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Freitag, den 31. Zuli.
Volksentscheid und pslitischs Lage.
Deutsche «nd französische Reise Nach Rom
Dig Wirtschaftlichen und finanziellen Bera
tungen des Reichskabinetts, die bekanntlich ein
Notstandswerk ergeben sollen, sind noch nicht ab
geschlossen. Wahrscheinlich üben die Besprechun
gen mit den ausländischen Bankiers über die
Ctillhaltung der Kreditzurückziehung aus Deutsch
land einen Einfluß auf die Beratungen des Ka
binetts aus.
Unverkennbar spielt die Ungewißheit über
den Ausgang des Volksentscheids am
9. August in die gesamtpolitische Lage hinein, weil
der Zweck des Volksentscheids ja auch der sein soll,
durch Ansetzung des Hebels bei Preußen bestim
menden Einfluß auf die Reichspolitik zu erlangen.
Dis französische Meinung zum Volksentscheid regi
striert man nur. Wenn es aber in einer Berliner
Meldung heißt, daß die soeben ins Auge gefaßte
Reife Brünings und Curtins' nach Rom erst an
getreten werde, wenn sich die Lage in Deutschland
geklärt habe, voraussichtlich jedoch nicht vor der
zweiten Hälfte des August, so kann man sich des
Eîàucks nicht erwehren, daß bei dieser Reise
disposition auch dem Volksentscheid eine Rolle
zufällt. Der Besuch in Rom, der dem Ge
genbesuch des französischen Ministerpräsidenten
«nd Außenministers in Berlin vorausgehen
dürfte, wird der europäischen Lage und im be
sonderen deutschen und italienischen Angelegenhei
ten gelten. Italiens Außenpolitik wird von einer
Reihe Fragen bewegt. In der Abrüstungsftage hegt
man ein berechtigtes großes Mißtrauen gegen Frank
reich, und ein Teilproblem der Abrüstung, die S e s -
macht betreffend, hat zwischen Italien und Frank
reich noch keine Lösung gefunden. Laval und Briand
wollen sich dem Vernehmen nach wegen der Flotten
frage in Kürze nach Rom begeben. Zum französi
schen Konto in der italienischen Außenpolitik wird
auch die frankophile Schwenkung Ungarns zählen.
Das deutsch-italienische Verhältnis
wird berührt von dem auffällig heftigen Vorstoß
Italiens gegen den deutsch-österreichischen Zollunion
plan vor dem Haager Schiedsgerichtshof. Es wird
Aufgabe der deutschen Staatsmänner sein, in die
sem Betracht Mussolini eines bessern zu belehren.
Wo AM bk ŞĢ FrsnkreichZ?
Die radikale Pariser „Republique" ver
langt erneut, daß Frankreich durch eine Geste
endlich beweise, daß es nicht Deutschlands
Feind sei. Diese Geste sei die Rückgabe der
deutschen Kolonien. Es heißt in dem franzö
sischen Blatt: „Mit welchem Recht haben wir
Deutschland die Gebiete weggenommen, die
es kolonisiert hat? Mit dem Recht des Sie
ges? Der Sieg schafft kein Recht. Hatten wir
es notwendig, unser Kolonialreich zu ver
größern? Wenn man 1914 den französischen
Soldaten gesagt hätte, daß sie sich schlagen
müßten, um Deutschland seine Kolonien zu
rauben, dann hätte man sie sehr entrüstet.
Außerdem war es eine Dummheit, denn ein
Industrieland wie Deutschland braucht kolo
niale Absatzgebiete."
Justiz und Politik.
Sciafofas MMimg im Hoog.
Die Ausführungen des italienischen Rechts
vertreters vor dem ständigen Gerichtshof im
Haag in Sachen der Zollunion werden in Ber
liner politischen Kreisen außerordentlich be
dauert. Scialoja hat bekanntlich am Schluß
seiner Rede darauf hingewiesen, der Haager
Gerichtshof solle bedenken, daß, obwohl die
Entscheidung unter juristischen Gesichtspunk
ten abgegeben werden solle, sie politische Fol
gen haben könnte. Die Abänderung der poli
tischen Lage unter den gegenwärtigen Um
ständen könne eines Tages den Krieg oder
Frieden bedeuten. Wenn der Rat erkläre,
daß er nichts mehr zu tun habe, dann würde
diese Erklärung morgen eine Kriegserklärung
sein können. In Berlin sagt man hierzu, es
handele sich bei den Ausführungen um eine
politische Entgleisuna. vor allem dadurch, daß
Scialoja versucht habe, den Gerichtshof, eine
internationale Institution, unter Druck zu
setzen. Der italienische Rechtsvertreter sei sich
wohl nicht bewußt gewesen, vor welchem Tri
bunal er seine Ausführungen gemacht habe.
Jy ErmMlung
bîï neuesten Notverordnung
TU. Berlin, 31. Juli. sEig. Funkmelög.)
Das Rcichskabinett wird am Freitag um 16
Uhr zu einer Sitzung zusammentreten» um
seine Beratungen über die Wiederingangset-
znng der Finanzwirtschaft fortzusetzen. Wie
die Tel.-Uuiou erfährt, ist mit der Herausgabe
der neuen Notverordnung für Freitag noch
nicht zu rechnen.
BIß ŞWhàechMķMM.
„Grundlage für das weitere Vorgehen."
Amtlich wird mitgeteilt: „Ein Berliner Abend
blatt bringt die Mitteilung, daß die mit den Still-
haltevevhanblungen betrauten Vertreter der Aus-
laudsgläubiger aus Berlin abgereist sind, und knüpft
daran die Bemerkung, daß die Situation in Berlin
skeptisch beurteilt wird. Richtig ist an der Mittei
lung nur die Meldung von der Abreise der auslän
dischen Herren. Die Abreise ist erfolgt, nachdem die
Besprechungen zur Zufriedenheit abgeschlossen wa
ren und entsprechend dem Zweck der Erörterungen
eine Grundlage für das weitere Vorgehen geschaffen
war."
In Basel ist als Spîtzenorganisation der Still-
haltekonsortien die Stillhaltekommission der BIZ.
gebildet worden, in der Deutschland durch Melchior
vertreten ist.
dk Frage mm MZîMdSKMàmmZ.
In einer Havasmeldung aus Berlin
kommt die Auffassung zum Ausdruck, daß sich
die Reichsregierung sehr wahrscheinlich ge
zwungen sehen werde, ein vorübergehendes
Moratorium für Auslandszahlungen zu er
klären, zumal, wenn es nicht gelinge, sich mit
den weniger bedeutenden ausländischen Ban
ken über die Stabilisierung der gegenwärtig
in Deutschland investierten Kredite zu eini
gen. Um diese Banken zu ermutigen, werde
die Reichsregierung ihnen die Garantie der
Reichsbank und der deutschen Wirtschaft an
bieten. Die Erklärung des Moratoriums
werde auf alle Fälle im Einvernehmen mit
den großen Emissionsbanken geschehen, um
die Auswirkungen einer derartigen Maß
nahme für den deutschen Kredit nach Möglich
keit abzuschwächen.
Hngnrus MWliMe RmmtierW
Frankreichs goldene Kugeln rollen ans Ziel. — Italien hat das Nach
sehen. — Folgen für die Zok'rmionpolitilr im DonarrbsÄen?
# Aus Erörterungen im ungarischen Abge
ordnetenhause, die formell einer Ermächtigungs-
Vorlage für Maßnahmen der Regierung gelten,
ergibt sich nunmehr klar die bedeutsame Ein
schwenkung Ungarns in dis Politik Frankreichs
in Verbindung mit einer in Aussicht gestellten
französischen Anleihe. Vermutlich konnte Italien,
an das Ungarn in der letzten Zeit feine Außen
politik angelehnt hatte, nicht mit wesentlicher fi
nanzieller Unterstützung dienen. Frankreichs gol
dene Kugeln sind auch hier ans Ziel gekommen.
Zu diesem Ziel werden gewiß politische Bindun
gen gehören. Italiens Politik in Südosteuropa,
die Frankreich als Gegenspieler kennt, hat das
Nachsehen, zunächst wenigstens. Auch für die deut
sche Zollunionpolitik im Donaubecken kann die un
garische Neuorientierung von abträglichen Fol
gen sein.
Graf Albert Apponyî trat im Abgeordneten-
hause zu Budapest für die Regierung ein. Er
sagte, trotz der schwierigen außenpolitischen Lage
sei es Ungarn gelungen, aus seiner Isolierung
herauszukommen. Das Verhältnis Ungarns zu
jenen Großmächten, von denen es bisher durch
gewisse Gegensätze getrennt gewesen sei, beginne
sich zu verbessern.
«Abgeordneter Rassay (liberale Opposition)
erteilte der Regierung mit Rücksicht auf die Ver
handlungen über die Auslandskredite ebenfalls
das Absolutorium für die getroffenen Maßnah
men. Die Freundschaft mit Italien könne viel
leicht Ungarn wertvolle moralische Vorteile bie
ten, sei jedoch ungeeignet zur Lösung der der Re
gierung harrenden Ausgaben. Es würde undank
bar sein, die Dienste, die Italien Ungarn geleistet
habe, herabzusetzen: das Bündnis mit Italien
Habs aber Ungarn von Faktoren isoliert, die in
Europa heute eine entscheidende Rolle spielen, so
in erster Reihe von Frankreich, dann aber auch
von den Nachbarländern.
Markgraf Pallavicini (Ehristl. Opposition)
erklärte, die Außenpolitik der Regierung könne
keinen Erfolg aufweisen, obwohl die Fragen der
deutsch-österreichischen Zollunion und des Anschlus
ses Ungarns im Mittelpunkt des allgemeinen In
teresses gestanden und ihm große Möglichkeiten
eröffnet hätten. Frankreich und das französische
Kapital würden Deutschland solange nicht unter
stützen, bis es auf den Anschluß verzichte. Ungarn
müsse in seiner Außenpolitik eine französische Ori
entierung vornehmen, ohne sich dabei die Sym
pathie Deutschlands zu verscherzen. Eine öster
reichisch-ungarische Zollunion würde Ungarn eine
führende Position im Donaubecken sichern, und
diese würde auch Unterstützung durch die franzö
sische Außenpolitik finden. (?) Die Gefühle der
Sympathie, die Frankreich und Ungarn vor Jahr
hunderten verbunden hätten, müßten wieder ge
weckt werden. Eine französische Orientierung
.würde um so mehr am Platze sein, als mit der
Zertrümmerung einer großen Wirtschaftseinheit
begangen hätten. Wenn Ungarn diesen Weg be
schreite, werde es sich eine neue und große Zu
kunft sichern. Das Gleichgewicht im Donauhecken
könne nur durch die Restauration des ungarischen
Königtums und die Zusammenarbeit mit Oester
reich wiederhergestellt werden. Die Restauration
des Königtums sei nicht die Idee einer einzelnen
parlamentarischen Fraktion, sondern die einzige
Möglichkeit zur Wiederherstellung der wirtschaft
lichen Prosperität der ungarischen Nation. Schließ
lich erklärte Pallavicini, die von ihm verlangte
Politik bedeute keineswegs die Befolgung eines
deutschfeindlichen Kurses oder die Wiederherstel
lung der alten österreichisch-ungarischen Monarchie.
Die Vorlage lehnte er ab.
Biß MergangsmaßAchMN m Hngatn.
TU. Budapest, 31. Juli. (Erg. Funkmld.)
Die Regierung hat eine Verordnng erlassen,
durch die die Wirksamkeit der nach den Bank
feiertagen in Kraft gesetzten Uebergangs-
maßnahmen bis einschl. 14. August verlängert
wird, wobei aber die bisherigen Einschrän
kungen des Zahlungsverkehrs weiter gelockert
werden. So dürfen von den Spar- und Kon
tokorrent-Einlagen sowie von den Scheckgnt-
haben weitere 5 v. H., aber höchstens 1000 Pen-
gö, abgehoben werden
Revolution im Echeterlmd.
Nichts steht mehr fest auf dieser Erde.
Chile, das südamerikanische Preußen (wie
man es nannte), galt drei Menschenalter hin
durch als der ruhende Pol in der treibenden
Flut und Flucht lateinamerikanischer Staats
verhältnisse. Das Land blühte bis zu Beginn
des Weltkrieges wirtschaftlich, der Ausfuhr
zoll vom Salpeter, der unerschöpfliche Natur-
lager im Norden des Landes bildet, füllte die
Regierungskassen überreichlich, das Heer war
durch deutsche Instruktoren musterhaft ge
drillt, und wenn es auch in den letzten vier
Jahrzehnten eine Reihe von Präsidentenkrisen
gab, so tat dies dem Reichtum und Kredit des
Landes noch keinen großen Abbruch. Das wa
ren Naturerscheinungen, die man so hinnahm,
wie die fast täglichen kleinen Erdstöße. Frei
lich, zuweilen gibts da auch gewaltige Kata
strophen, die ganze Städte im Nu zerstören
und Tausenden von Menschen das Leben ko,
sten.
Bis zum Ausbruch des Weltkrieges lebte
man in Chile also trotz der vielen politischen
Krisen ziemlich ruhig und glücklich. Chile ist
im Weltkrieg zwar neutral geblieben, aber
es ist seinen verderblichen Wirkungen nicht
entgangen. Dazu ist dann noch der große
wirtschaftliche Wettkampf der letzten beiden
Jahre gekommen, und das Ergebnis ist eine
politische Erschütterung, die man nicht mehr
mit den täglichen Erdstößen vergleichen kann,
sondern die schon einem katastrophalen Beben
gleicht. Es hat jetzt nicht den Anschein, als ob
auch nur auf eine kurze Zeit Ruhe eintreten
solle. Der Grund liegt eben nicht so sehr in
den Personen wie in den wirtschaftlichen
Verhältnissen.
Diese sind sehr schlecht, und, was wohl das
Schlimmste ist, die Zerrüttung des Wohlstan
des wird sich keinesfalls schnell beheben las
sen. Die Salpeterausfuhr, die die Grund
lage von Chiles Reichtum bildete, liegt zu
nächst hoffnungslos darnieder. Den ersten
Schlag bekam sie unmittelbar durch den Welt
krieg, der den Schiffsraum der ganzen Welt
mit Beschlag belegte und für direkte Kriegs
zwecke verwandte. Der zweite Schlag war
eine mittelbare Folge des Weltkrieges: die
von Deutschlands chemischer Industrie
ins Leben gerufene Herstellung von künstli
chem Stickstoff. Die im Frieden sich erst recht
immer mehr erhöhende Erzeugung von Kunst
stickstoff hat die chilenische Salpeteraussuhr fast
zum Erliegen gebracht. Damit ist Chiles größte
Reichtumsquelle zunächst versiegt. Die
Staatseinkünfte aus dem Salpeterausfuhrzoll
sind ziemlich verschwunden, und der Staat hat
sich genötigt gesehen, alle Staatsausgaben, na
mentlich auch die Gehälter der Beamten, ge
waltig einzuschränken, dagegen bei der bisher
oft lässig getriebenen Eintreibung 'der Sten
ern mit größter Schärfe vorzugehen Das
machte jede Regierung unbeliebt, um so un
beliebter, je krasser sie vorgeht. Gerade der
schneidige Präsident Ibanez mußte durch sein
rücksichtsloses Vorgehen mit Ersparnis- und
Steuermaßregeln die Unzufriedenheit des
Volkes erregen. Dazu kommt, daß er, ein
früherer Liberaler, sich in Bezug auf die
Presse ganz reaktionär eingestellt hat. Die
Studenten, Aerzte und Advokaten haben vor
zugsweise die Abdankung des Ibanez gefor
dert und erzwungen. Es sind aber wohl weni
ger die Maßnahmen des Präsidenten gewesen,
die zu seinem Sturz geführt haben, als die
Art ihrer Durchführung. Auch ein neuer Prä
sident, er mag heißen, wie er will, dürfte den
Steuerzahlern schwere Opfer auferlegen. Aber
vielleicht ist der neue Mann so vernünftig wie
der Kardinal Mazarin. Als diesem, der auch
nicht glimpflich mit den Steuerpflichtigen um
ging, gemeldet wurde, das Volk singe die gif
tigsten Spottlieöer auf ihn, gab er die philo
sophische Antwort: „Laßt sie singen — wenn
sie nur bezahlen". An der Verwaltungstüch
tigkeit von Ibanez ist nicht zu zweifeln, aber
er ist allzusehr Militär gewesen. Auch sein
Nachfolger wird nicht Wunder tun können,
aber er wird sich vielleicht besser auf die Be
handlung des gebildeten Teiles der Bevölke
rung verstehen.
124. Jahrgang.
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