ilntevhaitung
Mittwoch, Sen 23. Dezember 193
Beilage der Sckleswiq.Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt»
300
DKDêîĢŞ / Bon Erich K. Schmidt.
Zuweilen gehe ich mit dem Amtsvorsteher
Brauer aus die Jagd. Wir brauchen nur die
Kuranlagen des kleinen Badeortes zu oer
lasten. ein wenig höher zu steigen, und schon
liegen ringsum die weiten, schneegefüllten
Felder vor unseren schweifenden Blicken, die
tausend Buckel und Hügel, geschlossene Sied
lungen und verstreute Bauernhäuser in wat
tierten Tiefen.
Brauer hat die Jagd ringsum auf fünf
Jahre gepachtet, aber sic ist nicht sehr ertrag
reich Zu viele Gehöfte verscheuchen, im Jäger-
jargon: vergrämen das Wild. Er schießt sich
kaum den Betrag für die Pacht und das Pul
ver zusammen. Außerdem ist er ein milder
Schütze, der sein Revier mit dem Gewehr hegt
und nicht ausbeutet.
f Ich selbst gehe ohne Schießprügel an seiner
Seite; denn, um die Wahrheit zu sagen, ich
kann allenfalls Fliegen und Mücken ins Jen
seits befördern, bei Lebewesen größeren For
mats habe ich Hemmungen.
„Aber Hasenbraten essen Sie gern?" be
merkt Brauer nicht ohne Ironie. Unleugbar.
Es ist ein menschlicher Widerspruch. Die Fra
ge hat mich schon häufig bewegt: Warum ver
mag ich Insekten zu töten, dagegen weder
Katze noch Maus, weder Taube noch Huhn,
weder Hase noch Reh? Leben ist doch Leben,
nicht wahr, ein Wunder auch in der kleinsten
Gestalt. Warum tritt das Mitgefühl beim
wachsenden Format des Objektes stärker in
Erscheinung?
Ich begleite also Brauer nicht wegen der
jagdlichen Sensation in die Berge, obwohl
ich fraglos an gewissen dramatischen Höhe
punkten ■ unserer Unternehmungen ein erre
gendes Gefühl der Spannung verspüre. Ich
gehe vielmehr mit, weil Brauer sein Gebiet
in jeder Daseinsform wie kein zweiter kennt.
Er weiß mir nicht nur die Bewohner eines
jeden Gehöftes zu schildern, in Erscheinung
und Schicksal, er bezeichnet mir auch jeden
Baum, jedes dürre Gebüsch mit seinem korrek
ten Namen, obwohl zu dieser Jahreszeit dre
Blätter fehlen. Jeder Vogel, der über uns
seine Schwingen regt, wird zoologisch ernge-
ordnet. Und es gibt keine Tierspur im Schnee,
die Brauer nicht sofort zu bezeichnen wüßte.
Ueber diesen Unterhaltungen geschah es oft,
daß bei manchem Hasen die Büchse zu spät
in den Anschlag flog und die Kugel nichts
als den gefühllosen Schnee zerfetzte.
Sascha, der russische Jagdhund, folgt Brauer
getreu auf dem Fuß. Ein lieber Kerl pr'va-
tim. im Dienst unausstehlich.
„Sascha, komm mal her'." Er zuckt kaum
mit der Nase. Ich versuche ihn zu streicheln
• er sieht mich sekundenlang vorwurfsvoll an.
„So mutz ein Jagdhund dressiert sein, sehen
Sie, sonst ist er nichts wert.. Allons, allons!"
Nun stürzt Sascha wie ein Pfeil von der
^ehne, zieht weite Kreise um uns herum und
versinkt hinter Schneewächten in irgend einem
Gebüsch. Ein Pfiff und er keucht heran, die
Zunge lang über den Zähnen. Er ist uner
reichbar sür jede private Aeußerung, solange
er eine Flinte sieht.
Brauer, langbeinig wie ein Riese, pflegt
mit Siebenmeilenschritten auszugreifen, ich
trotte bisweilen atemlos neben ihm her. Ter
Frost beißt in die Nase, aber ich fühle den
Schweiß unterm Mützenrand. Besonders,
wenn wir einen Hügel nach dem anderen er
klimmen. Zuweilen mache ich auf einer be
waldeten Kuppe halt und lasse Brauer, die
Büchse im Anschlag, allein das Buschwerk ab
suchen. Ringsum liegt unter dem grauen
Himmel Berg hinter Berg, Schneelinien, die
sich überschneiden; in den Tiefen steigt Rauch
aus friedlichen Gehöften. Krähen stürzen mit
lautem Geschrei aus dem dürren Geäst, die
Bäume knacken in die starre Stille hinein.
Bis ein Schutz hallendes Echo gegen die
Berge wirft, der Jagdruf Brauers ertönt,
Sascha keuchend davontobt und ein Häschen
wie eine Rolle den Hügel hinunterkollert.
Ein, zwei Haken — er ist in einem geheimnis
vollen Loch verschwunden, Sascha bellt wie
wahnsinnig, Verzeihung: gibt Hals, schnuppert
die Umgegend ab, bis sie ein Pfiff an Brau
ers rechten Stiefel lockt, wo sie mit rührend
beschämten Blick in die Höhe sieht. Der Hase
war flinker und schlauer als sie.
Brauer läuft vehement auf den Punkt zu,
wo er ihn zu treffen hoffte, aber man sieht nur
zerspritzten Schnee, das Schrot sitzt im Acker,
es ist auch kein Blut, wollte sagen kein Schweiß
zu entdecken, die Patrone ward um nichts ver
feuert. Aber schon wieder gleichmütig setzten
wir unser Gespräch fort, wo wir es vor zehn
Minuten unterbrachen.
Manchmal, zwischen Tannen, ist der Schnee
an drei, vier Stellen fortgetaut, das dürre
Moos wird sichtbar, und Brauer sagt: „Rehe".
Es war eine Familie, die noch vor fünf Mi
nuten hier friedlich lagerte, bis wir sie ver
scheuchten. Sascha beschnuppert fachmännisch
alle Spuren, sie bekommt ganz teuflische Au
gen, sie möchte wie ein Torpedo davonschnellen,
ja, sie winselt um das erlösende Wort. Aber
es wird kein „Allons, allons!" hörbar, und so
kreist sie aufgeregt um uns herurn.
Ich lege meine Hand auf das Moos, mir ist. als '
könnte ich noch die Wärme der atmenden Rehslanken
Ahlen, doch der Schnee feuchtet kalt die entblößte
Hand. Hier lagen sie: Vater und Mutter, zwischen
sich die Jungen, sie knabberten am dürren Moos,
das Oberhaupt der Familie lauschte weit in die
Runde, es schnupperte alle Gerüche ein. und kämen
ie aus Kilometerferne. Die Augen aber, wollte sa
gen die Lichter, durchspähten wachsam das Dickicht.
Längst, ehe wir hörbar wurden, erhoben sie sich auf
die schlanken Läufe und trabten tiefer in das Zwie
licht der Wälder hinein.
Gegen Abend, als ich müde wurde, als der west
liche Himmel sich plötzlich mit einem dumpfen Rot
durchwirkte, sahen wir ein Rudel Rehe in der
Ferne vorsichtig auf die Lichtung treten, der Bock
kühn voran. Wir stehen wie Säulein zwischen den
Stämmen, und Brauer hängt vorsichtig die Flinte
über die Schulter, Sascha — „still!" — zuckt ein
wenig an der Leine.
Es scheint nicht der Augenblick, den Bock hinzu
legen, ich sehe Brauer fragend an. Aber er blickt
schweigend drein. Ich weiß nicht, ob die Flinte so
weit trägt, ob die Kugel im Laufe fehlt, weil wir
mit Schrot auf die Hasenjagd gingen oder ob die
Dämmerung ihn unsicher machte. Er sieht andächtig
wie ich auf die schwebenden Silhouetten der Rehe,
die nun die Köpfe senken, um an der aufgescharrten
Wintersaat ein wenig zu äsen. Der Wind trägt ihre
Witterung in. Saschas Nase, sie seufzt wie ein Kind,
das ein unerreichbares Objekt seiner Sehnsucht, etwa
hinter weihnachtlichen Schaufenstern, sieht.
Endlich treten wir aus dem schützenden Dunkel
des Waldes hervor, und die Rehe stieben in das
bergende Dickicht hinein. Schon steht der Abendstern,
forstfunkelnd, in einer Bricht des Gewölks, als
Brauer sagt:
„Den Rehbock würde ich in Ihrer Gegenwart nie-
inals arrfs Korn nehmen. Nicht um Ihre sentimen
talen Gefühle zu schonen, sondern, weil Sic mir den
Spaß ohne Zweifel noch im letzten Augenblick ver
dürben. Seine Stunde wird schon kommen....
Aber nun ist es Zeit, stch in dem Dorfe drüben durch
einen Grog aufzuwärmen, obwohl wir ihn heute uns
eigentlich nicht verdient haben. Allons!"
Sascha schwärmt voran, aufgeregt und unbefrie
digt. Und als wir die Lichter des Dorfes bereits
ganz nahe funkeln sehen, gelingt es ihr, noch ein
armes Häschen, das schon schlief, aus einem Feld'
weg aufzustöbern.
Schon knallt der Schuß, der Hase schießt Kobolz,
ehe er sein Leben beendet. Sascha apportiert, und
ich fühle den noch warmen Körper in der Hand.
Das Licht vieler Sterne reflektiert in seinen ver
glasenden Pupillen. Brauer bemerkt:
„Morgen sind Sie zum Mittagessen eingeladen
als Lohn dafür, daß Sie mich an diesem anständigen
ş Treffer nicht verhindert haben."
Ich nehme gern olle vorbeigelungenen Schüsse au,
mein Konto, obgleich ich ihn, wenn er oas Gewehr
in Anschlag bringt, weder durch Wink, noch Wort,
a, nicht einmal durch ein Räuspern von seinem
Ziel ablenke; aber die Jäger scheinen merkwürdige
Leute zu sein, die schon durch die Anwesenheit eines
Tierfreundes zu verwirren sind.
Wir sitzen bei Freund Polte im warmen Kret-
'cham, der Grog dampft auf dem Tisch, die Wirts-
lcute plaudern geruhsam, Eaicha schnarcht unter
der Bank, und Meister Lampe hängt überm Flinten
lauf an der Wand. Kalt wie das Rohr. An Brauers
Mütze sehe ich plötzlich ein Tannenreis. Gott mag
wissen, wie er im Dunkeln diese Siegestrophäe fand.
Hinter den kleinen Fenstern steht die dunkle Berg,
nacht, klirrend vor Frost.
NmuLs WêLî.
8849 Pfund märkische Weinernte.
Zum ersten Mal seit 200 Jahren wurde in die
sem Jahre von der Stadt Grünberg eine Wein
lese aus eigenen Gärten, die vor 3 Jahren ange
legt worden waren, gehalten. Die Rebenanlagen,
die sich über eine Fläche von nur 12 Morgen er
strecken, brachten, wie verlautet, einen Ernteertrag
van insgesamt 8849 Pfund. Man hofft jedoch, in
späteren Jahren den Ertrag steigern zu können.
K Nationen im internationalen Rundflug 1832.
Wie wir hören, lagen beim Aero-Club von
Deutschland bis zum Schlußtermin für die Ncn-
nungen der am internationalen Rundflug 1932
teilnehmenden Nationen Anmeldungen von sechs
europäischen Nationen vor, und zwar außer, von
Deutschland die von Frankreich, Italien, Polen,
der Schweiz und der Tschechoslowakei. Deutschland
hat, wie erinnerlich, den Wanderpreis in diesem
Wettbewerb der Touristik-Flugzeuge zu verteidi
gen. Die Sportkommission für diesen Wettbewerb
erledigte am 18. d. Bits, die wichtigsten Organi
sationsfragen, die Ausschreibung der Preis:»
Streckenführung und technische Fragen.
wmtm.
Land im Schatten. Von Friede H. Krazc. Mau Mhlt beim
Lesen: hier schrieb eine Dichterin mit heißem Herzen und
in heißem Weh Schicksale nieder, die sic selbst sah. Ringen
ist cs um Heiligstes: um Klaube und Vaterland; und es
wird ein Durchringen zur Erkenntnis: auch dies schwere
Schicksal ist von Gott gegeben. Diese tiefe, innere Religio,
sität hebt das Buch über andere Schicksalsbücher unserer
Ostmark.
Mysterium. Don Friede H. Krazc. Ein nicht gewöhnlichcr
Roman psychoaualytischcn Keprches, geschrieben für ge
reifte, aber jung gebliebene Menschen von einer Dichterin,
die es wie kaum jemand versteht, alle Saiten der Menschen-
seele zum Tönen zu bringen. Eine reine, helle Welt offen
bart sich uns, die um so stärker hervortritt, je mehr sie sich
abhebt vom Hintergrund eines dämonischen Äulturbolsche-
wismns. Beide Bücher tnt Verlag <S. Bertelsmann, Gütersloh.
Sîerne übttm Dsà
Eine Weihnachtsgeschichte von H e i n r. E ck m a n n.
(Schluß.)
„Nun ist es sternklar geworden." sagt das junge
Mädchen und spricht es so weich und vertrauend
wie ein Kind. Auch Henn Sweet sendet ruhig
einen Blick nach oben. Ist es das erste Mal in
seinem Leben, daß er die Augen in die Sterne
hebt? Es ist nicht die Art dieser Leute, den Mit
menschen ihre Bekanntschaft mit Gott zu verraten
Aber nun sendet er wahrhastig den Blick nach oben
und sieht dem lieben Gott gerade ins Gesicht
ernsthaft und ruhig, als sitze er nach langer Zei!
wieder einmal in der Kirche. Vergaß er Gott?
Verlor er Gott in all seiner Not und Sorge um
den Hof? _ . , r
Der junge Mann an Henn Sweets Seite leb:
mitten in der Zeit wie alle jungen Leute auf dem
Lande. Er ist ein Praktiker, der nur der Kraft der
Arme vertraut und mit den Sternen nichts anzu
fangen weiß. Er spricht über die schlechten Zeiten
nach dem Kriege, wie die Not sich immer mehr
entwickelte, zuerst in der großen Stadt, aber nun
auch mit aller Härte auf dem Lande, Er rechnet
mit den Fingern eine Anzahl Bauernhöfe her, die
vor dem Zusammenbruch stehen. Er will bestimmt
wissen, daß diese Leute nicht nur durch eigen:
Schuld in Not gekommen sind. Er ist gewiß kein
Quertreiber, der Unruhe stiften will. Aber er sag:
mit fester, grimmiger Stimme: „Ich will gern ar
beiten von morgens früh bis abends spät, um
meinen Besitz hochzuhalten, sieh, das will ich. Aber
man verliert schließlich den. Mut dabei, wenn man
sich trotzdem ausrechnen kann, daß alles nichts nütz-
und daß man sich doch festarbeitet, wie es heute
ist. Sieh. und darum sage ich: Wenn uns niemand
hilft dann müssen wir uns schließlich selber hel
fen."
Das Mädchen hat bisher schweigend dem Er
zählen ihres Bruders zugehört. Nun, um der
ewigen Unruhe über die schlechten Zeiten aus dem
Wege zu gehen, beschäftigt es sich wieder mit den
Sternen.
„Ich glaube, daß man doch in die Sterne sehen
mutz." sagt'es mit seiner weichen Stimme. „Denn
wozu sind die Sterne sonst da? Sie müssen doch
einen Zweck haben."
„Ach du mit deinen Sternen!" lacht der Bruder.
„Was sollten sie wohl für einen Zweck haben? Sie
bedeuten antes Wetter oder Frost, aber sonst be
deuten sie natürlich nichts. Sie sind Himmelskör
per, genau wie unsere Erde."
„Nein," wehrt die Schwester sich, „das glaube
ich nicht."
Henn Sweet sitzt schweigsam zwischen ihnen, als
nehme er an ihrer Unterhaltung nicht teil. Aber
er schläft nicht. Er ist alt und schrverfällig und mag
wohl langsamer denken als die Jungen. Das wird
es wohl lein.
Klingling! springen jauchzend die Elöcklein dem
Schlitten voraus wie Sternenfunken. Nun klingt
die lustige Musik schon die Dorfstratze entlang
Und hier ist Henn Sweets Haus.
Sieh, dort stehen allerlei Leute zusammen mit
Hunden und Laternen und wollen sich gerade auf
den Weg machen. Als der Schlitten näher kommt
blicken sie ihm verwundert entgegen und sehen
dann ja, dah Henn Sweet von Leuten aus dem
Nachbardorfe nach Hause gebracht wird.
„Sieh an," sagt Eggert Sierck, der Gemeinde
vorsteher, „wir sind gerade unterwegs, dich zu
suchen. Aber nun sehen wir ja. datz du ein wenig
aus Nachbarschaft gewesen bist." Er sagt das in
seiner ruhigen Art und ist dabei dem Alten behilf
lich, aus dem Schlitten zu kommen. Und sieh. nun
ist auch Greten Sweet schon zur Stelle und nimmt
ihren Mann in Empfang.
„Henn auch doch!" sagt sie und läßt die Tränen
rinnen. „Henn auch doch!" Mehr kommt nicht über
ihre Lippen. Sie schmiegt sich an ihn wie in jun
gen Jahren und führt ihn ins Haus. Nur Eggert
Sierck folgt ihnen, die andern treten ihren Heim
weg an.
Nein, so schlimm ist es natürlich nicht. Was ist
denn geschehen? Er ist ein wenig vom Wege ab
gekommen und im Dunkel verirrt, weiter ist das
nichts. Die Kälte und das Schneewetter machen
ihm nichts aus. Er ist zäh und ergibt sich noch
lange nicht. Er mutz noch lange wirken und stre
ben. Das verlangt der Hof von ihm. Ja, >o ist es
Und er lacht über feine Frau, datz sie in Angst
um ihn war und noch immer nicht zur Ruhe kom
men kann.
„(Sott. Greten," sagt er, „wie ist es nur mög
lich."
Nun aber rückt Eggert Sierck mit einem Plan
heraus. „Hört mal zu." sagt er, „nun kommt ihr
mit zu meiner Frau und etzt mit uns Hasenbra
ten." Doch das kommt für Henn Sweet und seine
Frau natürlich nicht in Frage. Nein, nein, das
wollen sie nicht. Aber Eggert Sierck ist gut be
kannt mit ihnen, er holt ihre Mäntel aus dem
Schrank, packt die beiden Alten warm ein und
nimmt sie mit, sie mögen sich sträuben, so sehr sie
wollen, Eggert Sierck tut, was er will. Er nimmt
sie alle beide in seine Arme und führt sie seiner
Frau zu. Unterwegs sagt er: „Ihr wißt ja, meine
Eltern sind tot."
So feiern sie dann mit Eggert Sierck und seiner
Frau Weihnachten, so wie sie sind, in ihrem All
tagsgewand. Aber es brennt ein Tannenbaum
und die innersten Stuben sind festlich erleuchtet.
Wine Sierck, die junge Frau, erwartet im Fe
bruar ihr erstes Kind Das erfüllt sie mit einem
strahlenden Glück, von dem alle Hoffnung und
Zuversicht ihres Lebens ausgeht. Ihr Kind be
deutet ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Es ist
der eine leuchtende Stern dort oben, von dem
neue Kraft und neues Leben ausströmen soll
„Was kommt, kann kommen," sagt sie zu Greten
Sweet. „Ich sehe trotz des Dunkels Licht in mei
nem Kinde."
Greten Sweet weint. Sie ist weich gehämmert
durch die Härte ihres Schicksals, und die Tränen
sitzen ihr locker. Aber Wine Sierck ist wie ein Kind
zu ihr und weckt mit all ihrem Glück und mit ihrer
Zuversicht ein neues Vertrauen in ihr auf, so wie
sie sich selber hilft.
Eggert Sierck erzählt aus seiner Gefangenschaft.
Fünf Jahre hielt man ihn drüben in England
fest. Das Schwere hat er vergessen. Was er behielt,
klingt fröhlich.
„Ja," sagr er, „was es nicht alles gibt im Le
ben, Henn Sweet. Wir sind oft in Not gewesen
und haben bald keinen Ausweg mehr gemutzt, so
dunkel war es. Aber es wurde immer wieder hell
Ich denke hierbei auch an das Kreuz bei La
Bassse. Ringsumher waren alle Häuser zusammen
geschossen Nur dies eine große Kreuz in einem
Garten war stehen geblieben. Es steht wohl auch
heute noch. Aber jo war es damals: Immer, wenn
wir in den Graben gingen, sahen all unsere
Augen wie auf ein heimliches Kommando hinüber
und wenn wir aus dem Graben zurückkamen, war
es genau dasselbe. Das Kreuz blieb immer unser-
sehrt. Einmal beschoß der Feind zwei Tage lang
die Ruinen der Stadt, in der das Kreuz stand und
unsere Quartiere untergebracht waren. Es blieb
nichts verschont. Wir fanden unsere Quartiere
nicht wieder. Nur das Kreuz blieb auch diesmal
unberührt stehen. Und solange dies Kreuz stand,
konnten auch wir uns halten, das wußten wir, das
fühlten wir. Ich habe später oft mit andern Ka
meraden darüber gesprochen. Sie erlebten alle
dasselbe wie ich, so oder so. Es brauchte ja nich
gerade immer das Kreuz zu sein. So merkwürdig
ist es im Leben, Henn Sweet. Aber was bedeutet
das? Was hat das zu sagen? Es muß doch irgend
einen Sinn haben, warum ist es fönst so?"
Henn Sweet sitzt unbeweglich da und gibt keine
Antwort. Aber Eggert Sierck fährt fort in seinem
Erzählen: „Ganz allein kommt der Mensch wohl
nie zurecht in seinem Leben, Henn, er kommt im
mer einmal in Not, so oder so. Und wer sich da
zurechtfinden kann, wer da einen Weg findet, zu
dem er Vertrauen haben kann, der kommt hin
durch, wie es auch komme, ja. der ist stark und
braucht keine Angst zu haben. Das habe ich im
Kriege und in der Gefangenschaft an mir selber
gelernt und erfahren, sonst würde ich es gewiß
nicht sagen. Und so sage ich mir auch: „Wir kom
men auch in dieser Not zurecht. Wir wollen ar
beiten und nicht verzweifeln."
Stöhnt Henn Sweet leise auf? Eggert Sierck
hört es und es ergreift ihn. „Henn," sagt er, „ich
weiß, was du denkst. Du denkst an die Not deines
Hofes, das kann ich verstehen. Aber warum soll
dein Hof zugrunde gehen, Henn? Warum? frage
ich Sieh, dein Nachbar, der ist in meinen Augen
nur ein Zwischenläufei, der sich nur eingeschlichen
hat und bald wieder wegläuft. Ein Bauer, der
nicht arbeiten mag, läuft immer weg. Aber wer
wird nach ihm kommen? Sieh, Henn, das ist die
Frage. Der, der nach ihm kommen wird, der ist der
Mann, der deine Arbeit fortsetzen wird und aus
den du dich verlassen kannst. Immer wieder wirk
es dunkel. Aber immer wieder wird es auch hell."
All dies bespricht Eggert Sierck mit Henn Sweet,
Und er sagt es so klar und deutlich, daß Henn
Sweet es verstehen und von ihm ergriffen werden
mutz. —
Als Eggert und Wine Sierck nachher die beider
Alten nach Haufe begleiten, vier Leute Arm in
Arm in einer Reihe mitten auf der Straße, lieft
Eggert Sierck, wie Henn Sweet heimlich den Blich
vom Boden empor nach oben hebt. Da sagt er zr
dem Alten: „Sieh, Henn, man mutz glauben, da,
ist es, man mutz einen Halt haben. Und weil hie?
zuletzt doch nichts andres übrig als außerhalb der
bunten Durcheinanders zu suchen, also über um
und dem lieben Gott zu vertrauen."
Nun bleiben sie auf einmal alle vier stehen und
sehen sich an, als müsie es so sein und nicht anders.
Dann aber gehen sic weiter, langsam, nachdenklich,
auf Erden alles bunt durcheinander ist, bleibt u,is
schweigsam