Full text: Newspaper volume (1931, Bd. 4)

Der S onntagsfreun- 
§4. Jahrgang ' Nr. 238 
Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Sonnabend, den 10. Oktober 1931 
Ssrmw§sgàķàK. 
Aste Kreatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, 
das mit Danksagung empfangen Wird. 
1. Tim. 4, 4. 
Es ist wohl eins der blödesten Schlagwörter, mit 
denen man gegen den christlichen Glauben arbei 
tet, wenn man behauptet, die Kirche vertröste 
auf die Seligkeit im Himmel und fordere Verzicht 
auf das Diesseits. Jedes Erntedankfest zeigt doch 
zur Genüge, wie auch das Leibliche und Irdische 
in unsere Beziehungen zu Gott eingesponnen ist, 
und Worte, wie unser Leitspruch, bezeugen mit 
all-er nur wünschenswerten Deutlichkeit, wie ein 
Christ mit offener Dankbarkeit die ganze weite 
Welt der irdischen Schöpfung nicht nur sieht und 
betrachtet, sondern hinnimmt und genießt. Alles, 
was die Welt bietet, ist für den Christen Schöp 
fung Gottes und damit Gabe des Vaters an uns, 
seine Kinder. Weil wir das Wort „Macht euch die 
Erde untertan!" als Befehl und Vermächtnis auf 
fassen, so ist uns „Kreatur" nicht nur alles, was 
man gewöhnlich „Natur" nennt, sondern auch das, 
was der Mensch aus der Natur herausarbeitet und 
gestaltet, also die Errungenschaft der „Kultur". 
Auch die Gaben der Technik, der Erfindungen und 
Entdeckungen, der Kunst und Wissenschaft, des 
Fortschrittes auf jedem ©e&tet nimmt der Christ 
dankbar an als etwas, was — mittelbar — Gott 
«ns schenkt. Ein Christ ist weder weltflüchtig noch 
kulturfeindlich. 
Freilich fft er auch nicht well- und kulturselig. 
Wir kennen sehr wohl die Gefahr, daß sich der 
Mensch an die Dinge dieser Welt verliert und dann 
„Schaden nimmt an seiner Seele", an seinem 
innersten Persönlichkeitskeru, an dem Besten, was 
«r besitzt und ist. Wenn z. B. jener reiche Korn- 
dausr, dessen „Feld gut getragen", den einzigen 
Gedanken hegt, wie er den Ertrag spekulativ ge 
winnbringend anlegen könnte, so wird dem die 
Gottesgabe nicht zum Segen, sondern jum Ver 
hängnis. Und wir kennen es wohl alle aus eige 
ner Erfahrung, wie leicht die irdischen Dinge uns 
in ihre Gewalt bekommen. Da ist z. B. das Geld 
— sicher auch eine Gabe Gottes —; wie viele 
blendet es mit seinem goldigen Schimmer, um 
strickt es mit Spinnenfäden der Sorgen, daß der 
Mensch Gott und Gewissen darüber vergißt und 
aus dem „Gut" ein „ungerechter Mammon" wird. 
— Wir hören, „daß der Wein erfreue des Menschen 
Herz", «nd wer kennt nicht den Peftstrom des Al 
koholismus; Man braucht sich gar nicht unanstän 
diger und gemeiner Weise an den Dingen dieser 
Erde schmutzig p machen, schon, daß sie uns über 
Gebühr in Anspruch nehmen, unser Sinnen und 
Trachten ausfüllen und Dr di« stille Sammlung 
der Seele keine Zeit mehr lassen, uns zerstreuen 
und ablenken von dem „Eiuen, das not ist", schon 
das fft die Gefahr der „Welffeligkeit". 
Dieses Unheil erwächst allemal dann, wenn wir 
di« Gaben vom Geber loslösen, wenn wir die 
„Kreatur" ohne den Schöpfer, Natur und Kultur 
ohne Beziehung zu Gott sehen und nehmen. Dann 
wird das, was Gott uns zur Freude und zum 
Dienst verliehen, ein Herr und Tyrann, der uns 
in seinen Bann knechtet. Die „Kreatur" wird zum 
Abgott! Um so dringender wird diese Gefahr, wo 
wir ja doch mit unserm leiblichen Leben auf die 
Erdenwelt angewiesen sind, ihr also gar nicht aus 
weichen können. Da bleibt die einzige Rettung, 
daß wir nie Kreatur ohne Schöpfer sehen. Dazu 
hilft aber das Danken. Danke ich z. B. Gott für 
mein Geld, so wird es nicht Abgott, sondern bleibt 
Gabe und Hilfsmittel. Danke ich Gott für Freude, 
die ich genießen durfte, so wird sie mir nicht zu 
versuchlicher Schlinge, sondern bleibt Kraftquelle. 
Danke ich Gott für Fortschritt und Weiterkommen, 
so bewahrt es mich vor Eitelkeit und Stolz; ich 
bleibe demütig, meiner Verantwortung bewußt, 
auf Gottes Wegen. So kann das ganz Alltägliche, 
das Essen und Trinken, mir weit mehr werden 
als Auffüllung verbrauchter Leibeskräfte; es wird 
mir durch Danken ein Fenster, durch welches mich 
die Güte meines himmlischen Vaters grüßt 
(Welchen Reichtum birgt das Tischgebet!) Durch 
Danken bleibe ich im Gleichgewicht, daß ich weder 
der Weltflucht noch der Weltseligkeit verfalle, 
sondern in gesunder Nüchternheit dem Leibe dar 
reiche, was die Erde bietet, und trotz allen Erden- 
staubes der Seels den Blick zum Himmel offen 
halte. 
Das Danken wirkt aber auch zurück auf unser 
eigenes Leben. Es reinigt unser Leben. Ich kann 
nicht Gott danken für etwas, an dem Unreinheit 
klebt. Geld, das mit schmutzigen Geschäften erwor 
ben, Gewinne, die mit Hader, Neid -und Streit 
behaftet, Freuden, die meine Seele beflecken, Htnn 
ich nicht im Danken vor Gott erwähnen. Hat man 
schon ganz allgemein die Erinnerung den Prüf 
stein für den Wert erlebter Froudenstunden ge 
nannt, das Danken vor Gott ist es noch viel mehr. 
Beben wir uns denn, alles, was das Leben uns 
bietet, „mit Danksagung zu empfangen!" 
Friedrich Berka / DSL StaalSNMNN -LV 
Zum 400* Todestag LwmMs am 11. Şkîàr. 
„Wer du auch des Glaubens halber gewesen, so 
weiß ich, daß du ein redlicher Eidgenosse gewesen 
bist," sagte über den im Kampf gefallenen Zwingli 
ein Mann von der katholischen Gegenpartei, der 
Zuger Priester Hans Schönbrunner. Ja, ein red 
licher Eidgenosse war Ulrich Zwingli, der Refor 
mator der Schweiz. Sein großes historischer Ver 
dienst liegt nicht einmal so sehr in seinem resor- 
matorischen Wirken, als in seiner politischen Wir 
kung. An Inbrunst des Gefühls reicht er nicht an 
Luther heran, und sein System hat nicht die Kon 
sequenz und Geschlossenheit des Lalvinifchen. Sei 
nes Wesens Stärke war, bei allem religiösen Ge 
fühl und sittlichem Ernst, die ihm, unabhängig 
von Luther, seinen Weg wiesen, ein nüchterner, 
aufs Praktische gerichteter Verstand, ein stark aus 
geprägter Sinn für Realpolitik. Nicht nur sittlich 
religiöse, sondern auch national-ethische Beweg 
gründe haben Zwingli zum Reformator gemacht, 
und so ist es kein Wunder, daß jede Zwinglifeiler 
in der Schweiz nicht nnr kirchliche, sondern auch 
politische Akzente hat. Denn die Eidgenossenschaft 
fuhrt mit Recht ihre Wiedergeburt im Innern 
und nach außen auf die Tätigkeit des Züricher 
Reformators zurück. Der junge Pfarrer in Glarus 
war früh in die Wirrnisse der damaligen Schwei 
zer Politik hineingezogen worden; er folgte, wie 
es damals Brauch war, dem Landesbanner ins 
Feld, mtd auf den Zügen nach Mailand lernte 
Zwingli aus eigener Anschauung die schweren sitt 
lichen und nationalen Schäden kennen, wie sie das 
Reisläufertum und das Pensionsunwesen mit sich 
brachten, jene Krebsübel der Kantone, durch wel 
che die Schweiz in alle Häudel der umliegenden 
Großstaaten verwickelt wurde. Die Reformation 
in der Schweiz ist ihre eigenen Wege gegangen — 
das war ebenso Zwinglis Werk wie dessen letzte 
Konsequenz: die politische Unabhängigkeit der 
Eidgenossenschaft. 
Zwingli war überhaupt nicht nur Reformator, 
sondern Soldat, Volksredner und Staatsmanu. 
Seinen Tod fayÄ er auf dem Schlachtfeld, auf dem 
die Züricher mit den katholischen Kantonen zum 
Bruderkampf augetreten waren. Seine Briefe und 
Schriften zeugen von der umfassenden Weltkennt 
nis dieses großen Mannes. Sie enthalten Feld 
zugspläne, von denen man nicht glauben sollte, 
ein Theologe habe sie gefaßt; mit allen Faktoren 
der Kriegsführung zeigt sich der Reformator darin 
vertraut; seine Kenntnis der Waffen, der Psy 
chologie des Soldaten ist verblüffend. Daß er Geist 
licher wurde, war fast Familientradition. Ulrich 
Zwingli wurde als Sohn des Ammanns von Wild- 
haus in Toggenburg am 1. Januar 1484 geboren; 
feine Familie zählte viele geistliche Mitglieder, 
und da der Knabe selbst frühzeitig außerordent 
liche Anlagen verriet, wurde er zum geistlichen 
Stande bestimmt. In Basel und Bern empfing er 
seine Bildung, die ihn frühzeitig mit den alten 
Klassikern vertraut machte, in Wien studierte er 
Philosophie und bewährte neben seinem Eifer für 
das klassische Studium und die Bibel auch dich 
terisches und musikalischles Talent. „Er war ein 
gelehrter Mann in der griechischen, hebräischen 
und lateinischen Sprache und redete trefflich gut, 
wohl vergriffen und wohlgesetzt Deutsch und war 
in diesen vier Sprachen wohl gerichtet. Ich habe 
auch nie von einem gehört, der in der Kunst- 
Musik, d. i. in Gesang und in allen Instrumenten 
der Musik, als Lauten, Harfen, Geigen, Pfeifen, 
Hackbrett, Zinken und Waldhorn so erfahren ge 
wesen; was man dergleichen erdacht, konnte er es 
so schnell, alsbald er es zu Härchen nahm", sagt 
ein Zeitgenosse von ihm. Schon in diesen Jahren 
des Studiums zeichnete sich der zukünftige Weg 
Aar vor Zwingli ab. Der scholastischen Theologie 
hielt er sich fern, um sich der neuen Richtung der 
humanistischen Studien aus innerster Neigung 
hinzugeben. Die Dominikaner in Bern hätten den 
begabten Schüler gern für sich gewonnen, allein 
sein Onkel, der Pfarrherr zu Wildhaus war, woll 
te davon nichts wissen und führte den Neffen mit 
fester Hand seinen Weg. 
Der junge Magister wurde 1606 als Seelsorger 
nach Glarus berufen. Das war ein ehrenvolles 
Zeugnis für das Vertrauen, das man im Haupt 
ort eines eidgenössischen Standes in Zwingli 
fetzte. Ein volles Jahrzehnt wirkte der junge 
Pfarrherr an dieser Stelle, mit großem Ernst ver 
sah er in der ausgedehnten Gemeinde die Pflicht 
des Seelsorgers, ohne dabei seine alte Neigung, 
die humanistischen Studien, zu vergessen. Mit dem 
Landesbanner von Glarus ging er 1612 als Feld- 
prediger in den Krieg nach Mailand. Da er aber 
in der Heimat mit seinem Kampf gegen digs Reis 
läufertum nicht durchdrang, verzichtete er freiwil 
lig auf feine Stellung und trat von seinem 
Posten in das untergeordnete Amt eines Leut 
priesters in Einsiedeln zurück. Damit begann eine 
stille Zeit innerer Sammlung, zugleich auch die 
Wandlung seiner religiösen Anschauungen. In 
Einstedeln erlebte Zwingli den Beginn der Re 
formation Deutschlands. Seins Predigten waren 
weit über seinen engen Amtsbezirk hinaus beachtet 
worden, so daß ihn die Chorherren des Groß 
münsters in Zürich beriefen. Am Neujahrstag 
1619 betrat Zwingli zum ersten Mal die Kanzel 
dieser Kirche, und damit hatte in der Schweiz die 
Reformation begonnen. Sie wurde gefördert durch 
dis Existenz einer tatfräftigen Bürgerschaft, die 
bereit war, gegen die in der Kirche eingerissenen 
sittlichen Mißstände aufzutreten und eine neue 
Gemeinschaft zu begründen. Zwinglis erster großer 
Erfolg war politischer Natur; er bewog Rat und 
Bürgerschaft zur strengen Ahndung des Reislau 
fens und Jahrgeldernehmens. 
Diese politische Erneuerung schuf den Boden für 
die weitergehenden religiösen Reformen. Den An 
stoß gab ein unbedeutender Anlaß, die lleber- 
tretung der Fastengebote durch einige Freunde 
Zwinglis, gegen die der Bischof von Konstanz ein 
schreiten wollte. In Zürich entstand darob eine 
große Aufregung, der Rat veranstaltete ein großes 
Religionsgespräch, in dessen Verlauf Zwingli seine 
Thesen so glücklich verteidigte, daß sich der Rat für 
die Reformation erklärte. Eine zweite Diskussion 
hatte die Entfernung aller Werke der bildenden 
Kunst aus den Kirchen des Züricher Stadtgebie 
tes zur Folge; die liturgischen Gebräuche wurden 
Dr« Sprung in öle Iugmö. 
Don Alfred C. Lindemann. 
Henning ist pfrieden mit dem Bild, das ihm 
der große Schrankspiegel vor Augen hält. Ein 
Kavalier steht ihm gegenüber, der in jàr Be 
ziehung so bestechend wirkt, daß das Alter zwischen 
fünfzig und sechzig Jahren nicht nachteilig in die 
Wagschale fallen kann. 
Roch einmal greift er p der mit einer schwar 
zen Tinktur getränkten Bürste und fährt ein paar 
mal sorgfältig über den kurz gestutzten Schnurr 
bart, der so seltsam gegen das leicht gewellte eis 
graue Kopfhaar absticht. Eine kleine Eitelkeft, 
dieser schwarz gefärbte Schnurrbart, eine verständ 
liche in einem Alter, wo man eigentlich auf den 
Erfolg bei Frauen zu verzichten hat und nicht ver 
zichten will. 
Dann geht er in den Speisesaal des Hotels pm 
Abendessen. 
Sie sitzen p dreien am Tisch: Henning, sein 
Reffe, der vor einigen Tagen angekommen ist und 
mit liebenswürdigem Freimut die Börse des 
Onkels in Anspruch nimmt, und Osse, eine nordi 
sche Schönheit, die Henning vor einigen Wochen 
hier kennenlernte. 
Osses rotblondes Haar sprüht und duftet, ihre 
etwas schräg stehenden Augen träumen und blitzen 
hin und wieder verheißungsvoll auf, während der 
Reffe von Berlin erzählt; mit beweglichen Lip 
pen tut er es, wenn er gutmütig über den letzten 
Gesellfchaftsklatsch spottet, mit ernsten und bar 
ten. wenn er sich über den Sport ausläßt. Henning 
hört zu. Er spricht wenig. Er kann nicht mehr so 
recht mit, wenn es um den modernen Sport geht 
und eigentlich ist ihm das Thema unlieb. Er ist 
zwar noch immer ein ganz tüchtiger Reiter, 
Schwimmer und Fechter, er steuert auch eigenhän 
dig seinen Wagen und hat eine Zeppelinfahrt im 
Sturm mitgemacht, aber Rekorde hat man p 
seiner Zeit noch nicht immer aufgestellt. 
Zu seiner Zeit! denkt er und ärgert sich. Er 
gibt sich Haltung und versucht das Thema abzu 
drehen und das Gespräch an sich zu reißen Die 
anderen beiden gehen auch darauf ein, aber Hea 
ving kann das Empfinden nicht los werden, daß 
sis es aus purer Höflichkeit tun, weil er ein älte 
rer Herr ist, und weil er zudem die Rechnung 
dieses Abends bezahlen wird. 
Beobachten in so einem Fall ist immer mißlich, 
wenn man es nicht mit der nötigen Ileberlegenheit 
und Abgeklärtheit tut. 
Cr ist froh, als der Nachtisch serviert ist und er 
sich eine Zigarre anzünden darf, indes Osse und 
der Neffe Zigaretten rauchen — selbst darin sieht 
Henning eine stillschweigende Uebereinstimmung. 
Osse schlägt vor, auf die Terrasse über dem See 
p gehen. Als er sig mahnt, den Abendmantel zu 
nehmen, da es bereits kühl fei, wehrt sie lachend 
ab: „Aber lieber Freund, wir leben in einem 
abgehärteten Zeitalter!" 
Das trifft ihn abermals. Wir — damit meint 
sie zweifellos den Neffen und sich, während er, 
einem scheinbar verzärtelten Zeitalter angehörig, 
nichts dabei p schaffen hat, und ihr „lieber 
Freund" klang wie etwa „Onkelchen", ekelhaft 
einfach! 
Sie sitzen an der Brüstung der Terrasse. Hen 
ning hat sich in die Mitte, zwischen Osse und den 
Neffen, setzen wollen, aber in einer plötzlichen 
Anwandlung hartnäckigen Stolzes und selbst 
quälerischen Restgnierens hat er es nicht getan. 
Der Reffe spricht wieder, leiser als im Saal und 
nicht so lebhaft, doch von demselben Thema; dies 
mal handelt es sich um den Wassersport, da man 
gerade am Wasser sitzt. Er berichtet von einem 
Motorbootrennen Lote d'Azur (Henning: Richtig, 
das hat der Bengel ja auf mein« Kosten mit 
gemacht!) und dann streift er auch den Schwimm 
sport. Er ist ein vorzüglicher Schwimmer, sagt 
er, und der Onkel vermutet, daß er damit artdeu 
ten will, daß er überhaupt ein vorzüglicher Mensch 
sei. 
Henning sagt nichts. Er sieht starr ins Dunkel 
und versucht auf das Gespräch zweier Engländer- 
innen p achten, die auf den schmalen Boots 
steg des Hotels gegangen sind und so laut sprechen, 
daß es bis hierher klingt. Er verspürt diese Stö 
rung der allzu weichen Herbstnacht mit wohltuen 
dem Ingrimm. 
Später als Osse leicht in den schmalen Schul 
tern zusammenschauert, fragt er sich, ob die Kühle 
der Nacht daran schuld ist, oder ob jetzt der Neffe 
ihre Hand gefaßt hat. Er möchte sich gerne vor 
beugen und heimlich nach ihren Händen spähen, 
aber er kann sich nicht bewegen, es ist wie ein Alp 
druck, wenn man mit aller Energie und Kraft eine 
Bewegung ausführen will und kann einfach nicht. 
Krampfhaft starrt er nach den Gestalten der zwei 
Engländerinnen, die sich jetzt ganz vorn auf dem 
Bootssteg befinden und noch vom Licht der Bogen 
lampen des Hotels getroffen werden. Die eine 
sitzt auf dem Holzgeländer, die andere steht vor 
ihr, und beide starren scheinbar den Mond an, der 
sich eben riesig und rötlich hinter dem Monte Brê 
herausschiebt. 
Das Gespräch neben ihm fft verstummt. Auch die 
Engländerinnen hört man nicht mehr. Die Stille 
quält ihn, als ob man feine heftigen Gedanken 
dabei hören könnte. Er müht sich zu sprechen und 
martert sein Gehirn nach einem Thema. Ringt 
sich die Worte ab: „Ich war auch ein ganz tüch 
tiger Schwimmer. Ich schwimme heute noch ganz 
leidlich und . . ." 
Cr verstummt. Und er fühlt, daß Osse für seine 
Worte ein zerstreutes und bestenfalls mokantes 
Lächeln hat, und als sein Neffe etwas auf seine 
ruhmredige Phrase bemerkt, geschieht es wieder 
nur aus Höflichkeit. Er sagt: „Ja, aber heute wird 
das Schwimmen ganz anders betrieben. Es ist ein 
Sport geworden heute, Onkel. Ich hab dies Jahr 
im Klub einen kleinen Rekord aufgestellt im 
Brustschwimmen, aber ich glaube, daß mich im 
nächsten Jahr ein Jüngerer schlagen wird." 
Ein Jüngerer schlagen wird . . .! klingt es in 
Henning nach, und er glaubt, daß er trotz seines 
guten Aussehens, trotz seines klaren frischen Ge 
sichtes, trotz seiner drahtigen Gestalt, trotz seines 
Geldes, schon geschlagen ist. 
Plötzlich zerreißen ein Krachen und Klatschen 
und zwei gelle Aufschreie die Stille der Nacht. Alle 
drei fahren auf, stehen wartend au der Brüstung 
und starren mit vorgebeugtem Oberkörper nachdem 
Bootssteg. Dort ist der Geländerpfeiler abge 
brochen und die eine Engländerin ist rücklings in 
den See gestürzt. 
Der Reffe ruft: „Man muß helfen. Wo geht's 
zum Steg?" Er sucht mit den Augen den Weg von 
der Terrasse zum Steg, der seitlich vor dem Hotel 
liegt. Da er ihn nicht finden kann, legt er, in der 
Verwirrung wohl, seinen Arm um Osses Schul 
tern, die sich ihrerseits an ihn drängt. 
Henning steht steil mit hart entschlossenem Ge 
sicht, so wie sein Gesicht immer war in den großen 
Gefahrenmomenten des Krieges. Er hat einen 
kurzen erwartungsvollen Blick auf den Neffen ge 
worfen, als er den Weg zum Bootssteg suchte. 
Nun aber reißt er seinen Smoking herunter und 
ist mit einem Sprung über die Brüstung im 
Wasser. 
Osse stößt eiuen kurzen Schrei aus. Den Neffen 
aber packt sportliches Fieber, als er dom Onkel 
nachsteht, der mit kräftigen Schwimmstößen an die 
Unglücksstelle hinzieht. Dieser Wog zur Ertrin 
kenden ist der kürzeste, Henning wußte es und 
überlegte nicht lange. Er bekommt sie p fassen. 
Als er triefend wieder zu den zweien tritt, die 
von den Terrassen aus wie aus einer Rangloge 
das Schauspiel verfolgt haben, bricht der Neffe 
bewundernd aus: „Donnerwetter, Onkel, das war 
einfach großartig! Ich habe noch gar nicht gewußt 
daß du auch crawlen kannst?" 
Henning mustert den Jungen mit einem unbe 
schreiblich sachlichen Blick von oben bis unten. 
Dann sagt er: „Crawlen . , .? Ich weiß gar nicht, 
was das ist. Wahrscheinlich gab es das gar nicht 
zu meiner zurückgebliebenen Zeit. Aber dafür gab 
es etwas anderes: Ritterlichkeit und eine Ent 
schlußkraft, die nicht nach dem Ich fragte." 
* 
Eine Viertelstunde später fitzt er in seiner flau- 
schenen warmen Hausjoppe bei einem steifen Grog 
und einer dicken Importe in seinem Hotelzimmer 
und ist sehr froh. Zufrieden streicht er über seinen 
schwarz gefärbten Schnurrbart, und als er an fei 
nen Fingerspitzen ein bißchen Farbe bemerkt, die 
bei dem kalten Bad nicht Stich gehalten hat, zuckt 
es wieder ironisch in seinen starren Mundwinkeln. 
Von morgen ab wird er sich den Schnurrbart nicht 
mehr färben, und er wird, trotzdem, wenn auch 
nicht jünger, so doch lebenstüchtiger fein als diese 
beiden Jungen da unten, die ihren zeitgemäßen 
Trara vor sich hinorgeln wie eine Jahrmarkts 
musik.
	        
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