Sonntagsge-ankm.
^Jch bin der gute Hirte und erkenne die
Meinen nnd bin bekannt den Meinen."
tJoh. 10, 14.)
Das Bild, daß wir einen Hirten, einen Lei
ter und Führer gebrauchen, ist uns nicht mehr
so unerträglich, wie vielleicht den stolzen Mei
stern unseres Geschlechts vor noch 10 Jahren.
Wir sehnen uns heute vielmehr nach einem
Mann, der wirklich Führer wäre. Der Auto-
ritätslosigkeit sind wir satt. Daß jeder seinem
eigenen Kopfe folgt, geht nicht. Wer nur
einigermaßen tiefer sieht, der kennt auch das
eigene Unvermögen, in unserer Zeit den Weg
aus all unsren Nöten zu finden. Darum steigt
die Willigkeit, sich unterzuordnen, wenn nur
eine wirklich feste Hand das Ruder führte.
Aber wo und wer ist der rechte Mann? Es
stellen sich genug Leute vor, die die Führung
übernehmen wollen, die um Gefolgschaft wer
ben. Aber sofort kommt uns der Zweifel:
Können die, was sie versprechen? Und tiefer
geht noch das andere Mißtrauen: Meinen sie
es ehrlich? Wir sind zu oft enttäuscht. Kleine
Geister führten große Worte im Munde nnd
entpuppten sich dann als bloße Parteibonzen,
die einen Posten haben wollten, von dem sie
leben könnten. Es gab und gibt auch große
Geister. Das soll nicht bestritten werden. Aber
was steckt hinter ihnen? Hinter den schönsten
und größten Worten, die von Vaterlands
und Bolksliebe trieften, verbarg sich nur zu
oft das nackte Partciinteresse. Nicht sich auf
opfern fürs Ganze wollten sie, sondern sie
suchten den Vorteil ihrer Klasse, ihres Stan
des, letzlich also sich selbst. Im Grunde trieb
sie der Egoismus, wenn auch nicht das „Ich",
so doch das „Wir". Wo sind die Führer, die
wirklich frei von Parteipolitik dem Ganzen
dienen? Und dieses Mißtrauen schlingt sich
auch, den Glauben erstickend, um kirchliche wie
antikirchliche Führung. Dient solche der Wahr
heit oder der eigenen Macht? Das ist das
Schlimme, daß wir so von Mißtrauen geradezu
zerfressen sind und uns kaum noch zu einem
rechten, vollen, hingebenden Zutrauen auf
raffen können.
In diese Not hinein strahlt wie ein Leucht
turm in finsterer Nacht das Wort Jesu: „Ich
bin der gute Hirte". Da ist in allem Hin und
Her der verschiedenen Meinungen e i n klarer
Wegweiser. Da ist unter all den aufflackern
den, so oft sich widerstreitenden Idealen e i n
ruhiger Leitstern. Bei Jesus ist alles einfach
und klar, fest und bestimmt, rein und sauber,
ehrlich und wahr, gerecht und gut, treu und
voll Güte. Wer sich von ihm leiten laßt, be
wegt sich auf guter Bahn. Und Jesus ist über
allen Verdacht erhaben, daß er unter einem
Deckmantel eigene Interessen verfolge. Er
starb ja für uns! Da haben wir den Führer,
der Vertrauen verdient. Oder wäre er ver
altet, da seine Worte schon 2000 Jahre alt sind?
Versuche cs! Du wirst bald merken, wie er
für dich paßt, wie er dir in dein Leben, deine
Sorgen, deine Kämpfe hineinleuchtet, als sprä
che er heute zu dir) wie er dir Winke und Rat
schläge, aber auch Ruhe, Klarheit, Kraft und
Frieden gibt, als stünde er persönlich neben
dir. Möchten wir es doch einmal versuchen,
diesem Führer zu folgen! Wir können es, wir
seien, was wir wollen. Dazu bedarf es keiner
Umwälzung, keiner neuen Verhältnisse, keiner
besseren Zeiten. Jesus nachfolgen können wir
heute, sofort. Nehmen mir ihn an, kommen
wir zunächst aus der inneren Unruhe und
Verzagtheit heraus,' wir kommen aber auch
aus dem verfahrenen Wesen heraus. Messen
wir an Jesus die Politiker, oder wer sich sonst
als Führer anbietet, wir haben einen feinen
sicheren Maßstab. So gewinnen wir die innere
Ruhe, mit der man dann auch an die Bewäl
tigung aller äußeren Aufgaben, auch der
öffentlichen Probleme herangehen kann.
Jesus kennt die Seinen. Er entspricht den
letzten Bedürfnissen der Menschen. Darum ist
er bekannt den. Seinen. Er findet bei jedem,
der es mit ihm ernstlich versucht, ein dank
bares Echo. Bloß hier setzt die ernste Segens
frage an: Wem ist denn Jesus bekannt? Wer
weiß von ihm mehr als einzelne Geschichten
und einige Katechismussätze? Wer hat sich mit
Jesu Bild ringend beschäftigt? Wer sammelt
Lebenserfahrungen bei ihm, mit ihm?
Der Führer ist da, der gute Hirte!
îîtķŗ dtt ŅKUşşch /Roman von Artur Vrausewetter
Nachdruck verboten.
„Zwangsversteigerung und kein Ende!" sagte er,
indem er sich zu den Geschwistern setzte und den
Portwein trank, den ihm Tekla nach alter Ge
pflogenheit sofort hatte kommen lasten. „Nun ist
auch Hochgrebin an der Reihe."
'„In einem Vierteljahr bei uns in Ostpreußen
nicht weniger als 139, wie ich in einer Statistik
las. So wird es fortgehen und wird noch schlim
mer kommen."
„Ist es zu verwundern, mein Junge, wenn die
Preise für unsere Erzeugniste mit jedem Tage
sinken, unsere Wechselverbindlichkeit bereits fünf
Millionen beträgt und die Einkommensteuer syste
matisch erhöht wird? Wo soll das hinaus? Auch
die kleinsten Besitzungen können sich bei tüchtigster
Wirtschaft nicht mehr halten. Wir sehen es ja am
Quast. Nein, wir stehen vor einem nicht mehr auf-
zuhaltenden Ruin. -Die Reihe wird an uns alle
kommen."
„Und wer Hilst uns? Da schreiben sie von der
großen Osthilfe. Gewiß, Geld ist genug nach Ost
preußen gekommen, aber wir haben es nicht be
kommen, höchstens unsere Gläubiger und die Ban
ken. Ist es da sin Wunder, wenn man schließlich
in die Klauen eines Menschen wie Zacharias
gerät?"
„Gut," erwiderte Elias Stritt mit Entschieden
heit. „Hilft uns keiner, so müssen wir uns eben
selber Helsen. Die Zeit ist da. Wir müssen uns zu
sammenschließen, müssen, fest und unentwegt bei-
einander stehend, eine geschlossene Front, vor allem
gegen die unerhörten Zwangsversteigerungen bil
den."
„Es wird nicht ganz einfach sein," erwiderte
Detlef bedenklich.
„O doch, es geht. Durch einen gewissen passiven
Widerstand. Wenn wir geschlossen erscheinen, ein
mütigen Protest erheben, uns untereinander durch
Wort und Handschlag verpflichten, keinerlei Gebot
abzugeben."
„Und wenn es einer doch tut?"
. „So schreien wir ihn bei dem ersten Versuche
nieder."
„Womit dann freilich der passive Widerstand zu
einem aktiven würde. Also Gewalt!"
Da erhob sich Elias Stritt von seinem Stuhle.
Ein seltsames Licht war in seinem von Falten und
Runzeln fast freien Gesicht, warf seinen Wider
schein über seine jugendlich straffe und doch so wür
dige Gveisengestalt.
„Wenn sie es nicht anders haben wollen, wenn
sie gegen die grenzenlose Rot, die uns verschlingt,
immer noch blind und taub bleiben — ja, dann
mit Gewalt! Ich habe mein ganzes Leben als
friedsamer Bürger verbracht, habe meine Scholle
bebaut, meinen Acker gepflügt, habe Gott gefürch
tet und mein Vaterland geliebt. Nie ist mir ein
rebellischer Gedanke gekommen. Auflehnung und
Empörung waren mir fremd. Jetzt aber — ich
stehe am Rande des Grabes, manchmal ist mir, als
würde es nicht lange mehr dauern — ja, laß nur,
mein Junge! Ich weiß, daß ich nichts hinaustragen
kann aus diesem arnimseligen Leben. An mich
brauche ich nicht zu denken. Ich habe meine Rech
nung abgeschlossen und kann gehen. Aber was soll
ans den anderen werden? Was aus unserer Ju
gend, aus unserem ländlichen Nachwuchs? Welcher
Besitzer hat heute noch den Mut, kann die Verant
wortung auf sich nehmen, seinen verschuldeten Be
sitz, den er selber nicht mehr halten konnte, seinem
Sohn zu vermachen? Wo bleibt der Grundbesitz,
der unser Volk einmal groß und stark gemacht, der
seine nie versagende Nährkammer geworden ist?
Soll er uns nichts übriglassen als ein Stück Holz,
aus dem wir den Wanderstab uns schnitzen, in eine
unbestiinmte Weite zu irren?"
„Er hat recht!"
Schweigend hatte Tekla dem Gespräch der Män
ner zugehört. Jetzt lebte ihr verschlossenes Antlitz
auf. Zug um Zug löste sich. „Recht hat er!" wie
derholte sie, und ihr Blut pulsierte in ihrer
Stimme. „Wir sind geknechtet und geschlagen. Wir
müssen uns aufrichten und wäre es mit Ge
walt!"
Nun war es still zwischen den dreien. Draußen
siel ein leichter Regen. Aber die Sonne schien, und
seine Tropfen spielten wie kleine Perlen durch ihre
weithin sich breitenden Strahlen. Ruhig und fried
lich streckte sich das weite Gehöft. Von den Ställen
drüben klang das Wiehern eines Pferdes, das
Blöken einer Kuh. Ein ferner Gesang ertönte, kam
näher. Die Leute kehrten zum Mittag heim und
hatten fröhliche Gedanken oder verscheuchten die
Sorgen, die auch ihnen nicht mehr fremd waren.
„Also eine regelrechte Verschwörung!" nahm
Detlef das Gespräch auf, indem er den Versuch
machte, ihm einen heiteren Klang zu geben. „Ein
Rütli der Bauern."
„Sie haben das rechte Wort gefunden!" rief
Elias Stritt in seiner impulsiven Lebhaftigkeit.
„Ein Rütli der Bauern! Ja, so soll es heißen!"
„Und wann werden wir t'agen??" fragte Detlef,
den angeschlagenen Ton beibehaltend. „In der
Nacht? Beim hellen Schein des Mondes? Zwischen
verschwiegenen Hügeln? Vielleicht drüben im
Wansdörfer Gehölz?"
„Nein, beim hellen Licht des Tages, im Antlitz
der Sonne, das wir nicht zu scheuen haben! Ans
unserer Scholle, unseren Feldern und Aeckern, di«
man uns nehmen will und die wir zu schützen
haben."
„Und wie denken Sie sich die nähere Ausgestal
tung?" fragte Detlef.
„Auch hier wird es heißen: „Es ist der Geist, der
sich den Körper baut". Führer müssen wir haben.
Und die sind heute knapp gesät. Sie, Detlef, sind
einer. Reden Eie mir nicht darein! Auf Sie setze
ich große Stück."
Aber Detlef wehrte ab: „Sie, der Vater des
Gedankens, müssen auch seine Durchführung lei
ten-. Ich füge mich Ihnen gern, werde den Platz
einnehmen und hoffentlich behaupten, den Sie mir
anweisen. Das kann ich versprechen — mehr nicht."
Ein Lächeln voll freundlicher Reife und doch
leiser Selbstironie flog über die dünnen Lippen
des alten Mannes.
„Lieber Freund," entgegnete er bedenklich, „Hitz
köpfe können wir in die Front senden, wenn der
Kampf entbrennt. Aber an der Spitze dürfen sie
nicht stehen. Doch wir brauchen noch andere, die
uns nach ihrer Art und ihrem Ansehen bei den
Großen und Kleinen ergänzen."
„An wen dachten Sie?"
„An Pfarrer Altdorf."
„Ein Geistlicher?" fragte Tekla. „Ist er für eine
solche, doch rein auf das Weltliche gerichtete Sache
der rechte Mann?"
„Auf dom Rütli war es ein Geistlicher, der die
Losung des Bundes aussprach: „Wir wollen sein
ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns
trennen und Gefahr." Dieser Altdorf ist der für
uns gegebene Mann. Die kleinen.Leute folgen ihm,
und die Großen haben Achtung vor ihm und seinem
Amte. Und er steht durchaus nicht über dem Leben,
sondern mit festen Füßen mitten in ihnl drin."
Tekla schwieg.
„So sind wir uns auch hierüber einig," meinte
Elias Stritt. „Nun aber habe ich noch einen an
deren im Auge, den ich. für unsere Sache gewinnen
möchte, ja auf dessen Beteiligung ich ÄZert lege,
den Laubinger aus Borkwalde."
Dis beiden Geschwister sahen einander an. Kei
nes äußerte Zustimmung oder Widerspruch.
„Ich kannte schon seinen Vater," fuhr Elias
Stritt unbeirrt fort, „und schätze ihn. Von dem
hat er viel. Er ist, wie der Alte es war, schweig
sam, hart in Wort und Wesen, in manchem Ihnen
ähnlich, Detlef, und doch wieder so ganz anders.
Denn hinter seiner Ruhe verbirgt sich eine Glut,
die, wenn sie einmal entfacht wird, den Weg sich
bahnt, und mögen ihm noch so viele Hindernisse
entgegenstehen. Solch ein Mann fehlt uns. Wir
brauchen ihn."
lFortsetzung folgt.)
Mrkhahnbal; im Heidemoor.
Auf dem Kieselberae —- so nennen die Heidjer die
sen 120 Meter hohen Sandhügel — habe ich mir
mit viel Mühe durch Anschleichen Und Ankriechen
einen Hahn ausgemacht mit Rosen wie Männer-
bäumen so dick und mit Sicheln so lang und krumm
wie der Griff vom Gehstv^ der flachsblonden Toch
ter des „Heidgrafen", in dessen Mooren und Wäl
dern ich jage. Schwarz ist der Hohn im Brust- und
Halsgefisder wie die kohligen Stubben der Fuhren,
die der letzte Moorbrand fraß. Dieses königlichste
und in seiner Balz Iägevauge und Iügerohr am
köstlichsten unterhaltende Wild unter unserem ge
samten Federwilde ist so selten geworden, daß jeder
Weidmann sich zehnmal fragen sollte: Läßt sich der
Schuß verantworten? Heute kann kein Jäger der
Lüneburger Heide und auch anderer Birkhahnge-
ņte behaupten, er habe so viele Birkhähne, daß
Maffenbeute — beim Birkhahn nennen wir heute
schon ein halbes Dutzend so — sich weidmännisch
verantworten lasse.
Ein Hahn aber, dem man die Jahre ansieht, der
vielleicht schon im nächsten Jahre kümmert und vom
Fuchs gerissen oder vom Habicht geschlagen wird,
der soll lieber an die Jagdwand, als daß der Wind
seine schwarzblauen und weißen Federn Ubers Moor
fegt.
Ich wartete an jenem Morgen 100 Meter von
ihm entfernt im Heidekraute liegend, bis er abritt,
dann baute ich mir aus den Plaggen in der Nähe
des Balzplatzes einen unauffälligen „Schirm", unter
dem ich aber nur liegend Deckung finden konnte,
und dann merkte ich mir meinen „Weg", den
Morgendustern in diesem weglosen weiten und fait
völlig baumlosen Gelände wiederfinden sollte.
Im Dunkel der Nacht muß ich zwei Stunden für
den Anmarsch nach jenem Balzplatz rechnen. Dist
Bon Wilhelm Hochgreoe
Luft ist wann, fast schwül, der Wind schwach. Him-
mel und Erde lassen sich nicht unterscheiden. Ich
höre die Beeke über ihr Wehr plätschern. Da weiß
ich, daß ich die Hälfte meines Weges hinter mir
habe. Nun geht es in die weglose Heide. Rauschend,
mit heiserem „Kreck-kreck" stehen Krickenten auf. Ich
lasse mich aufs Knie nieder und luge scharf nach der
alten schneeweißen Wetterbirke aus, die mich weiter
führen muß. Ich gehe behutsam weiter und zähle die
Torkkuhlen an meinem „Wege". Die alte Birke ist
noch ein Stückchen vor mir. Endlich sehe ich ihr mat
tes Leilchten. Ich bin am Fuß des Kieselberges, ober
noch lange nicht an, Balzpiatz. Jetzt muß ich den hel.
len Sandfleck erstreben, alles, ohne Lampenlicht,
denn mein Hahn kann in der Nähe in der Heide
stehen und darf nicht vergrämt werden. Auch den
Sandfleck, den Rand eines Granattrichters vom
Ilebungsschießen, habe ich nach erhitzender Quersuche
erreicht. Wenn ich jetzt die zwei Meter hohe Fuhre
auf der Höhe erkenne, dann weiß ich, wo der Balz-
platz liegt. Kniend kann ich sie gegen den Himmel,
der schon nicht mehr so schwarz ist, feststellen. Acht-
zig Meter links von ihr steht mein „Schirm". Ich
schliefe, Rucksack und Gewehr vor mir herschiebend,
zwischen die niedrigen Plaggenwände.
Run mag der Hahn kommen. Vor mir muß er
einfallen. Eine halbe Stunde aber wivd, weil es so
dufter ist, bis dahin noch vergehen. Totenstille.
Nichts höre ich als meinen Atem. Noch ist es Nacht.
Die Mooreulen haben das Wort. Lange Seufzer
schauern durch die Finsternis. Aufgeschreckte Stock
enten schlagen Lärm. Ein Fuchs wird sie umlun
gern. Krickenten schelten dazwischen. Ein Reh
schreckt. Nun wieder bleiernes Schweigen. Lange
Minuten. Da steigt zaghaft Lerchengedudel aur, ver
sinkt in die träge Stille. Jetzt, schweres Schwingen-
rudern über mir, mein Hahn, nein ich höre
i . '
ihn nicht einfallen, aber gar nicht weit muß er
stehen, der matte Wind trägt sein „Tschuchuit" an
mein lauerndes Ohr. Den ersten Keilhaken höre ich
trillern, und nun durchzittert der Wohllaut des Be-
kassinengemeckers die Lust.
Wo bleibt der Hahn? Sollte er Lunte gewittert
haben, meine Plaggenruine ihm da braust
er heran und fällt so nahe bei mir ein, daß der
Atem mir stocken will. Sekunden höchster Spannung
vergehen. Fast überhöre ich das Trompeten der
Kraniche, die am Moorsee stehen werden -—- ich
habe nur Sinn für den Haupthahn, der starr wie
ein Bildwerk und dennoch voll von Leben, das um
sich bangt, scharf sichernd vor mir stehen muß. Wie
eine Weißweinflasche mit rotem Siegellack darauf.
Dem Himmel sei Dank, meine Ruine kommt dem
Hahn nicht verdächtig vor: er zischt und faucht und
— verschweigt. Jeden Augenblick kann er abreiten.
Ich wage nicht, mich zu rühren. Nur mein Ohr gilt
jetzt. Der Hahn schreitet auf mich zu. Deutlich höre
ich, wie die Strünken der abgeplaggten Heide sein
Gefieder streifen. Jetzt zischt er so nahe bei mir, daß
ein Mensch mit Orang-Utang-Armen ihn greifen
könnte. Der andere Hahn beginnt zu kullern, meiner
faucht und macht einen Saß. Und nun kullert er
auch. Das ganze Moor wird lebendig. Aber mein
Ohr achtet nur auf dieses Kullern, das weiter und
weiter von mir abrückt. Ich wage den Kopf zu he
ben und sehe durch die Schießscharte den schwachen
Schimmer vom schneeigen Unterstoß des sich hin und
her drehenden Hahnes. Aber es muß heller werden,
bevor ich einen sicheren Schuß abgeben kann, da ich
noch nicht zu sagen vermag, wie weit der Hahn von
mir entfernt ist. Für den linken Schrotlauf meines
Drillings rechne ich höchstens 45 Schritt. Wer weiter
auf dieses Edelwild schießt, wäre des Jagdscheins
nicht wert, auch wenn der Hahn vom Hagel des
Schusses einmal liegt. Und dann gilt es auch, die
rechte Stelle zu fassen, nur seitlich. Denn vorn pral
len die Schrote ab oder dringen nur schwach, ein,
und aufs Spiel schießt man nicht, der Sicheln we-
geii. Immer weiter balzt sich mein Hahn von mir
fort nach dem andern hin, der ihn reizt.
Es wird hell. Durch die Schießlücke schätze ich die
Entfernung auf 60 Schritt. Hoppla, das war ein
weiter und hoher Sprung, noch 10 Schritt weiter
weg! Es wird heller, das ganze Moor brodelt und
gischt vor Kullern und Fauchen. Dazu die Himmels
ziegen, die Brachvögel und Kiebitze. So düster und
mürrisch, wie die Nacht war, so herrlich will der Tag
werden. Ich bin gar nicht böse, daß der Hahn sich
so weit fortbolzt. Kriege ich ihn heute nicht, dann
habe ich einen Grund, morgen wieder loszuziehen.
Die Birkhahnbalz im weiten, menschenleeren Heide
moor hat es mir nun einmal angetan. Drei Hennen
fallen vor mir ein und äugen meine Ruine an. Der
Hahn tanzt auf mich zu. Ich bin jetzt wieder ganz
Jäger und möchte ihn heute schon mein nennen. Noch
20 Schritt, dann knallts. Oder soll ich ihm aus dem
Büchsenlauf den Tod schicken? Nein, ich denke daran,
wie ich einen Hahn mit der Kugel zu Schanden
schoß und erst am anderen Tage fünfhundert Meter
vom Anschuß fand. Ueber den Kiefcrnwall am
Moorrande blinzt die rote Sonne. Kalter Hauch
pudert Reif über die Heide. Mein Hahn wwd still
und viele andere mit ihm. Hingekauert döst er in das
Morgenrot, während die Hennen äsen. Feierliche
Stimmung beherrscht das Moor. Höher klimmt die
Sonnenscheibe. Ehe der Reif taut, setzt die Sonnen-
balz ein und das Gekuller ist jetzt wie verdoppelt.
Auch mein Hahn wird munter und schiebt sich immer
höher heran. Heiß wird mein Iägerblut. Ich habe
die Drillingsmündung in der Lücke, und bevor die
sichernde Henne mit warnendem Gackern aufsteht,
ist der Hahn mein.
Mit langen Schritten machte ich mich ivarm. Wie
ich unten am Berge bin, steht die Sonne schon hoch.
Langsam schlendere ich heimwärts. Ich weih, ich
bleibe morgen früh liegen. Da will ich diesen Mor
gen noch auskosten, diesen Frühlingsvormorgen,
und in gierigen Zügen schlürft die Lunge den Herb
füßen Würzhauch der Gagelknospen, welche die
Sonne sprengte und wie lauter Gold flimmern
läßt.
Dee H onàgsfreunà
25. Jahrgang ' Nr. 83
Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt)
Sonnabend, den 9. April 193^