Full text: Newspaper volume (1935, Bd. 2)

Schleswig-Holsteinischer WirLschaftsdļenst 
Mahl- und Schrotlöhne 
für Lohn- nnd Umtauschmüllerei 
hat u. a. der Getreidewirtschaftsverband Rheinland 
festgesetzt. Sie betragen: 1. bei der Verarbeitung 
von Roggen zn Mehl: bei Barlohn: 2,20 Ml für 
100 Kg., bei Naturallohn: 12 vH. der angelieferten 
Menge. Es sind auszuliefern: 70 vH. Roggenmehl 
Type 818 plus 27 vH. Roggenvollkleie, oder 78 vH. 
Noggenmehl Type 007 plus 22 vH. Roggenkleie, 
oder 86 vH. Noggenmehl Type 1370 plus 12 vH. 
Roggenkleie. 
Beispiel: Der Mahlkunde erhält: bei Barlohn für 
gelieferte 100 Kg. Roggen 70 vH. — 70 Kg. Roggen 
mehl Type 813 plus 27 vH. — 27 Kg. Roggenvoll- 
kleie: bei Naturallohn für gelieferte 100 Kg. Rog 
gen abzüglich Mahllohn 12 vH. = 12 Roggen, von 
den verbleibenden 88 Kg. Roggen 70 vH. — 62 Kg. 
Noggenmehl Type 813 plus 27 vH. = 23 Kg. Rog 
genvollkleie. 
2. bei der Verarbeitung von Roggen zu Back- 
schrot: bei Barlohn: 1.50 JIM für 100 Kg., bei Na 
turallohn: 8,5 vH. der angelieferten Menge. Es 
sind auszuliefern: 97 vH. Roggen-Backschrot Type 
1800. 
3. bei der Verarbeitung von Weizen zu Mehl: bei 
Barlohn: 2,50 Ml für 100 Kg., bei Naturallohn. 
11 vH. der angelieferten Menge. Es sind auszu 
liefern: 65 vH. Weizenmehl Type 502 plus 32 vH. 
Weizenkleie, ober 70 vH. Weizenmehl Type 563 
plus 27 vH. Weizenkleie. 
4. bei der Verarbeitung von Weizen zn Backfchrot: 
bei Barlohn: 1,50 JIM für 100 Kg., bei Natural 
lohn: 7 vH. der angelieferten Menge. Es sind aus 
zuliefern: 97 vH. Weizen-Backschrot Type 1700. 
5. bei der Verarbeitung von Frucht aller Art zu 
Futterschrot: bei Varlohn 1 Ml für 100 Kg., bei 
Naturallohn: 6 vH. der angelieferten Menge. Es 
sind auszuliefern: 98 vH. Schrot der gelieferten 
Fruchtart. 
6. bei dem Quetschen von Frucht aller Art: bei 
Barlohn: 0,80 Ml für 100 Kg., bei Naturallohn: 
5 vH. der angelieferten Menge. Es sind auszulie 
fern: 99 vH. der gelieferten Frucht — gequetscht. 
Der Saatenstand Ansang Mai 
Das Aprilwetter war allgemein kühl und naß. 
Aus Westfalen und der Rheinprovinz wurden 
bereits zu viele Niederschläge gemeldet. Die Be 
stellungsarbeiten sind infolge des nassen Wetters 
erheblich verzögert worden. — Der Stand der be 
urteilten Feldfrüchte hat sich im Vergleich zur glei 
chen Zeit des Vorjahres nur unwesentlich verän 
dert. Winterroggen hat sich mit der Note 2,6 <2,5) 
um einen Punkt verschlechtert, dagegen Klee mit 
2,9 (3,0) um einen Punkt verbessert. Winterweizen 
weist mit 2,4, Winterfpclz mit 2,3 und Wintergerste 
mit 2,5 den gleichen Stand wie im Vormonat auf. 
— Die infolge Auswinterung und sonstiger Schädi 
gungen vorgenommenen Umpflügungen beim Ge 
treide bewegen sich zwischen 0,5 und 0,6 vH. der 
entsprechenden Anbaufläche, also in normalen 
Grenzen. Lediglich beim Klee sind größere Um- 
pflügungen vorgenommen worden. Sie sind jedoch 
mit 2,9 vH. wesentlich geringer als im Vorjahr. 
Die beim Raps vorgenommenen Umpflttgungen 
sind aus 2,0 vH. der Anbaufläche geschätzt worden. 
Für Baumwollgarne und -gewebe 
sind Richtpreise festgesetzt mit Abschlägen für schlech 
tere, von der Normalware abweichende Qualitäten, 
da das jetzige Preisniveau «überhöht ist. Der 
Reichskommissar stellt dazu fest, daß die neuen 
Richtpreise genug Raum lassen zum Aufnehmen 
von Preisschwankungen der Rohstoffe. 
Zur Entlastung des Viehmarktes 
wird Rindfleisch von Dänemark und Irland einge 
führt, eine Maßnahme, die auf der Tagung der 
badischen Fleischerobermeister begrüßt wurde. In 
Hinsicht auf den bevorstehenden Konservenverkauf 
müsse sich das Publikum im Geschmack den verän 
derten Verhältnissen anpassen. Ein Vertreter der 
Hauptvereinigung der Deutschen Vichwirtschaft er- 
klärte, daß der Hauptvereinigung der augenblickliche 
Zustand der Ninderpreise ebenso unerwünscht sei 
wie dem Gewerbe. 
Warum Anziehen der Speisekarioffelpreise? 
Die Marktberichtstelle beim Reichsnährstand weiß 
sich diese Tatsache, die im Widerspruch zu den gro 
ßen Vorräten und der guten Ueberwinterung steht, 
nur mit einer Geschmacksverlagerung zu erklären. 
Durch die einseitige Bevorzugung von gelbfleischi- 
gen Speisekartoffeln haben diese seit der Ernte nur 
abgenommen, während rote und weiße als Speise 
kartoffeln vielfach nur schwer abzusetzen sind. Wäh 
rend früher nur Westdeutschland gelbfleischige 
Speisekartoffeln bevorzugte, dringt diese Geschmacks 
richtung immer mehr nach dem Osten vor. 
Infolge der unverändert anhaltenden Nachfrage 
nach den 4,5prozentigen Reichsschatzanweisungeu 
per 1. 9. 88 wurde der Zeichnungskurs für diese 
Abschnitte heute erneut um n vH. auf 100% vH. 
erhöht. 
Die neue Mehlmarktordmmg 
Das Wochenblatt der Landesbauernschaft Kur 
mark veröffentlicht die Anordnung Nr. 25 des Ge- 
treidewirtfchaftsverbandes Kurmark betr. Fest 
setzung von Preisen und Preisspannen von Rog 
gen- und Weizenmehl, Weichweizengrieß und Back 
schrot und Vorschriften für den Verkehr mit Müh 
lenfabrikaten. Diese Anordnung ist auf Anweisung 
der Hauptvereiniguug der Deutschen Getreidewirt 
schaft ergangen und ist, vielleicht mit geringen Ab 
änderungen hinsichtlich der ortsüblichen Aufschläge, 
die beim Verkauf an Nichtgroßabnehmer dem nun 
mehr von den Getreidewirtschaftsverbänden für 
das ihnen zugehörige Festpreisgebiet festzusetzenden 
Preise für Roggenmehl und Weizenmehl hinzuzu 
rechnen sind, in diesen Tagen auch von den übrigen 
Getreidewirtschaftsverbänden zu erwarten. Die 
Festpreissehung erfolgt jeweils für längstens drei 
Kalendermonate. Die Ablieferung hat stets zum 
Preise des Liefermonats zu erfolgen. 
Für die Verkäufe gilt stets der für bas Abliefe 
rungsgebiet festgesetzte Mehlpreis. Allen Verkäufen 
von Mühlenfabrikaten ist der neue Rcichsmehl- 
schlußschein zugrundezulegen. In dieser Anordnung 
werden auch die Auf- und Abschläge bestimmt, nach 
denen sich die Preise für die neben den Basistypen 
gehandelten Mehltypen ergeben. Ferner ist festge 
legt, um wieviel die vom Getreidewirtschaftsverband 
festgesetzten Preise bei Verkäufen der Mühlen mit 
einem Grundkontingent von 1000 To., 1001—3000 
To., über 3000 To. unterschritten werden dürfen. 
Es sind weiter noch Unterschreitungsmöglichkeiten 
der festgesetzten Preise für Roggenfabrikate und 
Mühlenfabrrkate aus inländischem Weizen vorge 
sehen für östlich der Elbe arbeitende Mühlen bei 
Verkäufen nach bestimmten Bezirken im Westen. 
Die festgesetzten Preise <Notierungspreise) gelten 
für Verkäufe an Großabnehmer. Der Begriff des 
Großabnehmers ist in der Anordnung genau fest 
gelegt. Von besonderer Bedeutung ist das Verbot 
der Konsignationsläger. Mühlenfremöläger dürfen 
nur bei Spediteuren und öffentlichen Lagerhäusern 
unterhalten werden. Bestehende Konsignationslager 
müssen innerhalb von drei Monaten aufgelöst sein. 
Es sei noch besonders aus die Bestimmungen 
über die Anpreisung von Mühlenfabrikaten in Zei 
tungen und Zeitschriften hingewiesen, die der Wett 
bewerbswahrheit dienen sollen. Verkäufer und 
Käufer haben Bücher zu führen, aus denen der 
Tag des Einkaufs oder Verkaufs, Name des Ver 
tragsgegners, Preis, Menge und Zeitpunkt, sowie 
der Verbrauch der umgesetzten Waren ersichtlich 
sind. 
Wir veröffentlichen die für die Kurmark festge 
setzten Preise und Preisspannen, da ihnen offenbar 
eine gewisse Allgemeinbedeutung zukommt: 
Zu den für die Basistypen festgesetzten Mehl 
preisen sind für die anderen Typen folgende Auf- 
und Abschläge zu berechnen (je 100 Kg.): a) bei 
Roggenfabrikation: für Type 816 ein Aufschlag von 
0,50 Ml auf den Basispreis, für 1370 ein Abschlag 
von höchstens 1 Ml, für Type 1800 (Roggenback- 
schrotj ein Abschlag von höchstens 3,50 Ml vom 
Basispreis: b) bei Weizenfabrikaten: für Type 630 
ein Aufschlag von mindestens 1 JIM, für Type 563 
von 2 JlJl, für Type 502 von 8 JIM, für Type 405 
von 5 Ml, für Type 405 (Weichweizengrieß, grob, 
mittel, fein) von 6 Ml auf den Basispreis: für 
Type 1600 (Weizenbrotmehl) ein Abschlag von höch 
stens 5 JIM, für Type 2000 (Weizenbrotmehl) von 
7 Ml, für Type 1700 (Weizenbackschrot) von 3 Ml 
vom Basispreis. 
Die Aufschläge dürfen um höchstens 1 MM je 
100 Kg. überschritten, die Abschläge um höchstens 
1 Ml je 100 Kg. unterschritten werden. 
Für Weizenmehl mit Auslandsweizenbeimischung 
ist bei 20 vH. Beimischung ein weiterer Aufschlag 
von 3 Ml, bei 10 vH. Beimischung ein weiterer 
Aufschlag von 1,50 Ml je 100 Kg. zu berechnen. 
Bei Mehl aus Mengegetreide beträgt der Auf 
schlag auf den Preis für Roggenmehl Type 815 für 
je 5 vH. Weizenanteil 0,25 Ml je 100 Kg. 
Der vom Getreidewirtschaftsverband festgesetzte 
Preis kann bei allen Verkäufen von Mehl und 
Backschrot aus Roggen und Weizen und von Weich 
weizengrieß unterschritten werden: Bon Mühlen 
mit einem Grundkontingent (Roggen und Weizen 
zusammen): a) bei Roggensabrikaten (je 100 Kg.): 
bis 100 To. bis zu 0,30 Ml, von 1001—8000 To. 
bis zn 0,20 JIM, über 3000 To. bis zu 0,10 Ml) b) 
bei Weizenfabrikaten: bis 1000 To. bis zu 0,60 Ml, 
von 1001—8000 To. bis zu 0,80 MH, über 3000 To. 
bis zu .... MH. 
Die festgesetzten Preise (Notierungspreise) sind die 
Preise für Verkäufe an Großabnehmer. 
Als Großabnehmer gilt: neben den Wiederver- 
käufern, die Mehl im Großhandel absetzen, der 
Betrieb, der mindestens 10 Tonnen Mehl aus einer 
Getreideart oder 15 Tonnen aus verschiedenen Ge- 
treibearten zur Verwendung im eigenen Betrieb 
geschlossen abnimmt und im Durchschnitt eine 
wöchentliche Verarbeitungs- oder Umsatzmenge 
von mindestens 100 Dz. nachweist. 
Beim Verkauf an Nichtgroßabnehmer ist dem 
Notierungspreis der von dem Getreidewirtschafts 
verband festgesetzte ortsübliche Aufschlag hinzuzu 
rechnen. Der ortsübliche Aufschlag betrügt bis auf 
weiteres für: a) Noggenfabrikate 1,40 Mfl, 6) 
Weizenfabrikate 1,80 MH je 100 Kg. frei Bäckerhaus 
oder frei Niederlassung des Käufers. 
Ata./ 
Roman von Margot Boger. 
22) Nachdruck verboten. 
„Ja — um den Wolfratshof geht es!" er 
widerte Uta bitter. „Nicht um mich!" 
Sentilo ries beschämt: „Wolfrats Tochter 
und der Wolsratshof sind nicht zu trennen! 
Hättest du einen Bruder, so dürftest du den 
Wolfratshof verlassen. Und wahrhaftig, Uta, 
auch ohne den Hof würde ich den Wunsch un 
serer Väter gern erfüllen und dich zur Gattin 
nehmen!" 
Uta sagte heftig: „Höre, Sentilo! Ter Wolf 
ratshof und Wolfrats Tochter müssen von 
einander getrennt werden! Und dabei mußt 
du helfen! Ja, niemand anders als du ver 
mag überhaupt zu helfen — das wird mir 
eben klar . . . Nicht wahr, du hilfst mir, 
Lieber, Guter?" setzte sie ungestüm hinzu und 
griff nach seinem Arm. 
„Ja — aber wie denn, Uta?" fragte er ver 
stört. 
„Hast du nicht eben selber gesagt, daß ich 
den Wolfratshof verlassen könnte, wenn ich 
einen Bruder hätte, der das alte Erbe anzu 
treten vermöchte? Ich bitte dich, sei mein 
Bruder, Sentilo! Steh mir bei!" 
„Ich verstehe dich wirklich nicht, Uta!" sagte 
der junge Franke betroffen. Er fühlte wohl, 
daß hier Geschehnisse am Werk waren, die 
über seine Vorstellungen hinausragten. Zu 
gleich lockte es ihn, an Dingen teilzuhaben, 
die jenseits der engen Sippenordnung lagen. 
Er hatte Uta beim ersten Blick in sein Herz 
geschlossen. Aber nicht anders als eine liebe 
Verwandte. Ja, auch er hätte sie gern als 
junge Schwester gehabt. Er vertraute ihr. 
Er fühlte sich warm zu ihr hingezogen. Ihre 
Bitte tat ihm wohl: denn er hatte sich drei 
Tage lang in knabenhafter Weise gedemütigt 
herumgequält, weil er sich mißachtet vorkam. 
Nun begriff er, daß mit seiner jungen Base 
ebenso willkürlich gehandelt wurde wie mit 
ihm. Sie hatte gar nicht gewußt, was die 
Väter absprachen. Ihr Herz war schon ver 
geben, als sie den Holzhof betrat. Das än 
derte alles. „Verzeih mir, Uta!" bat er un 
gewiß. 
„Ich habe dir nichts zu verzeihen, Sentilo! 
Ach, verstehe doch, wie verlassen ich bin! Wenn 
du dich mit mir verbünden würdest, so könnte 
nicht nur uns beiden geholfen werden, son 
dern auch unsere Väter bekämen ihren 
Willen . . ." 
„So sag doch endlich, wie du dir das vor 
stellst!" drängte er. 
„Mein Vater scheint auf der Suche nach 
einem Eidam zu sein, der das Blut Wolfrats 
hat. Du hast Wolfratsches Blut, Sentilo — des 
halb fiel seine Wahl auf dich. Und deine Ver 
wandten haben nichts gegen diese Pläne einzu 
wenden, weil Wolfrats Erbe weithin geachtet 
ist. Außerdem gehen deine Zukunftswünsche 
dahin, einen Edelhof mit Jagd, Fischerei, Vieh 
zucht und gutem Ackerland dein eigen zu nen 
nen — nicht wahr?" 
„Ja, Uta!" 
„So wäre also alles schön und gut — wenn 
es keinen Diethart gäbe, Sentilo! Aber der 
Diethart ist nun einmal da, und daran läßt sich 
nichts ändern! Der Diethart ist ein Gefolgs 
mann des Königs — das weißt du. Er kann 
nichts mit dem Wolfratshof anfangen. Im Ge 
genteil, ihm könnte es lieb sein, wenn ich zwölf 
Brüder hätte, die sich um das Erbe stritten: 
dann fragte man nicht nach ihm. Begreifst du, 
Sentilo, daß gerade dieser Umstand so erschwe 
rend für mich ist? Ter Vater sucht einen Nach 
folger für den Hof, und mein Nnverlobter kann 
den Hof nicht brauchen." 
„Das ist wirklich schlimm", stimmte der Vet 
ter teilnahmsvoll bei. „Aber was soll ich bei 
alledem?" 
„Was du sollst? Aber das ist doch klar! Du 
sollst den Wolfratshof erben! Unsere Groß 
väter waren Brüder. Wenn ich den Hof nicht 
brauchen kann, so fällt er eben an dich, Sentilo! 
Und du wirst bestimmt eine Frau dazu finden, 
die dich so lieben wird, wie ich meinen Diethart 
liebe!" 
Der junge Sentilo seufzte schiver. „Tu denkst 
dir das alles einfacher, als es ist, Uta! Ich 
würde dir gern zur Seite stehen: aber unsre 
Väter werden mit diesem Handel nicht einver 
standen sein .. ." 
„Was brauchen sie davon zu wissen? Wir 
wollen doch nichts Unrechtes!" 
„Und wie denkst du dir das Weitere, Uta?" 
„Genau so, wie es wohl geplant ist. Du 
kommst mit uns, du lernst den Wolsratshof 
kennen und lebst dich dort ein. Ach, ich bin 
überzeugt, du wirst unsere alte Stammeshei 
mat liebgewinnen! Und um dieser meiner 
schönen Heimat willen bitte ich dich: Sei mein 
Bruder und hilf mir!" 
Sentilos grüne Moosaugen sahen Uta be 
wundernd an. Der junge, hübsche Franke war 
nicht nur der Nachkomme seines Großvaters 
Marius, sondern auch der Enkel des Hermun 
duren Marino. Zwiespältiges zerriß ihn. „Es 
kann mir nicht gefallen, wie eine Wolfratstoch- 
ter mit ihrem Erbe umgeht!" sagte er mißbil 
ligend und fügte sogleich anerkennend hinzu: 
„Aber wie klug du alles bedenkst, Uta! Gut, ich 
will dein Verbündeter sein, obwohl ich natür 
lich nicht weiß, wie unser heimlicher Handel 
ausgehen wird." 
Uta stieß einen kleinen, glücklichen Schrei 
aus. Sie jagte mit dem Pferd voran — dann 
kam sie zurück. Ihr Gesicht glühte vor Freude. 
„Wie gut meint es Gott mit mir!" rief sie. 
„Das vergangene Jahr schenkte mir den ge 
liebten künftigen Gatten, und nun hab' ich 
einen guten, treuen Bruder öazubekommen! 
Nie sollst du es bereuen, Sentilo! Ach, wie 
wohl ist mir nun!" 
Sie warf ihr Gesicht aus die Mähne des 
Pferdes und zauste mit beiden Händen über 
mütig darin herum. Das Pferd wandte den 
Kopf nach seiner jungen Herrin und tänzelte. 
Es fühlte ihre Freude. 
Sentilo blickte bedenklich auf Utas glückliche 
Erregung. Obwohl er vier Jahre älter war als 
die junge Base, empfand er die kühne Heftig 
keit des Willens als gefahrvolle Ueberlegen- 
heit. Es würde nicht ganz leicht sein, mit dieser 
kleinen Schwester zusammenzuleben. Sentilo 
hatte ein ruhiges, träges Gemüt. Eigentlich 
war ihm die Lage, in die er geraten war, sehr 
unbequem. Aber als Enkel des alten Marius 
witterte er Vorteile, die man sich nicht entgehen 
lassen durfte. 
Inzwischen warf Uta in einem wilden Durch 
einander vertrauensvoll Geständnisse vor ihm 
hin, die ihn bewegten und beschäftigten. 
Er begriff, daß sie krank wurde, weil sie 
stundenlang traurig im Schnee umherirrte, 
nachdem Dietharts Werbung von ihrem Vater 
abgewiesen war . . . Arme kleine Uta! Wie 
schwer mußte die einsame Krankheit gewesen 
sein! Wahrhaftig: Er wollte ihr in Zukunft 
getreulich beistehen, wenn sie Sorgen hätte. 
Und sie rief dankbar: „Wie gut du bist, Sen 
tilo!" 
Als die beiden am späten Nachmittag in den 
Holzhof zurückkehrten, sagte die Edele Balbina 
zum Edeling Wolfrat: „Die heitere Vertrau 
lichkeit unserer Kinder erfreut mein Herz!" 
Dann rief sie Uta zu: „Was würdest du dazu 
sagen, mein Töchterchen, wenn Sentilo für 
einige Zeit als Gast bei euch einkehrte? Er 
möchte bei deinem Vater die Bewirtschaftung 
eines großen Hofes erlernen." 
„Das ist schön!" antwortete Uta. „Hoffentlich 
wird es ihm gut bei uns gefallen!" 
Mutter Balbina und Vater Wolfrat tausch 
ten befriedigte Blicke. Die Abreise wurde auf 
Ende Januar festgesetzt. 
Das Jahr begann mild. Der Schnee taute. 
Und die Vögel sangen verhalten, wenn die 
Mittagssonne schien. 
Schon nach zwei Wochen wurden König 
Heinrichs Bedingungen im Lande bekanntge 
macht. Sie erregten gleichgültige Ablehnung. 
Wer würde sein Land dazu hergeben, es als 
Feindesfalle auszubauen? Mochten die Sachsen 
beweisen, daß sie den Opfermut besaßen, den 
sie von andern Stämmen forderten! 
Was es überhaupt gewiß, daß die Madjaren 
so weit vordringen würden? Was konnte ihnen 
daran liegen, in kältere Länder einzurücken, da 
sie doch fruchtbare südliche Gefilde besaßen? Es 
würde bei den tückischen Räubereien bleiben, 
denen sie unvorhergesehen nachgingen. Dage 
gen vermochte sich niemand zu schützen. 
Es wurde viel hin und her gestritten, wenn 
sich die alten Eöelinge des Umkreises zusam 
menfanden, um im Holzhof das winterliche 
Würfelspiel zu betreiben. 
Die Jugend aber hatte eigene Ansichten: sie 
hing mit heimlicher Verehrung an König 
Heinrich. Anstatt Reigen zu tanzen, sprach man 
in einer entlegenen Ecke der Halle leise vom 
Reich. 
Dabei wurde Uta beredt. Sie trachtete, die 
Jünglinge dafür zu entflammen, sich mit der 
Tat für Deutschland einzusetzen. So kam es, 
daß mehrere junge Männer gegen den Willen 
ihrer Väter in des Königs Dienst traten. Sie 
baten um Aufnahme in die sächsische Reiterei. 
Utas Vater versuchte, die Gegensätze zwischen 
den Alten und den Jungen durch gütliches 
Zureden zu überbrücken. Gegen seine Tochter 
trug er in diesen Wochen eine gleichmäßige 
Herzlichkeit zur Schau. Im Innern aber 
konnte er es nur schwer verwinden, daß sie 
kein Kind mehr war, und er erinnerte sich un 
gern an ihre sächsische Blutbindung, weil er 
gern gesehen hätte, daß sie ihm ähnelte. 
Immerhin wäre die Rückkehr nach dem Wolf 
ratshof in erträglicher Ruhe vor sich gegangen, 
wenn nicht jenes Ereignis eingetreten wäre, 
das Uta heimlich gefürchtet hatte. 
Es begann damit, daß sie in einer hellen 
Mondnacht erwachte. Sie hörte seltsame Ge 
räusche und nahm war, daß in den Arbeits 
stätten jenseits des Mains lebhaftes Treiben 
herrschte. Fackeln brannten: Pferde stampften. 
Wahrscheinlich warteten die Slawen an der 
mondhellen Saale, um ihre Waffen in Empfang 
zu nehmen. 
Würden die Sachsen Wache halten? Uta war 
so erregt, daß ihre Zähne aufeinanderschlugen. 
Erst, als das Flußufer längst wieder in stil 
lem Dunkel lag, begab sie sich auf ihr Lager 
zurück. Doch konnte sie keinen Schlaf finden. 
Was würde der gute Sentilo sagen, wenn er 
wüßte, daß sie die Sachsen auf die geplante 
Verschiebung der Waffen aufmerksam gemacht 
hatte? War sie nicht verpflichtet, dem brüder 
lichen Freund die Wahrheit zu bekennen? 
(Fortsetzung folgt.) 
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