Full text: Newspaper volume (1932, Bd. 4)

Zur Unterhaltung 
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Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitnng (Rendsburger Tageblatt) 
Freitag. 0en 16. Dezember 1932 
ÄRÜ / Die Geschichte örü zwölften Schillschen Offiziers 
Der feurig lohende Glutball der Sonne enttauchte 
Meere, der Morgen schritt über die umgo-ldeten 
Dellen, die um die flimmernde Küste spielten. 
Der Riegel der Zelle kreischte. »Raus! Vorwärts, 
®n die Arbeit!" Die heisere Stimme des Kerker 
meisters brach sich an den feuchten Wänden, die 
Ketten der Galeerensklaven klirrten, sie taumelten 
vom, faulenden Strohlager aus. 
Der Leutnant Heinrich von Wedel hielt sich am 
Kitschigen Mauerwerk fest. Pfeifend ging sein Atem. 
Eine Nacht, zermürbender denn je, war niederge 
rungen, nicht ober die Dunkelheit seiner Gedanken. 
»Frisch auf, Herr Leutnant vom Schillschen 
Korps, die Pferde sind gesattelt. Hören Sie nicht 
Eos Trompetensignal — trara — trara? Hinaus 
in den Morgen, Galopp — hihi !" Der Mit 
gefangene wälzte sich auf dem Strohlager, sein Ge» 
Eicher traf Wedel wie ein vergifteter Pfeil. Er 
şiihlte seine Knie wanken. »Gut geruht, Herr Offi 
cer? Etwas schlechtes Lager, wie? Die gestrige 
Dbendsuppe stank wie die Pest, was? Ich verzichtete 
«uf den Fraß und schüttete ihn fort, traf das Lager 
èes Herrn Leutnants, haha!" 
Der schwere Schritt des Wärters schleppte sich 
heran. »Los, verflixt noch mal, wollt Ihr Kerle wohl 
Un die Arbeit!" 
Wedel gab sich einen Ruck, die Kette klirrte, als 
^r mit seinem Mitgefangenen die Zelle verließ. Tief 
^alte er Atem, als de: weite Gefänznishof sich vor 
deinen die Helle scheuenden Blicken zeigte. Man 
ştellte sich in Rech und Glied, und noch nie war dem 
Offizier die Schar der Halunken und Verbrecher, 
Unter die man ihn verbannt, so widerlich gewesen, 
^och nie hatten ihn Gemeinheit und Niedrigkeit aus 
vertierten Gaunergesichtern so höhnisch ange- 
Die Aufseher rannten brüllend auf und ab. der 
8ug setzte sich in Bewegung. Man führte die Ko» 
Evnne die Hafenstraße hinunter, in dumpfem Trott 
Eamen die Galeerensträflinge von Cherbourg daher. 
Cie wurden, da die Schiffe vor Anker lagen, zur 
Zwangsarbeit verwandt. Das Meer umbrandete die 
ftatfe französische Seefestung, deren Hafen ausge- 
kfttit werden sollte. Der Leutnant von Wedel 
schleppte sich daher, die Kette am Fuße klirrte. Der 
oram hatte sein vom Dunst des Kerkers farblos 
gewordenes Antlitz gezeichnet, feine Augen schienen 
krloschen, der Nacken war gesenkt. 
Eiire Nacht, toller als alle vorangegangenen 
Mächte, lag hinter ihm. Dieser Bursche, dieser Un 
mensch, mit dem er den gleichen engen Raum ter- 
Een, die gleiche verpestete Luft atmen mußte, hatte 
Eine neue Niedrigkeit ersonnen, um ihm die kurze 
Nachtruhe zu rauben. Der Ekel überwältigte ihn 
schier, wenn er an das von der schleimigen Suppe 
verunreinigte Lager dachte. 
Er konnte nicht mehr. Schlimmer als alle Er. 
^iedrigungen, schlimmer als die Verschickung nach 
Cherbourg, als die Fron eines Galeerensträflings, 
Max der Ekel, -das Leben mit einem Mörder zu tci- 
^N. Warum mußte er bei Dodendorf verwundet 
Werden, er, der zwölfte der Schillschen Offiziere? 
Darum hatte man ihn zur Zwangsarbeit begnadigt, 
nicht nach Wesel geschafft, wo die anderen als 
Helden unter den welschen Kugeln zusammengesun 
ken waren? Glücklich, wer sterben durste; wie be- 
^idete er seine beiden Vettern Wedel, die zu den 
b Erschossenen gehörten! Er war ain Ende. Dieses 
mit dem er seit Monaten zusammenhanste, 
ņterte ihn unausgesetzt. Ein Ende — ein Ende! 
Wan war auf dem Arbeitsplatz angelangt, die 
^°Nne brannte, und bald lag über den gekrümmten 
Decken der Galeerensklaven eine dumpfe Wolke von 
schweiß und Staub. Man karrte Steine und Sand 
şir den Hafenbau, die Aufseher standen rauchend 
^bes — und die an die Fußgelenke geschmiedeten 
fetten der Sträflinge klirrten. Der Schillsche Offi 
cer verrichtete keuchend die Arbeit, aus den ge 
angenen Verbrechergestalten, mit den niedrigen 
Kirnen und erbarmungslosen Augen, hob sich die 
Schlankheit seiner Erscheinung, das fein Ze 
ichnete Antlitz seltsam heraus. Und Wedel arbeitete 
der sengenden Sonne, mit rissigen, bluten- 
Eü Händen. Da stieß ihn einer jäh zur Seite, spie 
t Us und traf Wedel. Der Offizier sah sich um, wäh- 
Kd er mit dem Aermel die Wange trocknete, sein 
Einiger grinste ihn an. Da schrie es in Wedel auf 
.. ein Ende — ein Ende! Rot schien alles um ihn, 
D Herz jagte, er umkrallte einen mächtigen Stein, 
? hob ihn auf — olles zerschmettern, diesen Kerl 
.sie damit sich selbst — die Zukunft, die Hoffnung 
^ Freiheit und Heimkehr. 
^.^sitenblaß war der Mann, schon schwang er den 
Kîn in den Fäusten empor — da flimmerte etwas 
Sand. Sein flackernder Mick erfaßte es. Es 
erzählt von Hans-Eberhard v. Be ffer. 
wuchs. golden und sonn enum flirrt. Und Wedel warf 
oen Stein dröhnend in die Karre, dicht am Kopfe 
seines Peinigers vorbei. Er bückte sich wie zufällig 
und haschte wie ein Ertrinkender nach dem goldenen 
Glanz im heißen Sand. Er barg verstohlen den 
Fund, er spürte ihn in der blutenden Rechten — 
ein Kreuz! Ein goldenes, kleines Kreuz! - 
Der Leutnant versteckte es, und ein tiefe Ruhe 
kam über ihn. Er arbeitete, und die Kette klirrte, 
doch feine gemarterte Seele hatte Halt. Ein Kreuz 
— dachte ex benommen. Im Meeressand ein an 
geschwemmtes Kreuz — eine mitleidige Welle hatte 
es ihm in höchster Gefahrenstunde gebracht. Irgend» 
wo da draußen auf dem wogenden Wasser, irgend» 
wann mochte es jemand verloren haben; vielleicht 
hatten es die verkrampften Hände einer ertrinkenden 
Frau, einer Mutter gehalten, als ein Schiff unter 
ging. Vielleicht — vielleicht Wedel arbeitete, 
bis die Sonne in der aufflammenden Meerestiefe 
untersank, bis der Zug in müdem Trott die abend- 
dämmerige Hafenstraße hinaufkltrrte. Und als das 
Meer im Mondlicht träumte ,fein verhaltener Laut 
in die Nacht des Kerkers drang, hielt der Schillsche 
Ossizier noch immer das Kreuz in der heißen Hand 
und es sprach zu seiner geknechteten Seele 
von Dulden und Erlösung. 
Er verwahrte es sorgsam als Talisman und 
empfand aufatmend, daß es ihm Kraft gab. Der 
Ekel wich, und grenzenloses Mitleid erfaßte ihn 
mit dem, der feine Zelle teilte. Die Last der Tage 
wurde leichter, die Napoleon ihm aufgebürdet. 
Trug nicht Preußen auch ein Leidenskreuz? Und 
kamen dennoch Stunden innerster Not, dann strahlte 
das Kreuz in -der Nacht, und Wedel fühlte sich aus 
den Tiefen der Hoffnungslosigkeit und Verzweif 
lung emporgerissen. Er legte das Kreuz auf feine 
Brust, drängte es hinein in den Schlag seines Her 
zens; alle Lebensenergien wurden wieder in ihm 
wach — und er glaubte an Preußen, an die Heim 
kehr, die FreiheitI 
Ein Tag ging in Nacht unter, und ein neuer 
Tag stieg aus ihr herauf. Und aus Tagen und Näch 
ten wurden Monate. Der Leutnant karrte Sand 
und Steine; seine Kette klirrte, und seine Hände 
bluteten. 
Da kam das Jahr 1812 und mit ihm die Begna 
digung des Galeerensklaven, für den sich König 
Friedrich Wilhelm III. bei Napoleon I. verwendet. 
Als im Jahre darauf Wedel mit den anderen -die 
die Klinge zog, die das Frührot des Morgens der 
Freiheit umzuckte, als er die Tage von Cherbourg 
rächte und für fein Preußen stritt, schmückte ihn 
bald ein Kreuz aus Eisen. Und in so mancher stillen 
Nacht, am flackerigen Lagerfeuer legte er das gol 
dene und das eiserne Kreuz nebeneinander. Im 
Schein glitten ihre Linien zusammen — und der 
zwölfte der Schillschen Offiziere sah lange empor 
in die gnadenhafte Hebe seliger Sterne. 
Wmtrrmörchm im Harz. 
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Ein schönes Bild von dem ticsvcr schneiten Weg ans den Brocken. 
Allerlei aus aster Welt. 
Mittelalter 1932 — Die Hexe von Füssen. | 
Das Amtsgericht Füssen verhandelte dieser 
Tage in einer Klage gegen eine Reihe von 
Personen ans Pfronten, die eine Verwandte 
als Unheil bringende Hexe bezeichnet hatten, 
die Menschen und Tieren Schaden zufüge und 
vernichtet werden müsse. Dadurch kam die 
arme Frau in die schlimmste Lage und wurde 
Zielscheibe des Spottes und des Hasses. Wick 
die Zeugen einstimmig versicherten, ist die 
Beschuldigte eine sehr ordentliche Hausfrau, 
und es ist unerfindlich, warum sie in den gro 
tesken Verruf der Hexerei geriet. Schließlich 
wurde ein Vergleich erzielt, und den Ver 
leumdern die Tragung der Kosten auferlegt. 
Das alles ist nicht etwa kurz nach dem Mit 
telalter der Hexenvcrbrennungen, sondern 
anno 1982 geschehen. 
Esperanto-Straßenbahner. 
Im nächsten Jahre findet in Köln der so 
genannte silberne Jubiläumskongreß des 
Esperanto-Bundes statt. Die Stadt Köln hat 
bereits eine umfangreiche Werbung in Szene 
gesetzt und tut auch sonst noch ihr Möglichstes 
für die Sache. So hat z. B. die Leitung der 
Kölner Straßenbahn Esperanto-Kurse für ihre 
Angestellten eingerichtet, die regen Zuspruch 
finden. Die Straßenbahnbeamten, die der 
Weltsprache mächtig sind, werden während der 
Zeit des Kongresses durch Armbinden kennt 
lich sein und den Fremden die nötigen Aus 
künfte erteilen. 
Das erste Jo-Jo-Verbot! 
In einer Versammlung der Mittelschulleh- 
rcr von Novisat (Neusatz, Jugoslawien) ist ein 
generelles Verbot des Jo-Jo-Spiels für sämt 
liche Schiller erlassen worden. Die Lehrer ha 
ben die Feststellung gemacht, daß die „Jo-Jo- 
Senche" die Schüler von ihren Arbeiten ab 
lenke und sic „in gefährlicher Weise schädige". 
Das neue Volksflngzeug „Zögling". 
Der von der deutschen Ostmesse her wohl be 
kannte Rossittener motorisierte „Zögling" 
(Konstrukteur Diplomingenieur Meyer-Ros- 
sitten) wurde vom Diplomingenieur Hessel 
bach in Rossitten mit gutem Erfolge eingeflo- 
gen. Tie Anlaufstrecke beim Start betrug 100 
Meter, der Auslauf bei der Landung nur 20 
Meter. Nach dem vorläufigen Urteil wird die 
Maschine sehr gut zur Umschulung vom Se 
gelflug zum Motorflug geeignet sein. Die 
Schule Rossitten wird die Maschine weiter ent 
wickeln und hofft die ersten Schulungsversuche 
in der kommenden Schulungssaison in Rossit 
ten durchführen zu können. Man hofft den 
Gestehungspreis der Maschine (einschließlich 
Motor) wesentlich unter 1000 Mark halten zu 
können. Die Maschine stellt insofern ein 
Volksflngzeug dar, als die Vereine sie sich 
selbst bauen können, denn die Flugzeugzelle 
ist dem bekannten Gleitflugzeugtyp „Zögling" 
der Rhön-Rossitten-Gesellschaft nahe ver 
wandt, der von den Vereinen zu tausenden 
von Exenrplarenşbaut worden ist. 
China und Frankreich 
gegen „Schanghai-Expreß". 
China ist so empfindlich gegen die Darstel 
lung von Chinesen auf der Leinwand, daß cs 
jetzt Marlene Dietrichs „Schanghai-Expreß" in 
Acht und Bann erklärt und außerdem die Zu 
rückziehung des Films auch außerhalb Chinas 
verlangt hat. Die Herstellerin des Films hat 
diese Forderung dahin beantwortet, daß der 
„Schanghai-Expreß" in allen Großstädten der 
Welt bereits vorgeführt worden sei. Da sie 
nichts weiter aus China hörte, nahm sie an, 
die Angelegenheit sei damit erledigt. Inzwi 
schen hat aber die chinesische Regierung die 
Zensur angewiesen, Filme jener Firma über 
haupt nicht mehr zu berücksichtigen, was prak 
tisch den Boykott bedeutet. Man weiß in Eu 
ropa und Amerika viel zu wenig, wie emp 
findlich gerade die Chinesen gegen die Art sind, 
wie sie auf der Leinwand dargestellt zu werden 
pflegen. Auch die Japaner sind zwar in diesem 
Punkt recht empfindlich, indessen haben die 
Chinesen ungleich stichhaltigere Gründe, sich 
zu beklagen, denn in den Filmen spielen sie 
im allgemeinen nur die Rolle von Kulis, Wä 
schern oder gar Rauschgiftschmugglern. Uebri- 
gens hat der „Schanghai-Expreß" auch in 
Frankreich zu Beschwerden Anlaß gegeben. 
Tie französische Regierung forderte, daß der 
französische Offizier aus allen Kopien, die in 
der Welt lausen, ausgeschnitten werde; an 
dernfalls sollen die Filme der Produktious- 
firma in Frankreich verboten werden. 
Der Elefant im Polizeipräsidium. 
Ein „Zauberer" der in München seine Kün 
ste zeigen wollte und als Prvpagandaaktivn 
einen Umzug mit seinem Elefanten durch 
München der Polizeibehörde angemeldet hatte, 
erhielt dieser Tage den Bescheid, er solle seinen 
Elefanten hübsch im Stall halten und den 
Münchener Berkchr dadurch nicht gefährden. 
Um nun das Polizeipräsidium von der außer 
ordentlichen Sanftmut seines Dickhäuters zu 
überzeugen, kam der Zauberer auf den origi 
nellen Gedanken, dem Polizeipräsidenten 
einen Besuch in Bcglcitnng des Elefanten zu 
machen. Erschreckt stoben die Beamten ausein 
ander, als der Graurock daher stampfte und 
Tische und Stühle umwarf. Allerdings nützte 
das persönliche Vorsprechen des Elefanten dein 
Zaubermeister sehr wenig, denn er erhielt 
keineswegs die Erlaubnis zu seinem Umzüge, 
sondern einen Strafbefehl! 
Tanzen --- nur mit Erlaubnis! 
In der amerikanischen Stadt Wcst-Frank- 
fort in Illinois haben die Behörden ein Tanz 
verbot erlassen, wonach man zu Hause nur mit 
einem besonderen polizeilichen Erlaubnis 
schein den Gesellschaftstanz ausüben darf. Ter 
Erlaubnisschein gibt eine genaue Zeit an und 
wird auch an Ballokale ausgegeben, die ihn 
allerdings auf die Geltungsdauer eines gan 
zen Jahres erhalten können. 
Lachen mrö Lächeln. 
Müller verliert bei einem plötzlichen Windstoß 
den Hut. Schreit einer: „Nageln Sie ihn doch auf 
dem Kopf fest!" 
Antwortet Müller: »Würde ich machen, wenn 
mein Kopf aus dem gleichen Material wäre wir 
Ihrer!" 
* 
»Sie behaupten also, uiit Ihrem Auto nicht die 
zulässige Geschwindigkeit überschritten zu haben? 
Wie wollen Sie das beweisen?" 
„Kann ich, kann ich, Herr Richter! Ich befand mich 
gerade auf dem Wege zum Steueramt!" 
WàrMch. 
Heinrich Hei» »Sophie Danielsen — ein starkes Herz*. 
Alexander Dimckcr Verlag, Weimar, geh. 3 Jl, geb. 4.80 M. 
— Der Roman beginnt als eine Heimatdichtung mit einer 
idyllischen Jugend in einer verträumten Kleinstadt. Er 
steigert sich aber rasch über eine romantische Jugendliebe hin- 
aus zu den Kämpfen zweier stammverwandter Nachbarvölker. 
Mit feinster Linkühlung gibt der Dichter Stimmungsbilder 
und Charakterschilderungen ans der Biedermeierzeit und 
zeigt das Ringen zwischen Deutschtum und Dänentum uv 
die Seele Schleswig.Holsteins. 
DerpkcmpCastfscfte Ton 
fhei Littdöteöm’s 
erlsf w'rîcnchkeîtsnûîie und spiegelt die 
Persönlichkeit. Lebenswahr hören Sie 
Künstler vonWeltruf,wie Gitta Alpar,Rieh. 
Tauber, Jan Kiepura und Lotte Lehmann 
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erhäUliatuniedemjutea Fachgeschäft 
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