Full text: Newspaper volume (1931, Bd. 3)

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Nr. 19î 
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Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (Rendsburger Tageblatt) 
Dienstag. Sen 2.'. August 1931 
Der Mann, an dem Napoleon scheiterte 
Zum hundertsten Todestage Neidhardts v. Gneisenau 
Eine Fülle hervorragender Führerpersönlich- 
kerten konnte das durch den Machtspruch Napole 
ons zu Boden gedrückte Preußen ausweisen, als es 
im Frühjahr 1813 die Fahne des Freiheitskamp- 
fes entfaltete. Da wirkte der Freiherr vom Stein 
als der weitblickende Staatsmann, der den Arm 
der Bevölkerung, der bestimmt war, die Waffe zu 
tragen, von lästigen Fesseln befreite, Scharnhorst 
als der Schöpfer einer volkstümlichen Wehrverfas 
sung, Blücher als der unermüdliche Stürmer und 
Draufgänger und als ebenbürtiger unter diesen 
für Freiheit und Vaterland begeisterten Männern 
der kluge, ritterliche Gneisenau, der nach dem 
frühen Tode Scharnhorsts die Rüstung des Volks- 
Heeres beendet« und als überlegener Stratege 
den Endsieg erfocht. 
Soldatenblut rann schon in den Adern seiner 
Vorfahren. Mitten in dem Marsch- unv Lager 
leben des Siebenjährigen Krieges, an dem sein 
Vater als sächsischer Artillerie-Offizier teilnahm, 
erblickte er das Licht der Welt. So wuchs er früh 
in den Soldatenstand hinein, stand zeitweise in 
österreichischem Dienst und kämpfte auf englischer 
Seite in Amerika. 1786 kam er in die preußische 
Armee und stand bis 1866 in verschiedenen kleinen 
Garnisonen. Während dieser Zeit arbeitete er un 
ermüdlich an seiner militärisch-politischen Bildung. 
Zum ersten Mal scholl sein Name durchs ganze 
Land, als es ihm gelang, die Festung Kolberg 
1807 gegen eine erdrückende französische Ueber- 
macht zu halten. Nach dem Frieden von Tilsit 
arbeitete er gemeinsam mit Stein und Scharnhorst 
an der Wiedererstarkung des zusammengebrochenen 
Staates. Damals hat Gneisenau manchen Kampf 
mit den selbst in dieser Notzeit verständnislosen 
Vertretern des alten Regimes ausfechten müßen. 
Er wußte, daß die Freiheit nur durch die Organi 
sation der Volkskraft zu erringen war. Deshalb 
hielt er seinen Gegnern entgegen: „Die neue Zeit 
braucht mehr als Titel und Pergamente; sie 
braucht frische Tat und Kraft." — Und ein anderes 
Mal äußerte er: „Der Mensch muß für eine Idee 
begeistert werden, wenn er etwas Großes leisten 
soll." Man sieht hieraus, wie stark Gneisenau 
von dem auch von Stein vertretenen Geist entschie 
dener Erneuerung von innen her gepackt war. 
Gneisenau war eine stattliche, kräftige Erschei- 
Nmng mit breiten Schultern, hoher, offener Stirn, 
blauen, leuchtenden Augen und vollem, dunklem 
Haar. Allen kleinlichen Niederträchtigkeiten, 
Schlichen und Intrigen abhold, widmete er sich 
ganz seiner hohen Aufgabe, den Volkssturm vor 
zubereiten. Bei aller Leidenschaftlichkeit verlor 
er nie die Herrschaft über sich selbst. Er liebte es 
nicht, viele Worte zu machen. Seine Befehle waren 
knapp und kurz. Dem Führer eines Streifkorps, 
der ihn nach seiner Instruktion und seinen Voll 
machten fragte, erwiderte er: „Ihre Instruktion 
ist her Feind; Ihre Vollmacht tragen Sie an 
Ihrer Seite." — 
Mit Befriedigung konnte Gneisenau nach den 
ersten Schlachten des Jahres 1913 feststellen, daß 
sich die neue Kriegführung auf der Grundlage des 
Volksheeres voll bewährt habe. Den Sieg an der 
Katzbach bezeichnete er als den Triumph der neu 
geschaffenen Infanterie. Die Begeisterung, die 
auch den einfachsten Soldaten erfüllte, habe be 
wirkt, daß kein einziger in der Schlacht zurückge 
blieben sei, Napoleon selbst mußte nach dieser 
Schlacht ingrimmig zugeben, daß die „Bestien" 
etwas gelernt hätten. Um die in den Wäldern 
Schlesiens umherirrenden flüchtigen Franzosen zu 
ergreifen, ließ Gneisenau in den Dörfern durch 
Läuten der Sturmglocken die ganze noch waffen 
fähige Mannschaft zusammenrufen, was der Auf 
takt zur Organisation des Landsturms war. 
Je näher der Tag der Entscheidung rückte, um 
so strahlender schaute Gneisenau drein. Als die 
Versammlung der verbündeten Heere um Leipzig 
gelang, wurde er zusehends hoffnungsfreudiger und 
übertrug diese Stimmung auch auf seine Um 
gebung. Nur der König Friedrich Wilhelm Ul. 
blieb bei dieser glänzenden Bewährung des neuen 
Volksheeres seinem Schöpfer gegenüber kühl und 
abweisend. Nicht e i n Wort der Anerkennung 
fand er für den Mann, der selbstlos für die Be 
freiung des Landes arbeitete. Hieran trug Enei- 
senau ebenso schwer wie Stein, ohne allerdings in 
seinem Eifer zu erkalten. 
Große Energie entfaltete Gneisenau. nach der 
Schlacht bei Leipzig, als die Gefahr drohte, daß 
der Siegeszug der Verbündeten infolge der Aengst- 
lichkeit der Diplomaten am Rhein sein Ende er 
reichen werde. In diesem Augenblick wurde Enei- 
senau mit Blücher und Stein zum Verkünder des 
Grundsatzes, daß nur dis Vernichtung Napoleons 
Europa Ruhe bringen werde. Als man ihm ent- 
gegnete, daß der Rhein einen Abschnitt darstelle 
Drama im Panoptikum 
Ein Irrsinniger verliebt sich in eine Wachspuppe 
Husarenoberleutnant Alexander v. Ladanyi 
lebte bis zu Beginn des Weltkrieges mit seiner Gat 
tin, der Tochter eines hohen Offiziers der ehemali 
gen österreichisch-ungarischen Armee, in glücklichster 
Ehe. Da brach der Weltkrieg aus und der junge 
Officer, der in einem der vornehmsten Husaren 
regimenter diente, rückte gleich zum Frontdienst ein. 
Schon im ersten Gefecht wurde er durch eine Gra 
nate so schwer verwundet, daß die Aerzte ihn für 
dauernd invalid qualifizierten. Die Granate hatte 
dem tapferen Offizier eine schwere Gehirnverletzung 
beigebracht und nach seiner Entlassung aus der Ar 
mee ließ sich Oberleutnant Ladanyi von den hervor 
ragendsten Spezialisten behandeln. Sein Leiden 
verschlimmerte sich jedoch immer mehr und mehr, 
und eines Tages machten sich an dem Patienten An- 
zeichen von Gedächtnisschwund bemerkbar. Seine 
Gattin war bemüßigt, einen Posten anzunehmen, 
da die geringe Pension des Oberleutnants kaum zur 
Bestreitung der notwendigsten Bedürfnisse aus 
reichte. Der unglückliche Offizier, einst ein bekann 
tes und beliebtes Mitglied der vornehmen Budape- 
ster Gesellschaft, verbrachte den größten. Teil des 
Tages teils daheim, teils auf der Straße. Sein Zu 
stand hatte sich in der letzten Zeit ein wenig gebes 
sert, er hatte sogar lichte Momente und erkannte 
Frau und Kind. 
In der jüngsten Zeit war es seiner Frau auf 
gefallen, daß ihr Gatte zu ungewöhnlich später 
Nachtstunde heimkehrte. Die an ihn gerichtete 
Frage, wo er seine Zeit zubringe, beantwortete er 
ausweichend. Vor einigen Tagen erfuhr nun die 
bedauernswerte Frau die Wahrheit. Ein ehemali 
ger Kriegskamerad ihres Gatten teilte ihr nämlich 
mit, daß dieser stundenlang im großen Panoptikum 
im Stadtwäldchen verweile und sich in die Wachs 
figur der im Lainzer Tiergarten ermordeten Ka 
tharina Schäfftner-Fellner verliebt habe. Stun 
denlang stehe der Unglückliche vor der Wachsfigur 
und überhäufe sie mit zärtlichen Kosenamen. 
Um sich von der ganzen schrecklichen Art zu 
überzeugen, ging Frau v. Ladanyi ihrem Gatten 
nach und folgte ihm ins Panoptikum. Hier war sie 
Augenzeugin einer tieferschütternden Szene. Der 
Offizier sah und hörte nichts von dem, was sich in 
seiner unmittelbaren Umgebung ereignete. Er war 
ganz vertieft in der Betrachtung der Wachsfigur, die 
er streichelte und der er zärtliche Worte zuflüsterte. 
Plötzlich wandte Ladanyi sich um und wurde ieme 
Gattin gewahr. 
Da ging eine furchtbare Verwandlung in ihm 
vor. Er richtete sich auf. ballte die Fäuste und 
rief der Frau zu: „Jetzt mußt du sterben, denn 
du bist mir in. Wege! 
Sie", dabei wies er auf die Wachsfigur der Katha 
rina Schäfftner, „will mich n'cht heiraten, solange 
du dich nicht von mir scheiden läßt!" Rach diesen 
Worten, die der armen Frau durch Mark und Bein 
gingen, näherte sich der Unglückliche w-eder der 
Wachsfigur und blickte sie flehentlich an. 
An Leib und Seele gebrochen, verließ Frau von 
Ladanyi das Panoptikum. Die Angestellten des 
Unternehmens erzählten ihr, daß ihr Gatte seit 
etwa drei Wochen zu den ständigen Besuchern des 
Panoptikums gehöre und stundenlang die Wachs 
figur der Katharina Schäfftner anstarre Mit Hilfe 
des Personals wurde dann der Unglückliche, der sich 
heftig sträubte und dagegen protestierte, daß man 
ihn von seiner Braut trenne, aus dem Panoptikum 
entfernt. Oberleutnant v. Ladanyi wurde in ein 
Sanatorium gebracht und die Aerzte sind nun be 
strebt, ihn von seinem Leiden zu befreien. 
und man sich nach den Regeln der Kriegskunst an 
einem Abschnitt sammeln und stärken müsse, ries 
er zornig aus: „Sind wir denn auf einem Pots 
damer Herbstmanöver?" — Diesem Mann mußte 
es Erfüllung höchster und letzter Wünsche bedeu 
ten, als er im März 1813 vom Montmartre aus 
Paris zu seinen Füßen liegen sah. „Mit der 
Strenge eines altrömischen Diktators" empfing 
er, wie Augenzeugen schildern, die Abgesandten 
der Stadt und beim Einzug in die Stadt rief er, 
zur französischen Volksmenge gewandt: „A bas 
le tyran" (Nieder mit dem Tyrannen), was ein 
vielstimmiges Echo fand. 
Auf der Höhe militärischen Könnens zeigte 
Gneisenau sich bei Waterloo. Als die ermüdeten, 
siegreichen Truppen am Abend des Tages in ihren 
Biwaks lagerten, riß er sie mit seiner Begeiste 
rung aus der Ruhe heraus zu der berühmten Ver 
folgung „bis zum letzten Hauch von Mann und 
Roß", die Napoleons Schicksal besiegelte. Er sagt 
selbst über diese Verfolgung: „Der ganze Marsch 
war ein stetes Aufstöbern des Feindes aus den 
Dörfern und Getreidefeldern. ... Ich hatte nur 
noch wenige Mann Kavallerie und einige Mann 
Infanterie bei mir. Ich ließ trommeln, schreien, 
Trompeten blasen.... Ich habe nicht gerastet, als 
bis der Tag angebrochen war und meine Leute 
vor Müdigkeit nicht mehr fortkonnten. ... Es 
war die herrlichste Nacht meines Lebens." 
Mit scharfen Worten geißelte Gneisenau da 
klägliche Intrigieren, das nach dem Abschluß der 
Kämpfe anhub, als der Egoismus der Territorial 
fürsten dem heißen Sehnen des opfermutigen Vol 
kes nach Einheit und Freiheit der Nation die Er 
füllung versagte. Mit Bitterkeit im Herzen mußte 
er sehen, wie seine Verdienste an höchster Stell« 
verkannt wurden. Nach dem zweiten Einzug in 
Paris schrieb er: „Der köstliche Trank des Sieges 
hat einen bitteren Nachgeschmack. Der Soldat hat 
das seinige getan; nun tritt ihm der Diplomat in 
den Weg und sagt: Freund, du bist ein plumper 
Gesell, du wüßtest die Leute nicht zu behandeln. 
Die sind weit wohlerzogener als du und wollen in 
zierlichen Phrasen angeredet sein; du vermagst 
nur mit Kanonen zu reden. . ." Man wünschte 
seine Mitarbeit an der Gestaltung der deutschen 
Verhältnisse nicht, man stellte ihn kalt. 
Wie so vielen anderen seiner um die deutsche 
Nation hochverdienten Zeitgenossen hat dieser Un 
dank ihm die letzten Jahre seines Lebens schwer 
gemacht. Am 24. August 1831 starb er in Posen 
an der Cholera. Erst die Nachwelt hat erkannt, 
wie groß Eneisenaus Anteil an der Vefreiungstat 
gewesen ist. Nach dem Urteil des Grafen 
Schliessen ist er es gewesen, in dem Napoleon 
seinen Ueberwinder gefunden hat. 
Dr. H a r b o e Karde!. 
Auch richtig. 
Leubrifch hat in Garmisch Aufenthalt. 
„Sagen Sie, Schaffner, wo ist eigentlich die 
Zugspitze?" 
„Vorn bei der Lokomotive." 
Schön-Notraut. 
Roman von Elsbeth Vorchart. 
Q) (Nachdruck verboten). 
Glücklicherweise wurde er von keiner Seite ge 
drängt oder behindert. Der Graf hatte ihm sogleich 
am ersten Tage die Schlüssel zum Rittersaal aus 
gehändigt und ihm gesagt, daß dieser Raum für 
die Zeit seines Schaffens ihm allein gehören solle. 
Damit habe er wohl verhindern wollen, daß er 
durch Unberufene, wie etwa neugierige Diener- 
augen, in seinem Schaffen gestört werde. Aber auch 
der Graf selbst und seine Familie betraten den Saal 
nicht. Bei den Aiahlzeiten zum Mittag- und Abend 
essen, wobei man ihn stets zuzog, wurde nie über 
das Bild gesprochen. Das war eine zarte Rücksicht 
nahme, für die Hans Udo nicht dankbar genug sein 
konnte. Ueberhaupt begegnete man ihm mit einer 
so freundlichen Wertschätzung, daß er sich schon allein 
dadurch verpflichtet gesi'chlt hätte, des Grafen D-r- 
krauen in sich nicht zu enttäuschen und sein Alles 
daranzusetzen, um seine Aufgabe zu erfüllen. 
Trotzdem es also ein stillschweigendes Ueberein- 
kommen zu sein schien, ihn nicht in seiner Arbeit zu 
stören, hatte Hans Udo doch eine leise Hoffnung, 
daß endlich jemand käme, dessen Besuch er wünschte, 
îa ersehnte. Rotraut -hatte es ihm versprochen, zu 
kommen, aber ihr Versprechen noch nicht erfüllt. Ob 
şie es vergessen hatte, oder ob sie ihre so ohne wei 
teres gegebene Zusage hinterher bereute? Ziererei 
^or ihr fremd, und gerade ihre natürliche Unge 
zwungenheit im Verkehr mit ihm war es, die ihn 
gezauberte. Er hatte sie seit ihrem Zusannnentreffen 
llr -er Bibliothek nur in Gegenwart ihrer Eltern 
ļļ e i den gemeinsamen Mahlzeiten gesehen und sie 
dabei nicht an ihr Versprechen erinnern können und 
^Uch nicht erinnern wollen. Don selbst mußte sie 
EgMmen, und er wartete darauf. Es war ihm, als 
'vnnte sie allein ihm helfen, das Rätsel des Bildes 
ļftt lösen, als müsse ihre holde Lichtgestalt seine eigene 
Phantasie beflügeln. Wie ein Sonnenstrahl huschte 
şiî oft durch seine grüblerischen Gedanken, ihn schein- 
ş'ar ablenkend von seiner Aufgabe und doch in einem 
Zeheimen inneren Zusammenhang mit ihr stehend. 
Heute hatte er schon am frühen Morgen mit 
E>Ner Tätigkeit begonnen, die diesmal wirklich eine 
Arbeit zu nennen war. Er hatte sich zu einem Ent- 
Wuß duräMrunAM. Der Gedaà das Brld mit 
b, 
zu diesem Zweck bestimmten Essenzen abzureiben, 
um die Farben klarer hervortreten zu lassen, war 
ihm wohl schon zu Anfang gekommen, doch hatte 
er ihn immer wieder verworfen. Der Erfolg schien 
ihm im Verhältnis zu der ungeheuren Arbeit allzu 
zweifelhaft und gering. Doch wollte er kein Mittel 
unversucht lassen, um zum Ziel zu gelangen. 
So stand er auf hoher Leiter in seinem tadellos 
sauberen weißen Malerkittel und begann im 
Schweiße seines Angesichts zunächst einzelne Stellen 
abzureiben, um die Wirkung zu erproben. Es schien 
auch, als wenn feine Mühe belohnt werden sollte. 
Die von Alter und Staub stark nachgedunkelten 
Farben nahmen eine etwas kräftigere Tönung an. 
Das stachelte ihn auf, fortzufahren. Er wußte 
wohl, daß es ihn Tage, vielleicht Wochen kosten 
würde, das Riesengemälde, das die ganze Wand 
einnahm, vollständig abzureiben, ober dahinter stand 
doch eine, wenn auch unsichere Hoffnung, und es 
war ein zielbewußtes Arbeiten, kein peinigendes, 
nutzloses Grübeln und Denken mehr. Voll Eifer 
ging er ans Werk und war bald so vertieft darin, 
daß er es überhörte, wie leise die Tür geöffnet 
wurde und jemand mit leichten, federnden Schritten 
den Saal betrat. 
„Guten Morgen, Herr Brounsels!" 
Mit jähem Ruck wandte er sich, und fast wäre 
ihm die Flasche mit der Flüssigkeit entfallen vor 
freudiger Ueberraschung. 
„Gnädigste Gräfin —" 
„Lassen Sie sich nicht stören," fiel sie ihm ins 
Wort, „ich sehe Ihnen ein wenig zu." 
Aber er kletterte schon von der Leiter herunter 
und stand im nächsten Augenblick vor ihr, ergriff 
ihre Hand und preßte seine Lippen daraus. 
„Wie schön, daß Sie gekommen sind!" 
Sie entzog ihm lächelnd die Hand. 
„Ich hatte es doch versprochen, und war auch 
neugierig, wie weit Sie mit dem Bilde gekommen 
sind." 
„Wie Sie sehen, steht noch alles beim alten", 
meinte er etwas niedergeschlagen. 
Sie warf einen prüfenden Blick auf das Bild. 
„Dos scheint mir aber doch nicht der Fall zu 
se'N," erwiderte sie, und ihre Augen weiteten sich. 
„Hier ist eine Veränderung — einzelne Stellen 
treten deutlicher hervor — was haben Sie damit 
gemacht, Herr Braunfels?" 
„Ich habe ein wenig den Staub abgerieben, 
weiter nichts," antwortete er und trat einen Schritt 
vom Bilde zurück. 
„Allerdings, gnädigste Gräfin haben recht," 
meinte er, nun selbst erstaunt. „Das Mittel scheint 
geholfen zu haben, die Farben sind kräftiger — man 
glaubt beinahe, eine Gestalt zu erkennen." 
„Man glaubt nicht nur, die Gestalt ist wirklich 
da," bekräftigte sie, keinen Blick von dem Bilde las 
send, sich gleichsam darin vertiefend. „Sehen Sie 
nur, hier kniet sie auf dem Boden — hält etwas in 
den Händen empor — zwei Teile sind es von einem 
Ganzen — sehen Sie es?" 
„Richt deutlich," gab er zaghaft zur Antwort. 
„Aber ich sehe es ganz deutlich," rief sie jetzt 
und ihre Wangen glühten vor Eifer und Erregung, 
ihre Augen bekamen einen eigenartigen Glanz. 
„Und da wachsen noch mehr Gestalten aus dem Bo 
den heraus — alle holten dasselbe, und da rechts — 
sehen Sie die weiße Gestalt der Königin? Sie 
schwebt wie losgelöst von der Erde. Von ihrem 
Haupte mit den langen glänzenden Haaren geht ein 
lichter Schein aus — sie umfängt etwas mit beiden 
Händen, drückt es an die Brust — da weichen die 
Schatten — die Gestalten versinken, und sie schwebt 
empor zu lichten Höhen." 
„Aber, das sehe ich ja alles nicht!" rief Hans 
Udo, überrascht und ganz hingenommen von der 
Schönheit des wie in einer Verzückung stehenden 
jungen Mädchens. 
Sie schien seinen Einwurf überhört zu haben 
und fuhr in demselben Tonfall fort, als spräche sie 
zu sich selbst: 
„Und dort im Hintergrund jene Mauern und 
Türme — das ist das alte Schloß Hallberg, die 
jetzige Ruine. Auch sie empfängt noch einen Strahl." 
„Sie sehen mehr als andere Sterbliche," sagte 
er, wie unter einem seltsamen Bann stehend. 
Langsam, als käme sie aus höheren Regionen 
auf die Erde zurück, wandte sich Rottraut ihm wie 
der zu. In ihren Augen und um ihren Mund lag 
ein Lächeln. 
„Das macht der singende Brunnen. Sie mein 
ten ja selbst einmal, wer da hineinschaue, könne viel 
sehen," erwiderte sie. 
„Rur wer es versteht, hineinzuschauen," sagte 
er, auf ihren Scherz eingehend. „In diesem Falle 
aber müssen Sie selbst Künstlerin sein, um mit so 
viel Phantasie schauen zu können." 
Sie zuckte leicht die Achseln. 
„Das liegt uns wohl im Blute. Wir Haller 
liebten von jeher die Kunst, in erster Reihe Ma 
lerei und Musik." 
„Was ja auch meist Hand in Hand zu gehen 
pflegt," ergänzte er. 
Sie sah ihn aufmerksam an. 
„Mithin müßten Sie auch musikalisch sein, Herr. 
Braunfels." 
„Das bin ich wohl," gab er zu. 
„Spielen Sie ein Instrument?" 
„Ja, Cello." 
„Ach, welche Ueberrafchung! "rief sie, „und -das 
haben Sie uns bisher verheimlicht?" 
Mich führten andere Aufgaben hierher," wich 
er aus. 
„Die Ihnen aber Zeit gelassen hätten, ein 
wenig Musik zu treiben. Rein, Herr Braunfels, 
jetzt hilft Ihnen kein Sträuben, Sie muffen mit mir 
zusainmen musizieren, denn ich glaube, daß ich im 
Klavierspiel genügend leiste, um Ihnen meine Be 
gleitung anbieten zu können." 
Hans Udo verneigte sich. 
„Darin fetze ich keinen Zweifel, es würde à 
eine große Ehre und Freude fein, mit gnädigster 
Gräfin zusammen mustzieren zu dürfen, — aber — 
ich habe mein Cello nicht mitgebracht." 
„Das macht nichts," sagte sie, ganz Eifer, ganz 
Freude, „in unserem Besitz befindet sich ein altes 
kostbares Cello. Der Großvater oder Urgroßvater 
soll es gespielt haben. Das müssen Sie heute abend 
versuchen." \ 
„Wenn gnädigste Gräfin befehlen, gern." 
Sie web sich die Hände. 
„Wie ich mich freue!" rief sie. „Cello ist mein 
Lieblingsinstrument, ich habe mir schon immer ge 
wünscht, jemand rächte es aus dem Kasten, der im 
Musiksaal steht, herausholen und erklingen lassen. 
Roten sind auch in Menge vorhanden." 
Wie verwandelt war sie. eine ganz andere, als 
die, welche noch vorhin in fast übernatürlichem Zu 
stand Visionen hatte. Dieses Doppelwesen war ihn- 
schon einmal aufgefallen. 
(Fortsetzung folgt.) 
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