Full text: Newspaper volume (1931, Bd. 4)

ilntevhaitung 
Mittwoch, Sen 23. Dezember 193 
Beilage der Sckleswiq.Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt» 
300 
DKDêîĢŞ / Bon Erich K. Schmidt. 
Zuweilen gehe ich mit dem Amtsvorsteher 
Brauer aus die Jagd. Wir brauchen nur die 
Kuranlagen des kleinen Badeortes zu oer 
lasten. ein wenig höher zu steigen, und schon 
liegen ringsum die weiten, schneegefüllten 
Felder vor unseren schweifenden Blicken, die 
tausend Buckel und Hügel, geschlossene Sied 
lungen und verstreute Bauernhäuser in wat 
tierten Tiefen. 
Brauer hat die Jagd ringsum auf fünf 
Jahre gepachtet, aber sic ist nicht sehr ertrag 
reich Zu viele Gehöfte verscheuchen, im Jäger- 
jargon: vergrämen das Wild. Er schießt sich 
kaum den Betrag für die Pacht und das Pul 
ver zusammen. Außerdem ist er ein milder 
Schütze, der sein Revier mit dem Gewehr hegt 
und nicht ausbeutet. 
f Ich selbst gehe ohne Schießprügel an seiner 
Seite; denn, um die Wahrheit zu sagen, ich 
kann allenfalls Fliegen und Mücken ins Jen 
seits befördern, bei Lebewesen größeren For 
mats habe ich Hemmungen. 
„Aber Hasenbraten essen Sie gern?" be 
merkt Brauer nicht ohne Ironie. Unleugbar. 
Es ist ein menschlicher Widerspruch. Die Fra 
ge hat mich schon häufig bewegt: Warum ver 
mag ich Insekten zu töten, dagegen weder 
Katze noch Maus, weder Taube noch Huhn, 
weder Hase noch Reh? Leben ist doch Leben, 
nicht wahr, ein Wunder auch in der kleinsten 
Gestalt. Warum tritt das Mitgefühl beim 
wachsenden Format des Objektes stärker in 
Erscheinung? 
Ich begleite also Brauer nicht wegen der 
jagdlichen Sensation in die Berge, obwohl 
ich fraglos an gewissen dramatischen Höhe 
punkten ■ unserer Unternehmungen ein erre 
gendes Gefühl der Spannung verspüre. Ich 
gehe vielmehr mit, weil Brauer sein Gebiet 
in jeder Daseinsform wie kein zweiter kennt. 
Er weiß mir nicht nur die Bewohner eines 
jeden Gehöftes zu schildern, in Erscheinung 
und Schicksal, er bezeichnet mir auch jeden 
Baum, jedes dürre Gebüsch mit seinem korrek 
ten Namen, obwohl zu dieser Jahreszeit dre 
Blätter fehlen. Jeder Vogel, der über uns 
seine Schwingen regt, wird zoologisch ernge- 
ordnet. Und es gibt keine Tierspur im Schnee, 
die Brauer nicht sofort zu bezeichnen wüßte. 
Ueber diesen Unterhaltungen geschah es oft, 
daß bei manchem Hasen die Büchse zu spät 
in den Anschlag flog und die Kugel nichts 
als den gefühllosen Schnee zerfetzte. 
Sascha, der russische Jagdhund, folgt Brauer 
getreu auf dem Fuß. Ein lieber Kerl pr'va- 
tim. im Dienst unausstehlich. 
„Sascha, komm mal her'." Er zuckt kaum 
mit der Nase. Ich versuche ihn zu streicheln 
• er sieht mich sekundenlang vorwurfsvoll an. 
„So mutz ein Jagdhund dressiert sein, sehen 
Sie, sonst ist er nichts wert.. Allons, allons!" 
Nun stürzt Sascha wie ein Pfeil von der 
^ehne, zieht weite Kreise um uns herum und 
versinkt hinter Schneewächten in irgend einem 
Gebüsch. Ein Pfiff und er keucht heran, die 
Zunge lang über den Zähnen. Er ist uner 
reichbar sür jede private Aeußerung, solange 
er eine Flinte sieht. 
Brauer, langbeinig wie ein Riese, pflegt 
mit Siebenmeilenschritten auszugreifen, ich 
trotte bisweilen atemlos neben ihm her. Ter 
Frost beißt in die Nase, aber ich fühle den 
Schweiß unterm Mützenrand. Besonders, 
wenn wir einen Hügel nach dem anderen er 
klimmen. Zuweilen mache ich auf einer be 
waldeten Kuppe halt und lasse Brauer, die 
Büchse im Anschlag, allein das Buschwerk ab 
suchen. Ringsum liegt unter dem grauen 
Himmel Berg hinter Berg, Schneelinien, die 
sich überschneiden; in den Tiefen steigt Rauch 
aus friedlichen Gehöften. Krähen stürzen mit 
lautem Geschrei aus dem dürren Geäst, die 
Bäume knacken in die starre Stille hinein. 
Bis ein Schutz hallendes Echo gegen die 
Berge wirft, der Jagdruf Brauers ertönt, 
Sascha keuchend davontobt und ein Häschen 
wie eine Rolle den Hügel hinunterkollert. 
Ein, zwei Haken — er ist in einem geheimnis 
vollen Loch verschwunden, Sascha bellt wie 
wahnsinnig, Verzeihung: gibt Hals, schnuppert 
die Umgegend ab, bis sie ein Pfiff an Brau 
ers rechten Stiefel lockt, wo sie mit rührend 
beschämten Blick in die Höhe sieht. Der Hase 
war flinker und schlauer als sie. 
Brauer läuft vehement auf den Punkt zu, 
wo er ihn zu treffen hoffte, aber man sieht nur 
zerspritzten Schnee, das Schrot sitzt im Acker, 
es ist auch kein Blut, wollte sagen kein Schweiß 
zu entdecken, die Patrone ward um nichts ver 
feuert. Aber schon wieder gleichmütig setzten 
wir unser Gespräch fort, wo wir es vor zehn 
Minuten unterbrachen. 
Manchmal, zwischen Tannen, ist der Schnee 
an drei, vier Stellen fortgetaut, das dürre 
Moos wird sichtbar, und Brauer sagt: „Rehe". 
Es war eine Familie, die noch vor fünf Mi 
nuten hier friedlich lagerte, bis wir sie ver 
scheuchten. Sascha beschnuppert fachmännisch 
alle Spuren, sie bekommt ganz teuflische Au 
gen, sie möchte wie ein Torpedo davonschnellen, 
ja, sie winselt um das erlösende Wort. Aber 
es wird kein „Allons, allons!" hörbar, und so 
kreist sie aufgeregt um uns herurn. 
Ich lege meine Hand auf das Moos, mir ist. als ' 
könnte ich noch die Wärme der atmenden Rehslanken 
Ahlen, doch der Schnee feuchtet kalt die entblößte 
Hand. Hier lagen sie: Vater und Mutter, zwischen 
sich die Jungen, sie knabberten am dürren Moos, 
das Oberhaupt der Familie lauschte weit in die 
Runde, es schnupperte alle Gerüche ein. und kämen 
ie aus Kilometerferne. Die Augen aber, wollte sa 
gen die Lichter, durchspähten wachsam das Dickicht. 
Längst, ehe wir hörbar wurden, erhoben sie sich auf 
die schlanken Läufe und trabten tiefer in das Zwie 
licht der Wälder hinein. 
Gegen Abend, als ich müde wurde, als der west 
liche Himmel sich plötzlich mit einem dumpfen Rot 
durchwirkte, sahen wir ein Rudel Rehe in der 
Ferne vorsichtig auf die Lichtung treten, der Bock 
kühn voran. Wir stehen wie Säulein zwischen den 
Stämmen, und Brauer hängt vorsichtig die Flinte 
über die Schulter, Sascha — „still!" — zuckt ein 
wenig an der Leine. 
Es scheint nicht der Augenblick, den Bock hinzu 
legen, ich sehe Brauer fragend an. Aber er blickt 
schweigend drein. Ich weiß nicht, ob die Flinte so 
weit trägt, ob die Kugel im Laufe fehlt, weil wir 
mit Schrot auf die Hasenjagd gingen oder ob die 
Dämmerung ihn unsicher machte. Er sieht andächtig 
wie ich auf die schwebenden Silhouetten der Rehe, 
die nun die Köpfe senken, um an der aufgescharrten 
Wintersaat ein wenig zu äsen. Der Wind trägt ihre 
Witterung in. Saschas Nase, sie seufzt wie ein Kind, 
das ein unerreichbares Objekt seiner Sehnsucht, etwa 
hinter weihnachtlichen Schaufenstern, sieht. 
Endlich treten wir aus dem schützenden Dunkel 
des Waldes hervor, und die Rehe stieben in das 
bergende Dickicht hinein. Schon steht der Abendstern, 
forstfunkelnd, in einer Bricht des Gewölks, als 
Brauer sagt: 
„Den Rehbock würde ich in Ihrer Gegenwart nie- 
inals arrfs Korn nehmen. Nicht um Ihre sentimen 
talen Gefühle zu schonen, sondern, weil Sic mir den 
Spaß ohne Zweifel noch im letzten Augenblick ver 
dürben. Seine Stunde wird schon kommen.... 
Aber nun ist es Zeit, stch in dem Dorfe drüben durch 
einen Grog aufzuwärmen, obwohl wir ihn heute uns 
eigentlich nicht verdient haben. Allons!" 
Sascha schwärmt voran, aufgeregt und unbefrie 
digt. Und als wir die Lichter des Dorfes bereits 
ganz nahe funkeln sehen, gelingt es ihr, noch ein 
armes Häschen, das schon schlief, aus einem Feld' 
weg aufzustöbern. 
Schon knallt der Schuß, der Hase schießt Kobolz, 
ehe er sein Leben beendet. Sascha apportiert, und 
ich fühle den noch warmen Körper in der Hand. 
Das Licht vieler Sterne reflektiert in seinen ver 
glasenden Pupillen. Brauer bemerkt: 
„Morgen sind Sie zum Mittagessen eingeladen 
als Lohn dafür, daß Sie mich an diesem anständigen 
ş Treffer nicht verhindert haben." 
Ich nehme gern olle vorbeigelungenen Schüsse au, 
mein Konto, obgleich ich ihn, wenn er oas Gewehr 
in Anschlag bringt, weder durch Wink, noch Wort, 
a, nicht einmal durch ein Räuspern von seinem 
Ziel ablenke; aber die Jäger scheinen merkwürdige 
Leute zu sein, die schon durch die Anwesenheit eines 
Tierfreundes zu verwirren sind. 
Wir sitzen bei Freund Polte im warmen Kret- 
'cham, der Grog dampft auf dem Tisch, die Wirts- 
lcute plaudern geruhsam, Eaicha schnarcht unter 
der Bank, und Meister Lampe hängt überm Flinten 
lauf an der Wand. Kalt wie das Rohr. An Brauers 
Mütze sehe ich plötzlich ein Tannenreis. Gott mag 
wissen, wie er im Dunkeln diese Siegestrophäe fand. 
Hinter den kleinen Fenstern steht die dunkle Berg, 
nacht, klirrend vor Frost. 
NmuLs WêLî. 
8849 Pfund märkische Weinernte. 
Zum ersten Mal seit 200 Jahren wurde in die 
sem Jahre von der Stadt Grünberg eine Wein 
lese aus eigenen Gärten, die vor 3 Jahren ange 
legt worden waren, gehalten. Die Rebenanlagen, 
die sich über eine Fläche von nur 12 Morgen er 
strecken, brachten, wie verlautet, einen Ernteertrag 
van insgesamt 8849 Pfund. Man hofft jedoch, in 
späteren Jahren den Ertrag steigern zu können. 
K Nationen im internationalen Rundflug 1832. 
Wie wir hören, lagen beim Aero-Club von 
Deutschland bis zum Schlußtermin für die Ncn- 
nungen der am internationalen Rundflug 1932 
teilnehmenden Nationen Anmeldungen von sechs 
europäischen Nationen vor, und zwar außer, von 
Deutschland die von Frankreich, Italien, Polen, 
der Schweiz und der Tschechoslowakei. Deutschland 
hat, wie erinnerlich, den Wanderpreis in diesem 
Wettbewerb der Touristik-Flugzeuge zu verteidi 
gen. Die Sportkommission für diesen Wettbewerb 
erledigte am 18. d. Bits, die wichtigsten Organi 
sationsfragen, die Ausschreibung der Preis:» 
Streckenführung und technische Fragen. 
wmtm. 
Land im Schatten. Von Friede H. Krazc. Mau Mhlt beim 
Lesen: hier schrieb eine Dichterin mit heißem Herzen und 
in heißem Weh Schicksale nieder, die sic selbst sah. Ringen 
ist cs um Heiligstes: um Klaube und Vaterland; und es 
wird ein Durchringen zur Erkenntnis: auch dies schwere 
Schicksal ist von Gott gegeben. Diese tiefe, innere Religio, 
sität hebt das Buch über andere Schicksalsbücher unserer 
Ostmark. 
Mysterium. Don Friede H. Krazc. Ein nicht gewöhnlichcr 
Roman psychoaualytischcn Keprches, geschrieben für ge 
reifte, aber jung gebliebene Menschen von einer Dichterin, 
die es wie kaum jemand versteht, alle Saiten der Menschen- 
seele zum Tönen zu bringen. Eine reine, helle Welt offen 
bart sich uns, die um so stärker hervortritt, je mehr sie sich 
abhebt vom Hintergrund eines dämonischen Äulturbolsche- 
wismns. Beide Bücher tnt Verlag <S. Bertelsmann, Gütersloh. 
Sîerne übttm Dsà 
Eine Weihnachtsgeschichte von H e i n r. E ck m a n n. 
(Schluß.) 
„Nun ist es sternklar geworden." sagt das junge 
Mädchen und spricht es so weich und vertrauend 
wie ein Kind. Auch Henn Sweet sendet ruhig 
einen Blick nach oben. Ist es das erste Mal in 
seinem Leben, daß er die Augen in die Sterne 
hebt? Es ist nicht die Art dieser Leute, den Mit 
menschen ihre Bekanntschaft mit Gott zu verraten 
Aber nun sendet er wahrhastig den Blick nach oben 
und sieht dem lieben Gott gerade ins Gesicht 
ernsthaft und ruhig, als sitze er nach langer Zei! 
wieder einmal in der Kirche. Vergaß er Gott? 
Verlor er Gott in all seiner Not und Sorge um 
den Hof? _ . , r 
Der junge Mann an Henn Sweets Seite leb: 
mitten in der Zeit wie alle jungen Leute auf dem 
Lande. Er ist ein Praktiker, der nur der Kraft der 
Arme vertraut und mit den Sternen nichts anzu 
fangen weiß. Er spricht über die schlechten Zeiten 
nach dem Kriege, wie die Not sich immer mehr 
entwickelte, zuerst in der großen Stadt, aber nun 
auch mit aller Härte auf dem Lande, Er rechnet 
mit den Fingern eine Anzahl Bauernhöfe her, die 
vor dem Zusammenbruch stehen. Er will bestimmt 
wissen, daß diese Leute nicht nur durch eigen: 
Schuld in Not gekommen sind. Er ist gewiß kein 
Quertreiber, der Unruhe stiften will. Aber er sag: 
mit fester, grimmiger Stimme: „Ich will gern ar 
beiten von morgens früh bis abends spät, um 
meinen Besitz hochzuhalten, sieh, das will ich. Aber 
man verliert schließlich den. Mut dabei, wenn man 
sich trotzdem ausrechnen kann, daß alles nichts nütz- 
und daß man sich doch festarbeitet, wie es heute 
ist. Sieh. und darum sage ich: Wenn uns niemand 
hilft dann müssen wir uns schließlich selber hel 
fen." 
Das Mädchen hat bisher schweigend dem Er 
zählen ihres Bruders zugehört. Nun, um der 
ewigen Unruhe über die schlechten Zeiten aus dem 
Wege zu gehen, beschäftigt es sich wieder mit den 
Sternen. 
„Ich glaube, daß man doch in die Sterne sehen 
mutz." sagt'es mit seiner weichen Stimme. „Denn 
wozu sind die Sterne sonst da? Sie müssen doch 
einen Zweck haben." 
„Ach du mit deinen Sternen!" lacht der Bruder. 
„Was sollten sie wohl für einen Zweck haben? Sie 
bedeuten antes Wetter oder Frost, aber sonst be 
deuten sie natürlich nichts. Sie sind Himmelskör 
per, genau wie unsere Erde." 
„Nein," wehrt die Schwester sich, „das glaube 
ich nicht." 
Henn Sweet sitzt schweigsam zwischen ihnen, als 
nehme er an ihrer Unterhaltung nicht teil. Aber 
er schläft nicht. Er ist alt und schrverfällig und mag 
wohl langsamer denken als die Jungen. Das wird 
es wohl lein. 
Klingling! springen jauchzend die Elöcklein dem 
Schlitten voraus wie Sternenfunken. Nun klingt 
die lustige Musik schon die Dorfstratze entlang 
Und hier ist Henn Sweets Haus. 
Sieh, dort stehen allerlei Leute zusammen mit 
Hunden und Laternen und wollen sich gerade auf 
den Weg machen. Als der Schlitten näher kommt 
blicken sie ihm verwundert entgegen und sehen 
dann ja, dah Henn Sweet von Leuten aus dem 
Nachbardorfe nach Hause gebracht wird. 
„Sieh an," sagt Eggert Sierck, der Gemeinde 
vorsteher, „wir sind gerade unterwegs, dich zu 
suchen. Aber nun sehen wir ja. datz du ein wenig 
aus Nachbarschaft gewesen bist." Er sagt das in 
seiner ruhigen Art und ist dabei dem Alten behilf 
lich, aus dem Schlitten zu kommen. Und sieh. nun 
ist auch Greten Sweet schon zur Stelle und nimmt 
ihren Mann in Empfang. 
„Henn auch doch!" sagt sie und läßt die Tränen 
rinnen. „Henn auch doch!" Mehr kommt nicht über 
ihre Lippen. Sie schmiegt sich an ihn wie in jun 
gen Jahren und führt ihn ins Haus. Nur Eggert 
Sierck folgt ihnen, die andern treten ihren Heim 
weg an. 
Nein, so schlimm ist es natürlich nicht. Was ist 
denn geschehen? Er ist ein wenig vom Wege ab 
gekommen und im Dunkel verirrt, weiter ist das 
nichts. Die Kälte und das Schneewetter machen 
ihm nichts aus. Er ist zäh und ergibt sich noch 
lange nicht. Er mutz noch lange wirken und stre 
ben. Das verlangt der Hof von ihm. Ja, >o ist es 
Und er lacht über feine Frau, datz sie in Angst 
um ihn war und noch immer nicht zur Ruhe kom 
men kann. 
„(Sott. Greten," sagt er, „wie ist es nur mög 
lich." 
Nun aber rückt Eggert Sierck mit einem Plan 
heraus. „Hört mal zu." sagt er, „nun kommt ihr 
mit zu meiner Frau und etzt mit uns Hasenbra 
ten." Doch das kommt für Henn Sweet und seine 
Frau natürlich nicht in Frage. Nein, nein, das 
wollen sie nicht. Aber Eggert Sierck ist gut be 
kannt mit ihnen, er holt ihre Mäntel aus dem 
Schrank, packt die beiden Alten warm ein und 
nimmt sie mit, sie mögen sich sträuben, so sehr sie 
wollen, Eggert Sierck tut, was er will. Er nimmt 
sie alle beide in seine Arme und führt sie seiner 
Frau zu. Unterwegs sagt er: „Ihr wißt ja, meine 
Eltern sind tot." 
So feiern sie dann mit Eggert Sierck und seiner 
Frau Weihnachten, so wie sie sind, in ihrem All 
tagsgewand. Aber es brennt ein Tannenbaum 
und die innersten Stuben sind festlich erleuchtet. 
Wine Sierck, die junge Frau, erwartet im Fe 
bruar ihr erstes Kind Das erfüllt sie mit einem 
strahlenden Glück, von dem alle Hoffnung und 
Zuversicht ihres Lebens ausgeht. Ihr Kind be 
deutet ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Es ist 
der eine leuchtende Stern dort oben, von dem 
neue Kraft und neues Leben ausströmen soll 
„Was kommt, kann kommen," sagt sie zu Greten 
Sweet. „Ich sehe trotz des Dunkels Licht in mei 
nem Kinde." 
Greten Sweet weint. Sie ist weich gehämmert 
durch die Härte ihres Schicksals, und die Tränen 
sitzen ihr locker. Aber Wine Sierck ist wie ein Kind 
zu ihr und weckt mit all ihrem Glück und mit ihrer 
Zuversicht ein neues Vertrauen in ihr auf, so wie 
sie sich selber hilft. 
Eggert Sierck erzählt aus seiner Gefangenschaft. 
Fünf Jahre hielt man ihn drüben in England 
fest. Das Schwere hat er vergessen. Was er behielt, 
klingt fröhlich. 
„Ja," sagr er, „was es nicht alles gibt im Le 
ben, Henn Sweet. Wir sind oft in Not gewesen 
und haben bald keinen Ausweg mehr gemutzt, so 
dunkel war es. Aber es wurde immer wieder hell 
Ich denke hierbei auch an das Kreuz bei La 
Bassse. Ringsumher waren alle Häuser zusammen 
geschossen Nur dies eine große Kreuz in einem 
Garten war stehen geblieben. Es steht wohl auch 
heute noch. Aber jo war es damals: Immer, wenn 
wir in den Graben gingen, sahen all unsere 
Augen wie auf ein heimliches Kommando hinüber 
und wenn wir aus dem Graben zurückkamen, war 
es genau dasselbe. Das Kreuz blieb immer unser- 
sehrt. Einmal beschoß der Feind zwei Tage lang 
die Ruinen der Stadt, in der das Kreuz stand und 
unsere Quartiere untergebracht waren. Es blieb 
nichts verschont. Wir fanden unsere Quartiere 
nicht wieder. Nur das Kreuz blieb auch diesmal 
unberührt stehen. Und solange dies Kreuz stand, 
konnten auch wir uns halten, das wußten wir, das 
fühlten wir. Ich habe später oft mit andern Ka 
meraden darüber gesprochen. Sie erlebten alle 
dasselbe wie ich, so oder so. Es brauchte ja nich 
gerade immer das Kreuz zu sein. So merkwürdig 
ist es im Leben, Henn Sweet. Aber was bedeutet 
das? Was hat das zu sagen? Es muß doch irgend 
einen Sinn haben, warum ist es fönst so?" 
Henn Sweet sitzt unbeweglich da und gibt keine 
Antwort. Aber Eggert Sierck fährt fort in seinem 
Erzählen: „Ganz allein kommt der Mensch wohl 
nie zurecht in seinem Leben, Henn, er kommt im 
mer einmal in Not, so oder so. Und wer sich da 
zurechtfinden kann, wer da einen Weg findet, zu 
dem er Vertrauen haben kann, der kommt hin 
durch, wie es auch komme, ja. der ist stark und 
braucht keine Angst zu haben. Das habe ich im 
Kriege und in der Gefangenschaft an mir selber 
gelernt und erfahren, sonst würde ich es gewiß 
nicht sagen. Und so sage ich mir auch: „Wir kom 
men auch in dieser Not zurecht. Wir wollen ar 
beiten und nicht verzweifeln." 
Stöhnt Henn Sweet leise auf? Eggert Sierck 
hört es und es ergreift ihn. „Henn," sagt er, „ich 
weiß, was du denkst. Du denkst an die Not deines 
Hofes, das kann ich verstehen. Aber warum soll 
dein Hof zugrunde gehen, Henn? Warum? frage 
ich Sieh, dein Nachbar, der ist in meinen Augen 
nur ein Zwischenläufei, der sich nur eingeschlichen 
hat und bald wieder wegläuft. Ein Bauer, der 
nicht arbeiten mag, läuft immer weg. Aber wer 
wird nach ihm kommen? Sieh, Henn, das ist die 
Frage. Der, der nach ihm kommen wird, der ist der 
Mann, der deine Arbeit fortsetzen wird und aus 
den du dich verlassen kannst. Immer wieder wirk 
es dunkel. Aber immer wieder wird es auch hell." 
All dies bespricht Eggert Sierck mit Henn Sweet, 
Und er sagt es so klar und deutlich, daß Henn 
Sweet es verstehen und von ihm ergriffen werden 
mutz. — 
Als Eggert und Wine Sierck nachher die beider 
Alten nach Haufe begleiten, vier Leute Arm in 
Arm in einer Reihe mitten auf der Straße, lieft 
Eggert Sierck, wie Henn Sweet heimlich den Blich 
vom Boden empor nach oben hebt. Da sagt er zr 
dem Alten: „Sieh, Henn, man mutz glauben, da, 
ist es, man mutz einen Halt haben. Und weil hie? 
zuletzt doch nichts andres übrig als außerhalb der 
bunten Durcheinanders zu suchen, also über um 
und dem lieben Gott zu vertrauen." 
Nun bleiben sie auf einmal alle vier stehen und 
sehen sich an, als müsie es so sein und nicht anders. 
Dann aber gehen sic weiter, langsam, nachdenklich, 
auf Erden alles bunt durcheinander ist, bleibt u,is 
schweigsam
	        
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