Full text: Newspaper volume (1934, Bd. 3)

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Zue Unterhaltung 
33eilage der Schleswig.Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt« 
î'»ķe N'KirîSķin aus VsmKsAS fchwexstee 2tit 
â Von Dr. Gertrud Kolm. 
^Al>nts^„èer Kaiser bietet Ihnen einen 
im Wert von einer halben 
'd 
^schmuck 
!ì°"^ vö» an. Und er verlangt 'nichts 
ì 'ļ’Mn sxj ^Hnen, als daß Sie nicht seine 
filers Mit der Geste des vollendeten 
Poleon '|, rad & ber Abgesandte des Kaisers 
!»len jr., kleine Frau mit den schönen 
riu aber wies das Angebot des 
3 In ebenso höflich wie bestimmt zu- 
j.^nte 6p ;? r Seele Amalie von Beguelins 
? Katers,!!?"" 0 leidenschaftlich das Feuer 
Wantenadslieüe, das auch die feurigsten 
it, Men ^apoleons nicht zu überstrahlen 
3» Ģgu'^uf die Bitten Gneisenaus hat sie 
3v»n 3?' ® en preußischen Finanzrat Hein- 
Melin, im Winter 1811/12 auf das 
à' t von Paris begleitet, um seinen 
lillüber eine Tributerleichterung 
ķp Din«? "lit der ihr eigenen Kunst weib- 
^pyļ ņratie zu sekundieren. 
Hinein a??^lte damals ein Interesse an dem 
r?” Drn^Er Beziehungen zu Preußen, um 
auf Rußland auszuüben. Und da- 
den preußischen Unterhändler 
€ m ? a l tm ìu der französischen Haupt- 
tz" ein Patzer Liebenswürdigkeit auf. In 
tz'llsttz .. Ģel lösten sich Diners und Bälle 
bführte der französische Außen- 
' .^üitprP 08 von Bassauo persönlich Frau 
'“iftej ,’ n Sur Tafel und zum Tanz. Hiu- 
' icavaliersmaske aber erkannte die 
Ist, Miller e n Zur Tafel und zum Tanz. Hin- 
«zì 8ro„ ?valiersmaske aber erkannte die 
tz', öciß c/./’E Gefahr. Schnell durchschaute sie 
ik, all den tausend Künsten der 
IQ” ex TT.^keit und der Auszeichnung, mit 
AJ"“ seine als Kavaliere und Gesell- 
öi)^s?5^soideten Spione sie überhäuf- 
tz^heisZ ?lbşicht verbarg, Mitteilungen über 
ik une Pläne von ihr zu erlangen, 
ê AngT^andtheit der Rede legte sie in 
K'^asxorten einen dichten Schleier über 
Franzosen wissenswert erschien, 
■fer für Tr. e Zugleich wichtige Kundschafts- 
Wey ?:?^ußen zu leisten. In den Ge- 
ì^ļ> ?! Vassano und bei ihren täglichen 
ìşiischen Mitgliedern und Vertranten der 
h»? dos , Regierung sammelte sie Ma- 
hļ, ^liissx °° n äußerster Wichtigkeit für die 
preußischen Staalskanzlers 
ì wurde. 
p°i« !?>serļvon Paris nahm sie statt ei- 
!tz, ^apysp Diamantschmuckes die Worte 
V e§ Ort» Vertrautem mit heim: „Ich 
l>Iz welches Glück es wäre, wenn 
^Neri» ^""din wären und wie Sie uns 
skih.vh>kn n leaden können. Aber ich scheide 
k i Va. XXl t s n rtM i-1 » Zri a .. i 4 ! .f. . .r. J c 
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keitļ. n l it der tiefsten Hochachtung, und 
tele uns schaden, könnte ich Sie 
noch nicht hassen, nachdem ich Ihre Motive 
kenne." 
Es kam das schwere Jahr 1812, als die Macht 
der Verhältnisse den König von Preußen zur 
Heeresfolge für Napoleon zwang. Als gehei 
men Gesandten aber schickte Hardenberg den 
unversöhnlichen Hasser Napoleons, den Ober 
sten a. D. von Gneisenau, nach London zu Ver 
handlungen über eine englische Truppenlan 
dung in dem von den Franzosen besetzten 
Nordöeutschlanö. Vor anderthalb Jahren hatte 
Fŗau von Beguelin dem Staatskanzler den 
Verteidiger von Kolberg als den zuverlässigen 
und ideenreichen Berater empfohlen, den er 
fur seine kühne Politik suchte. Jetzt wurde sie 
dre Vertraute der geheimen englischen Mission. 
Unter dem Decknamen „Demoiselle Caroline 
Geismar' schickt ihr Gneisenau die chiffrierten 
Berichte, die zugleich für den Staatskanzler 
bestimmt sind. Und gemeinsam verfassen Har 
denberg und Frau von Beguelin die Antwor 
ten. Da soll die persönliche Achtung, die sich 
Frau von Beguelin bei dem französischen 
Außenminister erworben hat. Gneisenaus Sen 
dung und mit ihr Preußen vor schwerster Ge 
fahr schützen. Gneisenaus Kurier ist mit einer 
wichtigen Briefsenöung in Hamburg abgefan 
gen worden. Um der Aöressatin willen aber 
läßt der Herzog von Bassano sie nicht zu Na 
poleons Kenntnis gelangen. 
Ein Jahr später läuten die Freiheitsglocken 
über Preußen. Da sah auch Amalie von Be 
guelin ihre stille hingebende Arbeit auf das 
schönste belohnt. Noch ahnte sie nicht, welch 
bittres Leid das Schicksal für sie aufgespart 
hatte. 1818 nahm ihr der Tod den geliebten 
Gatten. Und von da ab wurde es immer stiller 
um die einst so gefeierte Frau, auf deren Le 
bensabend sich die bitteren Schatten der Armut 
und der Krankheit senkten. Nach Hardenbergs 
Tod war Gneisenau der einzige, der ihr seine 
Teilnahme bewahrte. Doch ging auch er ein 
Jahrzehnt früher dahin als die vom Unglück 
heimgesuchte alte Frau. Manchmal mag sie 
jetzt in ihrer materiellen Not an die Brillanten 
Napoleons gedacht haben. Doch nie mit Be 
dauern über ihre damalige Haltung. Ihre 
Augen waren erblindet. Vor ihrem inneren 
Auge aber strahlte hell die Erinnerung an die 
stolze Zeit, da sie in Preußens schwerster Not 
das Band der Freundschaft zwischen dem 
Staatsmann und dem Feldherrn der Befrei 
ung hat knüpfen dürfen. 
Benares versinkt. 
Benares, die heiligste Stadt der Hindus, zu 
gleich eine der ältesten Städte der Welt über 
haupt, droht langsam, aber sicher, im Ganges 
zu versinken. Seit über einem Jahrhundert 
schon dauert das Zerstörungswerk, das in den 
letzten fünf Jahren immer schneller fort 
schreitet, nachdem kurz vor Kriegsausbruch die 
drohende Gefahr recht eigentlich - sichtbar 
wurde. Tie Stadt, die auf deutsch „Im Besitz 
des besten Wassers" heißt, liegt am Scheitel 
punkt des zweiten, gegen den Himalaya wei 
senden Gangesbogens. An dem von den 
Fluten ständig unterwühlten Steilufer 
breiten sich die religiösen Stätten und die 
Paläste der Großen: der Maharadschas, 
Nadschas und Nabobs aus. Man kann längs 
des Flusses das verhängnisvolle Werk der 
Fluten mit seiner ganzen Bedrohlichkeit er 
kennen. An der Stelle, wo einmal der Palast 
eines vornehmen Hindus stand, sieht man nur 
noch ein paau Steine über den Wasserspiegel 
ragen. Neuere Feststellungen haben bei einer 
Anzahl von Gebäuden Nisse erkennen lassen, 
die sich teilweise durch die ganzen Baulich 
keiten ziehen, und viele Gebäude stehen vor 
dem Einsturz. Dabei ist man sich in Indien, 
das sich mit dem altehrwürdigen Benares 
identifiziert, keineswegs schlüssig, wie die 
Stadt vor dem Untergang zu bewahren sei. 
Ufedsä ms alter Wett. 
Man denkt an Staudämme, Befestigungen des 
Uferrandes und ausgedehnte Wasserregulie 
rungen, zu denen mindestens 100 Millionen 
Rupien erforderlich sind. Die britischen Be 
hörden stehen den Plänen im großen und gan 
zen sympathisch gegenüber, aber es ist Sache 
der Inder selbst, ihre heiligste Stadt vor dem 
Versinken in ihrem heiligsten Fluß zu retten. 
Tie älteste Zeitung der Welt, 
der „King Bao" in Peking, hat ihr Erscheinen 
eingestellt. Sie soll vor mehr als 1500 Jahren 
von Snkung, dem chinesischen Gutenberg, ge 
gründet worden sein und war ursprünglich 
auf gelber Leide gedruckt. Uralt ist Chinas 
Kultur, und Sukung soll schon Lettern aus 
Silber und Blei gegossen haben. Das Abend 
land hat im Lause der Zeit einige Entdeckun 
gen gemacht, die den Kulturen alter Völker 
in anderen Erdteilen schon einmal eigen 
gewesen waren. 
Mittwoch, den 22 August 1934 
WŞrwwerîsÄ Msài. 
In Indien leben noch etwa 200 Löwen, und 
zwar in dem Urwald auf einer Halbinsel nörd 
lich von Bombay. Man nimmt jedoch an, daß 
auch diese bald ausgerottet sein werden. 
* 
Ende dieses Sommers wird es in Groß-Bri- 
tannien etwa 300 weibliche Flugzeugführer 
geben. 
* 
In Amerika ist die Zahl der Millionäre, die 
mehr als 10 Millionen Mark besitzen, von 504 
im Jahre 1929 auf 75 im Jahre 1833 gesunken. 
In England gibt es noch 144 Millionäre, aber 
auch ihre Zahl nimmt dauernd ab. Frankreich 
besitzt noch 73 Millionäre. In Deutschland, wo 
wir vor dem Kriege mehr als 150 hatten, gibt 
es heute noch etwa ein Dutzend Millionäre. 
* 
Ein Mann, der 40 Jahre lang in einem Ho 
tel eines englischen Badeortes an der See 
Oberkellner war, hat jetzt bei seinem Tode sei 
nen Erben ein Vermögen von über 20 000 
Pfund, etwa 150 000 JlJt, hinterlassen. 
* 
In Kilburn bei London hat man jetzt den 
783 000 Pferden, die im Weltkrieg getötet wur 
den, ein Denkmal gesetzt. 
400 Jahre deutsche Bibel. 
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Kluge Voraussicht. 
Grete: „Und denk' Dir, mein Verlobter lehrt 
mich sogar Kartenspielen, damit ich's kann, 
wenn wir verheiratet sind." 
Liese: „So, was bringt er Dir denn da bei?" 
Grete: „Ich glaube, das Spiel heißt 
„Patience"." 
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-^Epmengen platschen herunter, 
ì der Straße, nur Autos 
ķ Astp al eilig und schwarztriefenö 
Ht r Ô0CÎ) ' àt steht ein Mensch, 
ì'eyg einem hell erleuchteten Speise 
st ?,üit st " /ine Scheibe gedrückt, sein Ohr 
fe/’ e fen buchte Glas gepreßt, seine Slei= 
* Nässe. 
^^er Mann, sein Gesicht ist zusam- 
3 3t x-»? şieht aus wie eine Mumie, die 
s?älig und dünn auf den Knochen, 
3, îmd häutig wie die eines Vogels, 
m tijj} öer Alte und unrasiert, und 
n î®n» regnete, hätten ihn die Po- 
V «Ui * weggejagt. 
st^.hier? Will er betteln? Es ist ja 
Sh ' üuj ° er etwas geben könnte. 
Mt.- 
Die Luthcrstadt Wittenberg feiert vom 
25 August bis 2. S> ptembcr im Nabmen einer 
Festspiclivoche das 400jährige Jubiläum der 
deutschen Bibel. Aus diesem Anlaß wird diese 
Luthermeüaille herausgegeben, die eine Wie 
dergabe des Lutherkopfes am Katharineupor- 
tal der Lutherhalle darstellt. 
Zuhören will er, ein bißchen zu- 
Nichts. Drinnen im Speiselokal 
«ì3 s?f?3e Zigeunerkapelle, spielt die 
linft finrtpnftpn 
yi ^'ejsp„ chzenden und singenden unga- 
ì/ê Lrtş .şpielt sich den vornehmen Gä- 
3 S n ' ôen l lä -ns Ohr, macht ihnen die 
'V^e» Kaviar, die dampfenden Braten, 
^iucen, die feurigen Weine noch 
S j.Ostufeen lauscht aufmerksam und 
kîļ st?t En Boaenitrick. an m.ancka>n Ktrtl- 
^>>t Etz, 
Er »^ Vogenstrich, an manchen Stel- 
lìàşMe in wehmütiger Erinnerung 
sşi e ' nnd zuweilen summt er sogar 
gerade ein neuer Regen- 
.|ey3nd j« Straße sprüht, fangen 
"S i,'*i et» " «pruyi, 
st ’It er,". Neues Konzertstück an. 
>ì’e C’n sf'f durchjubelt es den Alten, das 
'!! ö?ien si^ns. mein Lied. 
1 Uiej» zNlso noch, meine Komposition, 
Häsin rk noch nicht vergessen! 
? ö r ~- holla!" singt der Alte mit. 
3l> C schneller muß das gespielt 
ist?^.laut. „Ach, ihr seid ja lahm 
1 h’nkt ja, könnt ja nichts! Fen- 
riger muß das gehen, holla, holla — ach was, 
ich muß euch das zeigen!" 
Der Alte machte sich von der Scheibe los, er 
läuft mit ein paar großen Schritten dem Ein 
gang des Speiselokals zu, sein schäbiger Rock 
flattert grotesk durch den Regen. Er reißt die 
Tür auf, läuft an dem verdutzten Portier vor 
bei und steht plötzlich in dem lichtüberfluteten 
Raum. 
Aufgeregt steht er da, und er nimmt sich 
merkwürdig aus in seinen Lumpen, aus denen 
wie eine schmutzige Brühe das Siegeuwasser 
läuft, fremd und unwirklich sieht er aus unter 
diesen gut gekleideten Damen und Herren, die 
nach feinen französischen Parfüms duften und 
die von edlen Steinen blitzen. 
„Falsch!" kreischte mit einer brüchigen Stim 
me der Alte, „falsch macht ihr das, ihr Hunde- 
söhne!" 
Einige Gäste beginnen zu lachen, andere, die 
in der Nähe des Eindringlings sitzen, fangen 
schon an, sich hilfeflehend nach d'em Geschäfts 
führer umzusehen. 
Die Zigeunerkapelle aber hat ihr Spiel ab 
gebrochen, der Primas starrt den alten Bc'anu 
ein bißchen erstaunt, ein bißchen hochmütig 
und ein bißchen fragend an. 
Schon kommen aber auch der Geschäftsführer 
und der Portier, fassen mit sichtlichem Wider 
willen den Alten an und wollen in hinaus 
werfen. Da steht ein älterer Herr mit silber 
weißen Haaren auf, lächelt und sagt, so daß alle 
es hören können: 
„Lassen Sie bitte, dieser Herr ist mein Gast!" 
Dann wendet er sich an den Kellner: 
„Ein Gedeck für ihn und ein Glas." 
Der Geschäftsführer verneigt sich vor dem 
weißhaarigen Herrn, denn dieser, ein weltbe 
rühmter Operettenkvmponist, gehört zu seinen 
besten Kunden. 
„Sprechen Sie", wendet sich nun der freund 
liche Herr an den Alten, „was ist denn so falsch 
gewesen an der Musik?" 
Ganz starr hat der Alte da gestanden und 
mit den Augen geblinzelt. Jetzt wacht er auf 
und sagt: 
„Was falsch ist, willst du wissen? Alles, mein 
Sohn; alles. Kein Feuer haben sie in ihrer 
Musik, die Hundesöhne. Mein Csardas ist es! 
Ich muß es wissen!" 
„Wieso ist es Ihr Csardas?" 
Alle Gäste horchen gespannt auf seine Ant 
wort. 
„Weil ich ihn komponiert habe." 
Ringsherum prusten die Leute los, aber der 
Weißhaarige hebt die Hand, zum Schweigen 
auffordernd. 
„Aber ist denn Jan Horvath nicht tot?" 
Dem Alten tropfen ein paar Tränen aus 
den rot umränderten Augen: 
„Tot? Ja, tot ist er in einem gewissen Sinne. 
Aber sein Körper irrt noch herum und hat 
Hunger. Sein Körper, das bin ich!" 
Der Alte wühlt in seiner Tasche und holt 
eine goldene Uhr heraus: „Das ist alles, was 
noch übrig ist. Das hat Franz Joseph selbst 
noch hineingravieren lassen: Für Jan Hor 
vath, den großen Künstler, Franz Joseph, Im 
perator Rex". 
Der Weißhaarige klappt den Uhrdeckel auf, 
liest die Gravierung und nickt. 
„Kommen Sie zu mir an den Tisch", sagt er 
leise, „sie müssen mir alles erzählen." 
Der Alte hat nicht hingehört, er geht nach 
dem Podium, nimmt dem Primas die Geige 
aus der Hand und sagt: 
„Hört zu, wie man den Csardas spielen 
muß!" 
Kein Laut ist zu hören, als er den Bogen 
hebt. 
Der weißhaarige Herr steht mit traurigem 
Gesicht an seinem Tisch und sieht auf das zwei 
te Gedeck, das der Kellner in der Zwischenzeit 
aufgelegt hat. Er ist traurig, denn er weiß, 
was kommen wird. 
Der Alte hat angefangen zu spielen. 
Resigniert setzt sich der Weißhaarige hin und 
lächelt bitter, denn der Alte dort oben auf dem 
Podium kratzt ganz fürchterlich. Wenn man 
nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder 
eine Geige anfaßt, so kann man nicht spielen. 
Wenn man brennenden Hunger im Leibe hat, 
dann zittern die Hände. 
Aber das Publikum weiß nichts davon, will 
nichts davon wissen. Das Publikum amüsiert 
sich königlich. 
Ueberall wiehert es und kichert es, und einer 
ruft: 
„Ein alter Geiger vergißt jeden Tag ein an 
deres Lied, so heißt ein magyarisches Sprich 
wort, du aber, alter Lausepelz, hast alles ver 
gessen." 
Der Alte hört es nicht, er weiß auch nicht, 
daß er falsch spielt, er weiß nur, daß er wieder 
einmal eine Geige in der Hand hat. Erst, als 
sie ihn mit Gewalt vom Podium entfernen, 
beginnt er zu begreifen. 
„Ja, ja", nickte er da, „es wird schon so sein. 
Habe alles verlernt, alles, und war doch ein 
mal Meister. Bor Kaisern habe ich gespielt. 
Alles aus, alles aus jetzt." 
Die Gäste empfinden seine Gegenwart als 
Sensation, überall wird ihm zugerufen: 
„Hierher kommen, stoß mal mit uns an, alter 
Strolch!" 
Ein anderer macht eine ironische Verben- 
gung: 
„Darf ich den großen Künstler zu einem 
Glas Tokaier einladen?" 
Der Alte beachtet sie nicht. Er begreift gar 
nicht, was eigentlich los ist. 
In seinem Kopf wirbelt alles wild durchein 
ander, der Geruch der warmen Speisen hat 
ihn schwindlig gemacht. 
Er grinst und taumelt hinaus in den Regen. 
Nicht weit ist das Mütterchen, nur zwei Mi 
nuten braucht er bis zum Mütterchen Donau 
zu gehen. Sogar seine goldene Uhr hat er ver 
gessen, was braucht er die jetzt noch. Er geht 
dahin, wo keine Zeit mehr ist. 
Achtzig Jahre ist er alt,' und der Hunger 
brennt in ihm. 
Und alles, alles hat er vergessen. . .. 
Zwei Tage später las man in der Zeitung: 
„Von der Donau angetrieben wurde die 
Leiche eines unbekannten Greises. Persona 
lien konnten bislang nicht ermittelt werden. 
Der körperliche Befund legt die Vermutung 
nahe, daß Selbstmord aus Nahrungssorgen 
vorliegt. Die Polizeiverwaltung bittet um 
zweckdienliche Angaben." 
Das war alles, was die ungarische Presse 
über den einst gefeierten Komponisten Tan 
Horvath brachte .,.,
	        
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