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124 Jahrgang
124. Jahrgang.
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Reichstag und Kabinett.
Entscheidung wird heute erwartet
Meine Freunde sind daher nicht in der Lage. de«
Kanzler zu stütze«. (Lebhafter Beisall bei der
DBP.1
Leicht (Vayr Dolksp.)
sprach Sem Reichskanzler Anerkennung dafür aus.
daß er unermüdlich für das Wohl des Vaterlandes
gearbeitet habe. Gewisse Maßnahmen der Regie
rung aber müßten kritisiert werden. Notwendig
sei die schleunige Inangriffnahme der Winterhilfe
und die
Verständigung zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern.
Die Notverordnung dürfe nicht dazu benuht wer
den. um in allen möglichen Fragen die Länder
hoheit zu verletzen. Der Redner verlangte Ein
schränkung der Einfuhr ausländischer Nahrungs
mittel. Eine Regierung, die nochmals eine Infla
tion herbeiführen wollte, würde mit Recht vom
Volke hinweggefegt werden. Der Reichskanzler
habe zum Löschen im brennenden Vaterlande auf
gerufen. In christlicher Liebe sollten alle zusam
menarbeiten und sich gegen diejenigen wenden, die
bei Sem Rettungswerk die Schläuche zerschneiden
wollten. Wenn man eine Winterhilfe organisiere
nur für diejenigen, die das Hakenkreuz oder das
Stahlhelmabzeichen tragen, so habe das mit christ
licher Nächstenliebe nichts zu tun. (Zuruf: Herr
Prälat. Sie haben das Christentum mit Löffeln
gefressen! Präsident Lobe rügt diesen Zuruf.)
Henk« schon soll im Reichstag die Entscheidung
fallen, und zwar voraussichtlich spätnachmittags.
»Kommt Brüning durch?" ist die Frage der
Stunde, mit anderen Worten: Wird sich auf die
Mißtrauensanträge gegen sein Kabinett
eine Mehrheit vereinigen? Das Hin und Her der
Verhandlungen unter den Parteien und mit der
Regierung wird bis dicht vor die heutige Reichs
tagssitzung reichen. Denn es verlautet z. B. von
der W i r t s ch a f t s p a r t e i, auf deren Haltung
es ziemlich ankommt, daß sie die Entscheidung eine
Stunde vor Eröffnung des Reichstages treffen
»erde.
Ein« heutige Berliner Frühzeituug glaubt trotz
ter. (Große Unruhe links. Rufe der Sozialdemo
kraten und Kommunisten: Endlich ist es heraus,
was er will!)
Wir haben den Kanzler unterstützt, indem wir
ihm die Ausschaltung der parlamentarischen Hem
mungen durch die lange Reichstagspause ermög
licht haben. Er hat bald darauf in einer Notver
ordnung entgegen allen Zusicherungen die Wirt
schaft mit neuen schweren Steuern belastet. In den
Wochen nach der furchtbaren Vankenkrise er
schöpfte sich die Tätigkeit der Regierung nur in
langen Beratungen über die Bankenkontrolle, aber
es kam von der Regierung nicht die Parole, die im
Volk in jener Zeit schwerster Erschütterungen
neues Vertrauen hätte bringen können. Der Kanzler,
der noch vor der Rcichstagspause erklärt habe, er
werde sich jeder Erhöhung der Produktionskosten
widersetzen, sei in der ganzen Zeit, wo er frei von
parlamentarischen Hemmungen gewesen sei. nicht
an die entschlossene Durchführung eines sachlichen
Programms herangegangen. Der Privatwirtschaft
sei durch die Gesetzgebung jede Freiheit genommen
worden. Maßnahmen zur Auflockerung des Sy
stems der Preis- und Lohnbildung seien oft ange
kündigt, aber nie ergriffen worden. (Ruse links:
Die Parole der Hungerlöhne.) Ist es besier, wenn
eine kleine Zahl von Arbeitern gesicherte Löhne
hat. oder wäre es nicht besser, daß möglichst viele
Menschen, wenn auch zu veränderten Bedingungen,
wieder in Brot und Arbeit kommen? Die Erspar
nismaßnahmen. die bei der Arbeitslosenversiche
rung geplant waren, sind durch den Einfluß der
Sozialdemokratie verhindert worden. (Abg. Auf-
häuser: Wissen Sie, wieviel ein Arbeitsloser be
kommt?) Das wird der Reichskanzler schon wissen.
lAufhLuser: Aber Sie scheinen es nicht zu wissen,
Herr Dingeldey!)
In der Regierungserklärung habe der Kanzler
davon gesprochen es müsse
im Tarif- und Schlichtungswesen
eine wachsende Selbstverwaltung der Parteien
unter möglichster Ausschaltung des Eingreifens
der staatlichen Macht herbeigeführt werden. Was
aber habe im Wege gestanden, einen solchen Grund
satz nicht schon vor einem halben Fahr oder vor
einem Jahr durchzuführen?
Bei diesen Worten
erhob sich Reichskanzler Dr. Brüning
von seinem Platze und erklärte: „Wir waren im
Vorjahre zu Pfingsten soweit, diese Arbeitsge
meinschaft zustande zu bringen, und dann ist Ne
von einem bestimmten Teil der Industrie im letz
ten Augenblick zerschlagen worden"
Dingeldey fuhr fort: Der starke Einfluß, den
die Sozialdemokratie auf die Regierung ausübt,
läßt uns befürchten, daß der Kanzler auch diejeni
gen Teile seines Programms nicht durchsetzen wird.
-M<? wir arundsätzlich billigen. Der Reichskanzl»»
hat mit Bedauern festgestellt, baß die Bildung einer
nationalen Konzcntrationsregiernng in
Deutschland
nicht möglich war. Ich habe wiederholt öffentlich
und auch von Mann zu Mann den Reichskanzler
beschworen, einen Schritt in aller Oeffentlichkeit
unter Einsetzung des äußersten Druckes zu unter
nehmen. um die Tatsache festzustellen vor allem
Volke, ob die Bildung einer nationalen Konzen-
trationsregierung unmöglich ist. und wen dafür die
Verantwortung trifft. Diese Feststellung wird auch
für die kommende Entwicklung von größter Bedeu
tung sein. Die Kommunisten werden in diesem
Winter versuchen, unter Ausnutzung der Not ge
waltsam den Staat aus den Fugen zu heben Wir
erwarten daß solchen. Versuchen mitleidslos ent
gegengetreten wird. In dieser Notzeit dürfen
die nationalen Kräfte des Volkes nicht weiter
der Verzweiflung und Opposition überlassen
werden. Sie müssen von der Regierung zur Mit
arbeit herangezogen werben. Man muß ihnen die
Möglichkeit geben, an der verantwortlichen Regie
rung des Staates mitzuwirken. Wir wollen nicht
davon lassen, die Brücke zu zeigen, die den Her
andrängenden geschlagen werden muß Allerdings
lehnen wir die Methoden, mit denen Dr. Ober
fohren uns gestern gegenübertrat. ab. Für die
Bolkspartei ist eine Zusammenarbeit mit der Rech
ten nur denkbar bei gegenseitiger Achtung.
Wir sitld der Ansicht, daß der Versuch des Kanz
lers. sein Programm mit dem sozialdemokratischen
Bundesgenossen durchzuführen, aussichtslos ist. Aus
all diesen Gründen sind mir trotz des Vertrauens,
das wir dem Kanzler persönlich entgegenbrin
gen. nicht davon überzeugt daß unser Volk aus
diesem Wege den schweren Winter überstehen kann.
der gestrigen Ankündigung des Landvolkredners
im Reichstag, daß die Landvolkfraktion
den Mißtranensanträgen zustimme, sagen zu kön
nen, à geschlossenes Auftreten dieser Fraktion
bei der Abstimmung sei nicht zu erwarten, einige
von den 18 La nd vvlkab geo rd nete n, die Gruppe
Gereks, werd« die Fraktionsparole nicht befolgen.
Ungewiß ist nach demselben Blati Bis heute mor
sen die Haltung der Wirtschaftspartei und
Deutschen Volkspartei gewesen. Dingel
dey hat zwar am Donnerstag im Reichstag erklärt,
man sei nicht in der Lage, den Kanzler zu stützen,
«der man hält Stimmenthaltung als Aus
weg für nicht ausgeschlossen.
Außer der Fraktion der Wirtschaftspartei wird
such die. Fraktion des Landvolks und die der
Volkspariei heute vormittag noch einmal tagen,
desgleichen die sozialdemokratische Reichstagsfrak
tion. Brünings Aussichten werden von denen, nach
deren Meinung die Entscheidung auf bcs Messers
Schneide steht, mit 50 zu 50 gewertet, während
andere glauben, daß er, trotzdem es bedrohlichen
Anschein habe, eine, wenn auch nur knapp« Mehr
heit erhalte.
Die Regierung scheint Wert darauf zu legen,
daß der Reichstag sich etwa bis Mitte Fe
bruar vertagt. Doch soll sie diesmal damit
Unverstanden sein, daß dis Reichstagsaussibllsse.
denen mehr als 100 Anträge verschiedenster Art
zugeleitet werden dürften, während der Reichs-
tagspauss tätig sind.
Ueber die gestrige Neichstagssitzung wird be
dichtet:
Am Donnerstag wurde im Reichstag die Aus
sprache über die Regierungserklärung fortgesetzt.
Abgeordneter Simpsendörser (Christi. Soz. Volks
dienst» erklärte, baß der Volksdienst zu einer Dik
tatur nicht die Hand biete Es müsse möglich sein,
auch wertvolle Kräfte der Rechten zu gewinnen.
Unter großer Spannung des Hauses nahm bann
öer Führer der Deutschen Volkspartei.
AmM6ާr TmMàd.
26 Banken stellen die Zahlungen ein.
TU. London, 16. Okt.'iCng. Funkmeldung.)
I» den Vereinigten Staaten haben allein am
Donnerstag 26 Banken ihre Zahlungen einge
stellt, und zwar 12 in Süd-Carolina. 4 in New-
Fersey, 2 in Missouri, 3 in Pennsylvania, 2 in
West-Virginia und ? in Ohio. Tie Stadt
Noungstown in Ohio hat insofern einen be
sonderen Rekord ausgestellt, als ihre sämtlichen
Banken mit einem Kapital und Reserven von
über 156 Millionen Mark ihre Schalter an -
demselben Tage geschlossen haben.
Weber (SiaaLspartei)
wandte sich zunächst gegen die Bedrohung der Pres
sefreiheit durch die Notverordnung. Er erklärte
dann weiter, er sei erstaunt gewesen, daß ein Füh
rer der Wirtschaft wie Dingeldey sich nicht mit den
Problemen des Nationalsozialismus auseinander
gesetzt habe Unter einer nationalsozialistischen Ne
gierung wäre die Außenpolitik in der schwersten
'Gefahr. Dem früheren Neichsbankprässdenten Tr.
Schacht warf der Redner wegen seiner Harzburger
Rede Leichtfertigkeit vor.
künde, und bringt die Unterstützung der Mißtrauens
anträge durch das Landvolk zum Ausdruck.
Abg. Leinert (Soz.) sagt, man müsse zusammen
stehen zur Abwehr des Anschlages von Kapitalisten
und Kommunisten.
Abg. Borck (DNBP.j verbittet sich die Andeutung
in den Ausführungen des Abg. Leinert, als ob in
Harzburg Vorbereitung zum Landesverrat getrieben
worden wäre. Es sei eine vaterländi'che Tat. zu ver
suchen. die Mißstände zu beseitigen. Das sture Fest
halten an den Tarifverträgen fei ein Unglück. Die De
batte habe gezeigt, daß
die Trommeln von Harzburg
den herrschenden Parteien in den Ohren gellten. Bald
würden die Schritte der Kolonnen von tzarzburg übet
das jetzige System hinwegschreiten. (Beifall rechts.)
Abg. Prelle lDt. Fraktion) trug die Auffassung sei
ner Fraktion über
die Reichsreform
vor. Es wäre von Preußen eine Großtat, wenn es nun
dem Reich Platz machen wollte. Wenn man aber schon
für die einzelstaatliche Gliederung eintrete und die
Freiheit der Stämme bei der Mitarbeit am Bater-
lan'de, dann müsse man auch den Niedersachscn diese
Freiheit geben, die sie seit 60 Jahren erstrebten. Seine
Fraktion würde den Mißtrauensvoten gegen das
Preußenkabinett zustimmen, vor allem auch wegen der
Notverordnungen.
Gegen 7 Uhr abends wird die Weiterberatung aus
Freitag 10 Uhr vertagt.
erklärte, daß die Zusammensetzung des neuen Ka
binetts nicht wesentlich mehr als das c«ste Kabinett
Brüning die Möglichkeit gewährleiste die vom
Kanzler übernommenen grundsätzlichen Forderun
gen auszuwerten. Man könne die Uebereinstim
mung vieler Punkte der Regierungserklärung mit
eigenen Wünschen anerkennen. Aber es erfülle mit
Bedenken, daß der Kanzler immer wieder auf die
Im preußischen Landtag erklärte gestern Abg.
Stendel (DVP.). daß seine Fraktion den Mißtrauens
anträgen zustimmen werde. Die Wort« des Reichs
kanzlers, daß das Volk in der heutigen Notzeit zusam
menzufassen sei, unterstreicht der Redner, betont aber,
daß man dann die Gegensätze im Volke nicht vertiefen
dürfe. Das tue die heutige Politik in Preußen. So
habe man zum Beispiel gegen die Eottlosenbewegung
schöne Worte gehört, Taten der Regierung seien ihnen
aber nicht gefolgt. Es gehe nicht an. daß bei Stellen
besetzungen immer die Katholiken und Dissidenten be
vorzugt würden. (Unruhe im Zentrum.) Die Maß
regelung von Beamten und Polizeioffizieren wegen
ihrer Beteiligung am Volksentscheid widerspricht der
Verfassung und der Erklärung des preußischen Innen
ministers im Landtag. Die preußische Notverordnung
greift in verfassungsmäßig gewährleistete Rechte der
Beamten ein.
Abg. Keller (Landvolk) bemerkt, die preußische Be
völkerung empfinde es allmählich als eine Gefahr,
wie die Staatsregierung mit den verfassungsmäßigen
Rechten umspringe. Der vom Minister befürworteten
Auflösung der Selbstschutzverbände könne das Landvolk
nicht zustimmen, da es den staatlichen Schutz für
das flache Land
in Zeiten der Gefahr nicht als ausreichend erachte.
Der Redner protestiert gegen die Nachsichtigkeit, die die
Regierung gegenüber der Eottlosenbewegung be-
öas Wort. Während seiner Rebe erschienen auch
ore Nationalsozialisten und Dcutschnationalen
wieder im Sitzungssaal. Dingeldey ging davon
aus. daß seine Partei dem Reichskanzler Brüning
seinerzeit ihre Unterstützung gegeben habe, weil
er an die Spitze seiner Tätigkeit die Notwendig
keit einer von dem bisherigen Wege abweichenden
Entwicklung auf finanz- und wirtschaftspolitischem
Gebiet gestellt habe. Die Regierung habe es aber
versäumt, die psychologische Vorbereitung für ihre
Maßnahmen im Volke zu schaffen. Auch in den
schwersten Krisenmonaten des Sommers habe es
wieder °
«« dem erlösenden Wort des Kanzlers gefehlt.
Hier ertönten Rufe der Sozialdemokraten. Was
sollte er denn sagen? Sagen Sie es doch! Dingel-
ey: Das werde ich nachher tun. Wir haben eine
Ungeheure Fehlleitung des Kapitals in Deutsch
land gehabt. lAbg. Dittmann: Sind dafür viel
leicht die Marxisten verantwortlich?) Gewiß ist
»Nm großen Teil auch die Privatwirtschaft da-
'Ur verantwortlich. (Hört. hört, links.) Die Milli
arden aber, die von der öffentlichen Hand in den
Wohnungsbau gesteckt worden sind, können setzt
'won zum größten Teil volkswirtschaftlich als ver
irr betrachtet werden. Die Fehler liegen vor
lleu, auch auf dem Gebiete der. Löhne und Gehäl-
Spcmiens neu r Mmistcrprü..i)ent
Der bisherige Kriegsminister Don Manuel
Aza na, der Führer der Linksradikalen.