Full text: Newspaper volume (1932, Bd. 2)

Sonntagsge-ankm. 
^Jch bin der gute Hirte und erkenne die 
Meinen nnd bin bekannt den Meinen." 
tJoh. 10, 14.) 
Das Bild, daß wir einen Hirten, einen Lei 
ter und Führer gebrauchen, ist uns nicht mehr 
so unerträglich, wie vielleicht den stolzen Mei 
stern unseres Geschlechts vor noch 10 Jahren. 
Wir sehnen uns heute vielmehr nach einem 
Mann, der wirklich Führer wäre. Der Auto- 
ritätslosigkeit sind wir satt. Daß jeder seinem 
eigenen Kopfe folgt, geht nicht. Wer nur 
einigermaßen tiefer sieht, der kennt auch das 
eigene Unvermögen, in unserer Zeit den Weg 
aus all unsren Nöten zu finden. Darum steigt 
die Willigkeit, sich unterzuordnen, wenn nur 
eine wirklich feste Hand das Ruder führte. 
Aber wo und wer ist der rechte Mann? Es 
stellen sich genug Leute vor, die die Führung 
übernehmen wollen, die um Gefolgschaft wer 
ben. Aber sofort kommt uns der Zweifel: 
Können die, was sie versprechen? Und tiefer 
geht noch das andere Mißtrauen: Meinen sie 
es ehrlich? Wir sind zu oft enttäuscht. Kleine 
Geister führten große Worte im Munde nnd 
entpuppten sich dann als bloße Parteibonzen, 
die einen Posten haben wollten, von dem sie 
leben könnten. Es gab und gibt auch große 
Geister. Das soll nicht bestritten werden. Aber 
was steckt hinter ihnen? Hinter den schönsten 
und größten Worten, die von Vaterlands 
und Bolksliebe trieften, verbarg sich nur zu 
oft das nackte Partciinteresse. Nicht sich auf 
opfern fürs Ganze wollten sie, sondern sie 
suchten den Vorteil ihrer Klasse, ihres Stan 
des, letzlich also sich selbst. Im Grunde trieb 
sie der Egoismus, wenn auch nicht das „Ich", 
so doch das „Wir". Wo sind die Führer, die 
wirklich frei von Parteipolitik dem Ganzen 
dienen? Und dieses Mißtrauen schlingt sich 
auch, den Glauben erstickend, um kirchliche wie 
antikirchliche Führung. Dient solche der Wahr 
heit oder der eigenen Macht? Das ist das 
Schlimme, daß wir so von Mißtrauen geradezu 
zerfressen sind und uns kaum noch zu einem 
rechten, vollen, hingebenden Zutrauen auf 
raffen können. 
In diese Not hinein strahlt wie ein Leucht 
turm in finsterer Nacht das Wort Jesu: „Ich 
bin der gute Hirte". Da ist in allem Hin und 
Her der verschiedenen Meinungen e i n klarer 
Wegweiser. Da ist unter all den aufflackern 
den, so oft sich widerstreitenden Idealen e i n 
ruhiger Leitstern. Bei Jesus ist alles einfach 
und klar, fest und bestimmt, rein und sauber, 
ehrlich und wahr, gerecht und gut, treu und 
voll Güte. Wer sich von ihm leiten laßt, be 
wegt sich auf guter Bahn. Und Jesus ist über 
allen Verdacht erhaben, daß er unter einem 
Deckmantel eigene Interessen verfolge. Er 
starb ja für uns! Da haben wir den Führer, 
der Vertrauen verdient. Oder wäre er ver 
altet, da seine Worte schon 2000 Jahre alt sind? 
Versuche cs! Du wirst bald merken, wie er 
für dich paßt, wie er dir in dein Leben, deine 
Sorgen, deine Kämpfe hineinleuchtet, als sprä 
che er heute zu dir) wie er dir Winke und Rat 
schläge, aber auch Ruhe, Klarheit, Kraft und 
Frieden gibt, als stünde er persönlich neben 
dir. Möchten wir es doch einmal versuchen, 
diesem Führer zu folgen! Wir können es, wir 
seien, was wir wollen. Dazu bedarf es keiner 
Umwälzung, keiner neuen Verhältnisse, keiner 
besseren Zeiten. Jesus nachfolgen können wir 
heute, sofort. Nehmen mir ihn an, kommen 
wir zunächst aus der inneren Unruhe und 
Verzagtheit heraus,' wir kommen aber auch 
aus dem verfahrenen Wesen heraus. Messen 
wir an Jesus die Politiker, oder wer sich sonst 
als Führer anbietet, wir haben einen feinen 
sicheren Maßstab. So gewinnen wir die innere 
Ruhe, mit der man dann auch an die Bewäl 
tigung aller äußeren Aufgaben, auch der 
öffentlichen Probleme herangehen kann. 
Jesus kennt die Seinen. Er entspricht den 
letzten Bedürfnissen der Menschen. Darum ist 
er bekannt den. Seinen. Er findet bei jedem, 
der es mit ihm ernstlich versucht, ein dank 
bares Echo. Bloß hier setzt die ernste Segens 
frage an: Wem ist denn Jesus bekannt? Wer 
weiß von ihm mehr als einzelne Geschichten 
und einige Katechismussätze? Wer hat sich mit 
Jesu Bild ringend beschäftigt? Wer sammelt 
Lebenserfahrungen bei ihm, mit ihm? 
Der Führer ist da, der gute Hirte! 
îîtķŗ dtt ŅKUşşch /Roman von Artur Vrausewetter 
Nachdruck verboten. 
„Zwangsversteigerung und kein Ende!" sagte er, 
indem er sich zu den Geschwistern setzte und den 
Portwein trank, den ihm Tekla nach alter Ge 
pflogenheit sofort hatte kommen lasten. „Nun ist 
auch Hochgrebin an der Reihe." 
'„In einem Vierteljahr bei uns in Ostpreußen 
nicht weniger als 139, wie ich in einer Statistik 
las. So wird es fortgehen und wird noch schlim 
mer kommen." 
„Ist es zu verwundern, mein Junge, wenn die 
Preise für unsere Erzeugniste mit jedem Tage 
sinken, unsere Wechselverbindlichkeit bereits fünf 
Millionen beträgt und die Einkommensteuer syste 
matisch erhöht wird? Wo soll das hinaus? Auch 
die kleinsten Besitzungen können sich bei tüchtigster 
Wirtschaft nicht mehr halten. Wir sehen es ja am 
Quast. Nein, wir stehen vor einem nicht mehr auf- 
zuhaltenden Ruin. -Die Reihe wird an uns alle 
kommen." 
„Und wer Hilst uns? Da schreiben sie von der 
großen Osthilfe. Gewiß, Geld ist genug nach Ost 
preußen gekommen, aber wir haben es nicht be 
kommen, höchstens unsere Gläubiger und die Ban 
ken. Ist es da sin Wunder, wenn man schließlich 
in die Klauen eines Menschen wie Zacharias 
gerät?" 
„Gut," erwiderte Elias Stritt mit Entschieden 
heit. „Hilft uns keiner, so müssen wir uns eben 
selber Helsen. Die Zeit ist da. Wir müssen uns zu 
sammenschließen, müssen, fest und unentwegt bei- 
einander stehend, eine geschlossene Front, vor allem 
gegen die unerhörten Zwangsversteigerungen bil 
den." 
„Es wird nicht ganz einfach sein," erwiderte 
Detlef bedenklich. 
„O doch, es geht. Durch einen gewissen passiven 
Widerstand. Wenn wir geschlossen erscheinen, ein 
mütigen Protest erheben, uns untereinander durch 
Wort und Handschlag verpflichten, keinerlei Gebot 
abzugeben." 
„Und wenn es einer doch tut?" 
. „So schreien wir ihn bei dem ersten Versuche 
nieder." 
„Womit dann freilich der passive Widerstand zu 
einem aktiven würde. Also Gewalt!" 
Da erhob sich Elias Stritt von seinem Stuhle. 
Ein seltsames Licht war in seinem von Falten und 
Runzeln fast freien Gesicht, warf seinen Wider 
schein über seine jugendlich straffe und doch so wür 
dige Gveisengestalt. 
„Wenn sie es nicht anders haben wollen, wenn 
sie gegen die grenzenlose Rot, die uns verschlingt, 
immer noch blind und taub bleiben — ja, dann 
mit Gewalt! Ich habe mein ganzes Leben als 
friedsamer Bürger verbracht, habe meine Scholle 
bebaut, meinen Acker gepflügt, habe Gott gefürch 
tet und mein Vaterland geliebt. Nie ist mir ein 
rebellischer Gedanke gekommen. Auflehnung und 
Empörung waren mir fremd. Jetzt aber — ich 
stehe am Rande des Grabes, manchmal ist mir, als 
würde es nicht lange mehr dauern — ja, laß nur, 
mein Junge! Ich weiß, daß ich nichts hinaustragen 
kann aus diesem arnimseligen Leben. An mich 
brauche ich nicht zu denken. Ich habe meine Rech 
nung abgeschlossen und kann gehen. Aber was soll 
ans den anderen werden? Was aus unserer Ju 
gend, aus unserem ländlichen Nachwuchs? Welcher 
Besitzer hat heute noch den Mut, kann die Verant 
wortung auf sich nehmen, seinen verschuldeten Be 
sitz, den er selber nicht mehr halten konnte, seinem 
Sohn zu vermachen? Wo bleibt der Grundbesitz, 
der unser Volk einmal groß und stark gemacht, der 
seine nie versagende Nährkammer geworden ist? 
Soll er uns nichts übriglassen als ein Stück Holz, 
aus dem wir den Wanderstab uns schnitzen, in eine 
unbestiinmte Weite zu irren?" 
„Er hat recht!" 
Schweigend hatte Tekla dem Gespräch der Män 
ner zugehört. Jetzt lebte ihr verschlossenes Antlitz 
auf. Zug um Zug löste sich. „Recht hat er!" wie 
derholte sie, und ihr Blut pulsierte in ihrer 
Stimme. „Wir sind geknechtet und geschlagen. Wir 
müssen uns aufrichten und wäre es mit Ge 
walt!" 
Nun war es still zwischen den dreien. Draußen 
siel ein leichter Regen. Aber die Sonne schien, und 
seine Tropfen spielten wie kleine Perlen durch ihre 
weithin sich breitenden Strahlen. Ruhig und fried 
lich streckte sich das weite Gehöft. Von den Ställen 
drüben klang das Wiehern eines Pferdes, das 
Blöken einer Kuh. Ein ferner Gesang ertönte, kam 
näher. Die Leute kehrten zum Mittag heim und 
hatten fröhliche Gedanken oder verscheuchten die 
Sorgen, die auch ihnen nicht mehr fremd waren. 
„Also eine regelrechte Verschwörung!" nahm 
Detlef das Gespräch auf, indem er den Versuch 
machte, ihm einen heiteren Klang zu geben. „Ein 
Rütli der Bauern." 
„Sie haben das rechte Wort gefunden!" rief 
Elias Stritt in seiner impulsiven Lebhaftigkeit. 
„Ein Rütli der Bauern! Ja, so soll es heißen!" 
„Und wann werden wir t'agen??" fragte Detlef, 
den angeschlagenen Ton beibehaltend. „In der 
Nacht? Beim hellen Schein des Mondes? Zwischen 
verschwiegenen Hügeln? Vielleicht drüben im 
Wansdörfer Gehölz?" 
„Nein, beim hellen Licht des Tages, im Antlitz 
der Sonne, das wir nicht zu scheuen haben! Ans 
unserer Scholle, unseren Feldern und Aeckern, di« 
man uns nehmen will und die wir zu schützen 
haben." 
„Und wie denken Sie sich die nähere Ausgestal 
tung?" fragte Detlef. 
„Auch hier wird es heißen: „Es ist der Geist, der 
sich den Körper baut". Führer müssen wir haben. 
Und die sind heute knapp gesät. Sie, Detlef, sind 
einer. Reden Eie mir nicht darein! Auf Sie setze 
ich große Stück." 
Aber Detlef wehrte ab: „Sie, der Vater des 
Gedankens, müssen auch seine Durchführung lei 
ten-. Ich füge mich Ihnen gern, werde den Platz 
einnehmen und hoffentlich behaupten, den Sie mir 
anweisen. Das kann ich versprechen — mehr nicht." 
Ein Lächeln voll freundlicher Reife und doch 
leiser Selbstironie flog über die dünnen Lippen 
des alten Mannes. 
„Lieber Freund," entgegnete er bedenklich, „Hitz 
köpfe können wir in die Front senden, wenn der 
Kampf entbrennt. Aber an der Spitze dürfen sie 
nicht stehen. Doch wir brauchen noch andere, die 
uns nach ihrer Art und ihrem Ansehen bei den 
Großen und Kleinen ergänzen." 
„An wen dachten Sie?" 
„An Pfarrer Altdorf." 
„Ein Geistlicher?" fragte Tekla. „Ist er für eine 
solche, doch rein auf das Weltliche gerichtete Sache 
der rechte Mann?" 
„Auf dom Rütli war es ein Geistlicher, der die 
Losung des Bundes aussprach: „Wir wollen sein 
ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns 
trennen und Gefahr." Dieser Altdorf ist der für 
uns gegebene Mann. Die kleinen.Leute folgen ihm, 
und die Großen haben Achtung vor ihm und seinem 
Amte. Und er steht durchaus nicht über dem Leben, 
sondern mit festen Füßen mitten in ihnl drin." 
Tekla schwieg. 
„So sind wir uns auch hierüber einig," meinte 
Elias Stritt. „Nun aber habe ich noch einen an 
deren im Auge, den ich. für unsere Sache gewinnen 
möchte, ja auf dessen Beteiligung ich ÄZert lege, 
den Laubinger aus Borkwalde." 
Dis beiden Geschwister sahen einander an. Kei 
nes äußerte Zustimmung oder Widerspruch. 
„Ich kannte schon seinen Vater," fuhr Elias 
Stritt unbeirrt fort, „und schätze ihn. Von dem 
hat er viel. Er ist, wie der Alte es war, schweig 
sam, hart in Wort und Wesen, in manchem Ihnen 
ähnlich, Detlef, und doch wieder so ganz anders. 
Denn hinter seiner Ruhe verbirgt sich eine Glut, 
die, wenn sie einmal entfacht wird, den Weg sich 
bahnt, und mögen ihm noch so viele Hindernisse 
entgegenstehen. Solch ein Mann fehlt uns. Wir 
brauchen ihn." 
lFortsetzung folgt.) 
Mrkhahnbal; im Heidemoor. 
Auf dem Kieselberae —- so nennen die Heidjer die 
sen 120 Meter hohen Sandhügel — habe ich mir 
mit viel Mühe durch Anschleichen Und Ankriechen 
einen Hahn ausgemacht mit Rosen wie Männer- 
bäumen so dick und mit Sicheln so lang und krumm 
wie der Griff vom Gehstv^ der flachsblonden Toch 
ter des „Heidgrafen", in dessen Mooren und Wäl 
dern ich jage. Schwarz ist der Hohn im Brust- und 
Halsgefisder wie die kohligen Stubben der Fuhren, 
die der letzte Moorbrand fraß. Dieses königlichste 
und in seiner Balz Iägevauge und Iügerohr am 
köstlichsten unterhaltende Wild unter unserem ge 
samten Federwilde ist so selten geworden, daß jeder 
Weidmann sich zehnmal fragen sollte: Läßt sich der 
Schuß verantworten? Heute kann kein Jäger der 
Lüneburger Heide und auch anderer Birkhahnge- 
ņte behaupten, er habe so viele Birkhähne, daß 
Maffenbeute — beim Birkhahn nennen wir heute 
schon ein halbes Dutzend so — sich weidmännisch 
verantworten lasse. 
Ein Hahn aber, dem man die Jahre ansieht, der 
vielleicht schon im nächsten Jahre kümmert und vom 
Fuchs gerissen oder vom Habicht geschlagen wird, 
der soll lieber an die Jagdwand, als daß der Wind 
seine schwarzblauen und weißen Federn Ubers Moor 
fegt. 
Ich wartete an jenem Morgen 100 Meter von 
ihm entfernt im Heidekraute liegend, bis er abritt, 
dann baute ich mir aus den Plaggen in der Nähe 
des Balzplatzes einen unauffälligen „Schirm", unter 
dem ich aber nur liegend Deckung finden konnte, 
und dann merkte ich mir meinen „Weg", den 
Morgendustern in diesem weglosen weiten und fait 
völlig baumlosen Gelände wiederfinden sollte. 
Im Dunkel der Nacht muß ich zwei Stunden für 
den Anmarsch nach jenem Balzplatz rechnen. Dist 
Bon Wilhelm Hochgreoe 
Luft ist wann, fast schwül, der Wind schwach. Him- 
mel und Erde lassen sich nicht unterscheiden. Ich 
höre die Beeke über ihr Wehr plätschern. Da weiß 
ich, daß ich die Hälfte meines Weges hinter mir 
habe. Nun geht es in die weglose Heide. Rauschend, 
mit heiserem „Kreck-kreck" stehen Krickenten auf. Ich 
lasse mich aufs Knie nieder und luge scharf nach der 
alten schneeweißen Wetterbirke aus, die mich weiter 
führen muß. Ich gehe behutsam weiter und zähle die 
Torkkuhlen an meinem „Wege". Die alte Birke ist 
noch ein Stückchen vor mir. Endlich sehe ich ihr mat 
tes Leilchten. Ich bin am Fuß des Kieselberges, ober 
noch lange nicht an, Balzpiatz. Jetzt muß ich den hel. 
len Sandfleck erstreben, alles, ohne Lampenlicht, 
denn mein Hahn kann in der Nähe in der Heide 
stehen und darf nicht vergrämt werden. Auch den 
Sandfleck, den Rand eines Granattrichters vom 
Ilebungsschießen, habe ich nach erhitzender Quersuche 
erreicht. Wenn ich jetzt die zwei Meter hohe Fuhre 
auf der Höhe erkenne, dann weiß ich, wo der Balz- 
platz liegt. Kniend kann ich sie gegen den Himmel, 
der schon nicht mehr so schwarz ist, feststellen. Acht- 
zig Meter links von ihr steht mein „Schirm". Ich 
schliefe, Rucksack und Gewehr vor mir herschiebend, 
zwischen die niedrigen Plaggenwände. 
Run mag der Hahn kommen. Vor mir muß er 
einfallen. Eine halbe Stunde aber wivd, weil es so 
dufter ist, bis dahin noch vergehen. Totenstille. 
Nichts höre ich als meinen Atem. Noch ist es Nacht. 
Die Mooreulen haben das Wort. Lange Seufzer 
schauern durch die Finsternis. Aufgeschreckte Stock 
enten schlagen Lärm. Ein Fuchs wird sie umlun 
gern. Krickenten schelten dazwischen. Ein Reh 
schreckt. Nun wieder bleiernes Schweigen. Lange 
Minuten. Da steigt zaghaft Lerchengedudel aur, ver 
sinkt in die träge Stille. Jetzt, schweres Schwingen- 
rudern über mir, mein Hahn, nein ich höre 
i . ' 
ihn nicht einfallen, aber gar nicht weit muß er 
stehen, der matte Wind trägt sein „Tschuchuit" an 
mein lauerndes Ohr. Den ersten Keilhaken höre ich 
trillern, und nun durchzittert der Wohllaut des Be- 
kassinengemeckers die Lust. 
Wo bleibt der Hahn? Sollte er Lunte gewittert 
haben, meine Plaggenruine ihm da braust 
er heran und fällt so nahe bei mir ein, daß der 
Atem mir stocken will. Sekunden höchster Spannung 
vergehen. Fast überhöre ich das Trompeten der 
Kraniche, die am Moorsee stehen werden -—- ich 
habe nur Sinn für den Haupthahn, der starr wie 
ein Bildwerk und dennoch voll von Leben, das um 
sich bangt, scharf sichernd vor mir stehen muß. Wie 
eine Weißweinflasche mit rotem Siegellack darauf. 
Dem Himmel sei Dank, meine Ruine kommt dem 
Hahn nicht verdächtig vor: er zischt und faucht und 
— verschweigt. Jeden Augenblick kann er abreiten. 
Ich wage nicht, mich zu rühren. Nur mein Ohr gilt 
jetzt. Der Hahn schreitet auf mich zu. Deutlich höre 
ich, wie die Strünken der abgeplaggten Heide sein 
Gefieder streifen. Jetzt zischt er so nahe bei mir, daß 
ein Mensch mit Orang-Utang-Armen ihn greifen 
könnte. Der andere Hahn beginnt zu kullern, meiner 
faucht und macht einen Saß. Und nun kullert er 
auch. Das ganze Moor wird lebendig. Aber mein 
Ohr achtet nur auf dieses Kullern, das weiter und 
weiter von mir abrückt. Ich wage den Kopf zu he 
ben und sehe durch die Schießscharte den schwachen 
Schimmer vom schneeigen Unterstoß des sich hin und 
her drehenden Hahnes. Aber es muß heller werden, 
bevor ich einen sicheren Schuß abgeben kann, da ich 
noch nicht zu sagen vermag, wie weit der Hahn von 
mir entfernt ist. Für den linken Schrotlauf meines 
Drillings rechne ich höchstens 45 Schritt. Wer weiter 
auf dieses Edelwild schießt, wäre des Jagdscheins 
nicht wert, auch wenn der Hahn vom Hagel des 
Schusses einmal liegt. Und dann gilt es auch, die 
rechte Stelle zu fassen, nur seitlich. Denn vorn pral 
len die Schrote ab oder dringen nur schwach, ein, 
und aufs Spiel schießt man nicht, der Sicheln we- 
geii. Immer weiter balzt sich mein Hahn von mir 
fort nach dem andern hin, der ihn reizt. 
Es wird hell. Durch die Schießlücke schätze ich die 
Entfernung auf 60 Schritt. Hoppla, das war ein 
weiter und hoher Sprung, noch 10 Schritt weiter 
weg! Es wird heller, das ganze Moor brodelt und 
gischt vor Kullern und Fauchen. Dazu die Himmels 
ziegen, die Brachvögel und Kiebitze. So düster und 
mürrisch, wie die Nacht war, so herrlich will der Tag 
werden. Ich bin gar nicht böse, daß der Hahn sich 
so weit fortbolzt. Kriege ich ihn heute nicht, dann 
habe ich einen Grund, morgen wieder loszuziehen. 
Die Birkhahnbalz im weiten, menschenleeren Heide 
moor hat es mir nun einmal angetan. Drei Hennen 
fallen vor mir ein und äugen meine Ruine an. Der 
Hahn tanzt auf mich zu. Ich bin jetzt wieder ganz 
Jäger und möchte ihn heute schon mein nennen. Noch 
20 Schritt, dann knallts. Oder soll ich ihm aus dem 
Büchsenlauf den Tod schicken? Nein, ich denke daran, 
wie ich einen Hahn mit der Kugel zu Schanden 
schoß und erst am anderen Tage fünfhundert Meter 
vom Anschuß fand. Ueber den Kiefcrnwall am 
Moorrande blinzt die rote Sonne. Kalter Hauch 
pudert Reif über die Heide. Mein Hahn wwd still 
und viele andere mit ihm. Hingekauert döst er in das 
Morgenrot, während die Hennen äsen. Feierliche 
Stimmung beherrscht das Moor. Höher klimmt die 
Sonnenscheibe. Ehe der Reif taut, setzt die Sonnen- 
balz ein und das Gekuller ist jetzt wie verdoppelt. 
Auch mein Hahn wird munter und schiebt sich immer 
höher heran. Heiß wird mein Iägerblut. Ich habe 
die Drillingsmündung in der Lücke, und bevor die 
sichernde Henne mit warnendem Gackern aufsteht, 
ist der Hahn mein. 
Mit langen Schritten machte ich mich ivarm. Wie 
ich unten am Berge bin, steht die Sonne schon hoch. 
Langsam schlendere ich heimwärts. Ich weih, ich 
bleibe morgen früh liegen. Da will ich diesen Mor 
gen noch auskosten, diesen Frühlingsvormorgen, 
und in gierigen Zügen schlürft die Lunge den Herb 
füßen Würzhauch der Gagelknospen, welche die 
Sonne sprengte und wie lauter Gold flimmern 
läßt. 
Dee H onàgsfreunà 
25. Jahrgang ' Nr. 83 
Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Sonnabend, den 9. April 193^
	        
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