6d)îeswig-Bolfteînîfd}e LanLSszsîLung
123. Jahrgang.
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MmersW, hm 11. Zmmber
Das abgerüstete Frankreich!
ärmlichen Lebens zittern. Welcher Segen hätte
durch einen kleinen Teil der ausgegebenen Sum
men geschaffen werden können.
Diese Festungskette von Luxemburg bis zu
den Alpen ist aber nur ein Teil der Verteidigung
Frankreichs. Lauzanne spricht in seinen Artikeln
auch noch von dem Schutz gegen den Gaskrieg, von
der Luftrüstung, von der Armee. Es wird noch
anderes geben, worüber aus militärischen Grün
den nicht öffentlich gesprochen werden darf. Auch
über die Marine wird nichts gesagt! sie hat ihren
eigenen Etat und ihre eigenen Ziele, die in den
Verhandlungen mit Italien über den Flottenstan
dard deutlich genug geschildert worden sind. Der
Marineminister Dumesnil hat in einer Rede in
Brest noch einmal das Wichtigste gesagt: die Tra
dition der alten französischen Flotte soll erhalten,
das Kolonialreich geschützt, der Weg zum Weltreich
gebahnt werden. Noch deutlicher, beinahe brutal,
faßt der Oberst Jean Fabry, Vorsitzender im Hee
resausschuß der Kammer, die Sicherheitsformel
Frankreichs im Hinblick auf Deutschland zusam
men: „Deutschland hat durch den Vertrag von
Versailles ein obligatorisches Statut für seine mi
litärische Rüstung empfangen, welches Deutschland
in einen Zustand der Inferiorität bringen und in
diesem Zustand erhalten soll." Zu diesem Zweck
also werden die Summen für die Rüstungen
Frankreichs ausgegeben, die nach dem offiziellen
Budget zwölf Milliarden und zweihundert Mil
lionen Francs ausmachen, die aber, wie der De
putierte Professor Etienne Antonelli nachgewiesen
hat, in Wahrheit mehr als neunzehn Milliarden
betragen! ,
So sieht nach französischen Quellen die Sicher
heit Frankreichs aus. Gegenüber dieser ungeheu
ren Rüstung steht Deutschland mit ungeschützten
Grenzen, mit verringertem Heer, mit einer Flotte,
die mit der Seerüstung anderer Länder überhaupt
nicht verglichen werden kann, ohne schwere Ge
schütze, ohne Tanks, ohne Kriegsflugzeuge.
Ein Toter auf der Recperbahn. — Schwerer Stan
der Polizei im Gängeviertel.
Die Hamburger Polizeibehörde teilt mit: Am
Mittwochnachmittag bildeten sich Ansammlungen
in St. Pauli, und zwar in der Fischerstraße, Fried
richstraße, sowie auf dem Wilhelms- und dem
Paulplatz. Einschreitende Polizeibeamte wurden
mit Steinwürfen empfangen und machten von
ihren Eummistäben Gebrauch. Auf der Reeper
bahn erfolgten weitere Angriffe auf die Polizei,
die derart bedrängt wurde, daß in Abwehr meh«
rere Schüsse abgegeben werden mußten. Die Menge
stob auseinander. Der 19jährige Bäcker erlitt eine
schwere Kopfverletzung und ist bald nach der Ein
lieferung in ein Krankenhaus gestorben. Zwei
weitere Demonstranten wurden verletzt.
Ueber die Entstehung der Unruhen heißt es.
Da eine von der K.P.D. für Mittwochnachmittag
angesetzte Erwerbslosenversammlung bei Sagebiel
mit anschließender Demonstration auf der Moor
weide von der Polizei verboten worden war, kam
es in verschiedenen Stadtteilen, namentlich bei
dem Arbeitsvermittlungsamt Kohlhöfen in der
Altstadt, zu Ansammlungen Erwerbsloser unter
kommunistischer Führung. Die Polizei konnte die
Ansammlung in den Kohlhöfen mühelos zer
streuen. Die Demonstranten zogen daraufhin nach
St. Pauli, wo sie sich auf der Reeperbahn in der
Nähe des Ballhauses „Alkazar" erneut zusammen
rotteten. Eine für abends von der KPD. ge
plante öffentliche Versammlung im Conventgar
ten ist ebenfalls von der Polizei verboten worden.
Dis Demonstranten sollen in der Mehrzahl
junge Burschen gewesen sein. Bei den Vewühun-
gen der Polizei auf St. Pauli, die dichtgedrängte
Menschenmenge auseinanderzutreiben, wurden
einzelne Beamte von den Demonstranten einge
keilt und niedergeschlagen. Vom Wilhelmsplatz
aus konnte endlich die Räumungsaktion durchge
führt werden. Vielfach wurden die Polizeibeam
ten mit Steinen und Ascheimern bombardiert. Auch
am Groß-Rcumarkt,
einem alten Unruheherd an kritischen Tagen, spiel
ten sich heftige Zusammenstöße ab. Hier wurde
die Polizei immer aufs neue von einer größeren
Menge durch Pfeifen und Johlen gereizt. Sie
trieb die Menge wiederholt auseinander, die je
doch jedesmal kurz nach vorgenommener Säube
rung aus den vielen umliegenden Gängen erneut
auf den Groß-Neumarkt zusammenströmte. Erst
als mehrere Lastautos mit größeren Verstärkun
gen herbeigeeilt waren, konnte auch in diesem
Viertel die Ruhe wiederhergestellt werden. Die
Demonstranten wurden von der Polizei, die aus
geschwärmt über die ganze Straßenbreite vorging,
durch die verschiedenen vom Groß-Neumarkt aus
gehenden Straßen abgedrängt, wobei auch die
Autos der Ueberfallkommandos eingesetzt wurden.
Gerüchte, die von mehreren Toten sprechen,
sind nicht zutreffend.
Abends unternommene Versuche der Kommu
nisten, zum Rathaus vorzudringen, wo die Bür
gerschaft tagte, sind fehlgeschlagen. In kleinen
Trupps erreichte man zwar den Rathausmarkt.
Zusammenballungen wurden jedoch von der Po
lizei verhindert.
In einem höchst lesenswerten Aufsatz seines
Pariser Mitarbeiters gibt das „B. T." einen Auf
satz wieder, der unmißverständlich das „abrüstende"
Frankreich in das richtige Licht stellt. Der Auf
satz spricht für sich selbst. In ihm heißt es u. a.:
Paris. Anfang Dezember.
Wer die Reden französischer Minister hört
und die französischen Rechtszeitungen liest, der
sollte meinen, daß Frankreichs Grenzen für jede
Invasion offen ständen, und daß nicht Deutschland,
sondern Frankreich seine Armee zu einem für ein
großes Land unwürdigen Zustand vermindert
habe. Die Wahrheit sieht anders aus, und zwar
nach französischen Zeugnissen, die auch von den
französischen Nationalisten nicht als politisch ten
denziös bezeichnet werden können. Im Oktober,
als Deutschland mit seinen eigenen Angelegen
heiten so beschäftigt war, daß für die auswärtige
Politik kein großes Interesse erwartet werden
konnte, erschienen im „Matin" vierzehn Artikel
des Chefredakteurs Stephane Lauzanne unter der
lleberschrift „Wie ist Frankreich heute verteidigt?"
Diese Artikel müßten eigentlich in eister Broschüre
vereinigt und an alle Delegierten des Völkerbun
des verteilt werden.
Lauzanne schildert die unterirdischen Kase
matten, die zu Hunderten, voneinander nicht weiter
als je einen Kilometer entfernt, an der ganzen
deutschen Grenze sich entlangziehen, bis die Be
festigungsanlagen gegen Italien eine neue Sicher-
Jede dieser Kasematten ist
alle anderen Beguemlichkeiten so begeistert, daß
alle Rekruten den Wunsch empfinden werden, in
dieser gesunden Gegend einmal Krieg führen zu
dürfen. Ebenso großartig wie die Deckung gegen
Deutschland ist die Deckung gegen Italien. Bei
der Beschreibung dieser Anlagen ist Herr Lau
zanne weniger ausführlich, aber nicht weniger
enthusiastisch. Er erzählt mit patriotischer Rüh
rung, die Bauern in den Alpen hätten dem Kriegs
minister Maginot mit tränenden Augen dafür
gedankt, daß er sie nicht ohne Schutz gelassen hätte.
Hier haben sich die Senegalesen beim Bau sehr
bewährt: sie trugen die schweren Lasten auf ihren
Köpfen ins Gebirge hinauf, wobei sie natürlich
sehr glücklich waren, für ihr Adoptivvaterland
Frankreich so halsbrecherische Arbeit leisten zu
dürfen.
Ueberall konnten natürlich für diese Arbeiten
nicht Franzosen oder Soldaten der Kolonialarmee
verwendet werden. Es war eine Armee von zehn
tausend Arbeitern notwendig, die zu achtzig Pro
zent aus Ausländern bestand, aus Tschechoslowa-
ken, Polen, Italienern, Serben, Griechen,
Arabern, Russen, Portugiesen. Nur die Deutschen
fehlten, weil der General Weygand gegen ihre
Verwendung protestiert hatte, aus Gründen der
Sicherheit, das heißt, um Verrat zu verhindern,
und auch aus moralischen Gründen. Es sollte deut
schen Arbeitern nicht zugemutet werden, sich am
Bau einer chinesischen Mauer zwischen Deutsch
land und Frankreich zu beteiligen. Dieser Gedanke
ist gewiß richtig, aber es wirkt doch als eine tra
gische Ironie, daß in Frankreich Milliarden für
die Sicherung gegen Deutschland ausgegeben wer
den, während in dem ungeschützten Deutschland
Millionen Arbeitsloser um die Sicherheit ihres
heitskette beginnen,
ein Betonblock mit einer Kuppel, in welcher das
Maschinengewehr untergebracht ist. Nicht mehr
als ein Dutzend Menschen können in jeder der klei
nen, kugelsicheren und durch Erde getarnten Mi
niaturfestungen untergebracht werden, aber die
ganze Festungsreihe geht ohne Unterbrechung von
Diedenhofen bis Belfort. Alle diese kleinen
Werke sind mit Telephon, elektrischem Licht und
hygienischen Einrichtungen versehen, nach dem vom
Marschall Petain aufgestellten Grundsatz: „Das
Minimum von Gefahr, das Maximum von Be-
guemlichkeit." Nichts mehr von schmutzigen
Schützengräben! Die französischen Landesverteidi-
ger sollen jeden Komfort haben, wenn sie kämpfen
müssen. Das Wort „Komfort" ist, wie ich beto
nen möchte, in diesem Zusammenhang von dem
Führer des Herrn Lauzanne gebraucht worden.
Einem deutschen Barbaren würde der Gedanke an
einen komfortablen Krieg als eine üble Geschmacks-
losigkeit erscheinen. Dieie Kette von Verteidi
gungswerken entfernt sich nie mehr als 12 bis 15
Kilometer von der Grenze. Bei den 172 Kilo
metern des französischen Rheins folgt die Kette
dem Fluß. Jeder der dreizehn dauernden und
der zehn möglichen Uebergängs zwischen Seltz und
Kemp ist solid „abgeriegelt".
Die Erenzfestungen sind für die ganze Aus
dehnung von 300 Kilometern mit den Deckungs
truppen verbunden. An, einigen Stellen sind
größere Festungswerke mit starker Artillerie ge
baut. Eins neue Organisation, welche Lauzanne
als die „Festung auf Rädern" bezeichnet, besteht in
einem Park zweckdienlich eingerichteter Kraft-
wagen, die alle Ersatzteile für die Etenzfestun-
gen, Baumaterial und Munition, sofort an die
Stelle führen können, wo sie benötigt werden.
Lauzanne bewundert die sinnreiche Art, in welcher
die Kasernatten den Bodenverhältnissen angepaßt
worden sind. Einige sind in der Erde vergraben:
eine andere steht unauffällig mitten in einem Kno
tenpunkt der Eisenbahn, eine dritte ist in einem
Sumpf, eine vierte unter dem Wasser erbaut. Je
des Glied dieser Kette aus Beton und Stahl ist
individuelle Arbeit militärischer Techniker; die
Meisterstücke bilden die großen Anlagen Hacken
berg und Hochwald, von denen der Hackenberg eine
unterirdische Festung großen Stils ist, während die
Anlage Hochwald sich über die Erde erhebt, ein
Bollwerk für Giganten.
Hinter dem Festungsgürtel der Grenze liegen,
durch betonierte Wege mit der ersten Linie ver
bunden, die Schutzbauten für die Deckungstruppen.
Diese Bauten sind ganze Städte mit Trinkwasser
behältern und elektrischen Küchen, mit heizbaren
Schlafsälen, mit Toiletten, die durch fließendes
Wasser gereinigt werden. Lauzanne schildert diese
hygienischen Vorkehrungen, die sich bei weitem
nickt in allen französischen Städten finden, und
3 von ihnen sind in Haft behalten, der vierte ist
dagegen auf freien Fuß gesetzt worden. Bei allen
vier handelt es sich um Kommunisten. Der Atten
täter selbst, ein gewisser Jakobscn, gibt zu, daß er
nur eine Demonstration aufführen wollte und
nicht beabsichtigt habe, den Minister zu erschießen.
Im Folketing wurde am Mittwoch bei der
Behandlung eines Sozialgesetzes auf den Sozial-
minister Steincke ein Revolveranschlag verübt. Auf
der Zuhörertribüne entstand plötzlich Unruhe. Mit
dem Ruf „Im Namen der Arbeitslosen" feuerte
ein Tribünenbesucher einen Revolverschuß ab, der
zweifellos dem Sozialminister gelten sollte. Der
Schuß schlug jedoch in die Saaldecke, da zwei Ge
heimpolizisten sich sofort auf den Attentäter stürz
ten und ihm den Arm in die Höhe schlugen. Der
Mann wurde abgeführt. Der Minister setzte seine
Rede nach einer kurzen Unterbrechung fort.
Wie später bekanntgegeben wird, ist der An
schlag auf den Sozialminister Steincke von zwei
jungen Kommunisten, die die Arbeitslosenorgani
sation leiteten, ausgeführt worden.
Ferner wird aus Kopenhagen berichtet, daß
seitens kommunistischer Arbeitslosen ein Terror
vorbereitet war, von dem die Polizei aber Kennt
nis hatte, so daß sie sich in größerer Anzahl als ge
wöhnlich in Zivil unter den Zuhörern befand. Der
Attentatsversuch war auf 4 Uhr festgesetzt und
wurde auch genau um 4 Uhr ausgeübt. Der Schuß
hat in der Decke ein mehrere Zoll großes Loch hin
terlassen. Das Geschoß befindet sich in den Hän
den der Polizei. Der Täter wurde sofort über
wältigt und zusammen mit einem Komplizen ver
haftet. Der Minister unterbrach seine Rede nur
wenige Augenblicke wegen eingetretener Unruhe,
setzte sie darauf jedoch mit der Bemerkung, daß
man schon mit Feuerwerkskörpern für seine Vor
lage Reklame mache, fort. Weder der Minister
noch die im Saale befindlichen Abgeordneten wur
den sich gleich der Art der Störung bewußt. Erst
nachdem die Sitzung mit Abschluß der Minister-
rede abgebrochen war, wurden die Folketingsab-
geordneten ins Bild gesetzt. Im dänischen Reichs
tag herrschte erklärlicherweise eine erhebliche Un
ruhe.
MelMer lêuguel MmqsaWchl.
TU. Kopenhagen, 11. Dez. (Eig. Funkmeld.)
Die Polizei hatte am Mittwoch nach dem Anschlag
auf den Sozialminister anfangs 4 Personen ver
haftet, die ins Polizeipräsidium gebracht wurden.
Im Haushaktsausfchntz des Neichstages
wurderte man sich gestern nicht wenig über
den hohen Fehlbetrag von 2,4 Millionen Mark,
der bei dem Sonderfonds des Auswärtigen
Amtes betreffend Umzugskosten vorhanden ist.
Dieser Fehlbetrag soll, wie verlautet, „nur"
deshalb bisher nicht aufgedeckt worden sein,
weil stets Vorschüsse gegeben worden seien.
Die Kritik, die seitens einiger Parteien im
Ausschuß an der Tatsache des Fehlbetrages
geübt wurde, ist überaus berechtigt. Am Frei
tag will man die Angelegenheit tn Gegenwart
des Neichsaußenministers weiter behandeln.
Wenn ein Ministerialdirektor bemerkte,
die Umzugskosten würden sich wesentlich her
abmindern lassen, sobald das Reich die Ge
bäude der auswärtigen Vertretungen, die bis
her von den Vertretern mit eigenen Möbeln
ausgestattet worden seien, mit reichseigenen
Möbeln versehe, so kann dieser Einwand nicht
darüber hinwegtrösten, daß 2,4 Millionen
vertan wurden, ohne daß man recht weiß, wo
sie hingekommen sind. Man mutz unbedingt
dem Abgeordneten beipflichten, der beantragte,
die im Sinne der Reichshaushalrsordnung
schuldigen Beamten für die Ueberschreitung
der verfügbaren Mittel haftbar zu machen.
Zwei yWemmen
schauen sich hm Film an.
Gestern wurde der Film „Im Westen nichts
Neues" amtlich in der Filmprüfstells vorgeführt,
um den Mitgliedern des Neichskabinetts und der
preußischen Regierung Gelegenheit zu geben, sich
aus eigener Anschauung ein Urteil zu bilden. Zu
der heutigen Sitzung der Filmoberprüfstelle wer
den das Reichsinnenministerium, das bei der
ersten Prüfung nicht vertreten war, das Auswär
tige Amt und das Reichswehrministerium Sach
verständige entsenden. Das Reichswehrministerium
wird seine sachrfe Ablehnung aufrecht erhalten.
Novelle zum Lichtspielgesetz eingebracht.
Die Neichstagsfraktion des Christlich-Sozialen
Vorksdienstes hat dis Novelle zum Lichtspielgesetz,
die den früheren Reichstagen bereits vorgelegen
hat. als Jnitiativ-Antrag erneut im Reichstag ein
gebracht.
In Helsingfors hat der große Prozeß gegen
den früheren Generalstabschef Wallenius begon
nen wegen Entführung des ehemaligen finnlän-
dischen Präsidenten Stahlberg. Die Anklageschrift
gegen Wallenius und seine sechs Mitangechlagten
umfaßt 800 Seiten.