Zeitschrift für Musik (Heft 12, 
1984) aufgeführt hat. Es sei hier nur einiger 
großer Musiker gedacht. 
Im September 1935 jährt sich zum 200. Male 
der Geburtstag des jüngsten Sohnes von Joh. 
Seb. Bach: Johann Christian Vach, der sogen. 
„Mailänder" oder „englische" Bach. 
Am 22. Februar ist der 123. Geburtstag von 
Frederic Chopin — (der Warschauer Sender 
gibt als Pausenzeichen die ersten Takte seiner 
A-dur Klavierpolonaise) —. Chopin ist einer 
der bedeutendsten und auch zugleich beliebte 
sten Klavierkomponisten. Seine Werke nehmen 
auch in der Hausmusik einen großen Raum 
ein. 
Am 8. Juni ist auch der 125. Geburtstag 
eines der größten und feinsinnigsten Meister 
der musikalischen Romantik: Robert Schumann. 
Seine Werke sind tiefinnerlichster Ausdruck 
echter deutscher Romantik. So wie Chopin, so 
hat auch er besonders im Stil der Klavier- 
komposition einen großen Vorstoß in musikali 
sches Neuland getan. Er war ein großer Ver 
ehrer seines Zeitgenossen Chopin, von dem er 
sogar sagt: „Er ist und bleibt der kühnste und 
stolzeste Dichtergeist der Zeit. Durch ihn hat 
Polen Sitz und Stimme erhalten im musikali 
schen Völkerbund, politisch vernichtet, wird es 
vielleicht noch lange in unserer Kunst fort 
blühen." 
Unsere Reihe der großen Gedenktage ist aber 
noch nicht zu Ende. Der bedeutendste nach 
wagnerische deutsche Liederkomponist: Hugo 
Wolf war am 13. März 1860 zu Windischgrätz 
geboren (gestorben 1903 zu Wien). 1935 ist 
also sein 75. Geburtstag. Auch des 75. Ge 
burtstages des großen Symphonikers Gustav 
Mahler wird am 7. Juli gedacht werden 
müssen. 
Aus dem Musikleben der Stadt Altona ist 
Felix Woyrsch, der am 8. Oktober seinen 
75. Geburtstag feiert, nicht wegzudenken. Er 
darf auf ein reiches und schönes Musikwirken 
zurückschauen in beglückender Genugtuung. 
Seine Kompositionen, die von nordisch 
schöpferischer Kraft erfüllt sind, werden sicher 
einen bleibenden Wert in der deutschen Musik- 
literatur behalten. 
Noch einer großen Zahl bedeutender 
Musikerpersönlichkeiten muß im neuen Jahre 
gedacht werden. Wir wollen unsere kleine 
Betrachtung aber hier abschließen und zur Ab 
rundung nur noch einen Namen nennen: 
Albert Schweitzer, der große Bachforscher und 
Bachkenner, dessen Werk besonders in diesem 
Bachjahr an Bedeutung gewinnt. Am 14. Ja 
nuar wird er 60 Jahre alt. 
So ist das Jahr 1935 ein rechtes „Musiker 
jahr" — und das verpflichtet. A. L. 
Vom LuktkutscherFlugêrapiêà 
Man ist in unseren Zeitläuften an erstaun 
liche Dinge nachgerade gewöhnt, als daß man 
sich über technische Sensationen noch besonders 
wundern würde. Daß wir mit Java telefo 
nieren, durch Zentimeterdicke Stahlplatten hin 
durchschauen und im Dunkeln photographieren 
können, versetzt uns kaum mehr in Erstaunen. 
Dennoch scheint das, was man gegenwärtig in 
der Flugtcchnik erlebt, allem die Krone auf 
zusetzen. Da geschieht etwa folgendes: man 
besteigt ein Flugzeug, man erwischt durch Zu 
fall einen der Vordersitze neben der zum 
Piloten führenden Tür, man kann durch ein 
Fensterchen darin einen Blick auf das phan 
tastische Instrumentarium eines modernen 
Flugzeuges tun. Man beobachtet gespannt, 
wie der Flieger die Maschine vom Boden ab 
hebt, man fühlt, wie er sie höher und höher 
klettern läßt, man schaut bei diesem immer 
aufs neue wieder fesselnden Spiel zum 
Kabinenfenster hinaus, man sieht, wie Häuser 
und Straßen, wie Plätze und Anlagen immer 
mehr zusammenschrumpfen. Und dann fällt 
plötzlich unser Blick wie von ungefähr Wieder 
aus den Piloten und wir glauben, das Blut 
erstarre uns in den Adern, wir meinen unter 
den Zwangsvorstellungen eines bösen Trau 
mes zu stehen: wenn wir recht sehen, sitzt der 
Pilot zurückgelehnt, in seine Zeitung vertieft, 
er hat das Steuer losgelassen, die Hebel und 
Griffe, denen die Maschine gehorcht, stehen 
verwaist, der riesige Vogel ist sich selbst über 
lassen. 
Und dann, zwischen bangen Empfindungen 
und Empörung, beobachten wir das Spiel der 
Maschine: es ist das gleiche wie zuvor, ruhig 
und sicher, wie man's nie anders gewohnt war, 
zieht sie auch jetzt ihre Bahn, alle Schwankun 
gen werden mit Präzision und vollendeter 
Sicherheit ausgeglichen. Von Staunen erfaßt 
blicken wir zum Fenster hinaus, ans die Quer 
ruder an den Tragflächenenden: wahrhaftig, 
sie bewegen sich, fast unmerklich und genau 
arbeiten sie, wie von Geisterhand wird die 
Maschine sicher und zuverlässig durch das Luft- 
meer gesteuert. Unser Blick kehrt zum Piloten 
zurück: nein, wir haben uns nicht getäuscht, 
er unterhält sich mit dem Bordfunker, er 
studiert Wettermeldungen, er läßt eine 
Peilung seines Standorts ausführen, kurz er 
tut alles, nur nicht das, was wir an diesem 
Platz von ihm erwarten: Hebel, Griffe, Räder, 
Pedale betätigen. 
Er braucht das nicht mehr, denn er ist beför 
dert worden. Er ist vom Luftschofför zum 
Flugkapitän befördert worden. An die Stelle 
des rein mechanische Arbeiten verrichtenden 
Flugzeugführers ist die Maschine getreten. 
Wir haben also hier das gleiche Bild, wie auch 
ans anderen technischen Gebieten: der Mensch 
gibt seine rein mechanischen Funktionen an die 
Maschine ab. Es ist vielleicht ungewohnt, daß 
das selbst hier im Luftmeer möglich geworden 
ist. Ilnd dennoch ist es gelungen, eine selbst 
tätige Flugzeugsteuerungsanlage durchzubil 
den, die in der Lage ist, das Flugzeug in eine 
bestimmte befohlene Fluglage hineinzubrin 
gen, in ihr zu halten und in sie zurückzuver 
setzen, wenn sie durch Böen oder andere Ein 
wirkungen bedroht oder verloren gegangen 
sein sollte Ja, noch mehr, diese Anlage ist so 
gar imstande, das Flugzeug, wenn sein Trieb- 
rverk aussetzen sollte, selbsttätig in eine neue 
sichere Fluglage, nämlich den Gleitflug, hin 
einzubringen. 
Es versteht sich von selbst, daß eine solche 
Vorrichtung, so vollkommen sie auch sein mag, 
den menschlichen Piloten nicht ersetzen kann 
oder soll. Sie soll ihn lediglich entlasten, ihn 
freimachen von der ermüdenden mechanischen 
Tätigkeit und seine Aufmerksamkeit für die 
navigatorischen Aufgaben vorbehalten, die 
man niemals wird der Maschine übertragen 
können Tie neue Anlage ist also ein wichtiges 
Hilfsmittel zur Steigerung einer größeren 
Betriebssicherheit und höheren Planmäßigkeit 
im Luftverkehr. Das ist der Grund, warum 
die Deutsche Lufthansa, die die Sicherheit und 
Zuverlässigkeit ihres Betriebes in den letzten 
Jahren auf eine außerordentlich hohe Stufe 
gebracht hat, der Entwicklung dieses sogen. 
Autopiloten größte Anteilnahme entgegen 
bringt und bereits einige ihrer Maschinen 
probeweise mit ihr ausgerüstet hat. Es ist 
phantastisch, was diese in eine „In 52" ein 
gebaute Anlage alles kann. Man befiehlt ihr 
eine bestimmte Flughöhe, einen bestimmten 
Flugkurs, eine bestimmte Fluglage (Steigflug, 
Horizontalflug, Gleitflug) — und alles andere 
macht die Maschine Sie hält den befohlenen 
Kurs über beliebig lange Zeit genau ein, sie 
hält die befohlene Höhenlage genau aufrecht, 
ja sie kann sogar sechs Kurvenarten nach 
beiden Seiten fliegen. 
Vielleicht das merkwürdigste an dieser Ein 
richtung aber ist die Tatsache, daß sie sich aus 
schließlich aus bekannten und bewährten 
Regelorganen zusammensetzt. Ter Roboter 
der Luft arbeitet mit denselben Instrumenten 
wie der menschliche Pilot, er braucht einen 
Kompaß zum Kurshalten, einen Staudruck 
messer zur Regelung der Geschwindigkeit und 
einen Querneigungsmesser, um die Querlage 
des Flugzeugs richtig einzuhalten. Und der 
Autopilot macht genau das gleiche wie der 
Mensch: er liest gewissermaßen die Instru 
mente ab und verbessert danach die Fluglage 
der Maschine. Er verbessert sie auch genau so 
wie der Mensch: durch Betätigen des Quer 
ruders, des Seitenruders und des Höhen 
ruders, schließlich auch durch entsprechende 
Regelung der Motördrehzahl. 
So verwickelt das sich alles anhört, so einfach 
ist es im grundsätzlichen, technischen Aufbau. 
Ein Beispiel: die Maschine möge durch irgend 
eine äußere Einwirkung eine unzulässig große 
Querneigung nach rechts erhalten haben,- der 
Querneigungsmesser zeigt das sofort an, er 
gibt aber damit zugleich auch auf magnetischem 
Wege der Rudermaschine, die das Querruder 
betätigt, den Befehl, das rechte Querruder ein 
wenig zu senken und das linke ein wenig zu 
heben, worauf sich sogleich die normale Flug 
lage wieder einstellt. Wie das sich im einzelnen 
vollzieht, darauf kann hier nicht näher ein 
gegangen werden,- nur soviel sei erwähnt, daß 
die Anlage elektrisch-hydraulisch arbeitet, daß 
die Richtwerte aus ein Druckölsystem über 
tragen werden und daß dieses Druckölsystem 
die eigentlichen Steuervorgänge hervorruft. 
Erwähnt sei auch, daß die ganze Anlage nur 
arbeitet, wenn der Flugzeugführer es will. 
Der menschliche Pilot kann dem maschinellen 
Piloten jederzeit in die Arme fallen, er kann 
stets selber die Führung der Maschine über 
nehmen. 
Es ist also nichts weniger als die Ueberant- 
wortung des Flugzeuges an die Maschine, 
was der Autopilot erstrebt. Das strikte Gegen 
teil ist der Fall, er will Diener und Helfer des 
menschlichen Piloten sein, er will ihn entlasten 
und dadurch die Flugsicherheit auf die denkbar- 
höchste Stufe bringen. 
Gustav Kreischet. 
SrlveßerMnlch. 
Von Else von Hollander-Lossow. 
Eine leuchtende Scheibe hing in dem dichten 
Abendnebel: das Zifferblatt der Kirchturm 
uhr. Aber man konnte die Zeit nicht erkennen. 
Immerhin, — es mußte bald Ladenschluß sein. 
Der alte Kapitän Feddersen beschleunigte den 
Schritt. In der Filiale der Likörfabrik an 
der Ecke konnte er die nötigen Einkäufe für 
den Silvesterpunjch machen. 
Das würde ein recht verdrießlicher Abend 
werden! Der alten Wirtschafterin hatte er 
Urlaub gegeben für einen Verwandtenbesuch,- 
er selber hatte am Stanimtisch feiern wollen, 
hatte aber heute mittag erfahren, daß die 
Stammtischfreunde alle verhindert sein wür 
den. Pech! Ta würde er sich zu Hause seinen 
Punsch brauen müssen, — das würde er am 
Ende noch fertig bringen. Eilig stolperte er 
die Stufen zu der erleuchteten Ladentür hin 
auf. 
„Eine Flasche alten Rum, zwei Flaschen 
Rotwein, aber guten! Zeigen Sie mal die 
Karte." Sein Finger glitt die Reihe der 
Weinmarken entlang. „Können Sie mir das 
zuschicken?" 
„Jawohl, sofort nach Ladenschluß!" 
Der alte Seebär blickte überrascht auf. 
Samtweich war diese Stimme, und dazu ge 
hörte ein feines, ein wenig wie verschleiertes 
Gesicht, und die Augen waren wie ganz heller 
Meernebel, hinter dem irgendwo die Sonne 
steht. Dunnerlüttchen! Der Alte räusperte 
sich. „Also schön. Ich wohne . . ." 
„Ich weiß. Zu Kapitän Feddersen, Holz 
gasse!" 
Also war man doch eine stadtbekannte Per 
sönlichkeit! Schließlich war es ja auch an die i 
Zwanzig Jahre her, daß man den Kahn hatte 
abgeben müssen, weil die Ischias sich ein 
stellte. Und daß der Junge, der Malte, . . . 
daß der später den Kahn hatte übernehmen 
wollen . . . Schockschwerenot! 
Der Alte schritt kräftiger aus. Wie kam ihm 
nur auf einmal der Malte in den Sinn? Sein 
Einziger! Seit fünf Jahren hatte er kein 
Wort von ihm gehört. War wohl gestorben 
und verdorben draußen in der weite» Welt. 
Seltsame Augen hatte das blasse Mädchen in 
dem Geschäft. Er mußte sic schon mal irgend 
wo gesehen haben. 
Zn Hause war es recht ungemütlich. Die 
Schulzen hatte nicht genügend geheizt. Ter 
Abendbrottisch sah schlampig aus. Schlimm, 
wenn man so allein und einsam ist! — wenn 
der Malte damals nicht so dickköpfig gewesen 
wäre . . . stielleicht hätte sich noch manches ein 
renken lassen. Was mußte sich der Junge auch 
auf die Musik versteifen! So ein musikalischer 
Hungerleider werden, statt ein handfester 
Segelschisfkapitän, dem keiner was zu befehlen 
hat! Aber er hätte doch schreiben können! Daß 
man als Vater wenigstens wüßte, wo in der 
Welt sein Einziger steckte. Fünf Jahre sind 
eine bitter lange Zeit. Und so Tage wie 
Silvester und Weihnachten waren immer 
schwer zu ertragen. 
Es klingelte. Aha, der Wein! Wer ihm das 
mal gesagt hätte, daß er sich in einer Wein 
handlung ein paar Flaschen Wein kaufen 
würde. Früher hatte er nur den alten Port 
wein getrunken, der erst zweimal um den 
Aeqnator gefahren sein mußte, che er trinkbar 
erschien! — Aber damals bei der Ischias hatte 
der Arzt Alkohol verboten, und um sich nicht 
in Versuchung führen zur lassen, hatte er seine 
Bestände verkauft. 
Er öffnete. Die nebelgrauen Angen sahen 
ihn an. „Ach, ,Sie bringen mir selbst die 
Sachen? Sehr freundlich!" Er trat beiseite, 
um das junge Mädchen einzulassen. Warum 
sah sie ihn so merkwürdig zwingend an, — so 
als hätte sie noch eine Frage oder ein An 
liegen? Bezahlt hatte er doch schon im Laden! 
Ein Trinkgeld? Er wollte schon die Hand in 
die Tasche schieben, um ein paar Groschen her 
auszuholen. Aber da lächelte sie. 
„Hoffentlich wird Ihnen Ihr Punsch 
schmecken, Herr Kapitän. Haben Sie Besuch?" 
Er schüttelte den Kopf. Aber er fand es gar 
nicht sonderbar, daß das fremde Mädchen diese 
Frage stellte. Ihm tat nur ihre Stimme so 
wohl. Plötzlich sah er sie an: „Habe ich Sie 
nicht schon früher einmal gesehen?" 
Wieder dieses Lächeln, das so seltsam beredt 
war. „Aber damals waren Sie sehr böse, Herr- 
Kapitän, und wollten mich gar nicht anschaun!" 
__ „Ich? Böse?" Ter Alte kraute sich den 
Hinterkopf. Auf einmal kam die Erinnerung. 
„Was, Sie sind... Sie sind... die kleine..." 
„Ich heiße Erna Feddersen. Und bin Malte 
Feddersens Frau", sagte sie, und ihre Stimme 
bebte gar nicht. 
„Was? Malte? Mattes Frau?" Der alte 
Kapitän hatte auf einmal zitterige Hände, stieß 
die Stubentür auf. „Kommen Sie herein, 
Kind! Wo ist er? Was macht er? Warum... 
ist er nie hergekommen?" 
„Er kommt erst in ein paar Wochen!" Das 
Gesicht der jungen Frau erblühte in Freude. 
„Hier ist sein letzter Brief. Aus Rio. Ten 
sollte ich Ihnen bringen. Er ist seit damals 
nicht wieder hier gewesen seit Sie ihm die 
Tür wiesen, weil er Geiger werden wollte und 
nicht Schiffskapitän . . ." 
„Und er hat sich durchgeschlagen?" 
„Durchgeschlagen?" Ein warmer Stolz 
leuchtete in den silberigen Augen ans. „Er 
ist ein berühmter Mann geworden. Man will 
ihn hier in Deutschland engagieren. Er hat 
viel Geld verdient", fügte sie leiser hinzu, 
denn sie wußte, daß dem alten Mann des 
praktischen Lebens Geld ein deutlicherer Be 
griff war als Berühmtheit. 
„Und Sie?" Der alte Kapitän begann 
fassungslos zu werden. „Und . . . Sie?" 
„Ich hab ihn damals geheiratet, als er keine 
Heimat und keinen Anhalt mehr hatte. Wir 
wollten ein Kind haben, damit er wissen sollte, 
wohin er gehört. Unser Junge ist jetzt vier 
Jahre alt. Ihr Enkelkind, Vater Feddersen!" 
„Und warum sind Sie nie zu mir gekom 
men?" Aber dann schüttelte der Alte den 
Kopf. „Nein, ich weiß, das konnten Sie nicht, 
Kind. Ich bin hart und böse gewesen, auch 
gegen Sie . . . Uebrigens, Sie waren doch 
damals auch Musikstudentin, wenn ich mich 
recht erinnere . . .?" 
„Damit ist es aus. Ich hab damals mit 
meinem letzten Geld die Filiale übernommen, 
um Malte und mir in der ersten Zeit durch 
zuhelfen. Wenn er jetzt heim kommt, dann 
brauche ich keinen Beruf mehr, dann kann ich 
ganz für ihn und unser Kind leben. — Wollen 
Sie mit mir und dem Kleinen Silvester feiern, 
Vater Feddersen? Punsch kann ich auch 
brauen, wenn er auch nicht ganz so steif wird, 
wie Sie ihn gewöhnt sind... So, Vater, 
ziehen Sie nur die Stiefel wieder an. Und 
dann erzählen Sie dem Kind von Palmen und 
Affen und Seeungeheuern und wilden Tieren 
und all den Wundern der weiten Welt . . 
„Ja, das wird denn ja woll ein seltsamer 
Silvesterabend werden", sagte der Alte, „da 
kann schon ein Schuß Wasser in den Punsch 
kommen, das stört mich gar nicht! Aber die 
Zitrone wollen wir doch nicht vergessen, -* 
sonst schmeckt er nämlich nicht, der Punsch!"
	        
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