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Nr. 125 Beilage der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung Rendsburger (Tageblatt) Montag. Sen 1. Juni 1931
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Wie Pitkarös Ballon von Lehrer Falkner
nnfgefnnden wurde
Wie durch ein Wunder dem Tod
entronnen.
Gegen 8 Uhr früh sah ein Landwirt, der sich in
seiner Mußezeit mit Wetterbeobachtungen beschäf
tigt, am Gurgler Ferner einen dunklen Punkt, der
beim Auffallen der Sonnenstrahlen hell erglänzte.
Der Landwirt, der aus einem freistehenden, hoch
gelegenen Gehöft lebt, eilte nach Gurgl und machte
dort 'dem Schulleiter Hans Falkner Mitteilung von
seinen Beobachtungn, die er unter Zuhilfenahme
einiger primitiver optischer Instrumente gemacht
hatte. Lehrer Falkner war sofort überzeugt, daß
es sich um den Piccavdschen Stratosphärenballon
handelt, der gestern abend über Gurgl gesichtet
worden war. Er verständigte den Bürgermeister
von Sölden, Wilhelm Rieml, telephonisch von sei
nem Entschluß, allein irach dem Gletscher aufzu
brechen, und ersuchte ihn, notwendige Schritte für
Die Ausrüstung einer Rettungsexpedition zu unter
nehmen. Falkner brach selbst, ganz allein, touri
stisch ausgerüstet und auf Skiern zum Gurgler
Gletscher auf und nahm Kurs auf die Karlsruher
Hütte, da er — wie es sich später herausstellte —
ganz richtig den Standort des Ballons erkannt
'hatte. Er- stieg drei Stunden lang zum Gletscher
auf. Gegen 11 Uhr vormittags kam er zu einer
Gletscherzunge, an deren linker Seite sich eine lang
gestreckte Moräne hinzieht. Der Aufstieg war in-
folge der Schnee- und Eisverhältnisse außergewöhn
lich schwierig. Wiederholt sank Falkner bis zum
Halse im Schnee ein und schwebte oftmals in Le
bensgefahr.
Sind Sie Professor Piccard?
Falkner nahm den kürzesten Aufstieg und
ckehrte, obwohl selbst bereits ziemlich erschöpft, in
der seitlich gelegenen Karlsruher Hütte nicht ein.
Gegen 11.18 Uhr mittags sah er plötzlich jenseits
der Gletscherzunge, auf der gegenüberliegendenSeite
der Moräne, zwei Männer im Schnee stehen, die
unschlüssig Ausblick hielten. Falkner schildert nun
die nächsten Minuten überaus dramatisch. Er er
zählt darüber folgende Einzelheiten: „Als ich die
beiden Männer erblickte, schlug mir das Herz bis
zum Halse. Ich war sofort überzeugt, daß es sich
um Professor Piccard und Dr. Kipfer handelt. Ich
brüllte nun so laut ich konnte und winkte mit mei
ner Wndjacke, die ich auf den Gkistock angebunden
hatte. Bange Sekunden vergingen, ehe mich Pic
card erblickte. Er rannte mir entgegen und winkte
lebhaft mit der Hand. So rasch ich konnte, fuhr ich
nun zum Rande der Moräne. Jetzt konnte ich be
reits gehört werden und rief so laut ich konnte:
1 „Slnd Sie Herr Professor Piccard?" — „Ja, ich
bin Piccard und hier ist Doktor Kipfer! Wir sind
hier gelandet! Können Sie uns helfen?" antwor
tete Piccard. „Ich komme zu Ihnen hinüber, Sie
sind auf der falschen Seite!" antwortete ich und be
gann nun, nachdem ich die Skier abgeschnallt hatte,
die Moräne hinunterzuklettern."
Nun gelaugte Lehrer Falkner zu den beiden
Männern, die ihn: entgegenliefen. Jetzt sah auch
Falkner den Ballon, der etwa 180 Meter weiter in
einem tiefen Keil des Eisgletschers log, ganz unver
sehrt, wie es sich später herausstellte. Die Begrü
ßung war sehr schlicht. Falkner eilte auf Piccard
zu, der ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte und
sagte: „Wir danken Ihnen!" Falkner schüttelte den
beiden Geretteten die Hände und gab ihnen sofort
Tee und einige belegte Brote, die er mitgebracht
hatte. Piccard und Dr. Kipfer tranken die Ther
mosflasche leer, sie waren hungrig und durstig, ihre
Vorräte waren vollständig aufgezehrt. Auf die
Frage Falkners, ob sie verletzt feien, antwortete Dr.
Kipfer lachend in unverfälschtem Schwizerdütsch:
„Nö, aber die Hosen haben wir uns zerrissen."
Ueber ihre Landung erzählten die beiden Ge
lehrten manche interessante Einzelheiten. Nachdem
sie in der Gondel übernachtet hatten, versuchten sie
beim Sonnenaufgang zu Tal zu steigen, nahmen
jedoch einen Irrweg und gerieten auf die andere
Seite der Moräne. Wären sie vom Lehrer Falkner
nicht rechtzeitig entdeckt worden, so hätten sie sich
sicherlich verstiegen. Ihr heldenhafter Flug wäre
gelungen, aber sie selbst wären in der Eiswüste des
Ferners ums Leben gekommen, zumal sie nicht aus
gerüstet und ohne Skier waren. Die nächste be
wohnte Stelle ist die viele Kilometer entfernte Ra-
mol-Hütte. Diese zu erreichen, wäre aber bei den
Schneeverhältnissen für die beiden Gelehrten ohne
Skier und unausgerüstet ganz unmöglich gewesen.
Bei dem Abstieg über die Moräne waren beide wie
derholt gestürzt und rutschten einige Male über die
Felshalde, wodurch ihre Hosen zerfetzt wurden. Sie
kamen dabei mit ganz geringfügigen Hautabschür
fungen davon. In Gurgl wurden die drei von der
Bevölkerung mit großem Jubel empfangen. Die
beiden Gelehrten und Falkner waren Gegenstand
lebhafter Ovationen. Frauen eilten mit großen
Krügen mit Milch und Wein, Wurst und Gebäck auf
Piccard und Dr. Kipfer zu, andere bewarfen sie mit
Blumen, und der Professor hatte Tränen in den
Augen, als er sah, wie selbst die Bauern des win
zigen Eebirgsdorfes feine heldenhafte Tat einschätz
ten.
Der Frauenverein vom Rote» Kreuz
für Deutsche über See
hielt am 20. Mai 1031 in Hamburg unter de.
Vorsitz Ihrer Hoheit der Herzogin Adolf.
Friedrich zu Mecklenburg seine 41. ordentliche
Hauptversammlung ab, zu der die meisten
Abteilungen aus dem Reich Vertreterinnen
geschickt hatten. Aus dem Jahresbericht ergab
sich ein lebendiges Bild von der weitverzweig
ten Arbeit des Vereins. Durch seine Anstal
ten in Südwestafrika läßt er den Deutschen
auf den verschiedensten Gebieten der Rot
kreuzarbeit seine Fürsorge angedcihen. Müt
ter und Kinder werden in den beiden modern
eingerichteten Mütterheimen in Swakopmund
und Windhuk betreut; der Kindergarten in
Swakopmund gilt der Kleinkinderfürsorge,
Erholungsfürsorge für größere Kinder und
für Erwachsene wird in den beiden Er
holungsheimen gewährt. Als besonders er
freulich wurde die Uebernahme von 3 neuen
Arbeitsgebieten begrüßt, und zwar ist ein
kleines Krankenhaus in Omaruru in Süd
westafrika übernommen worden und 2 Heb
ammen und Gemeindeschwestern sind an deut
sche Siedlungsgebiete im Ganda-Bezirk in
Portugiesisch-Angola und nach Mufindi im
Jringa-Bezirk in Ostafrika entsandt worden.
Mit dieser Aussendung trägt der Verein seine
Arbeit endlich wieder in die schöne alte Kolo
nie Ostafrika. Ferner schickt der Vereie
Schwestern an deutsche Krankenhäuser nach
Ostasien und Südamerika, und als besonders
wichtig an deutsche Siedlungen, die fern von
aller Kultur jede sanitäre Fürsorge entbeh
ren müssen. Aus dem Jahresbericht ging fer
ner hervor, daß der Verein im Laufe des
Jahres eine erhebliche Ausdehnung genom
men hat und jetzt 170 Abteilungen und Grup
pen zählt. Im Anschluß an die Sitzung berich
tete Geheimrat Gunzert vom Auswärtigen
Amt in einem fesselnden Bortrag über die
augenblickliche Lage in Ostafrika unter Be
rücksichtigung der dem Verein dort erwachjc-
mcn Aufgaben, dessen Arbeit er zum Wotzlo
der deutschen Pflanzer möglichste Verbreitung
wünschte.
Friseur: „Sie sind aber sehr kahl, mein Herr.
Haben Sie eine Vermutung über die Ursache?"
Kunde: „Eigentlich nicht, aber ich nehme an,
es hängt mit dem Ausfallen der Haare zusammen."
Die Ballongondel wird von österreichischen Alpenjägern geborgen.
nige deutsche Städte von seiner Studienzeit her,
und staunend suhr er über den hellerleuchteten Kur
fürstendamm, verwundert über den Riesenverkehr,
die Lichtreklamen und die eleganten Frauen, die
er sah. Wie jeder Franzose hatte er die Meinung,
daß nur Paris Weltstadt, nur Paris elegant und
erlebenswert sei.
Müde vom Schauen und Staunen kam er spät
in der Nacht ins Hotel zurück. Von dem Erlebten
bewegt, saß er noch eine Weile in der Bar und
trank einen Whisky, hörte noch ein wenig dem
Tanzorchester zu, dann ließ er sich im Lift nach
seinem Zimmer hinauffahren und begab sich sogleich
zu Bett.
Kurz vor dem Einschlafen erinnerte er sich,
daß er vergessen hatte, die neuesten Pariser Zei
tungen zu kaufen. Er richtete sich auf, im Zweifel,
ob er sich nochmals ankleiden und hinuntergehen
solle, aber gähnend ließ er sich wieder auf die
Kissen zurückfallen und schlief sofort ein.
So begann Gaston Fauchot sich allmählich an
das Dasein als Jean-Marie Audet zu gewöhnen.
Seine Brieftasche im Schubfach des Nachttisches
war wohlgefüllt. —
Am nächsten Tage setzte Gaston seine Ent
deckungsfahrten durch die Hauptstadt fort. Und er
sah, daß man hier nicht nur sich zu vergnügen
wußte, er sah auch, daß man hier mit Eifer und
einem fast amerikanischen Tempo arbeitete. Mit
offenen Augen ging er durch die Straßen — und
er lernte sehr viel. Er bereute nicht mehr, diese
Reise angetreten zu haben.
Absichtlich schob er den Termin der Reise nach
Paris hinaus. Cr hatte Angst. Mit seltsamem
Gefühl nahm er jeden Tag die Post in Empfang,
die ihm vom Hotel Mediterranee ln Monte Carlo
nachgeschickt wurde, — es waren viel Drucksachen,
unwichtige Briefe, Berichte seines Sekretärs, —
aber nie ein Gruß von ihrer Hand. Don der Frau
hatte Audet immer mit sichtlichem Haß gesprochen.
Wer war diese Frau? Sie schien hübsch zu sein..
Audet hatte ihm die Photographie gezeigt. Auch
eine Iudiläumsaufnahme 'des Betriebs, so daß er
die meisten seiner zukünftigen Mitarbeiter kannte.
Immer öfter beschäftigte sich Gaston mit dieser, sei
ner Frau. Und er gestand sich, 'daß diese Gedanken
eine wachsende Unruhe in ihm schufen. Noch hotte
er Audets letzten Willen nicht gelesen.
Wohl zehn Tage lang hielt er sich bereits in
Berlin auf, als es ihm einfiel, daß er vergessen
hatte, die französischen Zeitungen der letzten Tage
durchzusehen. Es kostete ihn Mühe, alle alten
Exemplare nachzuerhalten, und er setzte sich in dos
Kaffee des Hotels um die Blätter zu studieren.
In einer der letzten Ausgaben eines großen
Generaldirektor wider Willen.
Roman von Carl Otto Wtndecker.
Copyright 1930 by C. O. Windecker.
6) (Nachdruck verboten.)
„Eine derartige Typisierung ist zunächst noch
nicht erforderlich", antwortete Gaston rasch. „Ob
gleich sie eines Tages auch kommen wird. Zunächst
handelt es sich darum, den Rohstoffbezug durch
einen allgemeinen Abbau der Zwischenzölle zu ver
billigen. Die überflüssigen Wagentypen auszu
schalten oder doch ihre Produktion zu verringern.
Eine Propaganda zu treiben, die der sozialen
Schichtung der europäischen Bevölkerung entgegen
kommt. Vergessen wir doch nicht die verschieden
artige Mentalität. Und schließlich eine Zusammen
arbeit zwischen den europäischen Industrien zu
schaffen, die der amerikanischen Konkurrenz den
Kampf ansagen kann."
„Das sind große und gute Gedanken," bestä
tigte der Deutsche nach kurzer Ueberlegung. „In
wieweit sie zu realisieren sein werden, ist eine
schwierige Frage. Vergessen Sie nicht, daß Frank
reich heute Uber große Barmittel verfügt, während
Deutschland auf die amerikanischen Kredite ange
wiesen ist. Glauben Sie, daß bei Beginn eines
offenen Konkurrenzkampfes gegen die amerikanische
Autoindustrie die Kreditgewährung im erforder
lichen Ausmaß anhält?"
Gaston wußte keine Antwort.
„Ich habe niich sehr gefreut, Ihre Ansichten
kennenzulernen," meinte der Deutsche liebenswür
dig. „Sie können überzeugt sein, daß ich persön
lich ähnlichen Anschauungen huldige. Aber ich allein
leite nicht die Fabrik, ich allein habe keine aus
reichende Stimnie im Konzern der deutschen Wirt
schaft. Versuchen Sie es drüben, — ich will es
hier versuchen." Er stand auf.
Gaston fühlte wohl, daß er eine Niederlage
erlitten hatte. Auch er erhob sich. „Ich danke
Ihnen für diese Unterredung", sagte er höflich.
Deprimiert, mit düsteren Gedanken fuhr er
den langen Weg zurück, und es schien ihm, als seien
die Straßen inzwischen noch schlechter geworden.
Schon am nächsten Abend war er in Berlin.
Was er hier suchte, wußte er eigentlich selbst nicht.
Audet hatte ihm aufgetragen, die Verhältnisse der
deutschen Autoindustrie zu studieren, —• er hatte
nach dem ersten Mißerfolg jede Lust dazu verloren.
Wenn er dennoch nach Berlin gefahren war, so
geschah dies wohl mehr aus dem unbewußten oder
bewußten Wunsch heraus, die entscheidende Fahrt
nach Paris in sein Werk, so lange hinauszuschieben,
als es eben anging.
Berlin überraschie ihn. Er kannte nur we-
Pariser Mittagblattes fand er endlich die gesuchte
Meldung.
Der Berichterstatter der Zeitung in Monte
Carlo telegraphierte:
„Hier wurde heute die Leiche eines jungen,
wohl dreißigjährigen Mannes angespült, der zwei
fellos Selbstmord begangen hat. Sein Gesicht war,
offenbar durch >das Aufschlagen aus die Klippen,
vollkommen unkenntlich. Man nimmt jedoch an,
daß es sich um einen gewissen Gaston Fauchat han
delt, der hier vor einiger Zeit unter Zurücklassung
seiner Habseligkeiten und seiner Hotelschulden spur
los verschwunden ist. Die Leiche ist im Leichen
schauhaus ausgestellt." —
Fauchat ließ das Blatt sinken. So war er also
tot. Vergessen. Ausgelöscht. Man würde die
Leiche ein paar Tage dem Publikum vorführen und
sie idann irgendwo vergraben. — Fauchat zuckte
plötzlich zusammen: sollte es Audet sein? Sollte
sein Peiniger seine Absicht durchgeführt haben?
Konnte es nicht doch irgend ein anderer sein?
Monte Carlo ist um Selbstmörder nicht verlegen . .
Gab es also noch keine Ruhe? Er dachte an das
„Testament" Audets, das noch immer ungeöffnet in
seinem Koffer lag. Würde er den Mut finden, es
zu öffnen?
Die Gedanken bestürmten ihn. Hastig rauchte
er eine Zigarette nach der anderen. Dann schüt
telte er alle trüben Gedanken ab. Was sollte das
Grübeln? Warum hatte er diese dritte, die letzte,
Chance ergriffen? Um sich mit Selbstquälereien
zu zermürben? Leise, zärtlich klang die Musik vom
Orchester herüber . . . Hatte er nicht Geld genug in
der Tasche? War Berlin nicht groß und bot es
nicht Vergnügungen genug? Gaston dachte an eine
junge, schlanke Frau, die ihm am Nachmittag in
der Konditorei Kranzler Unter den Linden gegen
übergesessen hatte. War dr nicht ein Tor, seine
Zeit mit sinnlosem Nachdenken zu vergeuden?
Gaston rief dem Kncllner, zahlte seinen Mokka
und ließ sich in sein Zimmer hinauffahren, um sich
umzukleiden. Bevor er aber den Anzug ablegte,
schnitt er vorsichtig die Meldung des Pariser Blat
tes aus und schob sie unter die dünne Schnur, mil
der er Audets Testament umwickelt hatte. —
(Fortsetzung folgt.)
Funkbild: Der entleerte Ballon aus dem Gletschereis des Großen Gurgler Ferners.