Full text: Newspaper volume (1931, Bd. 3)

5uv Unterhaltung 
Hit. 188 
Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitund (Rengsburger Tageblatt) 
Donnerstag, Oen 13. August 1931 
Drröiku; in Äbefßnim. 
Don Alfred v. Roth - Röst hof. 
Aus dem letzten Lager vor Nekempti bei Bake 
Bonaja schickte ich einen Boten an den Herrscher des 
Landes, den Dedjasmatsch Hapte Mariam, und teilte 
Hm in einem höflichen Schreiben mit, daß ich am 
'nächsten Tage in seiner Residenz eintreffen und ihm 
'meine Aufwartung machen würde. Den Brief hatte 
ich vorsorglich bereits in Addis Abeba vom Ober- 
schreiber der Firma Hall verfassen lassen, und er 
soll alle Erfordernisse abessinischen Hofstils enthalten 
haben. Er war mir übersetzt worden und erinnerte 
Mich etwas an Kinderbriefe, die beginnen: Wie geht 
es dir, mir geht es gut. Dann kamen Segens 
wünsche und Freundschaftsbeteuerungen und alles, 
Mas dazu gehört, und ich konnte sicher sein, daß das 
Schreiben den Landessitten entsprach. 
Als ich mich Nekempti näherte, erwarteten mich 
Abgesandte des Herrschers, von einer größeren 
Volksmenge begleitet, die mir nach tiefen Verbeu 
gungen die Antwort überreichten. Diesen Erfolg 
hatte ich leider vorher nicht in Rechnung gestellt und 
fühlte mich zuerst etwas hilflos, da ich keinen amha- 
Äschen Buchstaben kenne, Joseph auch kein Schrift- 
tzelehrter war und meine anderen Getreuen erst recht 
nicht. Da erwies es sich zu meiner großen Beruhi- 
'gung, daß Zappa den Brief, wenn auch mühsam ent 
ziffern konnte. Er war in sehr ähnlichem Stil ver 
faßt wie meiner und enthielt in der Hauptsache die 
höfliche Aufforderung, mich, sobald es mir paffe, 
ins Gibbi (Schloß) zu begeben, wo Hapte Mariam 
sich freuen würde, mich zu empfangen. 
Nachdem ich mich etwas gesäubert und Joseph 
und drei meiner Leute sich mit neuen, blütenweißen 
Schamas geschmückt und meine drei Gewehre geschul 
tert hatten, konnte ich zum Besuch bei Hofe aufbre 
chen. Vorher war aber noch eine schwierige Frage 
zu lösen. 
Schon vordem ich Europa verließ, war mir mit 
geteilt worden, ich solle mich für alle Fälle mit pas 
senden Geschenken versorgen, die bei Reisen ins 
Innere des Landes erforderlich feien. Ich hatte bis 
her in dieser Beziehung noch wenig Erfahrungen 
sammeln können, so daß mir der Rat von Joseph 
sehr wertvoll war. Aus den verschiedenen mitge 
brachten Gegenständen wählte er fiir den besonders 
wornehmen und für mich sehr wichtigen Machthaber 
den seiner Ansicht nach schönsten aus. Es war ein 
mit Goldarabesken verziertes Glas in einem 
Dronzehalter recht guter französischer Arbeit, in 
dessen Boden eine Spieluhr angebracht war, die meh 
rere Stücke spielen konnte. Stellte man das Glas 
auf den Tisch, so verstummte die Musik, setzte aber 
wieder ein, wenn man es aufhob. Es war recht 
schwierig gewesen, sich in Deutschland auszudenken, 
was einem abessinischen Magnaten Freude machen 
würde, besonders wenn man nicht über sehr reiche 
Mittel versügte. Nachträglich bin ich zur Ueber 
zeugung gelangt, daß die Frage viel einfacher zu 
lösen gewesen wäre. 
So ritt ich denn mit meinem Engenden" Glas 
zur Audienz. Das Gibbi war für abefsinişche Ver 
hältnisse ein ganz achtunggebietender Bau. Vor 
einem hohen Zaun trieb sich auf einer großen Fläche 
allerlei Volk umher oder lagerte auf der Wiese. 
Durch ein sorgfältig bewachtes Tor kam man in 
einen geräumigen Hof, in dem die Reittiere zu- 
rückblieben, und durch einen zweiten Hof gelangten 
wir zu einem großen, steinernen Rundhause. Stei 
nerne Stufen führten zu einem breiten Vorraum, 
einer Art Veranda, in der etwa 20 bis 30 Perso 
nen standen oder auf langen Bänken saßen und auf 
eine Audienz warteten. Die meisten waren wohl 
Leute höheren Standes, wie aus der großen Menge 
der Gefolgschaften in beiden Höfen zu ersehen war. 
Ich wurde höflich, aber würdevoll begrüßt, und kaum 
war ich auf der obersten Stufe angelangt, so öffnete 
sich eine Tür, ein Lehnstuhl wurde herausgetragen 
und mir angeboten. Nach wenigen Minuten näherte 
sich mir ein Mann mit tiefen Verbeugungen und 
forderte mich auf, zum Dedjasmatsch zu kommen, der 
mich erwartete. 
Der große runde Raum, den ich in Jo,ephs Be- 
gleitung betrat, war völlig leer, nur an der einen 
Wand befand sich ein niedriger Sitz, ein großes, mit 
einem Teppich bedecktes Kiffen, von dem sich Hapte 
Maria merhob und mir entgegenkam. Er reichte 
mir die Hand und redete mich in recht verständlichem 
Französisch an. Gerade hier im Westen auf die 
Kenntnis einer europäischen Sprache zu stoßen, setzte 
mich in Erstaunen, und der Herr von Nekempti war 
auch der einzige von den Würdenträgern, die ich a'af 
dieser Reife kennenlernte, der eine solche beherrschte. 
Das war mir natürlich sehr lieb, da Josephs Ueber- 
fetzungen wenig zuverlässig waren und sich so Miß 
verständnisse leichter ausschalten ließen. Der Lehn 
stuhl war wieder hereingetragen worden, auf dem 
ich Platz nahm, während der Dedjasmatsch sich auf 
sein Kissen niederließ. Hinter ihm an der Wand 
stand eine Anzahl Hosbeamten. Ein guter orientali 
scher Teppich bedeckte den Fußboden, dagegen war 
die Wand hinter Hapte Mariam mit einem recht 
unschönen Erzeugnis europäischer Teppichindustrie 
mit bunten Blumen und Rosen verhängt, das aber 
als besondere Seltenheit in Ehren gehalten zu wer 
den schien. Hapte Mariam äußerte seine Freude 
über meinen Besuch und fragte mich, was mich ver 
anlaßt habe, diese entlegene Gegend aufzusuchen. 
Ich überreichte ihm meinen großen Paß und das Do 
kument der Ministerien, das mich ermächtigte, nach 
Erzvorkommen zu suchen, und erklärte der Wahrheit 
gemäß, daß ich aus Interesse für das mir unbekannte 
Land und aus Jagdliebhaberei die Reise geplant 
habe, dann aber von der Firma Hall aufgefordert 
worden sei, für sie nach Gold und Platin zu suchen. 
Ich bäte ihn, mich in beiden Beziehungen freundlichst 
zu unterstützen. Nach sorgfältiger Prüfung meiner 
Papiere fragte Hapte Mariam, was ich zunächst vor 
hätte. 
Das Nächstliegende waren die Elefanten, von 
denen mir in Addis berichtet worden war, und ich 
erkundigte mich, ob der seltene Dickhäuter hier tat 
sächlich noch vorkäme und ob er mir gestatten würde, 
einen Bullen zu schießen. 
Es gäbe noch recht viele Elefanten im Schon 
gebiet, das etwa sechs Stunden von Nekempti be 
ginne. Er habe nichts dagegen, daß ich dort jage, 
und würde mir gern behilflich sein, doch müsse ich 
dazu eine Erlaubnis der Regierung haben, ohne die 
auch er nicht in der Lage sei, mir das Betreten des 
Schongebietes zu gestatten. Die Maßnahmen zum 
Schutze des Gebietes seien sehr streng, und die Re 
gierung habe sogar befohlen, die uralte Karawanen 
straße, die in den Westen führt, zu sperren und nach 
Süden zu verlegen; der ganze Bezirk dürfe nur mit 
schriftlicher, von ihm bestätigter Regierungserlaub 
nis betreten werden. Vielleicht könne ich mir diese 
noch nachschicken lassen, es würde ihm in dem Fall 
eine Freude sein, meinen Wünschen entgegenzukom 
men. 
Ich ging dann auf meine Hauptaufgabe, die Er- 
forschung des Gebietes nach Edelmetallen, ein, und 
der Dedjasmatsch erklärte mir, sein ganzes Land 
stände mir offen. Er werde mir von sich aus eine 
Sondererloubnis ausstellen und einen zuverlässigen 
Mann mitgeben, „da seine Beamten möglicherweise 
die Pässe aus Addis Abeba nicht genügend kennen". 
Als ich mich dann zu Joseph wandte, um das Gast- 
geschenk zu nehmen, verschwanden auf einen Wink 
Hapte Mariams sämtliche Höflinge aus dem Gemach. 
Ich überreichte ihm das spielende Glas, vas zu ge 
fallen schien und für das er sich wiederholt bedankte. 
Beim Abschied fragte ich ihn, ob er vielleicht wünsche, 
sich photographieren zu lassen. In meiner Gesell 
schaft reise ein vorzüglicher europäischer Photo 
graph, dem es eine Freude fein würde, den Herr 
scher von Nekempti aufzunehmen. Das Angebot 
wurde mit größter Bereitwilligkeit angenommen, 
und wir verabredeten, daß ich mit Steinlehner am 
nächsten Morgen wieder ins Gibbi kommen solle. 
(Aus: v. Roth.Rösthof, Ba Menelik. Verlag F. A. Brock- 
Haus, Leipzig.) 
HuMVN vSM Tage. 
Was ist ein Bankier? 
Diese Frage, die jetzt bei der Kündigung 
unserer kurzfristigen Forderungen besonders 
aktuell mar, wurde mal von einem witzigen 
Börsenmann beantwortet: Ein Bankier ist ein 
Mann, der dir einen Regenschirm leiht, wenn 
die Sonne scheint, und der ihn aber sofort zu 
rückverlangt, wenn am Horizont eine dunkle 
Wolke von weitem sichtbar wird. 
* 
Tünnes und Schäl. 
In der „Kölnischen Lustigen Zeitung" le 
sen wir folgende Unterhaltung der beiden be 
kannten Kölner Typen Tünnes und Schäl: 
Tünnes: Jetz habe mir in Deutschland 
eine Weltmeisterin im Tennis un eine Welt 
meister im Boxe. Wenn jetz der Reichsbank- 
präsiöent Dr. Luther noch de Weltmeisterschaff 
in de Finanze erringk, dann .... 
Schäl: Dann sin die Notverordnungg nit 
mehr nötig. Ich bin überhaup der Ansich, dat 
uns de Regierung nit noch extra Not zu ver 
ordne brauch, wo sowiso genug Not da is. 
Tünnes: Et werde ja jetz nur noch 
Konferenze auf Sicht gehakte. Sie beginne 
mit Vorsicht, dann kommt die Durchsicht, wobei 
keine Rücksicht und auch keine Nachsicht zu er 
kenne ist, weil die Einsicht fehlt. 
Schäl: Ich sage dir dasjenige: Diplomate 
sin Leute, die vor lauter Vernunft ni vernünf 
tig werde. Wat nützt et, dat unsere Staats 
männer im Ausland ne sehr gute Eindruck 
mache. 
Tünnes: Ich versteh: Sie müßte etwas 
„Einnehmendes" und „Gewinnendes" haben. 
Uebrigens, das Finanzamt hat mich rufen las 
sen un mir gesagt, daß es nicht mit meinem 
Einkommen zufrieden wär. 
Schäl: „Da sind wir einer Meinung", 
hätt ich gesag. „Ich bin auch nit damit zufrie 
den." 
Brrrrts Welt. 
„Hader ya, Bey!" 
Wie in Oesterreich früher von der Bedienung 
jeder zahlungsfähige Gast in den Stand des Ba 
rons erhoben wurde, so genießt auch heute in 
Aegypten noch fast jeder mittlere Berwaltungsbe- 
amte die unverdiente Ehre, vom Publikum unb 
von seinen Untergebenen, die sich aus Beförbe- 
rungsgründen lieb Kind machen möchten, als „Bey" 
angeredet zu werden. War man früher sogar noch 
freigebiger in wohltuenden Titulationen, und 
sprach mit seinen Vorgesetzten nur, indem inan 
ihnen Titelehrungen wie Pascha und sogar „mein 
Prinz" gab, so beschränkt man sich heute nur noch 
auf die allseits geübte Verbeugung mit den Worten: 
„Haber ya, Bey!", also: „Sehr wohl, Bey!" 
Dem Generaldirektor >des ägyptischen Postwe 
sens, der, nebenbei bemerkt, ein richtiger Bey ist, ist 
diese unangebrachte Titelverschwendung an seine 
Unterorgane schon immer ein Dorn im Auge ge 
wesen, und er hat nunmehr eine strenge Verfügung 
erlassen, nach der er nicht nur den Mißbrauch von 
Titeln innerhalb des Postwesens streng verbietet, 
sondern auch die Briefträger anweist, Briefe, die 
an einen falschen Bey adressiert sind, einfach nicht 
mehr zu bestellen und zurückgehen zu lassen. Be 
amte, die sich im Dienst und in ihrem Privatleben 
hochstapelndevweise mit Bey titulieren lassen, ziehen 
sich ein Disziplinarverfahren zu, llnterbeamte, die 
diese Titulationen aussprechen, werden von der Be 
förderungsliste gestrichen. 
Am schimmsten daran sind demnach die armen 
Briefträger: woher sollen sie wissen, ob der Adres 
sat des von ihnen zu bestellenden Briefes den Ti 
tel Bey wirklich erworben oder sich nur zugelegt 
hat? 
Kinowagen auf den englischen Bahnen. 
Eine große englische Eisenbahngesellschaft hat 
den Gedanken verwirklicht, einen Kinowagen in 
den Dienst des Eisenbahnverkehrs zu stellen, um 
den Reisenden die Zeit zu verkürzen. Der dem Zug 
angehängte Wagen stellt ein richtiges Kmotheater 
dar, in dem Tonfilme aufgeführt werden. Gegen 
Lösung einer Eintrittskarte, deren Preis den eines 
Kinobilletts nicht übersteigt, kann jeder Passagier 
der Vorführung beiwohnen. Der erste Versuch ist 
mit großem Erfolg im „Fliegenden Schotten" ge 
macht worden. In absehbarer Zeit sollen diese 
Filmwagen genau wie Speise- und Schlafwagen in 
den englischen Zügen laufen. 
Tempo auf Raten. 
„Nun sehn Se sich nur mal den Autoverkehr 
an! Zu Fuß kommt man schneller vorwärts; das 
geht ja nur ruckweise!" 
„Na ja, sind ja auch meistens auf Stottern ge, 
kaust!" 
Barom« Fadrp. 
Von Liesbet Dill. 
23) (Nachdruck verboten). 
„Weiter, weiter ... Und was kam dann?" 
„Dann war mir alles ziemlich einerlei. Größere 
Ereignisse füllten mich aus. Als wir heimkamen, 
mußte ich mich beeilen, zu retten, was noch zu retten 
war. Eine auf Granaten umgestellte Industrie wie 
der umstellen. Sie denken sich das sicher leicht?" 
„Oh, nein, ich weiß, was es Henri gekostet hat." 
„Nun, dem wird's den Kopf nicht gekostet haben, 
sich „umzustellen"." 
„Sie unterschätzen ihn, er hat lange Zeit ge 
trauert " 
„Um mich?" 
Sie lachte. „Auch um Sie. Er war wütend, als 
Eie davongingen." 
„Kann ich mir denken... aber er ill nicht daran 
gestorben." ' 
„Nein, denn als Sie fort waren, fing der Ka 
nonendonner bei uns an. Ich kann Ihnen ver 
sichern, wenn einem vier Jahre vom Kanonendonner 
von den Metzer Forts, aus dem Priesterwald, oder 
von Verdun die Teetassen zittern " 
„Sprechen wir nicht mehr von Teetassen, Leilah, 
bleiben wir beim Kanonendonner und Henri, der 
nun wieder Baron de Fabry geworden ist. Die Da 
men seines Herzens kommen wohl nun direkt aus 
Paris? Sprechen wir von dem schönen Schloß 
Ihrer Kusine, mit dem Gobelinzimmer, wo wir bei 
Kerzenlicht tafelten. Wie war es noch? Die Austern 
aus Ostende, die Pasteten aus Dyjon, der Sekt kam 
aus Reims... Und Sie trugen ein unschuldiges 
weißes Kleid a la Jungfrau von Orleans und Per 
len... Und in der Garderobe, als wir Abschied 
nahmen, drückten wir uns die Hand ... Morgen im 
Wald.. am Madonnenbrunnen.. Madonnen muß 
ten immer dabei sein, dann war es nicht so schlimm. 
Ihre Madonnen lächelten immer. Sie drückten ein 
Auge zu —" 
„Daß Sie das noch alles wissen", sagte sie träu- 
mend, dem grünen Rheinwasser zusehend, das unter 
ihnen rauschte und zwischen den schaufelnden Rä. 
dern große Wellen warf. 
„Und einmal empfingen Sie mich in einem ro. 
ten Zimmer", fuhr er fort, „es waren weiße Rosen 
da ... und der Tisch stürzte um ... die Perlenkette 
zerriß... Ich habe mich immer schlecht benommen 
bei Ihnen." 
„Ja, das haben Sie." 
„Und schrieb zuviele Briefe..." 
„Ihre Briefe waren schön", sagte sie leise. 
„Waren sie das? Ich schrieb sie meist nachts, 
wie im Fieber, ich las sie nie mehr, sonst hätt« ich sie 
sicher zerrissen... ich trug sie selbst zum Brieflosten 
im Regen. Wie ein Primaner. Und einmal im 
Theater, wissen Sie noch?" 
„Als Sie nicht kamen?" 
„Und dann doch kam. Mt „ihr" ... Wir sa 
hen uns aus der Ferne. Ich möchte wissen, ob Sie 
das noch können, Leilah?" 
„Was denn?" 
„Mich so ansehen, daß ich den Verstand verliere. 
Sehen Sie mich doch noch einmal so an... nur eine 
kleine Probe, bitte. Vielleicht wirkt es nicht mehr, 
das Feuer Ihrer sündhaften Augen?... Daß Sie 
„keine Briefe schreiben können" war gelogen. Sie 
können sehr gute Briefe schreiben, Sie haben es ja 
bewiesen So einen „blauen Brief" bekommt 
man nur einmal im Leben, aber ich möchte, offen 
gestanden, auch keinen zweiten kriegen." 
„Nun, hat er Sie nicht vor einer großen Tor 
heit beschützt?" rief sie. 
„Vielleicht. Und Sie, Madame?" 
„Ich lebe am Rhein..." 
„Auf wie lange?" 
„Das weiß ich nicht, ich habe keine Heimat mehr. 
Mein Haus ist unter Sequester, ich haä meine Na 
tionalität nicht gewechselt. Henri hat mir zwar den 
linken Flügel in seinem Haus angeboten, aber ich 
konnte mich nicht dazu entschließen. Das Land ist 
mir fremd geworden, es tut mir weh, das alles so 
verändert wiederzusehen." 
„Trotzdem Sie eine Fabry sind?" 
„Aber meine Mutter war Deutsche, das ist's." 
„Ja, ja, der ewige Zwiespalt Eurer Herzen." 
Dann schwiegen sie, der Rhein rauschte sacht, die 
Wellen sprühten ihre weiße Gischt bis herauf. Sie 
saßen stumm in ihrer windgeschützten Ecke im Schab 
ten. Das Sonnensegel flatterte im Wind wie ein 
Vogel, dem die Schwingen festgebunden sind. 
„Ich kann mich schwer entschließen, irgendwo 
heimisch zu werden", sagte sie. „Wozu mein Herz 
wieder an ein Stück Erde hängen? Eines Tages 
kommt ein Sturm und reißt uns das Dach über dem 
Kopf weg und wir sind heimatlos. Ich lebe jetzt still 
und wunschlos in meinem kleinen Blumengarten 
am Rhein. Ich habe meine alte Kammerfrau mitge- 
nommen. Sonst niemand. Ich sehe keinen Men 
schen, will niemand kennen lernen und, wenn es 
Herbst wird " 
„Gehen Sie nach Paris.. " 
„Nein, in eine deutsche Stadt." 
„Ziehen Sie um Gotteswillen nicht nach Köln, 
denn da wohne ich." 
„Nein, nein", lachte sie, „davor sind Sie sicher." 
„Es ist doch merkwürdig", sagte er. „Hunderte 
von diesen Rheinschiffen habe ich an mir vorbeizie 
hen sehen und nie hat's mich verlockt, wieder eines 
zu besteigen... wegen der Begegnung mit diesen 
da"... Er wies mit der Hand auf zwei stämmige 
Amerikaner, die in ihren braunen Khakijacken, ihre 
Shagpfeifen dampfend, an der Reeling standen ... 
„Ich habe nichts gegen sie, im Gegenteil, wir arbei 
ten ja wieder geschäftlich zusammen... nur diese 
Khakifarbe kann ich nicht vertragen. Und heute, a?s 
ich zum erstenmal wieder meinen Fuß auf ein solches 
Schiff setzte, muß ich Ihnen in den Weg laufen. Ist's 
„Schicksal"? ... haben Sie mich „gerufen", wie da 
mals im Theater, als ich nicht kommen wollte und 
dann doch kam? Haben Sie jemals an mich gedacht, 
sagen Sie mir das einmal!" Und er schaute sie an. 
Sie nickte. „Ich dachte oft an Sie. Im Som 
mer, wenn ich Rosen sehe, fallen mir Ihre vielen 
Rosen ein, die in Ihrem Garten wuchsen... Und 
ich habe auch an Sie gedacht, heute, als ich das Schiff 
bestieg. Ich dachte an Ihr verlassenes Haus, in dem 
jetzt eine Gendarmerie eingerichtet ist, an die zer 
brochenen Statuen und die vielen Rosen..." 
„Und an mich hoffentlich auch, ich bin doch keine 
Rose..." 
„Auch an Sie. Ich hatte nie mehr etwas von 
Ihnen gehört, wir hatten einmal gehört. Sie lägen 
verwundet im Lazarett in Metz. Weiter wußten wir 
nichts. Später hörte ich, Sie hätten wieder ein 
Werk übernommen, am Rhein. Ihr Name war uns 
etwas, >das wir ungern berührten... Deine Zau 
berei, meine Liebe, sagte Henri damals, als Sie fort 
gingen, hat nicht lange gewirkt. Er nahm es mir 
förmlich übel..." 
„Das gleicht ihm", lachte er. „Henri war immer 
großzügig in Gefühlssachen. Wenn nur das Ge- 
schäft nicht darunter litt. Er wird mir nie vergessen, 
baß ich ihm Unbequemlichkeiten gemacht, und er sich 
bann selbst um den ganzen Kram hat kümmern 
müssen. Ein Mann wie Fabry paßt nicht in den 
Krieg, der ist dazu viel zu schön und zu schad... 
der muß reserviert bleiben. Ich gönn' es ihm, daß 
er's überstanden hat, es hätte an Eurer Ecke auch 
anders kommen können..." 
„Ja", sagte sie, „und es sah ein paarmal so 
aus..." 
„Daß Sie ausgehalten haben bis zuletzt, find; 
ich bewundernswert." 
„Warum? Es war doch meine Heimat", sagü 
sie einfach. „Sollte ich desertieren? Ich habe, wäh 
rend die Flieger über unserem Haus surrten, Briefe 
geschrieben und Mullbinden gewickelt, und des 
Nachts im Keller gesessen, hab Soldaten gepflegt, erst 
Eure, dann unsere, oder umgekehrt... Erst, als 
nmn mich vor die Wahl stellte, entweder oder, bin ich 
gegangen ... An den Rhein... Ich bin mein 
ganzes Leben in Paris nur zu Besuch gewesen, aber 
bei Euch bin ich in die Schule gegangen und 
ich wurde nicht umsonst " 
„Don deutschen Männern geliebt", vollendete 
er. 
Sie lächelte. „Sind wir wieder am selbe» 
Punkt?" 
(Schluß folgt.)
	        
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