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auch ballonbereift zu neuen.
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Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt)
Donnerstag, den 14. April 1^33
Vachs Kirchmmuşik.
Sot Aufführung Bach'scher Kantaten durch den
Bach-Ehor am 17. April, abends 8 Uhr. in der
Ehristkirche.
Reben der großen Zahl der Orgelwerke ist die
Kantate diejenige Form der Kirchenmusik, in der
sich die schöpferische Tätigkeit des großen Leipziger
Thomaskantors Johann Sebastian Bach nicht nur
bei weitem am häufigsten, sondern auch am mannig
faltigsten bewegt hat. Die Kantaten sind eigentlich
für den Gottesdienst gedacht, Liturgie und Ge
meindegesang sollen sie vorbereiten und fortsetzen.
Fünf vollständige Jahrgänge (für alle Sonn- und
Festtage) von Kantaten hat der ungemein fleißige
Thomaskantor Bach geschaffen (also nahezu 300
Kantaten). 190 dieser Kantaten sind uns erhalten.
(Don Leipzig aus über den Doutschlandfender wird
feit langer Zeit schon jeden Sonntag je eine
für den Sonntag geeignete Kantate durch die Tho
maner unter Prof. Karl Straube geboten, um allen
Hörern Gelegenheit zu geben, dieses reiche Schaf
fensgebiet des großen Meisters kennen zu lernen.)
Die Dach'sche Kirchenmusik wird vom Kirchenlied
getragen (damals bestimmte der Kantor die Ge-
meindelieder für den Gottesdienst und fiir die Kan
tate). Manche Bach-Kantaten behandeln ausschließ
lich das Kirchenlied.
Eine solche Choralkantate über den bekannten
Choral „Wer nur den lieben Gott läßt walten" bie
tet der Bach-Chor zur Einleitung in seinen Bach-
Kantatenabend. Rach einer kurzen Orchestereinlei
tung (Streichorchester mit 2 Oboen) läßt der Meister
die erste Choralzeile von den beiden Frauenstimmen
frei vortragen. Die verwendete Choralmelodie wird
dabei ausgeschmückt, so daß einige Textworte wie
„lieben Gott" und „walten" noch durch Tonmale
reien unterstrichen werden. Indem so alle Choral
zeilen von einigen Stimmen vorausbehandelt wer
den, Dach sie dann aber mehrstimmig vom ganzen
Chor (mit Orchester) einsetzen läätzt, erzielt er eine
ausgezeichnete Klangwirkung, die zum Schluß eine
große Steigerung bringt. Eine schöne Zuversicht ge
winnt in der Zeile „wer Gott, dem Allerhöchsten,
traut" Ausdruck. — Der zweite Choralvcrs ist ein
Baßrezitativ. Auch hierin ist die Choralmelodie klar
zu erkennen. Eigenartig ist die Textgestaltung: z. B.
Was helfen uns die schweren Sorgen? Die drücken
uns das Herz mit Zentnerpein, mit tausend Angst
und Schmerz. In diesem Rezitativ zeigt sich Bach
auch als feiner Tonmaler. Man achte auf den Aus
druck bei Worten wie „seufzen", „christlicher Gelas
senheit". ...
Bon großer Schönheit ist die folgende Tenorarie
(Choralvers 3): „Man halte nur ein wenig stille",
die schr einfach und verständlich gehalten ist. Der
4. Vers ist ein Chorduett für Sopran und Alt, die
Streicher spielen dazu die Choralnlelodie. Bers 5 ist
ähnlich gehalten wie Bers 2 — ein Tenor-Rezitativ.
Wieder werden in den Choraltext Zeilen eingefügt,
die durch die Musik reich illustriert werden. Die fol
gende Sopran-Arie (Bers 6) ist wie die Tenor-Arie
(Vers 3) in knapper Form, aber zur Tenor-Arie in-
haltlich gegensätzlich gehalten: „Ich will auf den
Herren schauen", leidenschaftlich schwingt sich diese
Melodiezeile — motivisch immer wiederkehrend —
hoffnungsfreudig aufwärts.
Ein Ringen um Ergebung, ein Schwanken zwi
schen Furcht und Hoffnung zieht sich durch das
Werk — erst der Schluß des am Ende stehenden
Chorals entscheidet mit seinem Durchkämpfen zum
C-Dur-Akkovd den Sieg des Gottvertrauens.
Im 2. Teil des Programms stehen einige schöne
Arien für Sopran und Tenor mit begleitenden In
strumenten. Der Chor singt die Choralbearbeitungen
über Bachs Lieblingschoral „Jesu, meine Freude"
aus der gleichnamigen fünfstimmigen Motette. (Die
ganze Motette „Ieiu, meine Freude" wird der Bach-
Chor im Laufe des Sommers zur Aufführung brin
gen.) Die. vier Verse des Chorals sind ihrem In
halte entsprechend verschieden bearbeitet. Den er
sten und letzten Vers läßt Bach schlicht vierstimmig
singen. In reichem fünfstimmigen Chorsatz ist der
zweite Vers: „Unter deinen Schirmen" gehalten.
Bon eindringlicher Wirkung ist der vierte Vers:
„Weg mit allen Schätzen!", wo Bach ganz deutlich
in kurzen, harten Schlägen das „Weg; weg!" malt.
Auch in diesem Chorsatz findet man viele Beispiele
für die Tonmalerei bei Bach.
Der dritte Teil des Programms bietet eine der
schönsten Bach-Kantaten: „Du Hirte Israels, höre."
Der erste Chor — das Hauptstück der Kantate — ist
eines jener ganz alleinstehenden Meisterwerke, lieb
lich und doch großartig, technisch erstaunlich kompli
ziert (eine selbständige Orchesterpartie begleitet die
fugierten Säße) und doch höchst eingänglich. Eine
wundervolle freudige Hirtenmusik des Orchesters
(Streichorchester mit Oboen) leitet die Kantate ein.
Auf ein kurzes Rezitativ folgt eine Tenor-Arie, von
zwei Oboen begleitet. Back) schreibt „Oboe d'aniore"
vor, ein früher gebrauchtes Instrument, das eine
Terz tiefer steht als unsere Oboe und weicheren
Klang hat. (Bei dicier Ausführung werden Oboe
d'amore gespielt!) Von einzigartiger Schönheit ist
die Baß-Arie „Beglückte Herde, Jesu Schafe", in der
die sehr feine, verständliche Gesangspartie von einer
entzückenden Hirtenmusik des Orchesters begleitet
wird. Mit den Worten des 23. Psalms „Der Herr
ist mein getreuer Hirt", die der Choralmelodie von
„Allein Gott in der Höh' fei Chr'" untergelegt sind,
klingt dieses herrliche Werk aus.
Me Schwierigkeiten, die sich immer bei der Auf
führung^ Bach'fcher Werke in kleinen Städten ein
stellen, sind dank der Mitwirkung ausgezeichneter
auswärtiger Solisten behoben. So stellt Bach außer
ordentlich große Ansprüche an das musikalische und
technische Können der Bläser. Me Kammermusiker
Richard Lanfchmann und Max Wolter von, Stadt
Orchester in Kiel verbürgen schon eine ante Wieder
gabe ihrer Partien. Als Gesangssolisten sind Anne
marie Sottmann (Sopran) und Hartwig Kemper
(Tenor) — beide sind Mitglieder des Hamburger
Oratorienquartetts — verpflichtet. Die Aufführung
verspricht also einen guten Erfolg. Ferner wirken
mit Otto Riedel (Solovioline) und Werner Sprung
(Orgel), dazu das Collegium muflcum (Streichorche-
ster) des Musikvereins. Adolf Lorenzen.
Wilhelm Dzrlch-Ķrreķàicrr.
Ein Verkehrsunfall.
Beim Ueberqueren der Karlstraße in München
wurde Wilhelm Busch einmal von einem Radfahrer
angefahren und umgeworfen. Ein Riesenauflauf
entstand.
„Entschuldigen Sie tausendmal, Herr Professor",
sägt der Radfahrer ängstlich zu Busch, der eben
seine Knochen abgeklopft hotte, „aber ich bin noch
ein Anfänger."
„Um Gotteswillcn", erwidert Busch, „ein wahres
Glück, daß ich Ihnen nicht als Meister begegnet
bin".
*
Der Spiegel.
In einem Geschäft am Fischmarkt sucht Dusch
nach einem neuen Spiegel, weil sein alter über der
Kommode beim Umzug in Trümmer gegangen war.
Er findet schließlich einen, dessen Form ihm zusagt
und erkundigt sich nach dem Preis.
„Nanu, so teurr", bemäkelte er, „der Spiegel ist
doch nicht mehr neu."
„Na, wenn Sie nur mal reinschauen, deswegen
ist er immer noch neu", erwidert die schlagfertige
Verkäuferin und der entwaffnete Busch zahlt nun
den geforderten Preis.
*
Dusch und die Aerzte.
Busch war im allgemeinen etwas mißtrauisch ge
gen Aerzte. Einmal gefragt, worauf das beruhe.
dachte er nach und sagte dann: „Wissen Sie, mir
ist ein Einbrecher lieber als ein Arzt. Wenn der
Einbrecher dagewesen ist, dann weiß ich. was mir
fehlt, wenn der Arzt dagewesen ist, dann weiß ich's
nicht."
Ein Herr ohne Humor.
Im Eisenbahnabteil faß Busch einst ein älterer,
grimmig dreinschauender Herr gegenüber, der brum
mend in einer Nummer der Fliegenden Blätter
blätterte.
„So ein Blödsinn", wandte er sich an den ihm
unbekannten Busch und wies auf einen Bilderbogen
hin, den Busch gezeichnet und gedichtet hatte, „,zu
meiner Zeit hat man Kindern gescheitere Sachen zu
lesen gegeben."
„Da können Sie schon recht haben", erwiderte '■
Busch, „aber es hat augenscheinlich auch nichts
genutzt."
Vunte Wett.
Bäume werden vergiftet.
Um junge Bäume, die ihrer Umgebung Platz
und Licht nehmen, zu beseitigen, haben zwes ameri
kanische Fachleute — Professor Korstian und A. L.
MacKinney — kürzlich ein Verfahren angewendet,
durch das Gel-d und Zeit gespart werden kann.
Statt die Bäume durch tiefe ringförmige Ein-
schnitte zu töten, wie es vielfach üblich ist, wurde
der Versuch gemacht. sie durch eine Mischung von
Arsen und Lauge, die man durch einen eingehackten
Spalt in das Innere des Baumes einführt, zu ver
giften. Durch das Vergiften gehen die Bäume ebenso
sicher und schnell zugrunde wie durch das Einschnei
den, das Verfahren soll aber ungleich billiger kom
men, weil es weniger Zeit und Müh« beansprucht.
Ein neuer Riesendiamant gefunden.
Ein Diamant, der einer der größten der Welt
sein soll, wurde von einem Diamantenwüicher auf
den Feldern von Diamentiiw in Brasilien gefun
den. Der Stein hat ein Gewicht von angeblich 574
Karat. Der glückliche Finder soll ein Angebot von
80 000 Dollars zurückgewiesen haben. Der größte
Diamant der Welt, der Cullinan, wurde in Süd
afrika im Jahr 1905 entdeckt und wog ungeschliffen
iiber 3 000 Karat. Der nicht ininder berühmte, im
englischen Kronschatz befindliche Kohinoor hatte in
rohem Zustand ein Gewicht von 900 Karat und wog
nach dem zweiten Schliff 106 Karat.
^ernannte Opel-Fahrrad-Verkautsstellen: JOHS. ROHWER, Rendsburg, Schleuskuhle 42.
KARL KIRCHNER, Rendsburg, Fockbeker Weg 38
ikiügellchlag Sks Schicksals. / Bon Franz Friedrichs.
Der Mann, der rückwärts in der rotgepflasiertsn
Halle faß, redete langfain, aber ohne Unterlaß.
Vor ihm, auf einem breiten Tisch, blinkten große
entfaltete Pläne und Skizzen. Um den Mann hernin
standen die Ingenieure.
Dem Manne gegenüber war der Türausschnitt,
durch den man in die nachmittägige Landschaft
schauen konnte. Aber niemand von den angestrengt
arbeitenden Ingenieuren kümmerte sich um diese
ffenide, unbekannte Landschaft, um den südlichen,
lichtweichen Slachmittag, um -das Heraufflammen
des Abends; niemand sah das Weinlaub glühen
gleich karmoisinroten Rüschen; keiner von den
Männern sah das gläserne Leuchten des tiefen Him-
mels, das durch das volle Blattwerk drang und
keiner die wunderlieblich geschnittene, blaßsilberne
Mondsichel, die den späten Abend schmückte.
Me Arbeit staub am Tisch.
Alle Männer gehorchten ihr. Ein kurzer Tag noch,
wenige Stunden noch bis zur Vollendung des gro
ßen Werks. Ein neues Wunder der Technik, das
der^ deutsche Ingenieur in diesem fremden Lande
aufbaute; unbeschreiblich schön spannte sich das Ge
füge eherner Riesenleiber über dunkelgrollende
Schluchten, faßten Dämme und Stauwälle die Ab
gründe, an den breiten Strömen standen Wächter,
Hilfsmänner harrten an weit entfernten Seen des
Zeichens, Turbinenhallen wölbten sich über dem
Herz des stählernen neuen Lebens. Nur die Seele
mußte der neuen unerhörten Erfindung noch gege
ben werden. Und dies lag in den Händen des Man-
nes, der am Tische den Dortrag Ehielt. Ueber den
Ozean rief man ihn, und nun lauschten ihm alle.
und wie ein Zauberwort zog dies „Technik" alle in
den Bann. Cs war allen, als ginge in dieser bisher
verloren gelegenen begirbigen Wüste ein unerhörter
Lebcnstraum in Erfüllung.
Das hellrote abend-dichte Scheinen ver-dunkcklte
langsam.
Das Licht der Lampen blinkte auf. Der Mann
«bete noch immer.
Da erschien ein Bote, vom raschen Gang erregt,
und brachte einen Brief- „Herrn Ingenieur Sail-
ler!" sagte er laut und unbekümmert. Der Inge
nieur Sailler hielt mit dem Vortrag ein und griff
unwillig nach dem Brief. Er hielt ihn einen Augen
blick lang unbeachtet in der Hand, als zögerte er,
er hielt ihn so, daß das helle weiße Licht ganz auf
ihn fiel. Der Brief hatte einen schwarzen Rand.
Da änderte sich das Bild. Die Arbeit trat zurück.
Und es war, als fei plötzlich nicht mehr anderes
da, als dieser irgendwie unheimlich werdende Brief.
Er schlug die Rede des Mannes entzwei, er machte
die Männer stumm. Der alte, kluge Chefingenieur,
ein sonnengebräunter, weißhaariger, erfahrener
Herr, warf einen kurzen Blick auf den Brief und
trat zurück. Die Hand des Ingenieurs Sailler zö
gerte noch immer, und es war, als dehnte sich dieses
schwarze Band, als wüchse es über den Brief hin
aus, als legte es um die kühnen, fremden Männer
einen schweren Ring, umschloß sie. Und er redete,
ehe er geöffnet und gelesen wurde, er redete nur
ein Wort. Aber ein Wort genügt oft, um dem
menschlichen Leben eine Wendung zu geben.
Die Stille lag breit und schwer im Zimmer.
Eine andere Welt drängte sich ein, verschaffte sich
ein Recht, stand da . . . befehlend. Heimat und Fa
milie! Um die helle Lampe saßen keine kühnen In
genieure mehr, keine hartarbeitenden Erneuerer
und Eroberer. Der Lichtschein war milde und süß;
und Frauen, die man lange nicht gesehen, saßen da,
spielende Knaben und Mädchen und ein neu dem
Leben geschenktes Baby. Das Essen wurde aufge
tragen, und die junge Frau lächelte über den Tisch
in einer glückhaften Erfüllung ihres Lebenszwecks.
Frau oder Tochter? fragten sich die Männer, und
dachten an die Beiden, deren Bilder, groß und
freundlich lächelnd in seiner Hütte hingen.
Der Chefingenieur winkte mit den Augen; die
Männer traten leise zurück. Sailler hatte endlich
den Brief aufgeschnitten.
„Ich bitte einen Augenblick um Entschuldigung!"
sagte er mit Beherrschung.
„Mtte!" kam eine ihm unbekannte Stimme zu
ihm.
Langfain, zögernd, nicht mehr der zielsichere
Mensch von früher, begann er den Brief zu lesen;
er beugte sich tief über den Tisch, man sollte sein
leichtes Zucken in seinem Gesichte nicht bemerken.
Am meisten bedrückte ihn die Stille, die in das Zim
mer trat, feit dieser Brief in seiner Hand blinkte.
Alle waren Menschen mit hundert Gefühlen ge
worden, und er stand dem ewigen Leben nahe
gerückt, der ewigen Lebenskraft, er fühlte den Flü
gelschlag des Schicksals, und alles, was er fühlte,
mußte in den anderen Menschen um ihn ein Echo
erwecken, mußte sich in ihnen widerspiegeln. Bor
wenigen Monaten, zu Hause im Frühling, seine
schöne Frau, sein Töchterchen, ach, nicht denken
daran! Was sann er?
Das Telefon begann zu surren. Der Chef er
griff den Hörer, er sprach leise, aber Sailler hörte
es, er zuckte zusammen.
„Einen Augenblick! Warten! Später anrufen!"
Me Arbeit mahnte, unabweigerlich.
„Die Heimat will ihr Recht!" sagte einer der
Männer leise.
„Urlaub natürlich!" dachte sich -er Chef. Jetzt,
in den wichtigsten Stunden, vor der Vollendung^
jetzt konnte er den Schöpfer nicht entbehren, jeden
anderen, aber ihn?
Urlaub! Alle Herren dachten wohl dasselbe. Und
wieder änderten sich die Bilder.
„Daheim!" Einer hatte dieses Wort vor sich hin-
gesprochen; aber alle hatten es gehört. Sie fragten
sich durch Micke, ob er uns verläßt? Keiner konnte
Antwort geben. Es käme doch auf den Chef an
oder auf Sailler allein? Ob er stark genug war, ob
er den Kampf zwischen Pflicht und Familie er
trägt, bis die Pflicht gesiegt hatte. Ob ex fortreisen
könnte, in das ferne, weite Land, wo es still und
sonnig ist, ohne Gefahr . . . nein, er fährt nicht in
ein sonniges Land, in eine fröhliche Heimat . . .
Sie verstanden ihn alle.
Es gibt auch noch andere Rechte als die Pflicht
des Berufes. Das ist das erste Recht: die Familie,
die eigene Menschlichkeit. Das erste Recht?
__ Das Licht stand hell und klar über den Männern.
Es ging niemand durch das Zimmer. Draußen stand
die südliche Nacht, seltsam belebt wie transparentes
Papier. Das Telefon surrte wieder.
Sailler hatte das Briefblatt nicht sofort gelesen.
Er wollte Spielraum haben. Wie schwer ist es doch
um Dinge, die unser Herz betreffen, unsere hei
ligsten, innigsten Gefühle, unsere Harmonie des
Lebens, unsere Melodie des Daseins.
Plötzlich hob Sailler den Kopf. Frei, in gelöster
Bangnis, entkommen einer dunklen Drohung. Er
lächelte. „Gott sei Dank!" Dann wendete er sich
hastig, nicht wie es seine ansonsten ruhige Art man,
an seine Kollegen.
„Meine Frau war krank; sie erholt sich; eine
Tante, die seit kurzem Witwe ist, schrieb mir den?
Brief!"
Ein Aufatmen. Ueber die Gruppe fuhr eine leichte
milde Hand. Sie nahm einen schweren Sckatten, chn
dunkles Gefühl von den Herzen fort. Die Augckn
wurden wieder hell.
Sa-iller steckte den Brief ein- Auf seinem Ge-
sichte spielte ohne Unterlaß ein Lächeln. Es war so,
als hätte er eine ungeheuerliche große Schlacht ge
wonnen; beglückt und freudig erregt darüber, fühlte
er sich einem Sieger gleich.
,, Leben kam in die Gruppe. Die Rede ging wieder
klar und eifrig. Me Gefühle milder Dinge ver.
dämmerten langsam, die große, harte Arbeit rückte
näher, stand wieder an dem Tisch.
Nur der Chef stand noch ein wenig abseits, hin>
ter Sailler, im leichten Schatten, die Hand am wei,
ßen Bart, der Blick den Sternschaukeln zu, oie sick,
draußen in der Nacht in leiser Wonne wiegten'
Aber er sah sie nicht; er dachte daran, daß er wirk-
lich hätte „Nein" sagen müssen. In seinem braunen
Gesicht schwang sich ein Widerschein des Lächelns
auf, das noch iurmer das Antlitz Saillers erhellt«.
Er freute sich und rieb sich die Hände.
Und war um nichts weniger froh als Sailler,
der mit seinen Ingenieuren über den blinkenden
weißen Tisch gebeugt in gleichsam verjüngter Krafl
arbeitet ,.,