Full text: Newspaper volume (1934, Bd. 4)

Der Sonntagsfreund 
rgang / Nr. 240 
Beilage der Schleswig-Holstelnlschen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Sonnabend, den 13. Oktober 193^ 
HorrniagsseKanKm. 
Ähr seid schon rein um des Worts 
rvlllen, das ich zu euch geredet habe. 
. (Joh. 15, V. 3.) 
Ģ ein kühnes Glaubenswort, das 
hiermit über seine Jünger ausspricht. 
M ņ ŗvenn Jesus von der Reinheit eines 
Lbe spricht, so bleibt er nicht an der 
^i^üache stehen, wie wir das so gern machen, 
g. funken uns rein, wenn wir nur im bür- 
uttfi Ļeben als anständige Leute dastehen 
hab,- ņîĢs mit den Gerichten zu tun gehabt 
I)û&e ņà meinen vor Gott einen Vorzug zu 
^>enn wir am Kirchlichen teilnehmen 
d Gegensatz zu den vielen, die gleichgültig an 
»” Kirchen vorbeigehen; erfreuen wir uns 
g, Bister gewissen innerlichen Frömmigkeit 
ņ^ņuber den „Nur-Kirchlichen", wer will 
pîehr von uns verlangen? Aber Gottes 
öringt tiefer, und vor Jesu Urteil ist 
ch der Hauch eines sündigen Gedankens 
Wer kann da bestehen? Merken wir 
immer wieder, wie selbst die „From- 
tzj " ihre schwachen Stellen haben, wie gerade 
gä Fehler der Kirchgänger und Gotteskinder 
sind ^ înr Wege stehen, den Weg zu Gott zu 
ias ņî Ueberführt uns doch immer wieder 
^ Ş eigene Gewissen: „Ich bin noch nicht ge- 
^ 8 gereinigt, noch nicht ganz innig mit dir 
z^wigt". Und dieses selbe Urteil gilt auch 
dàAposteln. Wie unreif waren sie doch noch 
s^als, als Jesus unser Wort zu ihnen 
rach' Ta stritten sie sich im kleinlichen Ehr 
ten himmlische Ministerposten, nahmen 
JÌ Mund mit feierlichen Verpflichtungen 
genug, versagten aber in der entscheidcn- 
srg Stunde alle ohne Ausnahme. Kann Jesu 
bestehen, das sie „rein" nennt? 
fttt «• ê erkennt wohl dankbar an, was sie ihm 
^ Liebe und Treue entgegenbrachten, aber 
^menbs macht er eine Verbeugung vor ihrer 
y Füglichkeit und Trefflichkeit, weder etwa 
î ^ der Entschiedenheit, mit der ein Matthäus 
ïm Zollstand und sein gesichertes Leben 
„Men, noch vor dem Feuergeist des Petrus, 
jj Ģ vor der Glaubensinuigkeit und Gefühls- 
^ des Johannes. Die Reinheit, die er 
zuspricht, stammt nicht aus ihrer Na- 
ļ * und ihrer Selbsterziehung, sondern aus 
!jg Gabe, die sie Jesus verdanken, aus dem 
das er zu ihnen redet. Weil sie das 
und soweit sie es in sich aufnehmen, so- 
sind sie rein. So haben die Jünger spä- 
5 e 1 ks alle selbst gemeint und immer wieder 
sxĶgt, daß sie selbst nichts wären und nichts 
jx" wollten, sondern Christus müsse alles in 
ftj/n sein, seine Klarheit ihre Kraft, sein 
J ihr Leben. 
Uh| ê gilt auch uns. Man verherrlicht in 
b î^er Zeit so gern den guten und starken, 
W edlen und aufrechten Menschen. Wir wol- 
fij wahrlich nicht unsern Blick verschließen 
' alles Gewaltige, was menschlicher Geist 
t; wir wollen unsern Dank nicht denen 
gen, die sich eingesetzt und einsetzen für 
Ht, 
Vaterland und Volksgenossen. Wir wollen 
auch sittlichem Streben und innerlicher Selbst 
zucht, wo denn immer sie ist, unsere Anerken 
nung nicht versagen. Aber das bleibt Tat 
sache: den Weg zu Gott geht und führt kein 
Mensch, der nur aus seinem natürlichen Besitz 
und Bewußtsein schöpft. Wenn solche Men 
schen von der Gottheit reden, so ist ihr Gott 
doch letztlich nichts anderes, als ein Idealbild, 
das sie aus ihrem eigenen Innern gestalten 
und ins Weite projizieren, ein natürlich 
geistig gedachter, aber doch selbstgemachter 
Götze, der darum dem Menschen auch nicht 
mehr gibt, als eine Selbstbegeisterung zu 
geben vermag. Den ewigen Gott, der in 
Heiligkeit über uns waltet und sich in Barm 
herzigkeit als Vater zu uns neigt, den findet 
man so nicht. Deshalb geht von solchem Glau 
ben auch nicht die Kraft aus, die den Menschen 
über sich selbst erhöht, ihn wirklich von allen 
Schlacken und peinlichen Erdenresten" reinigt 
und löst. 
Zu Gott führt nur Jesus. Bei ihm gibt es 
nicht das qualvolle, sich selbst zerfleischende 
Ringen, ob man wohl fromm genug sei, um 
vor Gott stehen zu können. In Gnaden nimmt 
er uns an die Hand und führt uns zum Vater, 
so, wie wir sind. Das gewährt den Frieden, in 
dem man sich sicher geborgen weiß. Aber dann 
geht auch eine Reinigung vor sich. Bei Jesus 
lernt man erst, was Sünde heißt. Man mißt 
mit ganz anderem Maßstab und sieht mit viel 
schärferem Auge. Man urteilt aber nicht nur 
anders, man wird auch anders. Jesu Geist 
macht uns klar und stark in der Wahrheit, le 
bendig und tief in der Liebe. Jesu Geist kommt 
aber durch sein Wort. So macht sein Wort auch 
uns rein. — Suchen wir kein Christentum, das 
an Jesu Wort vorbeiginge! 
Matthias ļlaudiuS und 
Der am 2. Januar 1743 zu Reinfeld bei 
Segeberg geborene „Wandsbeker Bote", wie 
er vom Volke genannt wurde, war einer der 
ersten unter den deutschen Dichtern, die mit 
Bewußtsein auf das Volk zu wirken suchten. 
Wer von uns kennt nicht das schöne Abend 
lied: „Der Mond ist aufgegangen", und wer 
wird nicht in seinem Innern überwältigt 
durch den sinnigen Ton dieses Liedes. „Der 
Wald steht schwarz und schweiget, und aus 
den Wiesen steiget öer weiße Nebel wunder 
bar." Wer hat dies jemals schöner gesagt. Es 
ist dieses Lied daher wegen seiner inneren, 
gemütstiefen Wärme eines der Lieblings 
lieder unseres schleswig-holsteinischen Volkes 
geworden. So fand denn der Gottesbote auch 
freundliche Aufnahme auf Emkendorf, wo um 
die Wende des 18. Jahrhunderts ein Kreis 
von guten, schlichten deutschen Männern bei 
Fritz Reventlow und der Gräfin Julia deut 
sches Geistesleben pflegte. 
Doch bevor wir Claudius Verhältnis zu 
Emkendorf festlegen, müssen wir noch einen 
Blick in die damaligen Zeitverhältnisse tun. 
Es war die Zeit, da die Bernstorffs die politi 
sche Lage des Nordens bestimmten. Es waren 
Johann Hartwig Bernstorff und Andreas 
Peter Bernstorff. A. P. Bernstorff sah das 
Glück, die Ruhe des Nordens, darin, möglichst 
alle auswärtigen Verwickelungen dem Gesamt 
staat des Nordens (Schleswig-Holstein, Däne 
mark und Norwegen) fernzuhalten. Er nahm 
Rücksicht auf die rein ständischen Verhältnisse 
der Herzogtümer und sah die Gewinnung die 
ser Länder darin, möglichst wenig in Schles 
wig-Holstein zu regieren. Durch den all 
gewaltigen damaligen dänischen Finanz 
minister Schimmelmann, eines Bruders der 
Gräfin Julia auf Emkendorf, suchte er sogar 
die Herzogtümer wirtschaftlich zu fördern und 
erreichte dieses auch; denn Schleswig-Holstein 
blühte auf, und unser Geld (Lübsches Geld 
und Hamburger Courant) war das beste der 
Zeit. Gewaltsamer Umsturz, wie die fran 
zösische Revolution ihn seit 1789 predigte, war 
ihm in tiefster Seele verhaßt. Daher war 
A. P. Bernstorff auch öer Freund des Emken- 
dorfer Kreises, der sich unter dem Einfluß 
der geistreichen Gräfin Julia scharf gegen alle 
Gedanken der französischen Revolution 
wandte. Während der berühmte Finanzmann 
Schimmelmann den Gedanken der Aufklärung 
auf seinem Schlosse Seelust, Seeland, Ein 
gang gewährte, bedeutete Bernstorffs Heim 
einen Vereinigungspunkt öer gesamten geisti 
gen und politischen Bestrebungen dieser Zeit, 
während Emkendorf ohne jedes Kompromiß 
die Aufklärung wie auch die Gedanken öer 
französischen Revolution ablehnte. Selbst der 
Dichter Johann Heinrich Voß, Eutin, der der 
Aufklärung huldigte, geriet durch sein Fest 
halten an dieser Auffassung in scharfem 
Gegensatz zu Emkendorf und verstieg sich so 
gar zu dem Ausspruch: 
„Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, 
und jage Päpste und Junker fort." 
Dadurch war es für Emkendorf aus mit dem 
Dichter der Luise und dem Uebersetzer des 
Homers. 
Anfangs war Klopstock, der Emkendorf 
häufig besuchte, der geistige Vater Emkendorfs. 
Die Bernstorffs hatten ihm ein Gehalt von 
400 Talern ausgesetzt, damit er in Kopen 
hagen seine Dichtungen fortsetzen könne. Es 
ist dies wieder ein Zeichen, wie Dänemark sich 
damals deutscher Dichter annahm, überhaupt 
großer deutscher Männer (Luthers Familie, 
Schiller). Tiefe Verehrung genoß er in Em 
kendorf wegen seiner religiösen Dichtungen 
(Messias), die man als bestes Kampfmittel 
gegen den aufklärerischen Geist ansah, wie 
ihn der Westen predigte. Klopstocks Barden 
gesänge wurden in Emkendorf mit ungeteilter 
Freude nachempfunden. Doch auch der Dichter 
des Messias und der schönen Oden verscherzte 
sich die Freundschaft Emkendorfs und zwar 
durch eine, wenn auch nur vorübergehende 
Verherrlichung der französischen Revolution, 
die ja kurz darauf infolge der Pariser Blut 
herrschaft in das Gegenteil umschlug. Auch 
der Gegensatz zu dem Pietisten Lavater aus 
der Schweiz, der in Emkendorf in großem An 
sehen stand, sollte dazu führen, daß Klopstock 
kaum mehr nach Emkendorf kam. Die jüngere 
Generation auf Emkendorf ging, nachdem auch 
der Gesamtstaat zu erschüttern schien, ihren 
eigenen Weg einer geschlossenen, konservativen 
Gesinnung. Daher konnte eine einfache, in sich 
selbst begründete, vor allem aber auch boden 
ständige Natur, wie es Matthias Claudius 
war, zuletzt weit eher in ein besonderes Ver 
hältnis zu Emkendorf treten, wenn auch mehr 
als Seelenfreund und Berater, denn als 
geistiger Leiter. Wir haben hier das beste 
Beispiel, daß nicht die Wissenschaft und das 
Philosophieren dem Volke ans Herz geht, son 
dern vielmehr der blutwarme Ton volksver 
bundener Dichter, die von innen heraus, wie 
aus einem reichen Quell mit Beziehung auf 
Menschen und Menschenzusammenhänge und 
die Mutter Erde schöpfen und mit ihrer gan 
zen Persönlichkeit hinter ihren Werken stehen. 
Nur so kann die Volksseele erfaßt werden. 
Der Führer sagt in seinem Buch: „Mein 
Kampf": „Das hat aber die völkische Weltan 
schauung von der marxistischen grundsätzlich 
zu unterscheiden, daß sie nicht nur den Wert 
der Rasse, sondern damit auch die Bedeutung 
der Person erkennt und mithin zu den Grund 
pfeilern ihres ganzen Gebäudes bestimmt. Das 
sind die tragenden Faktoren ihrer Weltauf 
fassung. Die Masse spielt dabei keine Nolle 
mehr." 
Matthias Claudius war eben der Volks 
und Gottesmann, dessen Persönlichkeit ganz 
hinter seinen Worten und Dichtungen stand, 
allem Freidenkerischen abhold. „Laß uns ein 
fältig werden und vor dir hier auf Erden wie 
Kinder fromm und fröhlich sein!", so klingt's 
aus seinem Herzen, und daher wurde er der 
Freund und Seelsorger der Gräfin Julia, die 
einen heldenhaften, geistigen Kampf gegen die 
freigeisterischen Einflüsse damaliger Zeit 
kämpfte. Und mögen in Emkendorf auch noch 
soviele weit gelehrtere Leute ein- und aus 
gegangen sein — ich nenne nur Caroline und 
Friedrich Baudissin, die Brüder Stolberg, 
Luise Stolberg, Agnes Witzleben, Sophie von 
Redern, Auguste Stolberg, Gottlob Friedrich 
Schönborn, Friedrich Heinrich'Jacobi, Amalia 
von Gallitzin, Kaspar Lavater und die schon 
vorhin genannten, — so war der schlichte 
Gottesmann doch öer Fels, auf den Julia 
Reventlow ihre Anschauung gründete. Einmal 
Das LrebesbMmķà 
Von D ö r t e Friedrich. 
(Nachdruck verboten.) 
Meine Großmutter noch ein ganz jun- 
sich ^d dummes Kind war, da verliebte sie 
Ah Eines Tages in den Förster Friedrich. 
^ööT- raar i st ganz ausgeschlossen und un- 
' daß ein so schöner und bewußter 
auch nur einen Blick für ein so neben- 
sà^Şenes Ding wie meine Großmutter 
sij^ìdie weder schön noch reich war und Tag 
8Nitt ^ bem Felde arbeiten mußte. Groß- 
. iber ließ nicht nach, darüber zu den- 
sie > ?vie sie wohl den Sinn des Försters, den 
ÖefeR bleibe noch nie länger als eine Minute 
schi^h hatte, auf sich lenken könne. Er er- 
Mr der wünschenswerteste aller Männer, 
şstm e * ^>ar nicht nur stattlich, sondern er- 
sich auch des besten Rufes. 
Tages kamen Zigeuner in das Dorf, 
Ermine Törte — ich bin nach ihr ge- 
»n hj sand es' gut, sich in ihrer Seelenpein 
^eih^^rmer zu wenden. Ein altes, dickes 
şahl -şborte sich ihre Liebesbeichte an und be- 
ÜU Q J r dann, bei Mondcnschein in den Wald 
!^hen ^ ^nd dort ein blaues Blümlein zu 
sollte zwischen den Kiefern wachsen 
ì. Dieses Blümlein sollte sie dem Förster 
8>ie f ei e Birgen halten, und sie werde sehen, 
be Liebe zu ihr entflammen werde. 
öll>ei «.sch Fieber blieb Dörte. Sie wartete 
8igg . ^hte, dann erhob sie sich heimlich und 
Md sim . ņ Wald. Es war eine Mondnacht, 
chisch-.?ch lag der Wald da. Eifrig suchte sie 
meß «p chn Stämmen umher, und plötzlich 
^®8es ^îsien Schrei aus: da schimmerte ein 
chllte sr^chUllein zwischen den Stämmen. Sie 
che e ;J j danach und riß es ab, barg die Blüte 
pi 1 kostbaren Schatz am Busen und 
Ņytz ben davon, als eine Stimme Halt 
Sie blieb erstarrt stehen: das Gewehr im 
Anschlag, kam der Förster Friedrich heran, der 
auf einem nächtlichen Kontrollgang begriffen 
war. 
„Was treibst du in öer Nacht im Wald, he?" 
fuhr er sie an. 
Sie war so erschrocken, daß sie keine Antwort 
fand. Förster Friedrich aber wurde zornig, 
und das hatte seinen guten Grund. Schon seit 
Wochen wurde im Revier gewildert, und die 
Wilderer mußten im Dorfe Helfer haben. 
Vielleicht hatte er hier durch Zufall eine der 
Helferinnen aufgegriffen. 
Immer noch stand Dörte unbeweglich, einer 
Bildsäule gleich, und Förster Friedrich nahm 
das als ein Zeichen der Schuld. 
„Vorwärts!" sagte er, „du gehst mit mir." 
In diesem Augenblick dachte Dörte an die 
Blume. Sie erhob sie und hielt sie dem För 
ster vor das Angesicht. Nun mußte seine Stim 
mung ja umschwenken und sein Gefühl für sie 
erweckt werden. 
Einen Moment war er verwirrt, doch gleich 
war er nur Beamter. 
„Was soll denn dieser Unsinn? Vorwärts 
jetzt." 
Da blieb ihr nichts anderes übrig, als dem 
wilden Manne zu folgen. Er brachte sie auf 
das Revier und weckte sogar den Oberförster, 
der seinen Leuten gesagt hatte, daß es notwen 
dig wäre, auf jeden Verdächtigen zu achten. 
Der Oberförster begann nun im Beisein 
des Försters ein Verhör, das mit Namen und 
Art begann und mit der Frage nach dem 
Warum endete. 
„Warum bist du so spät in den Wald gegan 
gen?" 
Dörte schwieg. Sie wußte gar nicht, was die 
Leute von ihr wollten. 
„Hat dich jemand zum Aufpasser bestellt, mein 
Kind?" 
„Zum Aufpasser?" fragte Dörte. 
«Nun ja, ich meine, ob dir jeulanö gesagt 
hat, du solltest darauf achten, welchen Weg öer 
Revierförster Friedrich nimmt oder so etwas. 
Oder hat dein Weg in den Wald nichts mit 
dem Förster zu tun?" 
Nach dieser Frage wurde Dörte sehr rot. 
„Zu tun hat es schon etwas mit ihm, aber 
beauftragt hat mich keiner. Kann ich jetzt 
gehen?" 
Der Oberförster dachte nach. 
„Einen Augenblick noch. Was ist das für 
eine Blume, die du da in der Hand hältst?" 
Ihr Geheimnis aber wollte Dörte nicht frei 
geben. 
„Das sage ich nicht." , 
„Ist es denn ein gar so großes Geheim 
nis?" 
„Ja." 
„Du kannst gehen", sagte der Oberförster. 
Und als Dörte den Raum verlassen hatte, 
wandte sich der Oberförster an den Förster 
Friedrich: 
„In jedem Falle müssen Sie das Mädchen 
beobachten." 
So kam es denn, daß der Revierförster 
Friedrich zum Erstaunen der Dörfler am 
Sonntag nach Dörte fragte. Er wollte sich an 
sie heranmachen, um ihr das Geständnis jener 
Nacht zu entreißen. Er mußte vorsichtig zu 
Werke gehen, und so fragte er sie denn sehr 
höflich, ob sie am Sonntag mit ihm zum Tanze 
gehen wolle. 
Ihr Herz schlug höher bei dieser Frage. 
Freilich wollte sie mit ihm zum Tanze gehen, 
obwohl sie ebensowenig wie er tanzen konnte. 
Und dann kam jener Sonntag, der so bedeu 
tungsvoll war. 
Da sie beide nicht tanzten, gingen sie einfach 
spazieren. Sie suchten einen einsamen Weg, 
und der Förster begann zu sprechen: 
„Was war das eigentlich für ein Blümchen, 
das du mir da entgegengehalten hast?" 
Dörte lachte. 
„Es hat seine Wirkung getan." 
Er sah sie überrascht an. 
„Seine Wirkung getan? Das verstehe ich 
nicht." 
Während er sie, ansah- wurde ihm eigen zu 
Mute. Das hier war etwas ganz Junges und 
Unberührtes, kaum aus den Kinderschuhen 
heraus und doch von unerhörtem Reiz. Zum 
ersten Male sah er nicht die Feindin in ihr. 
Einmalige Gefühle kommen mit unver 
ständlicher Plötzlichkeit. Er wußte es sich 
selbst nicht zu deuten, warum er es plötzlich 
nicht bereute, mit ihr zusammen zu sein, und 
warum er dieses Gespräch nicht mehr als 
Dienst auffaßte. 
Dörte plauderte weiter. 
„Das Blümchen ist eine Liebesblume. Wer 
sie erblickt, muß das Mädchen lieben, in dessen 
Hand sie ist." 
Nun verstand er. Sie sah ihm lange nach, 
als er sich verabschiedet hatte. 
Der Oberförster nahm die Meldung des 
Försters Friedrich entgegen. 
„Sieh mal einer an", sagte er dann, „also 
so romantisch ist das Fräulein. Na, jedenfalls 
hat sie mit den Wilderern nichts zu tun, die 
haben wir heute am heiligen Sonntag abge 
fangen. 
„Wer ist es?" fragte öer Förster Friedrich. 
„Tie Zigeuner, die hier in der Nähe ihr 
Unwesen treiben." 
Nun war der Förster Friedrich plötzlich ganz 
glücklich. 
Jeden Abend suchte er Dörte auf, und dann 
kam es, wie es kommen mußte — eines Tages 
hieß es, öer Förster Friedrich und die Dörte 
würden ein Paar. 
Sie wurden sehr glücklich miteinander, und 
meine Großmutter hat nie anders gedacht, als 
daß die Wunderblume ihren Zweck erfüllt 
habe. Sie hat solche Blumen in einen Topf 
gepflanzt und sie sind familiensprichwörtlich 
geworden. 
Auch auf meinem Balkon hat solch Topf den 
Ehrenplatz...
	        
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