menge angesammelt, die die An- und Abfahrt
der Minister mit Interesse verfolgte.
. Tie neue englische Regierung setzt sich wie
folgt zusammen:
Ministerpräsident und Erster Lord des Schatz
amtes: Stanley Baldwin,
Loröpräsiöent des Geheimen Rates: Ramsay
MacDonald,
» Schatzkanzler: Neville Chamberlain,
Lordkanzler: Viscount Hailsham,
^Innenminister und Stellvertreter des Mini
sterpräsidenten im Unterhaus: Sir John
*. Simon,
° Außenminister: Sir Samuel Hoare,
-Lordsiegelbewahrer und Vertreter der Regie-
f rung im Oberhaus: Lord Londonderry,
-Kriegsminister: Lord Halifax,
t Luftfahrtminister: Sir Philip Cunliffe-Lister,
Dominienminister: Thomas, Minister für In
dien: Lord Zetland, Minister für. Schottland:
.Sir Godfrey Collins, Kolonialminister: Mal
. colm MacDonald (der Sohn Ramsay Mae
Donalds), Präsident des Handelsamtes: Run-
ciman, Erster Lord der Admiralität: Sir Bol-
ron Eyres-Mousell, Minister ohne Geschäfts
bereich (Tür Angelegenheiten des Völkerbun
des): Anthony Eden, Minister ohne Ge
schäftsbereich: Lord Eustace Perry, Landwirt-
schafts- und Fischereiminister: Walter Elliot,
Unterrichtsminister: Jliver Stanley, Gesund
heitsminister: Lir Kingsley Wood, Arbeits
minister: Ernest Brown, Staatskommissar für
öffentliche Arbeiten: Ormsby-Gore, Postmini-
: st er: Major Tryon (Major Tryon wird nicht
dem eigentlichen Kabinett angehören).
V Wie aus dieser Liste hervorgeht, treten fünf
neue Männer in das Kabinett ein: Lord Zet
land, Malcolm MacDonald, Anthony Eden
^der bisher ebenfalls keinen Kabinettsrang
»hatte), Lord Eustace Percy und Ernest Brown.
Ans dem bisherigen Kabinett MacDonald
scheiden folgende Persönlichkeiten aus: Lord
Sankest,^Sir John Gilmour und Sir Hilton
Avung. Sir Hilton Ioung ist die Würde eines
Peers verliehen worden.
^ Die neuen Mitglieder des englischen Kabi
netts wurden am Freitagnachmittag in einer
Sitzung des Kronrates vom König vereidigt.
Die im Kabinett verbleibenden Minister nah
men an dieser Sitzung nicht teil.
Ministerpräsident Baldwin, der im August
68 Jahre alt sein wird, gehört dem Unterhaus
^seit 1908 an. Nach dem Kriege begab er sich in
seiner Eigenschaft als Schatzkanzler zur Fun
dierung der britischen Kriegsschulden nach
Amerika. Er wurde 1923 zum ersten Male
Ministerpräsident und war nach der ersten
Labour-Regierung erneut Chef des Kabinetts
von 1921 bis 1929. In diesem Zeitraum wandte
sich England endgültig der Schutzzollpolitik zu.
Der neue Kriegsminister Lord Halifax ist
ol Jahre alt, war 1921 Unterstaatssekretär des
Kolonialministers und später Unterrichts- und
Landwirtschaftsminister. Seit 1932 hat er den
Posten des Unterrichtsministers inne.
. Der neue Kolonialminister Malcolm Mac
Donald, ein Sohn des bisherigen Minister
präsidenten, ist 34 Jahre alt und war unter
der vergangenen Regierung Unterstaatösekre-
tär im Dominion-Ministerium.
Der neue Arbeitsminister Ernest Brown ge
hört dem Unterhaus seit 1927 an. Er ist be
kannt als ein Laienprediger der Baptisten.
Der neue britische Außenminister.
Der als Nachfolger Sir John Sbinons zum
Außenminister ernannte Konservative Sik
Samuel Hoare wurde am 24. Februar 1880
geboren. Er hat seine Erziehung in Harrow
und Oxford genossen und wurde im Jahre
1905 Privatsekretär des damaligen Kolonial-
mittisters. Im Jahre 1920 wurde Hoare in den
Kronrat berufen. Von 1922 bis 1929 war Hoare
in verschiedenen Kabinetten Luftfahrtminister.
Bon 1930 bis 1931 hatte er das Amt eines
Schatzmeisters der Konservativen Partei inne.
In der nationalen Regierung MaeDonals war
Hoare seit dem Jahre 1932 ununterbrochen
Staatssekretär für Indien. Bei der Durch,
kämpfung der Jndienvorlage, die vor wenigen
Tagen vom Unterhaus in dritter Lesung ver
abschiedet wurde, hat Loare seine Umsicht und
seine Fähigkeiten bei mehr als einer Gelegen
heit beweisen können. Unter anderem war er
Teilnehmer au der indischen Roundtable-Kon-
ferenz. In außenpolitischer Hinsicht ist Hoare
so gut wie garnicht hervorgetreten.
Die parteimäßige Zusammensetzung.
In englischen politischen Kreisen wird die
Zusammensetzung des neuen Kabinetts als
solide bezeichnet. Das Gleichgewicht der Kräfte
der drei in der Regierung vertretenen Par
teien ist fast unverändert. In der neuen Re
gierung sind 15 Konservative, drei Nationale
Arbeiterparteiler (MacDonald) und vier na
tionale Liberale (Simon). Im alten Kabinett
war das entsprechende Verhältnis 14:3:3. Zwei
Konservative, nämlich Gilmour und Hilton
Avung, sind in der Regierung nicht mehr ver
treten. Dafür sind drei weitere Konservative
neu hinzugekommen, nämlich Zetland, Eustace
Percy und Eden. Die Simon-Liberalen haben
durch die Ernennung von Ernest Brown zum
Kabinettminister Zuwachs erhalten. Die Ver
tretung der Nationalen Arbeiterpartei im Ka
binett ist zahlenmäßig unverändert. Lord Sau.
key ist ausgeschieden und Malcolm MacDonald
ist zum Minister mit Kabtnettsrang ernannt
worden.
Hem neuen Kabinett gehören 23 Mitglieder,
Kopenhagener Chronik der Landeszeitung
Dänemark als Fremdenverkehrsland
Angeeignete Propagandamittel — Objektive Beobachtungen
und ungehässtge Kritik an dänische« Dingen
Kopenhagen, Ende Mai 1935.
Dänemark suhlt sich steigend als modernes
Fremdenverkehrsland. Und dazu hat das
hübsche Jnselland mit seinem milden Klima,
seiner ruhigen, üppigen Landschaft und seiner
gastfreien Bevölkerung volles Recht. Wie so
vieles spät nach Dänemark kommt und erst
aufgegriffen wird, wenn andere es auf die
Eignung hin erfolgreich geprüft haben, ist
auch der Gedanke, die Finanzen der Allge
meinheit durch daß Hereinziehen fremder
Gäste zu verbessern, erst nach langem Zögern
und bedenklichem Kopfschütteln der alten Ge
neration gereift. Bis vor zehn Jahren hatte
man es auch nicht nötig, sich nach so ausge
fallenen Mitteln des Gelderwerbs umzu
sehen — einesteils herrschte Wohlstand und
hatte man wohl in dem angeborenen Gefühl
den Bescheidenheit auch nicht geglaubt, daß
dieses alltägliche Bauernland, das nicht ein
mal von den eigenen Bewohnern in größerem
Umfange bereist wurde, einen Anztehungs.
Punkt für verwöhnte Europäer und Amerika
ner abgeben könnte, und andcrnteils fürchte,
ten gar zu eifrige Patrioten wohl auch, daß
mit dem zahlreichen Besuch ausländischer
Touristen eine Schwächung der heimatlichen
Eigenart der Bevölkerung folgen könnte. Aber
nachdem Norwegen mit seinen großartigen
Landschaftsoffenbarungen höchst erfolgreich
und nährend dem Fremdenverkehr seine felsi
gen Fjordarme geöffnet und nachdem sich
Knut Hamsuns Furcht vor einer „Verschweize-
rung" des norwegischen Volkes als unbe
gründet erwiesen hatte, hat Dänemark eben
falls Unterlegenheitskomplex und andere Be-
denken fahren gelassen und sich dem moder
nen Tourismus geöffnet. Die Amerikaner
machten in den vergoldeten Nachkriegsjahren
den Anfang, mancher Reichgeworöene in den
Staaten fühlte das Blut der in den schweren
Kriscnjahren des vorigen Jahrhunderts aus
gewanderten Großväter und Mütter rufen,
entsann sich der Erzählungen und Berichte
aus der Kinderstube und suchte einige Wochen
stille Einkehr in dem Mürchenlanöe seiner
Ahnen. So entstand eine historische Samm
lungsstätte in den Heibehügeln von Rebild
bei Aalborg, in der die Heimgekchrten all
jährlich mit Dänemarks Einwohnern zusam
menkommen, trauliche Feste feiern und die
blutmäßige Verbindung pflegen. Die Welt
krise hat den blühenden Bestrebungen schwe
ren Abbruch getan, aber wer hofft nicht ans
bessere Zeiten? Seitdem hat der moderne
Reiseverkehr hauptsächlich durch die Aktivität
der ausländischen Reisebüros und den Eifer
der Dampsergesellschaften eingesetzt,' zu Tau
senden sind Schweden und Teutsche auf kur
zen Besuch in Dänemark gewesen, haben sich
aber hauptsächlich in der Hauptstadt aufgehal
ten, die bekanntlich keineswegs allein Däne-
mark ist.
Jetzt soll der große Schlag für den Frem
denverkehr in Dänemark geschlagen werden.
Im vorigen Jahre wurde, eine große Kom
mission gebildet, die das ganze Problem von
dänischer Seite aus aus der Passivität in
einen gesteigerten Tätigkeitsbetrieb versetzen
sollte. Der Staat, Fonds, Legate und interest
sierte Privatunternehmer gaben Mittel her.
Man glaubte, etivas überraschend Wirkungs
volles erleben zu sollen, — aber der große
Berg gebar nur eine kleine Maus. Natürlich
ist durch Aufklärung unter der Hand eine
wichtige Arbeit in den Kreisen der Ncichst-
beteiligten geleistet, aber die großtönenden
Propagandamittel, die im Ausland und In
land den großen Magnet darstellen sollten,
waren verfehlt und zeigten nur in ihrer ver
kehrten Struktur, wie man — auch anderswo
— die Sache nicht anfassen soll. Es erübrigt
sich nahezu, über den großen Propaganda
ilm, den „Danmarks-Film", zu sprechen, da
dieses Elaborat, dessen Herstellung eine
enorme Summe verschlungen und mehr als
zwei Jahre beansprucht hat, kaum jemals im
Auslande gezeigt werden wird. Die Schöpfung
war den genialen Einfällen eines Kopen-
hagener Architekten überlassen worden, den
man ans der Presse und seinen Redensarten
nur als einen arroganten Hypermodermsten
auf allen Gebieten mit deutlichen kommu
nistischen Neigungen kennen gelernt hatte.
also zwei mehr als dem alten an. Die Stelle
des Postministers gilt in Zukunft nicht mehr
als ein Kabinettsposten. Auf den Posten des
Luftfahrtministers hat Lord Londonderry einer
anderen Persönlichkeit Sir Philip Cunltffe-
Lister Platz gemacht. Der neue Minister für
Indien, Lord Zetland, sowie der neue Kolo
nialminister Malcolm MacDonald, erfreuen
ich im Parlament großen persönlichen An.
cheno.
Die englische Presse freundlich.
Die Mehrzahl der englischen Blätter be
grüßt die neue Negierung mit sehr freund-
ichen Leitairfsätzen. Alle Blätter betonen, daß
lurch die Umbildung des Kabinetts der eigent-
iche Charakter der Nationalregierung nicht
berührt werde, und daß daher keinerlei weit
tragende Aenderungen zu erwarten leren.
zum wenigsten als einen Mann, dem der
nationale Gedanke oder vaterländisches Ge
fühl völlig fremd sind. Sein Werk war ein
unzusammenhängendes Mosaik von blitzarti
gen Beobachtungen aller der Erscheinungen
zwischen Himmel und Erde, die für Dänemark
ebenso typisch oder untypisch sind, wie für
jedes andere zioilisierte Land der gemäßigten
Zone, wo es Landwirtschaft, alte und neue
Stadtteile, Seefahrt und Fischerei, Statistiken
und Automobile gibt. Als Außenstehender,
aber Kenner Dänemarks saß man bei der
einzigen Vorführung des Films in steigen
dem Staunen und fragte sich: Wann kommt
denn Dänemark, das sonnige, freundliche
Land, wo bleibt das weltberühmte dänische
Lächeln, das blonde Mädchen, der blauäugige
Wikinger, das Land der zweihundert Inseln,
der Wasserstraßen und Brücken und Diesel
motorzüge, das Land H. C. Andersens, Oehlen-
schlägers, Kierkegaards, I. P. Jacobsens,
Jacob Knudsens, Henrik Pontoppidans und
Johs. B. Jensens? Alles war verstimmend
dürftig und schlecht und dunkel photogra
phiert, postkartenhaft, und obendrein mit
einer — an sich nicht üblen, aber verletzend
unangebrachten — Jazzmusik untermalt (zu
20 000 Kronenj, die jede Stimmung zerschlug
und die Frage hochkommen ließ, ob die Ver
antwortlichen nicht wissen, welchen großen
Schatz Dänemark an seiner stattlichen Reihe
vortrefflicher Komponisten besitzt, von Kuhlau,
Lange-Müller, Hartmann über die Lieöcr-
vertoner wie Henrik Rung, Weyse, Heise bis
zu Carl Nielsen, dessen Werk nach seinem
Tobe immer mehr in der Welt Beachtung
findet, — Musiker, die so ursprünglich ans
dem dänischen Erdboden und Menschenwesen
heraus geschaffen haben, daß das musikalische
Ausland aufgehorcht hätte. Die Ablehnung des
Films war in der dänischen Presse völlig ein
stimmig, ja fanatisch, man behauptete nicht zu
Unrecht, daß ein solcher Propagandafilm das
Ausland davor warnen würde, Dänemark zu
besuchen.
Aber heute weiß dennoch in Dänemark jeder
Mensch auf dem Lande und an der See, daß
es gilt, Fremde heranzuziehen und ihnen das
Leben so behaglich zu machen, wie nur mög
lich, — ihnen das Land der fortgeschrittenen
Landwirtschaft, der veredelten Ttererzeugnisse,
der sauberen Meiereien und Schlachtereien,
der blühenden Felder und Gärten zu zeigen,
selbst wenn eine Wirtschaftskrise gerade die
sen Teil der Bevölkerung in seinen Existenz
festen schüttelt, — und jeder Städter erkennt,
daß eS ihm zum Nutzen gereicht, wenn Fremde
eintreffen, um die pietätvoll erhaltenen Denk
mäler ans einer großen Vergangenheit zu be
trachten, alte und neue Kunst zu beurteilen,
den Zauber der hellen Nächte zu erleben, den
sagenhaften Frühstückstischen zuzusprechen
und die Eigentümlichkeiten einer abseits fried
lich dahinlebenden Bevölkerung zu studieren,
die oft erst durch die Fremden davon über
zeugt wird, daß sie in einem bevorzugten,
landschaftlich schönen, vom Kriege verschont ge
bliebenen und in mancher Beziehung viel zu
satten Lande lebt, — aber auch tn einem pro
blemarmen Lande, das durch die leichte Zu
friedenstellung seiner leiblichen Bedürfnisse in
die Gefahr des Einschluinmerns und der In
teresselosigkeit an großen Dingen, sozialen wie
nationalen, gerät.
Die Gefahr des Ueberschlafens wichtiger
Zeitgeschehnisse und -foröerungen zeigt sich auf
den verschiedensten Gebieten, und man kann
es nur bedauerlich finden, daß ihr häufig von
Stellen, die Verantwortungsbewußtsein zei
gen sollten, Vorschub geleistet wird. Ein Bei
spiel: die Eröffnung der Teilstrecke der deut
schen Reichsautobahn veranlaßt ein Kopen-
hagener Blatt zu einem Hymnus auf den deut
schen Gemeinschaftswillen und die deutsche
Energie, die mitten in einer Revolutionszeit
und Not monumentale Arbeiten, von der öle
Nachwelt sprechen wird, beginnt und vollführt,
und das Blatt stellt demgegenüber die däni
sche Machtlosigkeit, das Arbeitslosenproblem
zu bewältigen. Sofort antwortet das sozialde
mokratische Negierungsorgan mit einer hämi
schen Verdächtigung der „Diktaturfreundlich
keit" des begeisterten Blattes und sucht den
Erfolgen der deutschen Tatkraft die dänischen
Errungenschaften der Beltbrücke, der Stor-
strömmenbrücke und des Baues von zahlrei
chen Wohnhäusern gegenüberzustellen. Ja, die
Brücken sind bekanntlich seit Jahren im Ban
gewesen, die Beltbrücke ist fertig, die Stor-
strömmenbrücke, die von England finanziert
und gebaut wird, seit drei Jahren in Arbeit,
die Vautätigkert hat wegen Geldmangels schon
kulminiert, aber dennoch sind gerade in diesen
betriebsamen Jahren die Arbeitslosigkeitszif
fern enorm gewachsen, dennoch muß Dänemark
sich mit einer konstanten Erwerbslosenziffer
von rund 100 000, im Winter weit mehr, her
umschlagen. Dänemark hat keinen Krieg ver
loren, hat im Gegenteil im Kriege ungeheuer
verdient und neues Land und neue Menschen
hinzubekommen, hat nicht bis zum Weißbluten
zahlen und zahlen müssen, hat nicht durch eine
Inflation sein Volksvermögen auf den letzten
Oere verloren, und doch vermag es nicht, sei
nen verzweifelten Volksgenossen den Druck
der Trostlosigkeit zu nehmen und ihnen das
einzige zu gebe», nach dem sie verlangen: Ar
beit und Lohn für Arbeit, — weder den Ar
beitslosen noch den Landleuten, die unter den
Selbstkosten arbeiten.
Ein anderes Beispiel gedankenlosen Gleich
muts, das auf dem Kopenhagener Pflaster
spielt und damit bestätigt, daß Kopenhagen
nicht Dänemark ist. Bor dem Kopenhagener
Schwurgericht entrollt sich ein Drama: drei
Aerzte sind angeklagt, erwerbsmüßig verbote
ne Abtreibungen in großem Stil betrieben zu
haben. Der Hauptbeschuldigte, der seinerzeit
durch Stimmenverzicht die Wahl des zweiten
Kommunisten in das Folketing bewirkte,
räumt freimütig ein, Hunderte von Abtrei
bungen nach vorheriger Besprechung mit ei
nem der andern ärztlichen Angeklagten vorge
nommen zu haben, nach Indikationen, die als
höchst zweifelhaft bezeichnet werden. Unter den
Patienten kommen eingestandenermaßen drei
Todesfälle vor, einer unter ganz besonders
traurigen Verhältnissen. Die ärztlichen Sach
verständigen bezeichnen die angewandte Me.
thoöe als unverantwortlich, „schweinemäßig",
höchst gefahrbringend und guacksalberisch. Ent
gegen allen Eingeständnissen und gegen den
klaren Wortlaut des Gesetzes antworten die
Geschworenen auf alle Schulöfragen: Nein.
Die Angeklagten werden freigesprochen. Tie
Kommunisten jubeln, die Linksblätter sind re
servierter und erwarten jetzt eine Aenderung
des grausamen Paragraphen gegen die Abtrei
bungen und die Eröffnung öffentlicher Ab-
treibungsklittiken nach russischem Muster, die
Rechtsülätter rasen über die Verderbnis und
verlangen Aenderung der Geschworenengerich
te. In dem Chaos der Pressestimmen und
Aeußerungen bemerkt man ein Wort des Ko-
penhagener Bürgermeisters Dr. Kaper, der zu
dem Urteil nur sagt: „Schrecklich, die armen
Mädchen!" Und hiermit trifft der lebendige
und interessante Bürgermeister das Zentral-
in der Begriffsverwirrung. Denn was folgt
jetzt? Die Bahn ist frei, die „Embryoschlach-
tungen", wie der konservative Abg. Pürschel,
selbst ein hoher Jurist, diese Handlungen im
Reichstag bezeichnete, werden uferlos fortge
setzt, die Jugend wird Hemmungen und Ver
antwortung außer acht lassen, und die Mäd
chen, die sich heute im Besitz einer errungenen
Freiheit spiegeln, werden die Leidtragenden
sein, werden Opfer über Opfer an Gewissen,
Siechtum und vielleicht am Leben bringen. —
Einige Tage später wird in Aarhus eine Frau,
die nur Beihilfe zu Abtreibungen geleistet hat,
trotz des eifrigen Hinweises des Verteidigers
auf den Kopenhagener Freispruch von dem
dortigen Schwurgericht zu einer längeren Ge
fängnisstrafe verurteilt.
Hanns Schröder-Kopenhagen.
Hungernde Bauern in Sowjetrutzland
Dentschstammige Bauern erschossen
weil sie ihre Familie nicht verhungern lassen wollten
DRV. Berlin, 7. Juni. Vor wenigen Tagen
ist der dentschstammige Bauer Michael Röhrich
aus dem Dorf Straßburg, Bezirk Odessa, durch
Erschießen hingerichtet worden. Mit ihm sollen
vier weitere Verhaftete, darunter der deutsch-
stämmige Bauer Simon Sebastian Klein, er
schossen worden sein.
Röhrtch, Vater von sieben Kindern, ist eben
so wie Klein katholischen Glaubens. Er wurde
als „Httleragent" zum Tode verurteilt, weil
er „über 500 Lügenbriefe an faschistische Orga
nisationen in Deutschland, Polen, der Schweiz
und andere" geschrieben habe, in denen er um
Hilfe bat.
Wie festgestellt werden konnte, hat die neun
köpfige Familie Röhrichs in der Zeit von Ja
nuar bis Mat 1934, also noch während der mit
Kenntnis der Sowjetregierung verlaufenden
Hilfsaktion „Brüder in Not" zusammen sechs
Geldüberweisungen ans Deutschland über ins
gesamt 49,90 &Ui auf dem sowjetamtlichen
Dorgsm-Weg erhalten.
Simon Sebastian Klein wurde nach der
Sowjetzeitung „Neues Dors" vom 18.12. 34 in
Landau, Bezirk Odessa, zum Tode verurteilt,
und zwar als „Agent faschistischer Organisa
tionen in Deutschland und Litauen", der lügen,
hafte Bettelbriefe nach dem Auslande geschrie
ben habe. Obwohl Klein im März zu sieben
Jahren Gefängnis begnadigt war, muß leider
angenommen werden, daß er nun trotzdem er
schossen worden ist.
Klein hat ans Deutschland und der Schweiz
je eine Torgsin-Ueberweisung von insgesamt
18,40 M.Ji erhalten, und zwar im März und
Mat 1934.
Bon beiden Bauern liegen mit ungelenker
Hand geschriebene Briefe vor, die von schwer
ster persönlicher Not zeugen, aber keine Kritik
über die tatsächlichen Zustände enthalten. AuS
eigenen Zeugnissen der Sowjets ist jedoch hin
länglich bekannt, daß im Winter 1933 und tm
Frühjahr 1934 in Südrntzland schlimmste Hun
gersnot herrschte. _ Ll