Full text: Newspaper volume (1935, Bd. 2)

menge angesammelt, die die An- und Abfahrt 
der Minister mit Interesse verfolgte. 
. Tie neue englische Regierung setzt sich wie 
folgt zusammen: 
Ministerpräsident und Erster Lord des Schatz 
amtes: Stanley Baldwin, 
Loröpräsiöent des Geheimen Rates: Ramsay 
MacDonald, 
» Schatzkanzler: Neville Chamberlain, 
Lordkanzler: Viscount Hailsham, 
^Innenminister und Stellvertreter des Mini 
sterpräsidenten im Unterhaus: Sir John 
*. Simon, 
° Außenminister: Sir Samuel Hoare, 
-Lordsiegelbewahrer und Vertreter der Regie- 
f rung im Oberhaus: Lord Londonderry, 
-Kriegsminister: Lord Halifax, 
t Luftfahrtminister: Sir Philip Cunliffe-Lister, 
Dominienminister: Thomas, Minister für In 
dien: Lord Zetland, Minister für. Schottland: 
.Sir Godfrey Collins, Kolonialminister: Mal 
. colm MacDonald (der Sohn Ramsay Mae 
Donalds), Präsident des Handelsamtes: Run- 
ciman, Erster Lord der Admiralität: Sir Bol- 
ron Eyres-Mousell, Minister ohne Geschäfts 
bereich (Tür Angelegenheiten des Völkerbun 
des): Anthony Eden, Minister ohne Ge 
schäftsbereich: Lord Eustace Perry, Landwirt- 
schafts- und Fischereiminister: Walter Elliot, 
Unterrichtsminister: Jliver Stanley, Gesund 
heitsminister: Lir Kingsley Wood, Arbeits 
minister: Ernest Brown, Staatskommissar für 
öffentliche Arbeiten: Ormsby-Gore, Postmini- 
: st er: Major Tryon (Major Tryon wird nicht 
dem eigentlichen Kabinett angehören). 
V Wie aus dieser Liste hervorgeht, treten fünf 
neue Männer in das Kabinett ein: Lord Zet 
land, Malcolm MacDonald, Anthony Eden 
^der bisher ebenfalls keinen Kabinettsrang 
»hatte), Lord Eustace Percy und Ernest Brown. 
Ans dem bisherigen Kabinett MacDonald 
scheiden folgende Persönlichkeiten aus: Lord 
Sankest,^Sir John Gilmour und Sir Hilton 
Avung. Sir Hilton Ioung ist die Würde eines 
Peers verliehen worden. 
^ Die neuen Mitglieder des englischen Kabi 
netts wurden am Freitagnachmittag in einer 
Sitzung des Kronrates vom König vereidigt. 
Die im Kabinett verbleibenden Minister nah 
men an dieser Sitzung nicht teil. 
Ministerpräsident Baldwin, der im August 
68 Jahre alt sein wird, gehört dem Unterhaus 
^seit 1908 an. Nach dem Kriege begab er sich in 
seiner Eigenschaft als Schatzkanzler zur Fun 
dierung der britischen Kriegsschulden nach 
Amerika. Er wurde 1923 zum ersten Male 
Ministerpräsident und war nach der ersten 
Labour-Regierung erneut Chef des Kabinetts 
von 1921 bis 1929. In diesem Zeitraum wandte 
sich England endgültig der Schutzzollpolitik zu. 
Der neue Kriegsminister Lord Halifax ist 
ol Jahre alt, war 1921 Unterstaatssekretär des 
Kolonialministers und später Unterrichts- und 
Landwirtschaftsminister. Seit 1932 hat er den 
Posten des Unterrichtsministers inne. 
. Der neue Kolonialminister Malcolm Mac 
Donald, ein Sohn des bisherigen Minister 
präsidenten, ist 34 Jahre alt und war unter 
der vergangenen Regierung Unterstaatösekre- 
tär im Dominion-Ministerium. 
Der neue Arbeitsminister Ernest Brown ge 
hört dem Unterhaus seit 1927 an. Er ist be 
kannt als ein Laienprediger der Baptisten. 
Der neue britische Außenminister. 
Der als Nachfolger Sir John Sbinons zum 
Außenminister ernannte Konservative Sik 
Samuel Hoare wurde am 24. Februar 1880 
geboren. Er hat seine Erziehung in Harrow 
und Oxford genossen und wurde im Jahre 
1905 Privatsekretär des damaligen Kolonial- 
mittisters. Im Jahre 1920 wurde Hoare in den 
Kronrat berufen. Von 1922 bis 1929 war Hoare 
in verschiedenen Kabinetten Luftfahrtminister. 
Bon 1930 bis 1931 hatte er das Amt eines 
Schatzmeisters der Konservativen Partei inne. 
In der nationalen Regierung MaeDonals war 
Hoare seit dem Jahre 1932 ununterbrochen 
Staatssekretär für Indien. Bei der Durch, 
kämpfung der Jndienvorlage, die vor wenigen 
Tagen vom Unterhaus in dritter Lesung ver 
abschiedet wurde, hat Loare seine Umsicht und 
seine Fähigkeiten bei mehr als einer Gelegen 
heit beweisen können. Unter anderem war er 
Teilnehmer au der indischen Roundtable-Kon- 
ferenz. In außenpolitischer Hinsicht ist Hoare 
so gut wie garnicht hervorgetreten. 
Die parteimäßige Zusammensetzung. 
In englischen politischen Kreisen wird die 
Zusammensetzung des neuen Kabinetts als 
solide bezeichnet. Das Gleichgewicht der Kräfte 
der drei in der Regierung vertretenen Par 
teien ist fast unverändert. In der neuen Re 
gierung sind 15 Konservative, drei Nationale 
Arbeiterparteiler (MacDonald) und vier na 
tionale Liberale (Simon). Im alten Kabinett 
war das entsprechende Verhältnis 14:3:3. Zwei 
Konservative, nämlich Gilmour und Hilton 
Avung, sind in der Regierung nicht mehr ver 
treten. Dafür sind drei weitere Konservative 
neu hinzugekommen, nämlich Zetland, Eustace 
Percy und Eden. Die Simon-Liberalen haben 
durch die Ernennung von Ernest Brown zum 
Kabinettminister Zuwachs erhalten. Die Ver 
tretung der Nationalen Arbeiterpartei im Ka 
binett ist zahlenmäßig unverändert. Lord Sau. 
key ist ausgeschieden und Malcolm MacDonald 
ist zum Minister mit Kabtnettsrang ernannt 
worden. 
Hem neuen Kabinett gehören 23 Mitglieder, 
Kopenhagener Chronik der Landeszeitung 
Dänemark als Fremdenverkehrsland 
Angeeignete Propagandamittel — Objektive Beobachtungen 
und ungehässtge Kritik an dänische« Dingen 
Kopenhagen, Ende Mai 1935. 
Dänemark suhlt sich steigend als modernes 
Fremdenverkehrsland. Und dazu hat das 
hübsche Jnselland mit seinem milden Klima, 
seiner ruhigen, üppigen Landschaft und seiner 
gastfreien Bevölkerung volles Recht. Wie so 
vieles spät nach Dänemark kommt und erst 
aufgegriffen wird, wenn andere es auf die 
Eignung hin erfolgreich geprüft haben, ist 
auch der Gedanke, die Finanzen der Allge 
meinheit durch daß Hereinziehen fremder 
Gäste zu verbessern, erst nach langem Zögern 
und bedenklichem Kopfschütteln der alten Ge 
neration gereift. Bis vor zehn Jahren hatte 
man es auch nicht nötig, sich nach so ausge 
fallenen Mitteln des Gelderwerbs umzu 
sehen — einesteils herrschte Wohlstand und 
hatte man wohl in dem angeborenen Gefühl 
den Bescheidenheit auch nicht geglaubt, daß 
dieses alltägliche Bauernland, das nicht ein 
mal von den eigenen Bewohnern in größerem 
Umfange bereist wurde, einen Anztehungs. 
Punkt für verwöhnte Europäer und Amerika 
ner abgeben könnte, und andcrnteils fürchte, 
ten gar zu eifrige Patrioten wohl auch, daß 
mit dem zahlreichen Besuch ausländischer 
Touristen eine Schwächung der heimatlichen 
Eigenart der Bevölkerung folgen könnte. Aber 
nachdem Norwegen mit seinen großartigen 
Landschaftsoffenbarungen höchst erfolgreich 
und nährend dem Fremdenverkehr seine felsi 
gen Fjordarme geöffnet und nachdem sich 
Knut Hamsuns Furcht vor einer „Verschweize- 
rung" des norwegischen Volkes als unbe 
gründet erwiesen hatte, hat Dänemark eben 
falls Unterlegenheitskomplex und andere Be- 
denken fahren gelassen und sich dem moder 
nen Tourismus geöffnet. Die Amerikaner 
machten in den vergoldeten Nachkriegsjahren 
den Anfang, mancher Reichgeworöene in den 
Staaten fühlte das Blut der in den schweren 
Kriscnjahren des vorigen Jahrhunderts aus 
gewanderten Großväter und Mütter rufen, 
entsann sich der Erzählungen und Berichte 
aus der Kinderstube und suchte einige Wochen 
stille Einkehr in dem Mürchenlanöe seiner 
Ahnen. So entstand eine historische Samm 
lungsstätte in den Heibehügeln von Rebild 
bei Aalborg, in der die Heimgekchrten all 
jährlich mit Dänemarks Einwohnern zusam 
menkommen, trauliche Feste feiern und die 
blutmäßige Verbindung pflegen. Die Welt 
krise hat den blühenden Bestrebungen schwe 
ren Abbruch getan, aber wer hofft nicht ans 
bessere Zeiten? Seitdem hat der moderne 
Reiseverkehr hauptsächlich durch die Aktivität 
der ausländischen Reisebüros und den Eifer 
der Dampsergesellschaften eingesetzt,' zu Tau 
senden sind Schweden und Teutsche auf kur 
zen Besuch in Dänemark gewesen, haben sich 
aber hauptsächlich in der Hauptstadt aufgehal 
ten, die bekanntlich keineswegs allein Däne- 
mark ist. 
Jetzt soll der große Schlag für den Frem 
denverkehr in Dänemark geschlagen werden. 
Im vorigen Jahre wurde, eine große Kom 
mission gebildet, die das ganze Problem von 
dänischer Seite aus aus der Passivität in 
einen gesteigerten Tätigkeitsbetrieb versetzen 
sollte. Der Staat, Fonds, Legate und interest 
sierte Privatunternehmer gaben Mittel her. 
Man glaubte, etivas überraschend Wirkungs 
volles erleben zu sollen, — aber der große 
Berg gebar nur eine kleine Maus. Natürlich 
ist durch Aufklärung unter der Hand eine 
wichtige Arbeit in den Kreisen der Ncichst- 
beteiligten geleistet, aber die großtönenden 
Propagandamittel, die im Ausland und In 
land den großen Magnet darstellen sollten, 
waren verfehlt und zeigten nur in ihrer ver 
kehrten Struktur, wie man — auch anderswo 
— die Sache nicht anfassen soll. Es erübrigt 
sich nahezu, über den großen Propaganda 
ilm, den „Danmarks-Film", zu sprechen, da 
dieses Elaborat, dessen Herstellung eine 
enorme Summe verschlungen und mehr als 
zwei Jahre beansprucht hat, kaum jemals im 
Auslande gezeigt werden wird. Die Schöpfung 
war den genialen Einfällen eines Kopen- 
hagener Architekten überlassen worden, den 
man ans der Presse und seinen Redensarten 
nur als einen arroganten Hypermodermsten 
auf allen Gebieten mit deutlichen kommu 
nistischen Neigungen kennen gelernt hatte. 
also zwei mehr als dem alten an. Die Stelle 
des Postministers gilt in Zukunft nicht mehr 
als ein Kabinettsposten. Auf den Posten des 
Luftfahrtministers hat Lord Londonderry einer 
anderen Persönlichkeit Sir Philip Cunltffe- 
Lister Platz gemacht. Der neue Minister für 
Indien, Lord Zetland, sowie der neue Kolo 
nialminister Malcolm MacDonald, erfreuen 
ich im Parlament großen persönlichen An. 
cheno. 
Die englische Presse freundlich. 
Die Mehrzahl der englischen Blätter be 
grüßt die neue Negierung mit sehr freund- 
ichen Leitairfsätzen. Alle Blätter betonen, daß 
lurch die Umbildung des Kabinetts der eigent- 
iche Charakter der Nationalregierung nicht 
berührt werde, und daß daher keinerlei weit 
tragende Aenderungen zu erwarten leren. 
zum wenigsten als einen Mann, dem der 
nationale Gedanke oder vaterländisches Ge 
fühl völlig fremd sind. Sein Werk war ein 
unzusammenhängendes Mosaik von blitzarti 
gen Beobachtungen aller der Erscheinungen 
zwischen Himmel und Erde, die für Dänemark 
ebenso typisch oder untypisch sind, wie für 
jedes andere zioilisierte Land der gemäßigten 
Zone, wo es Landwirtschaft, alte und neue 
Stadtteile, Seefahrt und Fischerei, Statistiken 
und Automobile gibt. Als Außenstehender, 
aber Kenner Dänemarks saß man bei der 
einzigen Vorführung des Films in steigen 
dem Staunen und fragte sich: Wann kommt 
denn Dänemark, das sonnige, freundliche 
Land, wo bleibt das weltberühmte dänische 
Lächeln, das blonde Mädchen, der blauäugige 
Wikinger, das Land der zweihundert Inseln, 
der Wasserstraßen und Brücken und Diesel 
motorzüge, das Land H. C. Andersens, Oehlen- 
schlägers, Kierkegaards, I. P. Jacobsens, 
Jacob Knudsens, Henrik Pontoppidans und 
Johs. B. Jensens? Alles war verstimmend 
dürftig und schlecht und dunkel photogra 
phiert, postkartenhaft, und obendrein mit 
einer — an sich nicht üblen, aber verletzend 
unangebrachten — Jazzmusik untermalt (zu 
20 000 Kronenj, die jede Stimmung zerschlug 
und die Frage hochkommen ließ, ob die Ver 
antwortlichen nicht wissen, welchen großen 
Schatz Dänemark an seiner stattlichen Reihe 
vortrefflicher Komponisten besitzt, von Kuhlau, 
Lange-Müller, Hartmann über die Lieöcr- 
vertoner wie Henrik Rung, Weyse, Heise bis 
zu Carl Nielsen, dessen Werk nach seinem 
Tobe immer mehr in der Welt Beachtung 
findet, — Musiker, die so ursprünglich ans 
dem dänischen Erdboden und Menschenwesen 
heraus geschaffen haben, daß das musikalische 
Ausland aufgehorcht hätte. Die Ablehnung des 
Films war in der dänischen Presse völlig ein 
stimmig, ja fanatisch, man behauptete nicht zu 
Unrecht, daß ein solcher Propagandafilm das 
Ausland davor warnen würde, Dänemark zu 
besuchen. 
Aber heute weiß dennoch in Dänemark jeder 
Mensch auf dem Lande und an der See, daß 
es gilt, Fremde heranzuziehen und ihnen das 
Leben so behaglich zu machen, wie nur mög 
lich, — ihnen das Land der fortgeschrittenen 
Landwirtschaft, der veredelten Ttererzeugnisse, 
der sauberen Meiereien und Schlachtereien, 
der blühenden Felder und Gärten zu zeigen, 
selbst wenn eine Wirtschaftskrise gerade die 
sen Teil der Bevölkerung in seinen Existenz 
festen schüttelt, — und jeder Städter erkennt, 
daß eS ihm zum Nutzen gereicht, wenn Fremde 
eintreffen, um die pietätvoll erhaltenen Denk 
mäler ans einer großen Vergangenheit zu be 
trachten, alte und neue Kunst zu beurteilen, 
den Zauber der hellen Nächte zu erleben, den 
sagenhaften Frühstückstischen zuzusprechen 
und die Eigentümlichkeiten einer abseits fried 
lich dahinlebenden Bevölkerung zu studieren, 
die oft erst durch die Fremden davon über 
zeugt wird, daß sie in einem bevorzugten, 
landschaftlich schönen, vom Kriege verschont ge 
bliebenen und in mancher Beziehung viel zu 
satten Lande lebt, — aber auch tn einem pro 
blemarmen Lande, das durch die leichte Zu 
friedenstellung seiner leiblichen Bedürfnisse in 
die Gefahr des Einschluinmerns und der In 
teresselosigkeit an großen Dingen, sozialen wie 
nationalen, gerät. 
Die Gefahr des Ueberschlafens wichtiger 
Zeitgeschehnisse und -foröerungen zeigt sich auf 
den verschiedensten Gebieten, und man kann 
es nur bedauerlich finden, daß ihr häufig von 
Stellen, die Verantwortungsbewußtsein zei 
gen sollten, Vorschub geleistet wird. Ein Bei 
spiel: die Eröffnung der Teilstrecke der deut 
schen Reichsautobahn veranlaßt ein Kopen- 
hagener Blatt zu einem Hymnus auf den deut 
schen Gemeinschaftswillen und die deutsche 
Energie, die mitten in einer Revolutionszeit 
und Not monumentale Arbeiten, von der öle 
Nachwelt sprechen wird, beginnt und vollführt, 
und das Blatt stellt demgegenüber die däni 
sche Machtlosigkeit, das Arbeitslosenproblem 
zu bewältigen. Sofort antwortet das sozialde 
mokratische Negierungsorgan mit einer hämi 
schen Verdächtigung der „Diktaturfreundlich 
keit" des begeisterten Blattes und sucht den 
Erfolgen der deutschen Tatkraft die dänischen 
Errungenschaften der Beltbrücke, der Stor- 
strömmenbrücke und des Baues von zahlrei 
chen Wohnhäusern gegenüberzustellen. Ja, die 
Brücken sind bekanntlich seit Jahren im Ban 
gewesen, die Beltbrücke ist fertig, die Stor- 
strömmenbrücke, die von England finanziert 
und gebaut wird, seit drei Jahren in Arbeit, 
die Vautätigkert hat wegen Geldmangels schon 
kulminiert, aber dennoch sind gerade in diesen 
betriebsamen Jahren die Arbeitslosigkeitszif 
fern enorm gewachsen, dennoch muß Dänemark 
sich mit einer konstanten Erwerbslosenziffer 
von rund 100 000, im Winter weit mehr, her 
umschlagen. Dänemark hat keinen Krieg ver 
loren, hat im Gegenteil im Kriege ungeheuer 
verdient und neues Land und neue Menschen 
hinzubekommen, hat nicht bis zum Weißbluten 
zahlen und zahlen müssen, hat nicht durch eine 
Inflation sein Volksvermögen auf den letzten 
Oere verloren, und doch vermag es nicht, sei 
nen verzweifelten Volksgenossen den Druck 
der Trostlosigkeit zu nehmen und ihnen das 
einzige zu gebe», nach dem sie verlangen: Ar 
beit und Lohn für Arbeit, — weder den Ar 
beitslosen noch den Landleuten, die unter den 
Selbstkosten arbeiten. 
Ein anderes Beispiel gedankenlosen Gleich 
muts, das auf dem Kopenhagener Pflaster 
spielt und damit bestätigt, daß Kopenhagen 
nicht Dänemark ist. Bor dem Kopenhagener 
Schwurgericht entrollt sich ein Drama: drei 
Aerzte sind angeklagt, erwerbsmüßig verbote 
ne Abtreibungen in großem Stil betrieben zu 
haben. Der Hauptbeschuldigte, der seinerzeit 
durch Stimmenverzicht die Wahl des zweiten 
Kommunisten in das Folketing bewirkte, 
räumt freimütig ein, Hunderte von Abtrei 
bungen nach vorheriger Besprechung mit ei 
nem der andern ärztlichen Angeklagten vorge 
nommen zu haben, nach Indikationen, die als 
höchst zweifelhaft bezeichnet werden. Unter den 
Patienten kommen eingestandenermaßen drei 
Todesfälle vor, einer unter ganz besonders 
traurigen Verhältnissen. Die ärztlichen Sach 
verständigen bezeichnen die angewandte Me. 
thoöe als unverantwortlich, „schweinemäßig", 
höchst gefahrbringend und guacksalberisch. Ent 
gegen allen Eingeständnissen und gegen den 
klaren Wortlaut des Gesetzes antworten die 
Geschworenen auf alle Schulöfragen: Nein. 
Die Angeklagten werden freigesprochen. Tie 
Kommunisten jubeln, die Linksblätter sind re 
servierter und erwarten jetzt eine Aenderung 
des grausamen Paragraphen gegen die Abtrei 
bungen und die Eröffnung öffentlicher Ab- 
treibungsklittiken nach russischem Muster, die 
Rechtsülätter rasen über die Verderbnis und 
verlangen Aenderung der Geschworenengerich 
te. In dem Chaos der Pressestimmen und 
Aeußerungen bemerkt man ein Wort des Ko- 
penhagener Bürgermeisters Dr. Kaper, der zu 
dem Urteil nur sagt: „Schrecklich, die armen 
Mädchen!" Und hiermit trifft der lebendige 
und interessante Bürgermeister das Zentral- 
in der Begriffsverwirrung. Denn was folgt 
jetzt? Die Bahn ist frei, die „Embryoschlach- 
tungen", wie der konservative Abg. Pürschel, 
selbst ein hoher Jurist, diese Handlungen im 
Reichstag bezeichnete, werden uferlos fortge 
setzt, die Jugend wird Hemmungen und Ver 
antwortung außer acht lassen, und die Mäd 
chen, die sich heute im Besitz einer errungenen 
Freiheit spiegeln, werden die Leidtragenden 
sein, werden Opfer über Opfer an Gewissen, 
Siechtum und vielleicht am Leben bringen. — 
Einige Tage später wird in Aarhus eine Frau, 
die nur Beihilfe zu Abtreibungen geleistet hat, 
trotz des eifrigen Hinweises des Verteidigers 
auf den Kopenhagener Freispruch von dem 
dortigen Schwurgericht zu einer längeren Ge 
fängnisstrafe verurteilt. 
Hanns Schröder-Kopenhagen. 
Hungernde Bauern in Sowjetrutzland 
Dentschstammige Bauern erschossen 
weil sie ihre Familie nicht verhungern lassen wollten 
DRV. Berlin, 7. Juni. Vor wenigen Tagen 
ist der dentschstammige Bauer Michael Röhrich 
aus dem Dorf Straßburg, Bezirk Odessa, durch 
Erschießen hingerichtet worden. Mit ihm sollen 
vier weitere Verhaftete, darunter der deutsch- 
stämmige Bauer Simon Sebastian Klein, er 
schossen worden sein. 
Röhrtch, Vater von sieben Kindern, ist eben 
so wie Klein katholischen Glaubens. Er wurde 
als „Httleragent" zum Tode verurteilt, weil 
er „über 500 Lügenbriefe an faschistische Orga 
nisationen in Deutschland, Polen, der Schweiz 
und andere" geschrieben habe, in denen er um 
Hilfe bat. 
Wie festgestellt werden konnte, hat die neun 
köpfige Familie Röhrichs in der Zeit von Ja 
nuar bis Mat 1934, also noch während der mit 
Kenntnis der Sowjetregierung verlaufenden 
Hilfsaktion „Brüder in Not" zusammen sechs 
Geldüberweisungen ans Deutschland über ins 
gesamt 49,90 &Ui auf dem sowjetamtlichen 
Dorgsm-Weg erhalten. 
Simon Sebastian Klein wurde nach der 
Sowjetzeitung „Neues Dors" vom 18.12. 34 in 
Landau, Bezirk Odessa, zum Tode verurteilt, 
und zwar als „Agent faschistischer Organisa 
tionen in Deutschland und Litauen", der lügen, 
hafte Bettelbriefe nach dem Auslande geschrie 
ben habe. Obwohl Klein im März zu sieben 
Jahren Gefängnis begnadigt war, muß leider 
angenommen werden, daß er nun trotzdem er 
schossen worden ist. 
Klein hat ans Deutschland und der Schweiz 
je eine Torgsin-Ueberweisung von insgesamt 
18,40 M.Ji erhalten, und zwar im März und 
Mat 1934. 
Bon beiden Bauern liegen mit ungelenker 
Hand geschriebene Briefe vor, die von schwer 
ster persönlicher Not zeugen, aber keine Kritik 
über die tatsächlichen Zustände enthalten. AuS 
eigenen Zeugnissen der Sowjets ist jedoch hin 
länglich bekannt, daß im Winter 1933 und tm 
Frühjahr 1934 in Südrntzland schlimmste Hun 
gersnot herrschte. _ Ll
	        
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