124. Jahrgang.
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MnW. den 14. September.
bereits mit der Krise und steht auf einem völlig
anderen geistigen Boden. Darin allein liegt die
entscheidende Kluft zwischen dem Westen und Mit
teleuropa.
Eew-ß halten sich in Deutschland noch ge
nügend Kreise, die die Zusammengehörigkeit mit
dem französischen Bürgertum über die nationalen
Forderungen stellen, genau wie sich in Prag, Bel
grad, Bukarest und Warschau noch Cliquen be
haupten, auf die sich Frankreich stützen kann. Aber
das Entscheidende ist: diese Schichten sterben heute
aus, sie sind zum Untergang verurteilt, sie führen
ja bereits heute nur noch einen verzweifelten, rein
defensiven Abwehrkampf. Das Nationale und das
Soziale sind in siegreichem Vormarsch begriffen,
und dieser Vormarsch schaltet diese Kreise aus, wie
er den Einfluß der französischen Politik ausschaltet.
Hier sehen wir den großen Unterschied gegen
über 1918-19. Wieder wie damals sind wir vor
eine Entscheidung im Innern gestellt: Versailles,
ja oder nein! Wieder wie damals hat Frankreich
alle Trümpfe in der Hand. 1919 mußten wir
kapitulieren, weil das deutsche Bildungs- und Ve-
sitzbürgertum keinen anderen Ausweg sah: weil
jeder andere Weg seine Existenz in Frage gestellt
hätte. Heute hat sich unsere soziologische Struktur
geändert. Das proletarische Arbritsbürgertum»
das wir heute besitzen, hat keine Gemeinschaft
mehr mit dem Westen, es hat auch keine alten
Werte mehr aufzuweisen, dse es durch rin Nein?
an den Westen verlieren würde. Im Gegenteil:
es steht bereits heute auf einer Basis, die mit der
westlichen nichts mehr zu tun hat und zu tun haben
will. Was Brockdorff-Rantzau vor 13 Jahren zu
sehen glaubte, das ist erst heute möglich geworden:
das Nein an den Westen!
Deshalb ist anzunehmen, daß Frankreich
seinen Kampf um Mitteleuropa verlieren wird.
Das Gebiet vom Rhein ab östlich bis zum Schwar
zen Meer wird andere Wege gehen. Es wird sich
herauslösen aus der kapitalistisch-westlichen Welt
wirtschaft und einen eigenen, geschlossenen Eroh-
wirtschaftsraum bilden, in dem deutsche Tatkraft
und Erfahrung die führende wirtschaftliche Stel
lung einnehmen werden.
Europa îm SchêînWerfer der Zeit.
(Schluß aus der Sonnabend-Nummer.)
telstand und das Kleinbürgertum haben ihre
Struktur verändert. Wir haben im günstigsten
Falle heute in diesen Ländern ein Arbeitsbllrger-
tum, d. h. eine abhängige, angestellte, unselbstän
dige Schicht, deren Lebensstandard sehr gering ist
und die infolgedessen bedenklich proletarisiert ist.
Daraus resultiert innerhalb dieser Schicht ein
völliger Wandel der bürgerlichen Ideologie und
Weltanschauung. Infolgedessen hat es auch keine
Veranlassung, sich auf die bürgerliche Plattform
des Westens zu flüchten, um Hilfe zu bitten und
diese Hilfe mit nationalen Konzessionen zu bezah
len, sondern es verbindet im Gegenteil seinen
Willen zur nationalen Behauptung mit der Ten
denz zur Umgestaltung der Wirtschaft. Es kämpft
bereits nicht mehr, wie das englische und italieni-
schs Bürgertum, gegen die Krise, sondern es segelt
Der Kampf um Mitteleuropa.
An einem Punkt ist Frankreich allerdings ge
zwungen, seine Politik der geschlossenen Festung
auszugeben und seine Machtmittel aktiv für eine
Beseitigung der Krise einzusetzen: in Mittel
europa. Hier treffen politisch-kontinentale, wirt
schaftliche und finanzielle Gründe zusammen. Der
Bestand der kleinen Entente, die Stützung Polens,
der Einfluß auf die Randstaaten — Frankreich ist
gezwungen, den Bestand dieses Vorgeländes auf
rechtzuerhalten, denn sonst endet Westeuropa de
finitiv am Rhein, während Osteuropa ganz
rudere, unkapitalistische Wege geht.
Hier arbeiten die Franzosen denn auch inten
siv und angestrengt, um eine Katastrophe zu ver
hüten. Alle französisch orientierten Staaten
haben in der letzten Zeit Anleihen bekommen.
Rumänien, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und
Polen. In den Randstaaten rollen französische
Gelder. Und selbst für die ehemaligen Feind
staaten, Deutschland und Oesterreich, stünden Gel
der bereit, wenn diese Staaten bereit und im
stande wären, auf ihre außenpolitische Selbständig
keit zu verzichten und den Kotau vor Frankreich zu
{ machen. Ungarn hat ja ebenfalls die finanzielle
Unterstützung Frankreichs erhalten. Die französi
sche Politik betrachtet dieses mittel- und osteuropä
ische Vorgelände als ihr koloniales Gebiet, das sich
im Dasallenverhältnis befindet. Mit der großen
politischen Rückendeckung durch England und wahr
lich bald auch durch Italien will der Quai d'Orsay
seine eigenen wirtschaftlichen und finanziellen
Machtmittel mobil machen, um die direkte Krise
in diesem Gebiet zu bremsen und es in gewisser
Weise zu stabilisieren, freilich auf eine Art, die
auf Jahrzehnte hinaus jede politische Selbständig
keit in diesem Gebiet unmöglich machen würde.
Für Deutschland bedeutet diese Politik die Ver
ewigung von Versailles.
Es ist wahrscheinlich, daß den Franzosen die
politische Angliederung Englands und Italiens
glücken wird, denn beide Staten sind praktisch
außerstande, der französischen Macht etwas gleich
Starkes entgegensetzen zu können. Es ist nicht
wahrscheinlich, daß sie den Kampf um Mittel-
europa gewinnen werden, denn hier stehen ihnen
zwei Dinge entgegen, die bereits auf dem Boden
der Krise gewachsen sind und die sich derart ver
wurzelt haben, daß sie kein Interesse an einer
Stabilisierung, wie sie die Franzosen verstehen,
besitzen: die nationale Tendenz und die wirtschafts-
rcsolutionäre Tendenz. Wenn die Franzosen sich
mit England und Italien einigen, so tuen sie das
im Grunde auf der gleichen soziologischen Basis
des Bürgertums. Der englische Bürger und der
italienische Bürger einigen sich mit dem französi
schen Bürger, wobei beide genau wissen, daß sie
sich nicht freiwillig einigen, sondern die Unter
legenen sind. Die bürgerliche Gemeinsamkeit steht
ihnen aber höher als die nationalen Konzessionen,
die sie machen niüssen. Ein Verzicht auf diese Kon
zessionen würde so schwere wirtschaftliche Folgen
für sie haben, daß ihre bürgerliche Existenz dadurch
bedroht würde. Infolgedessen tritt das Nationale
in den Hintergrund und die Gemeinsamkeit der
bürgerlichen Weltanschauung siegt.
Anders liegt die Situation in Mittel- und
Osteuropa. Hier ist zunächst das nationale Be
wußtsein schärfer entwickelt, weil die mitteleuro
päischen Länder, Deutschland, Oesterreich, Ungarn,
Bulgarien und schließlich auch die Türkei den
^rîeg verloren haben und sich seit 13 Jahren mit
dem Odium des Besiegten herumschlagen. Dort,
das nationale Bewußtsein nicht aktiv ist, ist es
"och zumindest sehr empfindlich und hellhörig ge
worden, Die Regierungen dieser Länder können
Fürst Starhemberg verhaftet.
Bundesführer der Heimwehr Pfriemer nach Italien geflohen
it der Nacht zum Sonntag ganz überraschend eine gen Stunden zusammenbrechen. Die Arbeiterschl
!ļ Reihe von Orten in Obersteiermark mit bewaffne- und ihr Schutzbund sind in Bereitschaft. £
I, ten Abteilungen besetzte. In Judenburg fand um werden, wenn es notwendig ist. die Repub
ls 543 Uhr früh eine letzte entscheidende Führer- und die Demokratie zu schützen wissen. Zunäi
n besprechung des Heimatschutzes statt, an der auch hat aber die Staatsgewalt gegen die frechen (!
n der Bezirkshauptmann von Judenburg, Dr. Thie- setzesbrecher einzuschreiten. In das Zuchthaus ti
rt ber, teilnahm. Zu dieser Zeit waren die Ab- den Putschisten, wo sie schon lange hingehör!
teilungen des Heimatschutzes schon in Marsch ge- Arbeiter! Republikaner! Eiserne Disziplin u
H setzt. Es wurden dann die Orte Katzenberg, Feld- kühle Ruhe ist in dieser Stunde das Wichtigs
weg, Schladtming besetzt und Plakate angeschlagen, Keine selbständige'Aktion! Haltet euch ber-
h in denen erklärt wurde, daß Dr. Psriemcr die wenn die Sozialdemokratie euch ruft!"
Macht im Staate übernommen habe. In Kirch-
' dors (Oberösterreich) hatte der örtliche Heimatschutz Ml' SlMeNMrg IMMM.
( die Bezirkshauptmannschaft besetzt, die durch Een- Pfriemer nach Italien geflüchtet?
- darmerie aus Linz an der Donau und Bundesheer m men 14> September (Eig. Funky
sofort geräumt wurde ^zn Bruck an der Mur c^st Sta.rycmbcrg wurde im Eisenbahnzug
wurden Maschinengewehre aufgestellt. Berm Bur. Gegend von Weitzenkirchen in Oberöst,
germerster von Fonsdorf Ra ronalrat Howarek r- rdtf verhaftet. Desgleichen wurden in Li
schien der^Ingenieur Pichler, vom Sermatschutz ^ ļ - riis ïCtt Generale Puchmeyer, Engli
und erklärte ihm. daß die Regierung abgesetzt s i m , & P ich festgenommen. Wie airs Gr
und Dr. Pfriemer d-e Macht ,m Staate über- ßcnteI&ct ist, sollen Pfriemer und Rauther a
“Ä ist dl- ôeļstmte Met in Set.». >«à"" mi, Jļali-n «HŞļ ,-in.
schaft, doch herrscht überall Ruhe. Auch in Tirol ŞîN ÄUstUş
Z-à ÄÏSIÏS de: dfleneichische« Siàscezîermg
mit dem Putschversuch Psriemers nichts zu tun zu Wien, 13. Sept. Die österreichische Bund,
haben. Ebenso hat die Parteileitung der Ratio- regierung läßt folgenden Anschlag anbringt
nalsozialistischen Arbeiterpartei Oesterreichs eine .Mitbürger'
Kundgebung veröffentlicht, in der sie ebenfalls ^ einer'Stunde der schwersten Not v
betont, der Aktion vollkommen scrnzusteh n fcrC 0 Vaterlandes hat ein kleiner Brucht
Ergänzend wird noch gemeldet daß in Sie-- von Bnnöesbriidern jeder Verantwortn
ermark v,er Hermwehrfuhrer verhaftet worden ßslr un& gewissenlos unsere österreichis
'îâ , . „ - Heimat mit Leichtsinn in eine Lage gebra.
Wahrend es, wie aus allen Berichten he °o - bracht, ans der im Innern und in den a>
geht, im allgemeinen zu Blutvergießen nicht ge- wältigen Beziehungen unsagbare Gefahr
kommen ist, ereignete ,ich bei Wien ern blutiger Mtt entstellen können ffg oblieat dem ac
3.STÄ S2« àm-°° Sen Ä
versuchten das d^ Führern und der verfassungsmäßigen Reg
"Nd °>"
, 8 • . Rechtsordnung wiederum herzustellen, st
Alarmbereitschaftdes republikanischen schütz- ^ern auch alle Vorbereitungen zu treff
mtni>cg tn ganz Oesterreich. . damit das verbrecherische Unternehmen ra
Ein Aufruf der Wiener „Arbeiterzeitung". unterdrückt und eine Wiederholung derartig
TU. Wien, 13. Sept. Im Zusammenhang hochverräterischer Abenteuer für alle Zuku
mit dem Heimwehrputsch berichtet eine Extraaus- ausgeschlossen bleibe. In dieser Schicksal
gäbe der sozialdemokratischen „Arbeiterzeitung", stunde ist es ein Trost, daß der Bunöesreg
daß die Zentralleitung des republikanischen Schutz- rung erprobte und verläßliche Machtmitt
buydes die Alarmbereitschaft für Wien und ganz Bundesheer, Polizei und Gendarmerie, z
Oesterreich verfügt hat. 3)« sozialdemokratische Verfügung stehen, die vollständig in der Ma
Parteivorftand tagt in Permanenz. Das Extra- der Regierung allen Situationen gcwachs
Blatt enthält folgenden Aufruf: „Arbeiter! Re- sind. Auch die Bundesbahn, Post, Telegra:
publikaner! Gewissenlose Abenteurer haben in Telephon, haben ihre Aufgaben voll erfü
der Zeit schwerster Wirtschaftsnot, in der Zeit Mit Genugtuung wird festgestellt, datz da
wichtigster Kreditverhandlungen einen Tollhaus- der Pflichttreue aller Staatsorgaire und k
streich gegen die Republik und die Demokratie ge- Gesetzestreue der überwältigenden Mehrh
wagt. Der obersteierischs Irrsinn wird in wem- unserer Mitbürger, die den verbrecherisch
Weiter wird aus privater Quelle berichtet:
Rach den bis zu den frühen Nachmittagsstun
den des Sonntags vorliegenden Berichten aus
Obersteiermark ist es den vereinten Bemühungen
des Militärs und der Gendarmerie bereits gelun
gen, die größte Anzahl der vom Heimatschutz Dr.
Pfriemers besetzten Orte wieder fest in die Hand
zu bekommen. Lediglich in Mur- und Mllrzltal
mußte zu dieser Zeit noch Infanterie eingesetzt
werden. Im ganzen dürfte der Putsch hier bis
her ohne Blutvergießen niedergeschlagen sein.
Ueber den Verlauf des Umsturzversuches wird
gemeldet, daß der Heimatschutz Dr., Pfriemers in